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1. Der wohnungspolitische Handlungsbedarf in Ostdeutschland


Wie in den alten Bundesländern herrscht auch auf dem Wohnungsmarkt im Osten Deutschlands ein akuter Mangel an preisgünstigem Wohnraum. Dabei sind die neuen Länder nach Schätzungen des Deutschen Mieterbundes mit einem Fehlbestand von rund 1 Mio. gegenüber etwa 2 Mio. fehlenden Wohnungen im Westen überdurchschnittlich an der gesamtdeutschen Wohnungsnot beteiligt. Im Osten wird sie überlagert und verschärft von zusätzlichen Problemen, die aus der Hinterlassenschaft jahrzehntelanger DDR-Wohnungspolitik resultieren.

Schon in der Aufbauphase der DDR war eine Dominanz des Neubaus gegenüber der Instandhaltung bzw. Modernisierung der vorhandenen Bausubstanz zu erkennen. Besonders seit Anfang der siebziger Jahre mußte ein zunehmender Bedarf an mehr und besser ausgestatteten Wohnungen gedeckt werden. Dies geschah, indem – weiterhin unter Vernachlässigung der Bestandspflege der Altbauten – mit industriell gefertigten Plattenbauelementen in Schnellbauweise ganze Wohnsiedlungen hochgezogen wurden. Zwar boten die neuen Wohnungen einen im Vergleich zu den schlecht ausgestatteten Altbauten fortschrittlichen Wohnstandard. Doch die wohnungspolitische Zielsetzung war unter Mißachtung baulicher Gütekriterien an der möglichst großen Zahl neuerrichteter Wohnungen orientiert, so daß es wegen teilweise erheblicher Baumängel bereits nach relativ kurzer Zeit zu einem umfangreichen Instandsetzungsbedarf kam. Für die Stadtentwicklung hatte die Konzentration auf den Wohnungsneubau gravierende Folgen. Die innerstädtischen Wohngebäude verfielen, wurden unbewohnbar und standen in zunehmendem Maße leer. Während sich die Wohnbevölkerung in den Neubaugebieten am Stadtrand konzentrierte, verödeten die Stadtzentren.

Die staatlich verordneten Mietpreise blieben auf dem Stand von 1936 eingefroren, waren also in keiner Weise an den Bewirtschaftungskosten orientiert. Die Niedrigstmieten erlaubten weder den volkseigenen Wohnungsunternehmen noch den privaten Vermietern die Bildung von Kapitalrücklagen für erforderliche Instandhaltungsinvestitionen. Im Gegenteil, es türmten sich Schuldenberge auf, die dem vereinigten Deutschland als "Altschuldenproblem" vererbt wurden.

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Im Verlauf der Jahrzehnte hat sich somit ein immenser Sanierungs- und Modernisierungsbedarf angestaut. Zudem ist die DDR-Wohnungspolitik an ihrer Zielsetzung gescheitert, ausreichenden Wohnraum bereitzustellen. Im Wettlauf zwischen verfallender Altbausubstanz und dem mit erheblichen Mängeln behafteten Neubau auf der grünen Wiese konnte der Wohnungsmangel letztlich nicht behoben werden, sondern die Lösung dieses Problems wurde in die Zukunft verlagert. Zum Zeitpunkt der deutschen Einigung war noch fast jede zweite Wohnung vor 1919 errichtet, etwa jede vierte Wohnung wurde als dringend renovierungsbedürftig eingestuft, ca. 1 Mio. Wohnungen galten als nicht mehr sanierungsfähig.

Die heutige gesamtdeutsche Wohnungspolitik sieht sich vor die doppelte Aufgabe gestellt, zum einen geeignete Instrumente und Rahmenbedingungen für die Finanzierung des riesigen Bedarfs an Sanierungs-, Modernisierungs- und Neubauinvestitionen zu schaffen und zugleich eine marktwirtschaftliche Umstrukturierung der schuldenbelasteten ostdeutschen Wohnungswirtschaft durchzuführen. Neben der Aufgabe der Privatisierung des ehemals volkseigenen Wohnungsbestandes gilt es, die Lastenverteilung der Wohnkosten im Sinne eines marktwirtschaftlich orientierten Wohnungswesens neu zu ordnen. Die vormals staatlicherseits hochsubventionierten Mietpreise sind an ein kostendeckendes Niveau heranzuführen und die auf dem Wohnungsbestand lastenden Altschulden sind abzutragen. Zugleich müssen die privaten und kommunalen Vermieter ebenso wie die Mieter an der Finanzierung der notwendigen Instandsetzungs- und Modernisierungsmaßnahmen beteiligt werden, da öffentliche Mittel auf absehbare Zeit nur sehr begrenzt zur Verfügung stehen.

Dieser Notwendigkeit stehen jedoch Kapitalmangel bzw. unzureichende Kapitalbeschaffungsmöglichkeiten auf seilen der Wohnungsunternehmen und der privaten Vermieter und eine beschränkte finanzielle Belastbarkeit der Mieter aufgrund der gegenwärtigen Einkommensentwicklung in Ostdeutschland gegenüber. Damit ist ein grundlegendes Spannungsverhältnis zwischen der Bezahlbarkeit des Wohnens und der notwendigen Mittelbeschaffung für die Erhaltung und Modernisierung der Bausubstanz und auch für die bedarfsgerechte Ausweitung des Wohnungsbestandes durch Neubauten beschrieben. Das Erfordernis eines sozialverträglichen

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Interessenausgleichs rückt ins Zentrum wohnungspolitischer Entscheidungen, die Finanzierung der Wohnungsversorgung erweist sich zugleich als ein sozialpolitisches Problem.

Es gilt also eine Finanzierungslücke zu schließen, die sich auftut zwischen dem immensen Finanzbedarf einerseits und den angespannten öffentlichen Haushalten sowie der begrenzten Belastbarkeit sowohl von Vermietern bzw. Wohnungsunternehmen als auch Mietern andererseits. Besondere Bedeutung kommt in diesem Zusammenhang einem Engagement privater bzw. institutioneller Investoren auf dem ostdeutschen Wohnungsmarkt zu. Dies verlangt nach entsprechenden Rahmenbedingungen, die jedoch wiederum am Kriterium der Sozialverträglichkeit wohnungspolitischer Maßnahmen zu messen sind.

In der Wohnungspolitik vor Ort, also insbesondere auf der Ebene der ostdeutschen Gemeinden, muß sich die Rahmenbedingungen setzende Politik der Bundesregierung bewähren. Dies betrifft auch die mit dem Altschuldenhilfegesetz beabsichtigte Erweiterung des finanziellen Handlungsspielraums der kommunalen Wohnungsgesellschaften in Verbindung mit der Verpflichtung zur Privatisierung eines Teils des Mietwohnungsbestandes. Die praktische Umsetzung wohnungspolitischer Entscheidungen erfordert die Entwicklung geeigneter Konzepte und Modelle – sei es zu Sanierungs- und Modernisierungsmaßnahmen, zu Neubauvorhaben oder zur Privatisierung von Wohnraum –, die auf die Verhältnisse vor Ort zugeschnitten sind. Erst hier in der Anwendung politischer Vorgaben treten mögliche Schwierigkeiten und Hindernisse zutage, die auf Versäumnisse oder gar Fehlentscheidungen hinweisen können. Die Diskussion solcher Praxisprobleme sollte in der Rückkoppelung mit den politischen Entscheidungsträgern gegebenenfalls auf eine Nachbesserung bereits getroffener Beschlüsse hinwirken und bei der künftigen Ausgestaltung der Wohnungspolitik Berücksichtigung finden.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | September 2002

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