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5. Auf dem Weg in ein marktorientiertes Vergleichsmietensystem - gelöste und ungelöste Probleme

Die bisherigen Mietreformschritte zielten darauf ab, die Wirtschaftlichkeit der Wohnungsbestände in den neuen Bundesländern zu erhöhen und die investiven Kräfte in der ostdeutschen Wohnungswirtschaft zu stärken. Gleichzeitig wurde darauf geachtet, daß sich die Belastungen der Haushalte durch die Miete in Grenzen halten. Hierzu wurde einmal eine soziale Abfederung der neuen Mietregelungen durch das Sonderwohngeld vorgenommen. Zum anderen beachtete die Bundesregierung - entsprechend den Bestimmungen des Einigungsvertrages - bei ihren Mietverordnungen die Einkommensentwicklung. Da sich die Löhne und Gehälter in den neuen Bundesländern schneller erhöhen als in Westdeutschland, waren hierbei auch nach Auffassung des Gesamtverbandes der Wohnungswirtschaft Mieterhöhungen möglich und sogar nötig.

Bei der Durchführung der Mietreformschritte wurde eine differenzierte Vorgehensweise gewählt. Berücksichtigung fanden Ausstattungsmerkmale der Wohnung bzw. des Gebäudes sowie eine sehr grobe Unterscheidung von Gemeindegrößenklassen (zwei Kategorien). Insgesamt haben die bisherigen Anpassungsschritte an das westliche Mietpreisrecht in den neuen Bundesländern inzwischen zu Grundmieten geführt, die für viele private Haushalte einen erheblichen Ausgabeposten bedeuten. Hinzu kommen beträchtliche Zunahmen der kalten und warmen Betriebskosten. Zwar liegt die durchschnittliche Mietbelastung in Ostdeutschland mit knapp 20% deutlich unter dem westdeutschen Vergleichswert von 25%. Hierbei ist aber auch zu beachten, daß Zustand und Ausstattung der ostdeutschen Wohnungen nach wie vor eine erheblich niedrigere Wohnqualität bieten. Zudem besteht noch immer eine wesentliche Einkommensdifferenz zu Lasten der neuen Bundesländer.

Insgesamt haben die Mietanhebungen nach Einschätzung des BMBau aber nicht zu Überforderungen der Mieter geführt. Eine Bestätigung hierfür wird in den Ergebnissen einer Umfrage gesehen, nach denen 73% der Mieterhaushalte ihre Mietbelastung als angemessen bis tragbar bewerten. Abgesehen davon, daß die Restgruppe der Haushalte, die ihre Mietbelastung als untragbar einstuft, mit mehr als 25% einen beachtlichen Bevölkerungsausschnitt repräsentiert, kommen andere Erhebungen zu

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abweichenden Resultaten. So hat z.B. das Informationszentrum Beton aus Köln anläßlich des Kongresses "Zukunft Wohnen" vor wenigen Monaten festgestellt, daß knapp 40% der Haushalte in den östlichen Bundesländern ihre Wohnkosten - gemessen am Einkommen - für zu hoch halten.

Die Frage, ob die Mietreformschritte für die Mieter sozial zu verkraften waren, läßt sich mit Durchschnittswerten, mit denen z.B. das BMBau argumentiert, nicht beantworten. Einerseits ist für die reale Einkommensentwicklung in den neuen Bundesländern ein Wachstumstrend zu registrieren. Andererseits nehmen aber gleichzeitig die Einkommensunterschiede zu mit der Konsequenz, daß sich für ein wachsendes Bevölkerungssegment, zu dem u.a. Arbeitslose und Rentner gehören, die soziale Lage verschärft. Es kommt in zunehmendem Ausmaß zu Mietbelastungen, die jenseits der sozialen Verträglichkeit liegen. Dieser Entwicklung wird zwar mit dem besonders strukturierten Wohngeld für die neuen Bundesländer entgegengesteuert. In den Genuß dieser Subjektförderung, durch die die Mietzahlungsfähigkeit der wohngeldberechtigten ostdeutschen Haushalte stärker als in den alten Bundesländern erhöht wird, kommen vor allem aufgrund des immer noch vorhandenen Einkommensrückstandes erheblich mehr Haushalte in den neuen Ländern (Ostquote 21%, Westquote 6%). Aber fast 30% der ostdeutschen Haushalte müssen einer repräsentativen Mieterbefragung zufolge trotz Wohngeld mehr als ein Viertel ihres Einkommens für die Warmmiete aufbringen.

Mit den bisherigen Mietanpassungen in Ostdeutschland soll die Ertragslage der Vermieter verbessert werden, um so die Durchführung der notwendigen Erhaltungs- und Verbesserungsmaßnahmen im Wohnungsbestand zu ermöglichen. Trotz gestiegener Mieten klagen die Wohnungsunternehmen aber über zu geringe Spielräume für die Finanzierung von Sanierungen und Modernisierungen, da sie den Großteil ihrer Einnahmen für Investitionen in die laufende Instandhaltung, für die Bewirtschaftung der Wohnungen und für den ab Mitte 1995 fälligen Altschuldenkapitaldienst aufwenden müssen. Verbesserungen der Kapitalsituation verspricht sich die Wohnungswirtschaft u.a.

  • von einer Anhebung der Mietpreisobergrenze bei Inanspruchnahme von Fördermitteln,
  • von einer stärkeren Konzentration der Förderprogramme auf den Bereich der Sanierung und Modernisierung sowie

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  • von günstigeren Konditionen bei der Abführung von Privatisierungserlösen an den Erblastentilgungsfonds nach dem Altschuldenhilfegesetz.

Demgegenüber sind nach Auffassung der Bundesregierung mit den 1994 erreichten Mieten - auch unter Berücksichtigung der ab Mitte 1995 zu tilgenden Altschulden von rund 1 DM/qm - bei den Wohnungsunternehmen bereits heute erhebliche Investitionsspielräume für den Abbau des Instandsetzungsstaus und für die Durchführung von Modernisierungsmaßnahmen gegeben. Teile der Kreditwirtschaft rechnen aufgrund der steigenden Mieteinnahmen sowie der Kappung der Altschulden sogar mit einer "Investitionsoffensive" in der ostdeutschen Wohnungswirtschaft. Skeptisch zeigen sich die Banken allerdings hinsichtlich der Erwartung, die kommunalen und genossenschaftlichen Wohnungsunternehmen der neuen Bundesländer könnten durch Privatisierung eines Teils ihrer Wohnungsbestände in nennenswertem Umfang privates Kapital erschließen. Tatsächlich verfügen viele ostdeutsche Haushalte nicht über genügend Kreditfähigkeit, um die Investitionen im Zusammenhang mit einem Wohnungserwerb auf herkömmlichen Wegen, finanzieren zu können. Hier gilt es, nach Sonderformen der Mobilisierung privaten Kapitals - wie Objektgenossenschaften oder Fonds-Leasing-Modelle - zu suchen, die auf die spezielle Einkommens- und Kaufkraftentwicklung in den neuen Ländern besser zugeschnitten sind.

Die bisher im Rahmen der Ersten und Zweiten Grundmietenverordnung erfolgten Mietanhebungen wirken sich wegen unzureichender Differenzierung nach Wohnort, Lage, Baujahr, Beschaffenheit und Ausstattung der Wohnungen auf die ostdeutsche Mietenstruktur nivellierend aus. Konsequenz sind teilweise erhebliche Mietverzerrungen sowohl zwischen Altbau- und Neubaubestand als auch in regionaler Hinsicht zwischen ländlichen Räumen und großstädtischen Ballungszentren. Aus diesem Grund haben die Bundesbauministerin und die Bauminister der Länder im Juli 1992 in Magdeburg beschlossen, auf eine dritte Mieterhöhungsverordnung zu verzichten. Der für Mitte 1995 angestrebte Übergang in das Vergleichsmietensystem, der in der öffentlichen Diskussion auf breite Zustimmung trifft, soll eine Mietpreisbildung auf der Grundlage der

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ortsüblichen Vergleichsmiete bringen, die unter angemessener Berücksichtigung von regionalen und Wohnwertaspekten zu marktgerechten Preisen in der ostdeutschen Wohnungswirtschaft führt.

Das im westdeutschen Vergleichmietensystem zentrale Instrument des Mietspiegels läßt sich nicht ohne weiteres auf die neuen Bundesländer übertragen. Hier steht den dominierenden mietpreisgebundenen Wohnungsbeständen ein sehr geringes, von Knappheitspreisen bestimmtes freifinanziertes Wohnungsangebot gegenüber. Da die Ermittlung der ortsüblichen Vergleichsmiete laut MHG ausschließlich auf der Grundlage von Mietwerten zu erfolgen hat, die sich frei am Markt gebildet haben, stehen in Ostdeutschland für das gesamte Spektrum der Wohnungstypen Marktmietwerte nicht in ausreichender Fallzahl zur Verfügung. Damit stellen sich Probleme nicht nur auf der Verfahrens-, sondern auch auf der rechtlichen Ebene. Notwendig ist eine politische Entscheidung, durch die das Verfahren der Erstellung von Mietspiegeln für die östlichen Bundesländer rechtsverbindlich geklärt wird. Auf dieser Grundlage ist ein Instrumentarium für den Übergang in das Vergleichsmietensystem zu entwickeln, das den spezifischen Wohnungsmarktbedingungen in den Städten und Gemeinden der neuen Bundesländer gerecht wird.

GEWOS hat mit dem "Orientierungsrahmen" ein Instrument entwickelt, mit dem der Übergang von preisgebundenen Mieten auf marktorientierte Vergleichsmieten gestaltet werden kann. Hierbei bildet eine synthetisch konstruierte Miettabelle auf der Basis westdeutscher Vergleichsmietspiegel unter Berücksichtigung von Korrekturfaktoren, die den besonderen ostdeutschen Rahmenbedingungen Rechnung tragen, die Mietenstruktur für einen bestimmten Wohnungsmarkt so ab, wie sie sich unter Marktbedingungen ergeben würde. Mit Hilfe solcher Quasi-Mietspiegel sollen die bestehenden Mieten schrittweise an das Marktmietenniveau herangeführt werden. Die Praktikabilität und die methodische Zuverlässigkeit dieses Konzepts treffen jedoch noch auf viel Skepsis. So wird u.a. bezweifelt, ob bis Mitte 1995, also relativ kurzfristig für die vielen und insbesondere für die kleineren Städte und Gemeinden der neuen Bundesländer flächendeckend künstliche Mietspiegel geschaffen werden können. Darüber hinaus halten Experten die Anwendung von Miettabellen nur sinnvoll für Städte ab einer bestimmten Größenordnung. Befürchtet wird auch, daß in den Quasi-

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Mietspiegeln die speziellen Einkommens- und Marktentwicklungen in Ostdeutschland nur unzureichend berücksichtigt werden, was sich letztlich zu Lasten der Mieter auswirkt.

Das Bundesbauministerium lehnt in Sachen Übergang in das Vergleichsmietensystem wohnungspolitische Schnellschüsse ab, weil diese Mieter und Vermieter gleichermaßen verunsichern würden. Für eine vertretbare kurzfristige Entscheidung fehlt nach Auffassung des Ministeriums zur Zeit noch die Basis. Die erforderliche Bewertung der Qualität der Wohnungsbestände durch die Wohnungsunternehmen ist in den Kommunen noch nicht abgeschlossen. Daten zur Wirtschafts-, Einkommens- und Mietenentwicklung im Jahr 1994, die bei der Ausarbeitung eines konkreten Konzeptes zur Gestaltung des Übergangs in das Vergleichsmietensystem zu berücksichtigen sind, können erst zu Beginn des folgenden Jahres vorgelegt werden. Entsprechendes gilt auch für die Ergebnisse einer wissenschaftlichen Analyse, die im Auftrage des BMBau ein aktuelles Bild der Gesamtsituation der Mieterhaushalte in den neuen Bundesländern aufzeichnen und Modellrechnungen über unterschiedliche Lösungsansätze für den Übergang in das Vergleichsmietensystem durchführen soll. Will man die für die Mietenentwicklung in den neuen Bundesländern maßgeblichen Faktoren verläßlich berücksichtigen, dann müssen die mietenpolitischen Entscheidungen auf einen späteren Zeitpunkt, an dem die Datenbasis gesichert ist, verschoben werden. Fest steht allerdings schon heute für das BMBau, daß Befürchtungen, 1995 könnte das westdeutsche Mietenniveau ohne Korrekturen auf die neuen Bundesländer übertragen werden, unbegründet sind. Unbezahlbare Mietsprünge soll es nicht geben, und die politische Leitlinie, daß sich die Mietenentwicklung an den Einkommen orientiert und eine soziale Abfederung durch Wohngeld erhält, wird beibehalten.

Daß die Bundesregierung beabsichtigt, bis Anfang 1995 weder in der Mietenpolitik instrumentelle Veränderungen vorzunehmen, noch eine Entscheidung über das Übergangsverfahren in das Vergleichsmietensystem zu treffen, führt für die Mieter und für die Vermieter in den nächsten Monaten zu Planungsunsicherheiten. Die Mieter wissen nicht, wie sich die Mietbelastung mittelfristig entwickeln, ob sie sozial verkraftbar sein wird. Und auch für die Vermieter und Investoren besteht eine schwierige Situation, weil unklar ist, wie die Mieten künftig gebildet werden und welche Miethöhen sich ergeben. Diese Faktoren sind aber wichtig im Hinblick auf

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die Wirtschaftlichkeit der Wohnungsbestände und auf die Investitionsfähigkeit der Kapitaleigentümer. Ohne Kenntnis der künftigen wohnungswirtschaftlichen Rahmenbedingungen fehlen Planungsgrundlagen, die für die Erstellung mittelfristiger Investitions- und Sanierungskonzepte benötigt werden.

Daß die Wohnungsunternehmen Mitte 1995 Mieterhöhungsspielräume benötigen, ergibt sich nach Auffassung des Gesamtverbandes der Wohnungswirtschaft schon allein daraus, daß zu diesem Zeitpunkt erstmals die nach der Kappung verbleibenden Altschulden und der daraus resultierende Kapitaldienst zu bedienen sind. Falls diese zusätzlichen Kosten von etwa 1 DM/qm nicht auf die Mieter abgewälzt werden können, müssen die Wohnungsgesellschaften bereits begonnene und neue Investitionsprogramme entsprechend kürzen mit der Konsequenz, daß der Beitrag der Wohnungswirtschaft zum Aufschwung Ost mehrere Milliarden DM geringer ausfällt.

Die Umgestaltung der ostdeutschen Wohnungswirtschaft von einem staatlich kontrollierten zu einem marktorientierten System vollzog sich von Beginn an im Spannungsfeld zwischen erforderlicher Sozialverträglichkeit der Maßnahmen, notwendiger Finanzierung des immensen Investitionsbedarfs sowie zunehmenden Sparzwängen bei den öffentlichen Haushalten. Dies sind die Koordinaten, in denen auch der geplante Übergang in das Vergleichsmietensystem zu gestalten ist. Wenn der breite Konsens über die Ablehnung einer weiteren Administrierung der Mieten auch zuversichtlich für die Lösung dieser Aufgabe stimmt, so hat die Diskussion über die Modalitäten der Übergangskonzepte und -instrumente eben erst begonnen.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | September 1999

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