FES HOME MAIL SEARCH HELP NEW
[DIGITALE BIBLIOTHEK DER FES]
TITELINFO / UEBERSICHT



TEILDOKUMENT:


[Seite der Druckausg.: 33 ]


3. Schlußfolgerungen und Vorschlage

3.1 Vernetzungen und Abhängigkeiten der Industrieforschung

Die Analysen zur Situation der ostdeutschen Industrieforschung sowie der Erfolge und Probleme der verschiedenen Fördermaßnahmen hat die Vielfalt der wechselseitigen Abhängigkeitsverhältnisse gezeigt, in die Industrieforschung eingebunden ist. Die Verfügung über Geld für Forscher und Geräte ist zwar notwendig, aber noch nicht ausreichend für eine erfolgreiche Industrieforschung in Unternehmen oder privaten Forschungseinrichtungen. Die Herausforderung an eine Förderung der Industrieforschung, die mit der Situation der ostdeutschen Industrieforschung verbunden ist, liegt gerade darin, sie nicht nur "irgendwie" überleben zu lassen, sondern sie wieder auf den Weg einer eigendynamischen, sich selbst tragenden Entwicklung zu bringen. Soll dies gelingen, muß die Förderung der Industrieforschung in Ostdeutschland die Abhängigkeiten und Vernetzungen der Industrieforschung bewußt und gezielt in ihre Förderkonzepte einbeziehen. Diese Bindungen und Vernetzungen müssen selbst (mit) zum Gegenstand von Fördermaßnahmen werden. Dabei sind drei Dimensionen zu berücksichtigen: Die Einbindung in die Unternehmen und damit in wirtschaftliche Zusammenhänge (a), die Eigendynamik von Industrieforschung (b) sowie die Einbindung in das Forschungssystem und damit in wissenschaftliche Zusammenhänge (c).

  • (a)
    Industrieforschung ist ein entscheidender Faktor der Steigerung der Leistungsfähigkeit und Wettbewerbsfähigkeit vieler Unternehmen. Da sie jedoch erst mit einer gewissen Verzögerung produktions- und marktwirksam wird, setzt die Finanzierung der Industrieforschung ein Mindestmaß an ökonomischer Potenz des Unternehmens voraus. Die positiven Wirkungen der Industrieforschung sind deshalb nur für nicht kurzfristig in ihrer Existenz bedrohte Unternehmen relevant. Akute Existenznöte lassen die Unternehmen Industrieforschung primär als Kostenfaktor betrachten, dessen Abbau ein Gebot betriebswirtschaftlicher Vernunft sein kann.

    Damit die Industrieforschung zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit beitragen kann, muß sie sich konsequent am Markt orientieren. Nur wenige leistungsfähige Großunternehmen können es sich leisten, einen Teil ihrer Forschung für die Lösung anwendungsferner Probleme von strategischer Bedeutung einzusetzen. Für die ostdeutschen Unternehmen ist in ihrer jetzigen Situation die Orientierung der Forschung am Markt eine Überlebensfrage. Das betrifft jedoch nicht nur die Ableitung

[Seite der Druckausg.: 34 ]

    von Forschungszielen. Auch bei der Umsetzung von Ergebnissen müssen Forschung, Entwicklung, Produktion und Vertrieb Hand in Hand gehen.

  • (b)
    Industrieforschung bewahrt und mehrt - wie Forschung überhaupt - ihre Leistungsfähigkeit nur im Prozeß der Forschung. Das bedeutet, daß Industrieforschung nicht einfach in schlechten Zeiten "geparkt" werden kann, um dann im Falle eines Aufschwungs reaktiviert zu werden. Das Fehlen kontinuierlicher, anspruchsvoller Forschungsarbeit führt zu einem Schrumpfungsprozeß, der verschiedene Formen annehmen kann - von der zunächst unsichtbaren Veraltung des Wissens über den Verlust an Kooperations- und Kommunikationsbeziehungen bis hin zur Abwanderung von Leistungsträgern. Forschungspotentiale verschleißen also schnell, wenn sie nicht genutzt werden. Eine Förderung von Industrieforschung muß deshalb immer die Forderung des geförderten Potentials berücksichtigen.

    Ein zweiter Aspekt der Eigendynamik der Industrieforschung ist die kritische Masse des Forschungspotentials, die für die Realisierung einer den Produkt- und Verfahrensentwicklungen vorgelagerten Forschung erforderlich ist. Die Reduzierung der FuE-Potentiale in den Unternehmen läßt diese unterkritisch werden, so daß sie die Funktionen einer perspektivisch angelegten, mit anderen Forschungseinrichtungen kooperationsfähigen Forschung nicht mehr erfüllen können.

  • (c)
    FuE-Potentiale in der Industrie sind zugleich stets in besonderer Weise von ihren Vernetzungen abhängig. So wie Industrieforschung nur in erfolgreichen Unternehmen existieren und wirksam werden kann, kann sie auch langfristig nur erfolgreich sein, wenn sie sich in ein Netzwerk industrienaher Forschung einbindet. Die wachsende Komplexität der wissenschaftlichen Voraussetzungen und Rahmenbedingungen einerseits sowie der Innovationen andererseits zwingt Unternehmen unabhängig von ihrer Größe zunehmend zur Kooperation. Diese Kooperation und der Aufbau entsprechender Netzwerke vollziehen sich im vorwettbewerblichen Bereich zwischen den Unternehmen, mit Universitäten, Hoch- und Fachhochschulen sowie mit Einrichtungen der staatlich finanzierten außeruniversitären Forschung. Dabei sind diese Neztwerke für die genannten Partner aus der Wissenschaft gleichermaßen wichtig, da sie die Verbindung zu den Adressaten der industrienahen Forschung herstellen. Die Industrieforschung hat in diesen Kooperationen eine wichtige orientierende Funktion. Sie vermittelt die Anforderungen der Märkte und der Unternehmensentwicklung und ist deshalb unverzichtbar für die Orientierung der staatlich

[Seite der Druckausg.: 35 ]

    geförderten anwendungsorientierten Forschung. Die wichtigsten Mittel für den Aufbau und die Entwicklung solcher Netzwerke sind Auftragsforschung und staatliche Förderung, die gegenwärtige desolate Situation der ostdeutschen Industrieforschung beeinträchtigt deshalb auch diese Einbindung in Netzwerke und die notwendigen Orientierungen durch die Industrieforschung. Die ostdeutschen Unternehmen verfügen gegenwärtig kaum über Mittel für die Auftragsforschung. Selbst staatliche Fördermaßnahmen können häufig nicht in Anspruch genommen werden, weil der erforderliche Eigenanteil durch die Unternehmen nicht aufgebracht werden kann. Während also den ostdeutschen Unternehmen die Möglichkeiten für den Aufbau von Netzwerken fehlen, sind die von Drittmitteln abhängigen anwendungsorientierten Forschungseinrichtungen gezwungen, sich auf westdeutsche Auftraggeber zu orientieren. Dabei ist die Kooperationsbereitschaft der weitgehend stabilisierten ostdeutschen staatlich finanzierten Forschung durchaus vorhanden, und es wird zugleich ein gewisser Orientierungsbedarf artikuliert. Auch das Interesse des ostdeutschen Mittelstandes an Kooperation mit diesen Forschungseinrichtungen ist spürbar. Was fehlt, sind die materiellen Voraussetzungen für den Aufbau der entsprechenden Netzwerke.

Page Top

3.2 Vorschläge zur Ausgestaltung der Förderinstrumente

Eine Fortsetzung der massiven Förderung der Industrieforschung scheint aus heutiger Sicht unumgänglich. Ein Zurückziehen des Staates würde den verbliebenen, inzwischen weitgehend von der Förderung abhängigen Rest der Industrieforschung existentiell bedrohen. Die aktuelle Entwicklung in Ostdeutschland bietet aus zwei Gründen kurzfristig wenig Hoffnung für die ostdeutsche Industrieforschung. Erstens ist der Aufschwung zumindest in einigen Industriezweigen durch einen West-Ost-Transfer induziert und beruht nicht auf den für einen Aufschwung zu erwartenden Wachstumsprozessen:

  • Rund 30 % des gesamten Umsatzes des produzierenden Gewerbes entfallen direkt oder indirekt auf die Bautätigkeit, der übergroße Anteil davon ist öffentlicher Natur. Selbst in den Blütezeiten der Bautätigkeit in Westdeutschland waren das nur 10 %.

  • Die größten westdeutschen innovationsintensiven Industriegüterbranchen Maschinenbau, Elektrotechnik und Straßenfahrzeuge bringen ein Drittel der Industrieproduktion. In Ostdeutschland beläuft sich dieser Anteil auf knapp 15 %.

[Seite der Druckausg.: 36]

  • Der Anteil der ostdeutschen Industrie am industriellen deutschen Gesamtexport beträgt 2%.

Von einem selbsttragenden Aufschwung in den neuen Bundesländern kann also auf absehbare Zeit keine Rede sein.

Zweitens erweist sich im Zusammenhang damit, daß Wachstumschancen am ehesten in den ostdeutschen Branchen gesehen werden, die nicht forschungsintensiv sind (Bild 6). Das bedeutet, daß die Industrieforschung nicht einmal von dem "transferinduzierten" Aufschwung in nennenswertem Umfang profitieren kann.

[Seite der Druckausg.: 37 ]

Unter diesen Bedingungen wird die ostdeutsche Industrieforschung immer stärker von staatlicher Förderung abhängig. Anforderungen an Fördermaßnahmen lassen sich auf der Grundlage der bisherigen Überlegungen unter den Gesichtspunkten Bestandssicherung der Industrieforschung, "Förderfähigkeit" der Unternehmen, Marktwirksamkeit der Industrieforschung und Ausbildung von Vernetzungen zusammenfassen.

Bestandssicherung der Industrieforschung

Der Trend eines überproportionalen Abbaus des Forschungspotentials in den Unternehmen scheint mittlerweile gebrochen (vgl. 1.1). Daraus können jedoch keine optimistischen Prognosen abgeleitet werden, da eine der wichtigsten Ursachen dafür in dem vorherigen starken Abbau liegen. Viele Unternehmen können heute einfach deshalb kein Forschungspersonal mehr abbauen, weil sie keines mehr haben. Der absolute Rückgang der Beschäftigtenzahlen in FuE wird sich auf absehbare Zeit fortsetzen, wobei der verbleibende Rest der ostdeutschen Industrieforschung immer stärker von den staatlichen Fördermaßnahmen abhängig wird. Unter diesen Bedingungen kommt Fördermaßnahmen, die auf den Erhalt und den Ausbau von Forschungspotentialen in den Unternehmen gerichtet sind, eine große Bedeutung zu. Nur diese Maßnahmen können gegenwärtig den Erhalt mittelfristig benötigten, aber kurzfristig durch die Unternehmen nicht finanzierbaren Forschungspotentials sichern. Der FuE-Personalzuwachsförderung und der neuen Fördermaßnahme Forschungskooperation kommen über die reine Bestandssicherung hinaus besondere Bedeutung zu, weil mit diesen Maßnahmen Wissenstransfer über Personal ermöglicht wird. Insbesondere ist das Programm FuE-Personalzuwachsförderung Ost die einzige Maßnahme, mit der die Einstellung wissenschaftlichen Nachwuchses für die Industrieforschung gefördert wird. Jenseits dieser Fördermaßnahme wird das Bemühen um wissenschaftlichen Nachwuchs naturgemäß durch die Anstrengungen eingeschränkt, das FuE-Personal überhaupt zu halten.

Die Bestandssicherung muß dabei stets mit dem Blick auf die Bearbeitung anspruchsvoller Projekte erfolgen. Das wird in vielen Unternehmen, die die FuE-Leistungen dringend benötigen, ohnehin geschehen. Wo dies nicht erfolgt, sollte eine spezielle Projektförderung erwogen werden, wie dies am Beispiel der Chemieindustrie im Raum Halle diskutiert wurde (vgl. 1.2). Für solche wie für alle anderen existierenden oder beabsichtigten Fördermaßnahmen gilt, daß angesichts der spezifischen Probleme der ostdeutschen Industrie die Beschränkung des Zugangs zu Fördermaßnahmen auf kleine und mittlere Unternehmen nicht sinnvoll ist. Ostdeutsche Großunternehmen befinden sich in einer ähnlich schwierigen wirtschaftlichen Situation, und ihre FuE ist dadurch in der gleichen Art und Weise gefährdet. Die Folgen

[Seite der Druckausg.: 38 ]

des fehlenden Zugangs zu Fördermaßnahmen für den Bestand der ostdeutschen Industrieforschung sind jedoch in quantitativer Hinsicht noch schwerwiegender.

„Förderfähigkeit" der Unternehmen

Eines der größten Probleme der aktuellen Fördermaßnahmen sind die Förderquoten. Die geringe Eigenkapitalausstattung der Unternehmen macht es ihnen häufig unmöglich, die Eigenanteile aufzubringen. Dringend benötigte Fördermaßnahmen können so nicht in Anspruch genommen werden. Diesem Problem kann auf zwei Wegen begegnet werden. Versuche, die Förderquoten zu erhöhen, scheitern mit großer Wahrscheinlichkeit an den vertraglichen Bindungen mit der EG. Allerdings hat das BMFT in seinen Fachprogrammen durch einen "Bonus" für Ostunternehmen die Förderquote de facto auf 60 % erhöhen können. Für das beabsichtigte Förderprogramm "Produkterneuerung" wird angestrebt, in Verhandlungen mit der EG eine solche höhere Förderquote durchzusetzen. Ein zweiter Weg besteht darin, über stille Beteiligung die Eigenkapitalausstattung der ostdeutschen Unternehmen zu erhöhen und sie auf diese Weise in die Lage zu versetzen, die Eigenanteile aufzubringen. Zu diesem Zweck sind in einigen neuen Bundesländern Innovationsfonds entstanden. Auch das KfW/BMFT-Technologie-Beteiligungsprogramm dient der Verbesserung der Eigenkapital-Ausstattung. Die nach wie vor massiven Klagen der Unternehmen zeigen jedoch, daß die "Förderfähigkeit" der Unternehmen, d.h. die Fähigkeit, Fördermaßnahmen in Anspruch zu nehmen, noch unzureichend ist und weiterer Unterstützung bedarf.

Marktwirksamkeit der Industrieforschung

Damit sie zum Unternehmenserfolg und auf diesem Wege zum eigenen Fortbestand beiträgt, muß sich Industrieforschung konsequent am Markt orientieren. Dies muß auch die Förderung der Industrieforschung stets im Blick haben. Beispielhaft für eine durch Fördermaßnahmen erreichte Orientierung am Forschungsbedarf der Unternehmen und damit indirekt am Markt sind die Programme zur Auftragsforschung. Aber auch die Förderung der Industrieforschung in den Unternehmen muß die Orientierung an der Nachfrage fördern und die Realisierung der FuE-Ergebnisse in marktfähigen Produkten bis hin zur Markteinführung der Produkte einschließen. Die dafür erforderlichen infrastrukturellen Voraussetzungen im Sinne von Beratungsangeboten sind durch das BMFT und das BMWi geschaffen worden. Der Forderung nach stärkerer Orientierung am Markt trägt das beabsichtigte Programm "Produkterneuerung" von BMFT und BMWi Rechnung (vgl. 2.1).

[Seite der Druckausg.: 39 ]

Ausbildung von Vernetzungen

Maßnahmen, die die Förderung der Forschungskooperation zwischen Unternehmen und von Unternehmen mit Forschungseinrichtungen fördern, sind in ihrer Wirksamkeit vor allem durch die bereits diskutierten Schwierigkeiten der Unternehmen begrenzt, ihren Anteil an der Finanzierung aufzubringen. Hier können die Länder durch die Förderung von regionalen Verbund projekten zusätzliche Akzente setzen. Solche Verbundprojekte können die Grundlage der Netzwerke sein, die sowohl die Industrieforschung als auch die industrienahe staatlich finanzierte Forschung benötigen.

Eine weitere Möglichkeit der Förderung von inhaltlicher Orientierung und Vernetzung der Industrieforschung und industrienahen Forschung sind Technologie-Kommissionen. die aus Vertretern von Industrie und staatlich finanzierter Forschung zusammengesetzt sind und über landesspezifische Förderschwerpunkte entscheiden. Auch das Programm Forschungskooperation des BMFT zielt auf die Herausbildung und Unterstützung solcher Vernetzungen.

Page Top

3.3 Resümee: Herausforderungen an die Förderung der Industrieforschung

Die Bereitschaft aller Beteiligten - Wirtschaft, Bund, Länder, Universitäten, Hochschulen, Fachhochschulen, staatlich finanzierte Forschung und Förderorganisationen - zum Überleben und zum Wiederaufbau der ostdeutschen Industrieforschung beizutragen, ist unübersehbar. Ebenso deutlich sind die Erfolge dieser Bemühungen, wenn sie auch bislang vor allem in einer Verlangsamung der Talfahrt bestehen. Entscheidend für die Zukunft der ostdeutschen Industrieforschung ist der Zeitfaktor. Forschungspotentiale und ihre regionalen, nationalen und internationalen Vernetzungen können zwar binnen kürzester Zeit verschwinden, der Wiederaufbau solcher Potentiale erfordert jedoch eine lange Zeit. Gerade deshalb muß dem verbliebenen Teil der ostdeutschen Industrieforschung sofort und wirksam geholfen werden.

Die Probleme und die Erfolge der Förderung und Unterstützung der Industrieforschung machen jedoch deutlich, daß die ausbleibenden Impulse eines selbsttragenden wirtschaftlichen Aufschwungs für die Industrieforschung nicht ersetzbar sind. Förderung und konzertierte Unterstützung der Industrieforschung können das ausbleibende Wachstum der Industrie, für die die Forschung da sein soll und in die sie eingebettet sein muß, nur für eine sehr begrenzte Zeit kompensieren. Diese Zeit nähert sich ihrem Ende.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Januar 2001

Previous Page TOC Next Page