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1. Die Region Stuttgart im Schatten der Wirtschaftskrise

Die Region um die baden-württembergische Landeshauptstadt Stuttgart ist das Herzstück des ökonomischen "Musterländles" der zweiten deutschen Republik. Keine andere Region Deutschlands - einschließlich des Ruhrgebietes - hat eine so hohe Industriedichte aufzuweisen. Rund 46 Prozent aller Beschäftigten in der Region - mehr als 520.000 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer - sind in der Industrie tätig; zwei Drittel von ihnen in den Leitbranchen Maschinenbau, Fahrzeugtechnik und Elektrotechnik. Viele Jahre führte die Region mit Rekordzahlen die bundesdeutsche Leistungsbilanz an, Anfang der 80er Jahre sogar als "Exportweltmeister".

Die Entwicklung in der Region Stuttgart ist für das gesamte Bundesland Baden-Württemberg von entscheidender Bedeutung. Auf rund 10 Prozent der Fläche des Bundesland leben ein Viertel der Bürgerinnen und Bürger Baden-Württembergs; ein Drittel des Bruttosozialprodukts des Bundeslandes wird hier erwirtschaftet. Dabei begann die ungewöhnliche Erfolgsgeschichte der Region mit außerordentlichen Startschwierigkeiten. Mitte des letzten Jahrhunderts waren die württembergischen Regionen noch bettelarm und viele Tausend Schwaben verließen ihre Heimat, während die badischen Nachbarn bereits einen respektablen Wohlstand erwirtschaftet hatten. Doch Ende des letzten Jahrhunderts begannen die Schwaben, aus der Not eine Tugend zu machen. Da das Kapital für den Aufbau großer Industrien fehlte, wurden mit Hilfe eines spärlichen Förderprogramms der Regierung kleine Handwerksbetriebe mit großen Ideen gefördert. Und Schwaben war zu dieser Zeit reich an solchen "Tüftlern". Gottlieb Daimler und Robert Bosch waren zwei von ihnen und diese Namen stehen heute für zwei der großen Renommierbetriebe der Region. Auf breiter Basis entstanden mittelständische Betriebe, deren Nachfahren und -folger noch heute die Wirtschaftsstruktur der Region gemeinsam mit den Großbetrieben kennzeichnen.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wuchs die Wirtschaft der Region in beispielloser Weise. Binnen weniger Jahre wuchsen Daimler-Benz, Bosch, Porsche und andere zu florierenden Industrieunternehmen mit großem Mitarbeiterbedarf. Mit der enormen Industrieproduktion entstanden im Umfeld dieser Großfirmen zahlreiche neue Betriebe vor allem in der Zulieferindustrie ganz nach der Tradition der industrialisierten Handwerksbetriebe - Stichwort "High Tech neben Bastelbude". Anfang der 60er Jahre überholte die leistungsfähige junge Industrie Baden-Württembergs alle anderen Industrieregionen der Bundesrepublik, einige Jahre später sprach man bereits vom Nord-Süd-Gefälle innerhalb der Bundesrepublik. Der Vorteil der Region lag in der Häufung starker moderner Schlüsselindustrien wie Maschinenbau, Elektrotechnik und Fahrzeugbau. Von diesen fluktuierenden Branchen profitierte die Region auch in den Zeiten, als im Ruhrgebiet und in anderen Gebieten bereits im Zuge wirtschaftlicher Krisen zigtausende Menschen in die Arbeitslosigkeit entlassen wurden. Bis zum Beginn der 90er Jahre änderte sich an der ökonomischen Spitzenstellung der Region nichts.

Ende 1991 traf die Rezession die baden-württembergische Industrie mit voller Wucht. Die einseitige Wirtschaftsstruktur mit der Ausrichtung auf die besonders unter den Auswirkungen der Krise leidenden Leitbranchen und einem relativ geringen Anteil an wesentlich krisenresistenteren Dienstleistungsunternehmen erwies sich nun als eklatanter Nachteil. 1993 schrumpfte das Bruttoinlandsprodukt in Baden-Württemberg um 2,7 Prozent, das Land wurde vom "Musterländle" zum Schlußlicht bei der Wirtschaftsentwicklung in Deutschland. Verschiedene Kommentatoren orakelten schon, daß die Region Stuttgart zum

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"Ruhrgebiet der 90er Jahre" werden würde. Von der schrumpfenden Konjunktur blieb auch der Arbeitsmarkt nicht verschont - Arbeitslosigkeit, in Baden-Württemberg noch vor wenigen Jahren ein eher seltenes Phänomen, wurde zum Massenproblem.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Januar 2001

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