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[Seite der Druckausg.: 46 ]


9. Lösung der Stadtverkehrsprobleme im Konsens

Daß der Verkehr, insbesondere der motorisierte Individualverkehr, in seiner heutigen Ausprägung immer stärker zu einer Bedrohung von Mensch und Umwelt wird und die Städte zu ersticken droht, wird von fast Niemandem mehr geleugnet. Daß isolierte Lösungsansätze nur halbherzig sein können, auch dies wird ganz überwiegend anerkannt. Obwohl die Umwelt- und Verkehrsprobleme drängen, werden Auswege und Lösungen nur zögerlich angegangen. Und bei der Frage, welche Lösungswege beschritten werden sollen, fallen die Meinungen weit auseinander. Trotzdem wird ein Konsens von jeder Seite für notwendig gehalten.

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So verweist die eine Seite darauf, daß Grundlage jeglicher Verkehrspolitik die Erkenntnis sein muß, daß nicht restriktive Maßnahmen, sondern nur konstruktive Maßnahmen Chancen für die Zukunft böten. So würden Autofahrer immer wieder Beschränkungen - wie das nicht erlaubte Parken in der zweiten Reihe - nicht beachten und dabei nicht einmal ein Schuldbewußtsein erkennen lassen. Auf der anderen Seite wird die Auffassung vertreten, ohne Restriktionen könne man nicht auskommen. Der Bürger nutze sein Auto unkritisch so intensiv wie möglich. Der Konsens, man müsse alle Verkehrsmittel parallel mit öffentlichen Geldern ausbauen und gleichzeitig nutzen können, erscheint hier friedlich nicht möglich.

Aber nicht nur bei der Wahl und Förderung der verschiedenen Verkehrsträger wird ein Konsens angemahnt. Vielmehr besteht auch die Forderung nach einer disziplinübergreifenden Zusammenarbeit. Hierzu gehört vor allem die Einbettung der Verkehrspolitik in die Stadt- und Regionalentwicklung. Hintergrund ist die Erkenntnis, daß die Verkehrsprobleme in erster Linie keine Probleme des Verkehrs, sondern einer "falschen" Siedlungs- und Raumordnungspolitik sind. Wer Einkaufszentren, Gewerbeparks oder Eigenheimsiedlungen auf der grünen Wiese zulasse, verursache Verkehr und müsse daher auch Lösungen für die Bewältigung der Verkehrsströme vorlegen.

Deutlich wurde auch, daß zwar in Planerkreisen regionale Kooperation gefordert und der Konkurrenzabbau zwischen den Gemeinden propagiert wird. Die weitgehende, vielfach abstrakte Querschnittsaufgabe einer integrierten Stadt- und Verkehrsplanung mit dem Ziel einer Verkehrsvermeidung ist aber voller Zielkonflikte zwischen Raumordnung, Verkehrs-, Umwelt-, Wirtschafts- und Sozialpolitik. Statt Kooperation sind Zuständigkeitsgerangel und Kompetenzstreitigkeiten vorherrschend. Zweifel bestehen auch in den neuen Bundesländern, ob die integral ausgerichtete Stadtplanung - von der übergeordneten Planung über die regionale Planung, Flächennutzungsplanung bis zur Verkehrsplanung - angesichts der vorhandenen Verwaltungsstrukturen durchgehalten werden kann.

Eine dritte Ebene der Konsensbildung wird zwischen den verschiedenen Stufen der Gemeinwesen - von der Gemeinde über die Region und das Bundesland hinauf zu Bund und Europäischer Union - gefordert. Hierbei kommt der kommunalen Handlungsebene eine wichtige Bedeutung zu, denn diese kann

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trotz der Festsetzung zentraler verkehrspolitischer Rahmenbedingungen entscheidende Weichenstellungen und Impulse für eine menschen- und umweltgerechte Verkehrsgestaltung vornehmen. Notwendig ist allerdings eine abgestimmte Politik. Ohne diese wird es zu einer Zersiedlung der Landschaften, zu Gewerbe- und Einkaufszentren in Stadtrandlage kommen mit der Konsequenz einer Zunahme der Verkehrsmengen. Damit würden vor allem in den neuen Bundesländern Ansätze zu einer integrierten Stadt-, Regional- und Verkehrsplanung zunichte gemacht. Zugleich würde dann auf die aus der anderen Entwicklung der ehemaligen DDR resultierende Chance verzichtet, aus den Erfahrungen der alten Bundesländer zu lernen und dort gemachte Planungs- und Städtebaufehler zu vermeiden. In diesem Zusammenhang erscheint aber auch die Frage von Politikern der neuen Länder berechtigt, warum eigentlich in Westdeutschland erkannten Fehlentwicklungen nicht längst entgegengesteuert wurde.

Der notwendige Konsens kann nur zustande kommen, wenn alle Beteiligten hierzu ihren Beitrag leisten. Gefordert sind dabei im einzelnen

  • die Automobilindustrie

  • die Autofahrer

  • die öffentlichen Verkehrsbetriebe

  • die Politiker, Stadt- und Verkehrsplaner sowie

  • die Gewerkschaften, Umweltschutzverbände und Verkehrsclubs.

Diese müssen am "runden Tisch" über neue Verkehrskonzepte diskutieren und sachdienliche Entscheidungen treffen. Dabei darf es weniger um restriktive Maßnahmen und Verbote gehen. Gefragt sind vielmehr konstruktive Problemlösungen, die auf die Schaffung integrierter Verkehrssysteme abzielen. Zur Auswahl steht eine Vielzahl von Lösungswegen. Diese reichen von ordungspolitischen, preispolitischen, technisch/organisatorischen bis hin zu infrastrukturellen Maßnahmen. Hieraus ergibt sich aber kein Patentrezept. Vielmehr müssen in den einzelnen Städten jene Parameter kombiniert und eingesetzt werden, die zu einer maßgeschneiderten Lösung führen.

Speziell für den Autoverkehr in den Städten gilt auch in den neuen Bundesländern, daß eine Verringerung auf das erträgliche Ausmaß geboten ist. Hierfür kommen nach Auffassung des verkehrspolitischen Sprechers der SPD-Bundestagsfraktion Klaus Daubertshäuser vor allem folgende Strategien in Frage:

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  • zeitliche Fahrverbote für bestimmte Innenstadträume

  • alternierende Sperrung des Innenstadtbereichs

  • Fahrverbote für den lokalen individuellen Verkehr

  • Wochenend- und Nachtfahrverbote

  • Zufahrtsbeschränkungen für den motorisierten Individualverkehr durch Preis- und ordnungspolitische Maßnahmen

  • Straßennutzungs-/City-Maut

  • Koppelung der Zufahrt in die Innenstadt an den Erwerb einer Monatskarte des öffentlichen Verkehrs

  • Parkraumkonzepte und Parkraumbewirtschaftung

Daneben bleibt aber auch jeder einzelne Autofahrer aufgerufen, seinen Pkw-Gebrauch und seine Fahrweise kritisch zu überprüfen.

Die Autos selbst sind schadstoffarm zu produzieren. Bei ihrer Herstellung ist der Rohstoffverbrauch durch Recycling von Altfahrzeugen zu senken. Zur Verringerung der Emissionen und der Lärmbelästigungen sind Verbesserungen der "klassischen" Motoren und die Entwicklung neuer Antriebstechniken und Treibstoffe erforderlich. Nicht zuletzt ist auch die Sicherheit aller Verkehrsteilnehmer durch konstruktive Verbesserungen am Auto zu erhöhen - und zwar unabhängig von der Wagenklasse.

Zu einem Konsens wird es aber nur kommen, wenn gleichzeitig der öffentliche Verkehr quantitativ und qualitativ ausgebaut wird. Dabei geht es nicht um eine schrittweise Abschaffung des Autos, sondern um eine Förderung von Bus und Bahnen gegenüber dem Pkw. Wichtig sind deshalb auch intensivere Vernetzungen von öffentlichem und individuellem Verkehr, bei denen zusätzlich die Interessen von Fußgängern und Radfahrern beachtet werden. Konzepte für entsprechende Attraktivitätssteigerungen liegen in ausreichender Zahl vor. Besonders wichtig sind dabei folgende infrastruktuelle Voraussetzungen und Dienstleistungsangebote:

  • kurze Fahrplanintervalle, günstige Betriebszeiten Koordination der verschiedenen Systeme des ÖPNV, abgestimmte Umsteigemöglichkeiten

  • Haltestellen im Abstand von 500 m (leichte Erreichbarkeit zu Fuß)

  • kostengünstige und übertragbare Monatskarte (Umweltticket)

  • Mitnahmemöglichkeit des Fahrrads

  • Gepäckbeförderung

  • Abstellmöglichkeiten für Fahrrad und Gepäck an Haltestellen

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  • besserer Kundenservice und mehr Fahrkomfort

  • technologisch orientierte Konzepte für ein kooperatives Verkehrsmanagement

  • Verkehrsleitsysteme

  • bessere Verknüpfung von ÖPNV und motorisiertem Individualverkehr (quantitativer und qualitativer Ausbau von P+R-Systemen).

Für die Umsetzung dieser Konzepte werden zusätzliche Finanzmittel benötigt. Zur Diskussion steht dabei u.a. eine Aufstockung der Mittel aus dem Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz. In diesen Zusammenhang ist aber auch die Mineralölsteuererhöhung einzuordnen, die anläßlich der Bahnstrukturreform erfolgte.

So wie es kein Patentrezept für die Stadtverkehrsprobleme gibt, so können die Lösungen nicht immer bequem sein. Notwendig - so Klaus Daubertshäuser - sind klare politische Entscheidungen zugunsten eines zukunftsorientierten Verkehrssystems, für den Schutz der Umwelt und historisch gewachsener Stadtstrukturen, für die soziale Fortentwicklung und für wirtschaftliche Prosperität. Nur wenn alle Beteiligten bereit sind, im Rahmen ihrer Möglichkeiten zum Aufbau eines integrierten Stadtverkehrssystems beizutragen und dabei das Eigeninteresse dem Gesamtinteresse nachzuordnen, kann es einen Konsens zur Lösung der kritischen Stadtverkehrsprobleme geben. Nutznießer eines solchen Kompromisses, durch den der Mensch wieder Vorfahrt in den Städten erhält, werden alle Beteiligten sein. Auf dieser Grundlage haben auch in den neuen Bundesländern Auto, Umwelt, Verkehr und Städte eine Zukunft.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | März 2001

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