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3. Ohnmacht der Verbraucher gegenüber Versicherungen?

Der Geschäftsführer des Bundes der Versicherten sieht die Versicherungskunden gegenüber den Versicherungsunternehmen in einer ohnmächtigen Position. Diese basiere insbesondere auf der erheblichen Intransparenz des Versicherungsmarktes und der angebotenen Produkte. Der Verbraucher habe heute keine Möglichkeit, aus der unüberschaubaren Masse der angebotenen Versicherungsprodukte bedarfsgerechte Angebote herauszufiltern, sie miteinander zu vergleichen und auf dieser Basis eine qualifizierte Auswahl zu treffen. Die Versicherungsbranche habe diese Intransparenz gezielt erzeugt, da die Uninformiertheit der Kunden das Erfolgsrezept der Branche sei. So sei es heute bei vielen Versicherungsverträgen unmöglich, die Folgen eines Vertragsabschlusses frühzeitig zu erkennen. Viele junge Menschen würden beispielsweise mit niedrigen Prämien in die private Krankenversicherung gelockt, um sich dann im Alter mit gewaltigen Beitragserhöhungen konfrontiert zu sehen. Da der Wettbewerb wegen der fehlenden Transparenz nicht funktioniere, sei die Frage nach der Qualität des gesetzlichen Schutzes der Verbraucher von entscheidender Bedeutung. Aber auch hier bestünden erhebliche Defizite, die die Verabschiedung neuer Gesetze zum Schutz der Verbraucher notwendig machten. Deren Wirksamkeit sei jedoch davon abhängig, ob es in der Praxis auch möglich sei, ein bestehendes Recht durchzusetzen. Die alltägliche Praxis in Deutschland sehe so aus, daß es den Versicherten in vielen Fällen faktisch unmöglich sei, ihre Rechte durchzusetzen.

Der Präsident des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft weist diese Kritik an der deutschen Versicherungsbranche entschieden zurück. Die deutsche Versicherungswirtschaft sei eine Branche mit einem gesetzlich geregeltem Verbraucherschutz auf hohem Niveau. Der Versicherungskunde habe bei Vertragsabschluß ein vierzehntägiges Widerspruchsrecht. Die Vertragsbedingungen unterlägen den Regeln des AGB-Gesetzes und des Versicherungsvertragsgesetzes. Darüber hinaus unterliege die Branche der staatlichen Aufsicht, die vom Bundesaufsichtsamt für das Versicherungswesen (BAV) ausgeübt werde. Diese Kontrolle beinhalte unverändert eine staatliche Aufsicht über die Produkte, auch wenn

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1994 im Zuge der Deregulierung der europäischen Versicherungsmärkte die Pflicht zur Bedingungs- und Tarifgenehmigung entfallen sei. Aus Sicht der Versicherungswirtschaft hätten sich die gesetzlichen Rahmenbedingungen ausgesprochen bewährt und bedürften keiner grundlegenden Änderungen.

Der Präsident des Bundesaufsichtsamtes für das Versicherungswesen unterstützt diese Position und bestreitet die unterstellte Ohnmacht der Verbraucher gegenüber den Versicherungsunternehmen. Ohnmächtig sei der Versicherungskunde in der früheren DDR gewesen, da es dort eine Monopolversicherung gegeben habe. In Deutschland gebe es dagegen einen breiten Markt, in dem der Kunde seinen Versicherer aus einer Vielzahl konkurrierender Anbieter auswählen könne. Ebenso könne er unter einer immer größer werdenden Zahl von Produktvarianten wählen. Diese Entwicklung werde heute zwar teilweise kritisiert, weil sie die Intransparenz des Marktes erhöhe, sei aber von allen politischen und gesellschaftlichen Gruppen im Zuge der Deregulierung gewollt. Gleichwohl sei es verständlich, daß sich beispielsweise bei den Versicherten in der privaten Krankenversicherung angesichts stark steigender Prämien ein Gefühl der Ohnmacht breit macht. Die Ursache dieser Prämiensteigerungen seien die im Verhältnis zu den allgemeinen Lebenshaltungskosten überproportional steigenden Lebenshaltungskosten. Deshalb müsse dringend darüber nachgedacht werden, wie die Steigerung der Gesundheitskosten abgemildert und der Steigerung auch kalkulatorisch besser Rechnung getragen werden könne. Hierzu habe eine von der Bundesregierung eingesetzte unabhängige Expertenkommission konkrete Vorschläge vorgelegt, die derzeit überprüft werden. Soweit sich diese als sinnvoll und praktikabel erwiesen, sollten sie schnellstens gesetzlich umgesetzt werden.

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3.1 Probleme in der Versicherungswirtschaft

3.1.1. Mangelnde Transparenz

Der Geschäftsführer des Versichertenverbandes betont, daß es für einen funktionierenden Wettbewerb noch lange nicht ausreiche, wenn es mehrere Unternehmen gebe, die eine Vielfalt von Produk

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ten zu unterschiedlichen Konditionen anbieten. Wettbewerb könne nur dann funktionieren, wenn die Verbraucher auch in der Lage seien, eine qualifizierte Entscheidung zwischen den verschiedenen Angeboten zu treffen. Dies könne jedoch nur auf der Basis einer angemessenen Transparenz funktionieren. Die praktischen Probleme, denen sich ein Versicherungskunde heute ausgesetzt sehe, begännen bereits bei der Ermittlung des konkreten Versicherungsbedarfes. Die Bestimmung dieses individuellen Bedarfs setze eine komplexe Analyse voraus, bei der der gesamte Versicherungsschutz über eine Vielzahl von Sparten und Versicherungsarten richtig eingeschätzt werden müsse. Für den Verbraucher sei die Bedarfsanalyse insbesondere deshalb problematisch, weil die Versicherungsunternehmen durch ihre Werbung vielfach einen falschen Bedarf weckten. Bestes Beispiel hierfür sei die Lebensversicherung, bei der in der Werbung fast immer nur der Bedarf für das Lebensversicherungssparen geweckt werde, also für die Kapitallebensversicherung oder die private Rentenversicherung. Die für den individuellen Versicherungsschutz viel wichtigeren Berufsunfähigkeitsversicherungen oder Risikolebensversicherungen tauchten dagegen in der Werbung gar nicht oder nur selten auf.

Hinzu komme, daß der Kunde keine umfassenden Verbraucherinformationen einfordern könne. Erst kürzlich sei auf Druck der Versicherungsbranche eine Regelung, die die Gesellschaften zu einer umfassenden Information ihrer Kunden vor Abschluß eines Vertrages verpflichten sollte, soweit entschärft worden, daß jetzt erst mit der Police eine inhaltsarme Versicherten-Information geliefert werden müsse. Erhöhte Transparenz zum Zwecke des Konsumentenschutzes sei jedoch nur dann zu erzielen, wenn die notwendigen Informationen dem potentiellen Kunden vor Abschluß des Vertrages zugänglich wären. Nur dann könne der Kunde auf Basis vorliegender Produktinformationen eine sachliche Auswahl zwischen verschiedenen Wettbewerbern treffen. Diese Anforderung werde immer wichtiger, da die Geschäftsbedingungen nicht mehr vom Aufsichtsamt geprüft werden müssen. Da sie jetzt privatrechtlich vereinbart werden müssen, habe die Notwendigkeit einer angemessenen Information des Kunden vor Vertragsschluß eine noch wichtigere Bedeutung angenommen.

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Das Versagen des Wettbewerbs liege auch am Fehlen von Wettbewerbssanktionen. Eine Gesellschaft, die miserabel wirtschafte, gehe trotzdem nicht in Konkurs, weil sie entstehende Defizite stets durch einen Griff in den Topf mit dem Versichertengeld ausgleichen könne. Um diesen Mißstand zu beseitigen, müsse den Versicherungsunternehmen durch eine Änderung des Versicherungsvertragsgesetzes eine Aufteilung der Versicherungsprämien in den reinen Versicherungsbeitrag und den Dienstleistungsanteil vorgeschrieben werden. Derzeit bezahle ein Versicherungskunde in Deutschland einen Gesamtbeitrag, bei dem nicht offengelegt werden müsse, wieviel davon auf den Dienstleistungsanteil, also die Kosten für die Vermittlung und die Versicherungsverwaltung entfalle, und wieviel für die Versicherungsleistung, also das von der Versicherung abgedeckte Risiko. Eine solche Aufschlüsselung der Prämie, die in anderen Ländern durchaus üblich sei, würde die Transparenz des Produktes Versicherung erheblich verbessern. Und es würde verhindert, daß sich die Versicherungsunternehmen zu Lasten der Versicherten aus deren Beiträgen bedienen könnten, um die Kosten einer ineffektiven Verwaltung auszugleichen oder Gewinne anzuhäufen.

Als Folge der jetzigen Rechtslage gebe es in Deutschland Versicherungsunternehmen, die in der Unfallversicherung durchschnittlich nur 20 bis 25 Prozent ihrer Beiträge als Leistungen an die Versicherten ausgeben und den restlichen Betrag als Kosten und Gewinn verbuchten. Die Aufschlüsselung der Beiträge würde diese kundenfeindliche Tendenz der Versicherungsunternehmen, mit den Versichertengeldern möglichst hohe Überschüsse zu erzielen und diese als Unternehmensgewinne zu verbuchen, wirkungsvoll beschränken. Denn bislang würden die erwirtschafteten Überschüsse nicht als Beitragsrückvergütungen an die Versicherten abgeführt, sondern zur Bildung von Vermögenswerten der Unternehmen mißbraucht. So seien die stillen Reserven der Versicherungsunternehmen, also deren nur zum Buchwert bilanzierten Vermögenswerte wie Immobilien oder Aktien, inzwischen auf mehr als 200 Milliarden DM angewachsen. Alleine die beiden führenden deutschen Versicherungsunternehmen Allianz und Münchener Rück verfügten heute über stille Reserven in Höhe von 130 Milliarden Mark. Dieses mit dem Geld der Versicherten angehäufte Vermögen müsse an die Versicherten zurückgeführt werden.

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Der Vertreter der Versicherungswirtschaft weist die Forderung nach einer Aufschlüsselung der Prämien in verschiedene Bestandsteile zurück. Es sei nicht einzusehen, warum dies für Versicherungsprodukte gelten solle, aber nicht für andere Produkte wie beispielsweise Autos. Zudem sei zu befürchten, daß eine solche Aufschlüsselung die Intransparenz weiter erhöhen würde. Für den Kunden brächte es keinerlei Verbesserungen, wenn er bei jedem Versicherungsprodukt eine Vielzahl von Positionen miteinander vergleichen müßte. Ob eine solche Verkomplizierung im Sinne des Kunden ist, sei fraglich. Vielmehr müsse davon ausgegangen werden, daß es eine Grenze der bei einem Produkt wie der Versicherung zu schaffenden Transparenz gebe. Diese Grenze sei weitgehend erreicht. Zudem bestehe eine erhebliche Diskrepanz zwischen der Forderung nach umfassenderen Informationen und der Akzeptanz der Verbraucher, diese Informationen auch aufzunehmen. Schließlich mache eine wesentlich erweiterte Informationspolitik der Unternehmen nur dann Sinn, wenn die Kunden auch die Bereitschaft zeigten, diese Informationen aufzunehmen. Hier sei jedoch nach Auffassung der Versicherungsbranche Skepsis angeraten, da das Produkt Versicherung in Deutschland ein low-interest-product sei. Daher habe in Wissenschaft und Gesetzgebung bislang ein Konsens darüber bestanden, daß das BAV wegen der Undurchsichtigkeit des Produktes ein Teil dessen übernehmen müsse, was sich der Kunde bei anderen Produkten selbst an Informationen beschaffen müsse. Diese Situation habe sich zwar inzwischen geändert, weil die Allgemeinen Versicherungsbedingungen nicht mehr vom Aufsichtsamt genehmigt werden müßten. Gleichwohl gebe es immer noch eine materielle Staatsaufsicht. Die kritisierten stillen Reserven hätten eine Ausgleichsfunktion, da sie zur Absicherung der Verpflichtungen dienten, die die Unternehmen gegenüer ihren Kunden eingegangen seien.

Der von der Versicherungswirtschaft häufig vorgebrachte Vergleich mit dem Preis eines Autos ist nach Einschätzung des Geschäftsführers des Versichertenverbandes wenig geglückt. Schließlich habe eine Versicherungsdienstleistung keinen Preis, sondern der Kunde entrichte für die abgeschlossene Versicherung einen Beitrag, die Versicherungsprämie. Die Aufschlüsselung des Beitrages führe automatisch zu einer höheren Transparenz.

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Ein Vertreter des Bundesministeriums der Wirtschaft verweist auf eine Reihe von Untersuchungen zur Problemstellung, was ein Verbraucher an Informationen braucht und aufnehmen kann. Demnach sei unstrittig, daß es keinen allgemein definierbaren Informationsstandard gebe, sondern das subjektive Informationsbedürfnis der Kunden sehr unterschiedlich sei. Die Versicherungen sollten daher, ebenso wie die Banken, darüber nachdenken, ob sie nicht abgestufte Informationssysteme anbieten, durch die sich die Kunden ihrem individuellen Bedarf entsprechend mit Informationen versorgen könnten. Da Bank- und Versicherungsprodukte ausgesprochen erläuterungsbedürftige Produkte seien, sollte es zum Marketing der Anbieter gehören, diese Produkte so zu vermarkten, daß die Informationen für den Verbraucher befriedigend sind.

Der Vertreter der Versicherungswirtschaft erinnert daran, daß das Geschäft der Versicherungsunternehmen Schadens- und Risikomanagement sei, also der Umgang und die richtige Verteilung von Risikogeldern. Der Anspruch, den ein Versicherungsnehmer bei Vertragsabschluß erhalte, sei der, gegen eine Leistung eine Gegenleistung zu erhalten. In Deutschland gebe es einen durch Gesetz, Rechtsprechung und Wissenschaft klar definierten Versicherungsbegriff, wonach Versicherungen auf einem synallagmatischen, auf Gegenseitigkeit beruhenden Vertrag von Leistung und Gegenleistung beruhen. Versicherung sei daher etwas grundsätzlich anderes als kollektives Sparen, nämlich die Übernahme eines Risikos und die Zusicherung einer Leistung für den Eintritt des Schadensfalls. Beim Versicherungsgeschäft gehe es nicht darum, Versicherungsgelder in einem Topf zu verteilen. Schließlich versichere die Branche auch vollkommen unbekannte Risiken, wodurch Entwicklung und Fortschritt überhaupt erst möglich gemacht werde. Weder in der Pharma-Entwicklung noch bei Bohrinseln oder anderen Großprojekten könnten die unvermeidbaren Risiken abgesichert werden, wenn nicht Versicherungsunternehmen auch unkalkulierbare Risiken im Schadensfall abdecken würden. Wer als Unternehmen Risiken eingehe, der müsse auch die Chance haben, aus diesem Bereich Gewinn zu erzielen.

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Der Vertreter eines Versichertenverbandes bestätigt die Einschätzung der in Versicherungswirtschaft und Wissenschaft nahezu deckungsgleich definierten Terminologie. Diese Übereinstimmungen sei jedoch alles andere als überraschend, da die in Deutschland tätige Versicherungswissenschaft überwiegend als brancheneigene Wissenschaft angesehen werden müsse, deren Repräsentanten vielfach personell und finanziell eng mit der Branche verflochten seien. Die Erstellung entsprechender Gefälligkeitsdefinitionen und Auftragsgutachten seitens dieser Wissenschaftler sei insofern folgerichtig.

3.1.2 Probleme bei der Beratung

Der Vertreter eines Versichertenverbandes erläutert, daß der Beratung der Kunden wegen des geringen Informationswertes der von den Versicherungsunternehmen gelieferten Informationen eine zentrale Bedeutung zukomme. Diese Beratung werde in der Praxis fast ausnahmslos von den Vermittlern der Versicherungsunternehmen übernommen, die ihre Dienste scheinbar kostenlos anböten. Zwar gebe es auch unabhängige Versicherungsvermittler, die jedoch wegen der offen ausgewiesenen Beratungskosten von den meisten Kunden nur ungern frequentiert würden. In der Praxis könne eine Beratung durch einen Vertreter eines Versicherungsunternehmen den Versicherten jedoch wesentlich teurer kommen, da dieser sein Beratungshonorar aus den Provisionen für die abgeschlossenen Verträge erhalte. Entsprechend sei es nicht verwunderlich, daß viele Kunden nach einem derartigen Beratungsgespräch fehl- und überversichert seien, wodurch den Versicherten Jahr für Jahr Milliardenverluste entstehen. Dies führe zu erheblichen Fehlallokationen.

Gefördert werde die Entwicklung dadurch, daß es in der Praxis nicht möglich sei. Vermittlungsfehler und Falschberatung einzuklagen. Wenn ein Versicherungsvermittler heute einen Kunden falsch berate, drohten ihm keine Sanktionen. In Unterlagen der Hamburg-Mannheimer, die dem Bund der Versicherten vorlägen, würde den Vermittlern ausdrücklich versichert, sie könnten beim Abschluß von Versicherungen durchaus Fehler machen, da hierfür eine Haftbarmachung unmöglich sei. Hier seien gesetzliche Änderungen im Sinne einer verschärften Beratungshaftung insbesondere bei den

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Personenversicherungen, der Lebensversicherung und der privaten Krankenversicherung notwendig. Schließlich habe dieser Bereich eine enorme sozialpolitische Bedeutung, da von den Versicherungen ganze Familienschicksale abhingen. Im Rahmen der Kreditwirtschaft seien in den letzten Jahren entsprechende Schutzbestimmungen eingeführt worden, die auch bei der Versicherungsvermittlung notwendig wären. Derzeit sei es den Versicherten kaum möglich, Falschberatung nachzuweisen, da es keine Belege darüber gebe, wie ein Vertrag zustande gekommen sei. Deshalb müßte die Anfertigung von Beweismitteln in Form eines Protokolls vorgeschrieben werden, das über das Erstellen einer Bedarfsanalyse und die schriftliche Vorlage eines Deckungskonzeptes Auskunft geben müsse. Die Erstellung eines Protokolls würde die üblichen Probleme bei Rechtstreitigkeiten wirksam beseitigen. Auch hier könne der Bankenbereich als Vorbild gelten, da dort die vorgelegten Angebote und die vollzogenen Abschlüsse dokumentiert werden müssen. Die Schaffung einer solchen Regelung führe zudem automatisch zu einer Regulierung des Marktes. Die derzeit intensiv diskutierte Frage der notwendigen Qualifikation und der Registrierung von Vermittlern würde sich von alleine lösen, wenn Vermittlern drohe, für ihre Fehler haften zu müssen.

Der Vertreter der Versicherungswirtschaft weist die Einschätzung einer fehlenden Haftung als unzutreffend zurück. Natürlich hafte das Unternehmen für den eigenen Vertreter, schließlich gebe es die Maklerhaftung sowie eine umfangreiche Rechtsprechung über die Haftung nach dem Versicherungsvertragsgesetz. Zudem gelte das deutsche Zivilrecht auch für Fälle in der Assekuranz. Die Forderung nach einfachen objektiv überprüfbaren Versicherungsbedingungen sei jedoch nur schwer zu erfüllen. Versicherungsbedingungen könnten nur so einfach sein wie das Rechtssystem, das diesen Bedingungen zugrunde liege. Da Versicherungen ein ausschließlich durch Definitionen geklärtes und erklärtes Produkt seien, könnten sie nie für jeden sofort überschaubar sein. Deshalb werde es bei Versicherungen die erhoffte einfache Transparenz nicht geben können. Insofern sei zu bezweifeln, daß ordentliche Gerichte die richtige Stelle sein könnten, das Vorliegen einer unangemessenen Fehlberatung zu bewerten.

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Diese Zweifel an der Leistungsfähigkeit deutscher Gerichte sind nach Einschätzung des Geschäftsführers des Versichertenverbandes unangebracht. Die Gerichte seien zweifellos in der Lage, eine offensichtliche Fehlberatung festzustellen. Wenn ein Versicherungsvermittler einer Familie mit einem Alleinverdiener, seiner Ehefrau und drei kleinen Kinder wegen der für ihn lukrativen Provision eine private Rentenversicherung verkaufe, die überhaupt keinen Versicherungsschutz für die Familie böte, oder eine völlig unzureichende Kapitallebensversicherung in Höhe von 40.000 oder 50.000 DM, die niemals für eine Absicherung der Familie ausreichen könne, statt ihr die viel preiswertere Risikolebensversicherung mit einem Volumen von 300.000 oder 400.000 DM anzubieten, dann würden die meisten Gerichte bei objektiver Betrachtung zweifellos zu dem Ergebnis kommen, hier liege ein Vermittlungsfehler vor. Würde über das Vermittlungsgespräch ein Protokoll angefertigt, dann sei dokumentiert, ob der Vermittler dieser Familie die preisgünstige Alternative angeboten habe oder nicht. Wenn der Kunde dabei auf der teureren Kapitallebensversicherung bestanden habe, dann läge die Verantwortung bei ihm, ansonsten müsse man der Familie einen Schadenersatz zusprechen.

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3.2 Die Funktion der Rechtsprechung

Ein Journalist verweist darauf, daß es in der Versicherungsbranche gängige Praxis sei, grundsätzliche Rechtsstreitigkeiten zu vermeiden. Bekanntlich würde die Branche in Fällen, in denen von den Instanzgerichten eine für die Assekuranz unerfreuliche Entscheidung zu erwarten sei, eine außergerichtliche Einigung anstreben, um einen Richterspruch und damit eine gesicherte Rechtsprechung zu vermeiden. Hier bewähre sich die straffe Verbandsführung innerhalb der Versicherungswirtschaft. Ein Vertreter der Versicherungswirtschaft sieht die Gründe für die vergleichsweise geringe Zahl an Gerichtsurteilen eher in der Tatsache, daß das Aufsichtsamt früher die Bedingungen genehmigen mußte. Als Folge der 1994 entfallenen Bedingungs- und Tarifgenehmigungsfunktion des Amtes werde es zukünftig sicherlich eine intensivere Rechtsprechung im Bereich der Versicherungswirtschaft geben.

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Der Geschäftsführer des Versichertenverbandes führt aus, daß derzeit beim Bundesverfassungsgericht sechs Verfassungsbeschwerden des Bundes der Versicherten anhängig sind. Zudem führe der Verband Verbandsklageprozesse gegen die allgemeinen Versicherungsbedingungen der Lebensversicherungen, die gerade vor dem Hintergrund der geänderten Funktion des Bundesaufsichtsamtes eingereicht worden seien. Bis zu dieser Änderung im Jahre 1994 habe es in Deutschland ein unbefriedigendes Wechselspiel gegeben, bei dem das Zivilgericht bei konkreten Fällen darauf verwiesen habe, daß das Aufsichtsamt über die Versicherungsverträge wache. Dagegen habe das Bundesverwaltungsgericht festgestellt, daß das Aufsichtsamt eben nicht zuständig sei, weil es nur ausreichend die Interessen der Versicherten zu wahren habe. Seitdem dieses "Alibi-Aufsichtsamt" seiner zweifelhaften Funktion entledigt sei, müßten nun die Gerichte prüfen, ob unklare Formulierungen oder fehlende Angaben dem Anspruch einer angemessenen Information der Verbraucher gerecht würden. Die Verbraucherschutzorganisationen begrüßten diese Entwicklung, da sie nach den gemachten Erfahrungen mehr den Gerichten als der Aufsicht vertrauten.

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3.3 Die Funktion der staatlichen Aufsicht

Der Vertreter des Bundesaufsichtsamtes für das Versicherungswesen verweist darauf, daß der Grund für die Einrichtung des seinerzeit noch Kaiserlichen Aufsichtsamtes für Privatversicherungen im Jahre 1901 gerade im Bereich des Verbraucherschutzes lag. Noch heute regelt § 81 des Versicherungsaufsichtsgesetzes (VAG), daß die Aufsichtsbehörde auf die "ausreichende Wahrung der Belange der Versicherten und auf die Einhaltung der Gesetze (achtet), die für den Betrieb des Versicherungsgeschäftes gelten". Das BAV bekomme im Schnitt 30.000 Eingaben pro Jahr von Versicherungskunden, denen es nachzugehen habe. Ein Journalist erinnert daran, daß die Verbraucherschutzfunktion des BAV als Folge der nach der Herstatt-Pleite vorgenommenen Gesetzänderungen heute, ebenso wie beim Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen, lediglich deklatorisch sei, da das Amt die ihm zugewiesenen Aufgaben zur Wahrung der Interessen der Versicherten "nur im öffentlichen Interesse" wahrnehme.

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Der Vertreter des BAV räumt ein, daß das Amt außer in Grenzfällen nichts zu entscheiden habe. Das Amt sei weder Schiedsstelle noch Ombudsmann. So habe das Amt im Fall der Kündigungsfristen in Kraftfahrzeughaftpflichtversicherungen nur deshalb durch Verwaltungsakt eingreifen können, weil es sich hierbei um ein neues Gesetz gehandelt habe, bei dem noch keine Rechtsprechung zu erwarten war. In diesem Fall sei eine Intervention des Amtes zur ausreichenden Wahrung der Belange der Versicherten erforderlich gewesen. Dagegen sei bei der von Verbraucherschützern kritisierten Umstellung der KfZ-Versicherung auf Typenklassentarife ein Einspruch des Amtes zur ausreichenden Wahrung der Interesse der Versicherten nicht erforderlich gewesen, da es hier lediglich um die Höhe der Prämien gegangen sei, der Versicherungsschutz jedoch erhalten blieb. Dabei müsse konstatiert werden, daß sich viele Kunden bei der Einführung der neuen Typenklassentarife ohnmächtig gegenüber den Versicherungsunternehmen gefühlt hätten. Denn einige Unternehmen hätten dabei die Position vertreten, die Umstellung in laufenden Verträgen auch ohne Zustimmung der Kunden vornehmen zu können. Eine Praxis, die aus Sicht des BAV zivilrechtlich nicht zulässig sei. Dennoch habe das Amt den Versicherern dies nicht verbieten können, da es sich hierbei um eine streitige zivilrechtliche Frage gehandelt habe, die vom Bundesverwaltungsgericht entschieden werde, und nicht durch Verwaltungsakte des BAV. Dem einzelnen Kunden bleibe angesichts dieser Situation nur die Möglichkeit, mittels einer Feststellungsklage die Beibehaltung des alten Tarifsystems zu erwirken, wobei der Kunde jedoch das Prozeßrisiko trage. Es zeichne sich jedoch ab, daß ein Verbraucherschutzverein eine entsprechende Verbandsklage nach § 13 AGB-Gesetz erheben werde.

Bei den Zehn-Jahres-Verträgen habe das Amt die Auffassung vertreten, daß die Praxis der Versicherungsunternehmen nicht zulässig sei. Das BAV habe die Versicherer jedoch zu nichts zwingen können, da das Bundesverwaltungsgericht dem Amt in der Tat ins Stammbuch geschrieben habe, daß es nur auf die ausreichende Wahrung der Belange der Versicherten zu achten habe. Da das Amt hier keine Aufgaben des Verbraucherschutzes wahrnehmen könne, sollte die Versicherungswirtschaft überlegen, eigene Verfahren zur Schlichtung von Problemfällen einzurichten, wie es die privaten Banken mit ihrem Ombudsmannverfahren praktizierten. Hierzu bedürfe es je-

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doch keiner gesetzlicher Regelung. Der SPD-Politiker unterstützt diese Forderung, auch in der Versicherungswirtschaft ein Ombudsmannsystem einzurichten. Der Vertreter der Versicherungswirtschaft steht Vorschlägen zur Einführung von internen Schlichtungssystemen innerhalb der Versicherungswirtschaft ebenfalls prinzipiell positiv gegenüber. Solche Systeme gebe es in der Versicherungswirtschaft bislang deshalb nicht, weil das Aufsichtsamt immer auch Beschwerdestelle war und dies auch sein wollte. Das Aufsichtsamt habe stets erklärt, es wolle Ansprechpartner für Beschwerden sein, um dadurch Mißstände zu erkennen. Deshalb habe die Versicherungswirtschaft bislang auf die Schaffung eines Ombudsmannsystems verzichtet. Wenn die Einrichtung eines solchen Systems jedoch auf breiter Basis gewünscht werde, dann werde sich die Versicherungswirtschaft diesem Vorschlag nicht verschließen.

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3.4 Kapitallebensversicherungen

3.4.1 Kritik an der Kapitallebensversicherung

Seit Jahren steht die Kapitallebensversicherung im Mittelpunkt der Kritik an der Versicherungswirtschaft. Ein Vertreter der Versicherungswirtschaft verweist dagegen auf die zentrale Funktion, die die Lebensversicherung heute in der individuellen Altersvorsorge einnehme. Diese sogenannte dritte Säule der Altersicherung habe angesichts der wachsenden Probleme der erste Säule, der gesetzlichen Altersvorsorge, gemeinsam mit der betrieblichen Altersvorsorge, der zweiten Säule, eine zunehmende Bedeutung im Generationenvertrag erlangt. Nach Angaben des Gesamtverbandes der deutschen Versicherungswirtschaft hatten die Bundesbürger 1994 insgesamt 81 Millionen Lebensversicherungsverträge abgeschlossen. 54 Milliarden DM wurden 1994 an Leistungen ausgezahlt. Durchschnittlich zahlte jeder Versicherte in Deutschland im Jahr rund 1.000 DM in seine Lebensversicherung ein. Die Versicherungsunternehmen garantieren ihren Kunden eine Minimalverzinsung von durchschnittlich 4 Prozent für diesen Sparanteil zuzüglich eines Anteils an den ausgewiesenen Überschüssen. Nach Angaben des Gesamtverbandes der deutschen Versicherungswirtschaft liegt diese Überschußbeteiligung durchschnittlich bei 98 Prozent.

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Bei rund 60 Prozent der abgeschlossenen Lebensversicherungsverträge handelt es sich um Kapitallebensversicherungen. Eine Kapitallebensversicherung ist ein Kombinationsprodukt aus einer Risikolebensversicherung für den Todesfall und eines Sparanteils für den Erlebensfall, das "Langlebigkeitsrisiko", wie die Lebensversicherungsunternehmen den vertraglich vereinbarten Auszahlungstermin bezeichnen.

Der Geschäftsführer des Versichertenverbandes verweist darauf, daß es sich beim Sparanteil der Kapitallebensversicherung um keine Versicherung handle, da der Erlebensfall, also das Überleben einer vertraglich vereinbarten Frist, für den Versicherer kein Versicherungsfall im eigentlichen Sinne sei, dem das Begriffsmerkmal der Ungewißheit eigen sei. Insofern sei der Sparanteil der Kapitallebensversicherung nichts anderes als eine langfristig orientierte Kapitalanlage, die sich dabei mit entsprechenden Konkurrenzprodukten vergleichen lassen müsse.

Der Verband der Lebensversicherungsunternehmen verweist als Beleg für die überlegene Sicherheit der privaten Lebensversicherung gegenüber der umlagefinanzierten gesetzlichen Rentenversicherung darauf, daß jeder Versicherte beim Kapitaldeckungsverfahren der Lebensversicherung seine Altersversorgung selbst vorausfinanziert, indem von den eingezahlten Beiträgen Kapital gebildet werde, das der Versicherte im Erlebensfall als Einmalzahlung oder in Form einer lebenslangen Rente erhalte. Die Versicherungsunternehmen bilden jedoch aus den eingezahlten Beiträgen kein spezielles Sondervermögen.

Der Geschäftsführer des Versichertenverbandes kritisiert diese Praxis und wirft den Versicherern vor, die eingezahlten Beiträge in einem gemeinsamen Topf zu vermengen, aus dem sich die Unternehmen nach Gutdünken bedienten. Dies sei möglich, weil die Sparanteile der Kapitallebensversicherung von den Versicherungsunternehmen nicht einmal gesondert ausgewiesen würden. In der Praxis führe dies dazu, daß sich die Versicherungsunternehmen mit den von den Lebensversicherungskunden langfristig eingezahlten Beiträgen inflationssichere Kapitalanlagen mit hohen Wertsteigerungen anleg-

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ten, an denen die Versicherten in der Regel nicht beteiligt würden, sondern lediglich eine magere Rendite erhielten. Zudem sei es üblich, das von den Versicherten eingezahlte Geld erst einmal dazu zu verwenden, jedwede Kosten zu decken und eventuelle Kostenüberschreitungen auszugleichen, bevor die eigentliche Ansparphase beginne. Wegen dieser Defizite sei die Kapitallebensversicherung mit Recht als eine Art "legaler Betrug" bezeichnet worden.

Dies lasse sich auch anhand der von den Versicherungsunternehmen an ihre Kunden ausgeschütteten Erträge dokumentieren. Nach Schätzungen von Experten hätten die Anlagen der Versicherungswirtschaft rund 7,5 Prozent Rendite erwirtschaftet, von denen den Kunden im Durchschnitt jedoch weniger als 5,5 Prozent Rendite ausgezahlt worden seien. Demnach hätten die Versicherungsunternehmen ihren Kunden in den letzten 35 Jahren im Durchschnitt 25 bis 30 Prozent der erwirtschafteten Rendite für die Kosten der Vermögensanlage und deren Verwaltung sowie den Vertrieb in Rechnung gestellt. Vergleiche man die an die Versicherungsnehmer ausgezahlten Erträge mit denen anderer Anlageformen, so ergäbe sich, daß bei einem vergleichbaren Steuersatz ein Sparbuch in den Jahren zwischen 1954 und 1993 3,6 Prozent Rendite pro Jahr erbracht hätte. Monatsgeld 5,3 Prozent, langfristige Wertpapiere 7,5 Prozent und die Anlage in Aktien sogar 12,1 Prozent pro Jahr.

Der Vertreter der Versicherungswirtschaft verweist auf den strengen rechtlichen Rahmen, dem Lebensversicherungsunternehmen unterliegen. Durch die Regeln des Versicherungsaufsichtsgesetzes sei die Erfüllung aller Leistungsversprechen der Lebensversicherung garantiert. Das Gesetz beinhalte insbesondere strenge Vorschriften für die Sicherheit und Rentabilität der Kapitalanlagen. Die gezielte Anlagepolitik der Versicherungsunternehmen sei im Hinblick auf die Aufgabe der Lebensversicherung von zentraler Bedeutung, da eine vom Versicherten fest einkalkulierte Leistung mit dem Eintritt in den Ruhestand oder im vorzeitigen Leistungsfall fällig werde. Die Höhe der Versorgung im Alter und der Hinterbliebenen dürfe keine abhängige Variable der jeweiligen Kapitalmarktsituation sein. Die Orientierung der Anlagepolitik der Versicherungsunternehmen auf den Faktor Sicherheit habe natürlich zur Folge, daß die Unternehmen nicht immer die höchste Rendite erwirtschaften könnten. Um eine höhere Rendite

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zu erwirtschaften, müßten die Anlagemanager der Lebensversicherer die Sicherheit zur Disposition stellen. Umgekehrt müßten die Manager von Investmentfonds zur Erzielung der gleichen Sicherheit bestimmte Risiken zurückfahren. Eine solche Tendenz würde jedoch zwangsläufig zu einer Angleichung der Renditen führen. Insofern liefen alle Renditevergleiche mit anderen Anlageformen ins Leere.

Ein Versicherungswissenschaftler verweist auf einen Renditevergleich, den die Monopolkommission 1988 in ihrem 7. Hauptgutachten veröffentlicht hat. Dabei wurde die Rendite einer langlaufenden Kapitallebensversicherung mit der Rendite von langlaufenden Bundeswertpapieren verglichen. Bundeswertpapiere sind bekanntlich die mit Abstand einfachste, sicherste und billigste Form der Kapitalanlage, die ein Verbraucher in Deutschland wählen kann, wenn er die Papiere bei der Bundesschuldenverwaltung kostenlos deponiert. Bei dem Vergleich ergab sich, daß die Rendite auf den reinen Sparanteil der Kapitallebensversicherung - der Risikoschutz war herausgerechnet - um 1 bis 1,5 Prozent unter der der Bundeswertpapiere lag. Ein Vertreter der Versicherungswirtschaft bezweifelt die Aussagekraft der von der Monopolkommission vorgelegten Zahlen. Würde man den zugrundegelegten Bemessungszeitraum verändern, käme man zu einem völlig anderen Ergebnis.

Der Geschäftsführer des Versichertenverbandes sieht die Hauptnachteile der Kapitallebensversicherung neben deren mageren Rendite vor allem in der hohen Intransparenz und der faktischen Rechtslosigkeit der Versicherungskunden. So seien die abgeschlossenen Verträge für den Kunden nicht nachvollziehbar. Dies sei umso problematischer, als ein abgeschlossener Vertrag faktisch nicht korrigierbar sei. Bis vor wenigen Jahren konnte ein Kunde einen laufenden Vertrag über eine Kapitallebensversicherung erst nach Ablauf einer Zehn-Jahres-Frist überhaupt kündigen. Diese Frist sei zwar inzwischen aufgehoben worden, dennoch gäbe es auch heute faktisch kein Kündigungsrecht, da ein Kunde bei einem frühzeitigen Ausstieg aus einer Kapitallebensversicherung immer noch viel Geld verliere. Denn der Versicherte erhalte keineswegs den Gegenwert seiner eingezahlten Beiträge zurück, sondern lediglich einen verschwindend geringen Betrag, den sogenannten Rückkaufswert, den das Unternehmen nach undurchschaubaren "versicherungs-

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mathematischen Grundsätzen" erstelle. Damit sei das für das Funktionieren des Wettbewerbs notwendige Sanktionsmittel Kündigung faktisch ausgeschlossen. Dies sei umso problematischer, als es der Versicherungsbranche bislang gelungen sei, gesetzliche Vorschriften zu verhindern, die eine verbindliche Informationspflicht der Kunden über alle relevanten Konditionen vor Abschluß des Vertrages vorschrieben. Zudem gelte die übliche Widerrufsregel bei abgeschlossenen Versicherungsverträgen mit sofortigem Versicherungsbeginn nicht.

Der Vertreter der Versicherungswirtschaft weist die Vorwürfe entschieden zurück. Verträge bei Kapitallebensversicherungen unterlägen den umfassenden Vorschriften des Versicherungsvertragsgesetzes, in dem auch die Berechnung der Rückkaufswerte geregelt sei. Das Gesetz orientiere sich dabei an anerkannten und bewährten Grundsätzen der Versicherungswirtschaft.

Nach Auffassung eines Journalisten besteht dennoch eine erhebliche Intransparenz bei der Bemessung der Rückkaufswerte. Besonders problematisch sei zudem, daß die Kunden vor Vertragsabschluß nicht über die genaue Höhe der ihnen zustehenden Rückkaufswerte informiert würden. Da die Branche offenbar nicht zu einer erhöhten Transparenz bereit sei, müsse der Gesetzgeber die Versicherungsunternehmen zu mehr Klarheit zwingen. Ein Kunde, der bei einer Bank einen Sparvertrag abschließe, könne jedes Jahr an seinem Depot- oder Kontoauszug die Höhe der gutgeschriebenen Zinsen ablesen. Der Käufer eines Investmentfonds könne jeden Tag im Wirtschaftsteil der Zeitung nachlesen, welchen Kurswert sein Anteil habe. Dagegen machten die Kunden einer Lebensversicherung die Erfahrung, daß ihnen ihr Versicherungsunternehmen auch auf Nachfrage nicht die Entwicklung des eingezahlten Kapitals vorrechnen könne.

Der Geschäftsführer des Versichertenverbandes fordert auch für Kapitallebensversicherungen eine Aufteilung der Prämie in die unterschiedlichen Bestandteile, wie sie beispielsweise in den USA bei entsprechenden Versicherungsprodukten längst üblich sei. Demnach sollten die Versicherer bei den Prämien für die Kapitallebensversicherung neben dem Dienstleistungs- und dem Risikoanteil auch den

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Sparanteil separat ausweisen. Die Versicherungsunternehmen sollten zudem verpflichtet werden, für den Sparanteil ein Sondervermögen zu bilden, und dem Kunden vor Vertragsabschluß die Kosten der Dienstleistung offenzulegen, so wie es jede Kapitalanlagegesellschaft nach geltendem Recht zu leisten habe. Selbstverständlich müsse der Versicherte auch darüber informiert werden, wieviel Geld er aktuell angespart habe. In den USA sei es üblich, daß die dortigen Versicherungsunternehmen ihren Kunden mitteilten, daß sich die Zinsen bis zum Ende des nächsten Jahres auf beispielsweise 9 Prozent beliefen, und das Geld danach neu festgelegt werde. Auf der Basis dieser Information könne der Kunde dann sagen, ob er bei der Gesellschaft bleiben oder zu einer anderen wechseln wolle, die möglicherweise eine höhere Rendite anböte. Durch eine solche Aufteilung würde die Transparenz drastisch verbessert.

Der SPD-Politiker unterstützt diese Forderung nach einer erhöhten Transparenz bei der Kapitallebensversicherung. Den Kunden müsse vor dem Versicherungsabschluß eine detaillierte Aufstellung über alle relevanten Positionen in Form einer Modellversicherung sowie Informationen über die Höhe der Rückkaufswerte, die Höhe der Abschluß- und Verwaltungsgebühren, die Höhe der auf den Spar- und den Risikoanteil der Versicherung entfallenden Prämien und die zu erwartende Nettoverzinsung vorgelegt werden. Bei laufendem Vertrag sei dem Kunden vierteljährlich eine Abrechnung über die Vermögensentwicklung zuzusenden, die insbesondere Informationen über die geleisteten Einzahlungen, die angefallenen Abschluß- und Verwaltungsgebühren, die geleisteten Risiko- und Sparbeiträge, den aktuellen Rückkaufswert der Versicherung und die Nettoverzinsung enthalten müsse. Zur Verbesserung der Rechtsposition des Versicherten müsse auch bei sofortigem Versicherungsbeginn ein einmonatiges Rücktrittsrecht eingeräumt werden, bei dessen Inanspruchnahme der Versicherte dem Unternehmen lediglich die für die Dauer des in Anspruch genommenen Versicherungsschutzes anfallenden Kosten schulde. Die Rückkaufswerte sollten generell der Summe der bis zur Kündigung des Vertrages eingezahlten Beiträge abzüglich der anteiligen Abschluß- und Verwaltungsgebühren entsprechen.

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Der Geschäftsführer des Versichertenverbandes ergänzt, daß den Versicherungsunternehmen zudem die Möglichkeit genommen würde, das Geld der Versicherten unkontrolliert zu Querverrechnungen innerhalb des Unternehmens zu verwenden. Denn nach derzeitigem Recht könnten die Versicherungsunternehmen im Grunde mit dem Geld der Versicherten machen, was sie wollten. Zur Beruhigung werde stets darauf verwiesen, daß das Aufsichtsamt über die gesetzlichen Rahmenbedingungen wache, so daß die ausreichende Wahrung der Interessen der Versicherten sichergestellt sei. Trotz dieser Überwachung sei es in der Vergangenheit zu sehr problematischen Vermögensverschiebungen innerhalb der Versicherungskonzerne zu Lasten der Versicherten gekommen. Seit Mitte 1994 seien die Unternehmen aufgrund der neuen Rechtslage verpflichtet, mit den Verbrauchern offen die Vertragskonditionen zu vereinbaren. In den Verträgen heiße es jetzt, daß die Bilanzierung nach handelsrechtlichen Vorschriften erfolge. Diese Formulierung habe für den Verbraucher keinen nutzbringenden Informationsgehalt, ermögliche aber den Unternehmen eine uneingeschränkte Fortsetzung ihrer verbraucherfeindlichen Praxis der Querverrechnungen, Abschreibungen, Bildung von stillen Reserven und der Vermögensverschiebung innerhalb des Konzerns.

Der SPD-Politiker plädiert dafür, die Versicherungsunternehmen dazu zu verpflichten, die mit den eingezahlten Beiträgen der Versicherungsnehmer erwirtschafteten Überschüsse nach Abzug der vertraglich vereinbarten Abschluß- und Verwaltungsgebühren in vollem Umfang an die Versicherungsnehmer auszuzahlen. Die Bilanzierung der mit den Einzahlungen der Versicherten erwirtschafteten Überschüsse habe sich dabei am Marktwert der erworbenen Wertpapiere, Immobilien, Anleihen bzw. sonstigen Kapitalanlagen zu orientieren.

3.4.2 Steuerliche Förderung der Kapitallebensversicherung

Die Basis für den Erfolg des Produktes Kapitallebensversicherung liegt nach Auffassung des SPD-Politikers weniger in der Qualität des Produktes, sondern vielmehr in der steuerlichen Privilegierung von Kapitallebensversicherungen gegenüber allen anderen Produkten

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zum langfristigen Vermögensaufbau. Selbst Versicherungsexperten wie der FDP-Wirtschaftspolitiker Otto Graf Lambsdorff räumten offen ein, daß es das Produkt Kapitallebensversicherung ohne das Steuerprivileg nicht mehr geben würde. In Deutschland sind Zinsen als Einkünfte aus Kapitalvermögen generell einkommensteuerpflichtig. Davon ausgenommen sind jedoch Zinsen aus Kapitallebensversicherungen gegen laufende Beitragsleistung mit Sparanteil, wenn der Vertrag für die Dauer von mindestens zwölf Jahren abgeschlossen worden ist. Hintergrund dieser steuerlichen Privilegierung von Kapitallebensversicherungen sei ursprünglich die Schaffung des volkswirtschaftlich erwünschten Anreizes zum Sparen gewesen. Die einseitige Privilegierung der Versicherungskonzerne sei jedoch angesichts der in verschiedenen Vergleichsstudien festgestellten mageren Rendite, die die Lebensversicherer ihren Kunden auszahlten, eine unbefriedigende Situation. Schließlich habe die steuerliche Privilegierung jährliche Steuermindereinnahmen in erheblicher Höhe zur Folge.

Ein Versicherungswissenschaftler führt aus, daß es im Hinblick auf den Umfang der steuerlichen Förderung der Lebensversicherung keine genauen Angaben über die insgesamt anfallenden Steuermindereinnahmen gibt. Der 15. Subventionsbericht der Bundesregierung aus dem Jahr 1995 weise lediglich aus, daß alleine die Steuerausfälle aus dem Sonderausgabenabzug nach § 10 Einkommensteuergesetz fast 4 Mrd. DM ausmachten. Nicht amtlich festgestellt seien jedoch die Steuerausfälle, die sich aus der Steuerfreistellung der Kapitalerträge ergäben, wobei unstrittig sei, daß der hieraus resultierende Steuerausfall wesentlich höher liegen müsse. Nach Schätzungen von Wissenschaftlern müsse es sich hierbei um eine Summe von mindestens 15 Mrd. DM pro Jahr handeln. Vor dem Hintergrund der nachgewiesenen mageren Rendite sei die Frage berechtigt, ob eine derartige Förderung des Produktes Kapitallebensversicherung angesichts dessen offensichtlicher Nachteile - geringe Transparenz, geringe Rendite und, wegen der niedrigen Rückkaufswerte, geringe Liquidität - gerechtfertigt sei.

Der Vertreter der Versicherungswirtschaft räumt ein, daß durch die Steuerfreistellung der Kapitalerträge aus Kapitallebensversicherungen ein Steuerausfall entsteht, der in Milliardenhöhe liegt. Es sei je-

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doch problematisch, diesen Betrag als Steuerausfall zu bezeichnen. Schließlich seien diese Steuermindereinnahmen politisch gewollt, um die private Altersvorsorge der Menschen zu fördern. Der Verzicht auf diese Förderung würde zwar zu einer kurzfristigen Verbesserung im Bundeshaushalt führen, es sei jedoch fraglich, ob die Bürger ohne derartige Anreize zum notwendigen Konsumverzicht zugunsten der Altersvorsorge motiviert werden könnten. Langfristig würde ein Rückgang der Bereitschaft zur individuellen Altersvorsorge dazu führen, daß die nächste Generation den Generationenvertrag aufkündige, weil sie ihn nicht mehr finanzieren könne. Insofern müsse man sich grundsätzlich die Frage stellen, welche Bedeutung man der privaten Altersvorsorge in der Gesellschaft beimesse, unabhängig davon, welche Formen der privaten Vorsorge konkret gefördert werden sollten. Politiker, die die steuerliche Förderung der privaten Altersvorsorge zur Disposition stellten, machten es sich zu einfach.

Der SPD-Politiker unterstreicht die Bedeutung der privaten Altersvorsorge. Die im Rahmen der Petersberger Beschlüsse der Regierungskoalition zur Steuerreform vorgesehene Besteuerung der Erträge aus Kapitallebensversicherungen zur Gegenfinanzierung der vorgesehenen Steuererleichterungen lehne die SPD ab. Statt die Rahmenbedingungen für die private Altersvorsorge zu verschlechtern, sollten diese Möglichkeiten vor dem Hintergund der Probleme der staatlichen Rentensysteme verbessert werden. Hierzu sollte jedoch das bislang ausschließlich für Kapitallebensversicherungen geltende Steuerprivileg beseitigt und durch einen Wettbewerb der Anlageformen ersetzt werden. Einen entsprechenden Vorschlag habe die SPD-Bundestagsfraktion im Antrag "Stärkung des Kapitalmarktes Deutschland, Förderung des Aktiensparens und Verbesserung der Risikokapitalversorgung" (Bundestags-Drucksache 13/3784) vorgelegt. Im Rahmen eines steuerlich begünstigten Vorsorge-Sparens (VS) soll jeder Sparer künftig bei freier Wahl der Anlageform (Aktien, Anleihen, Investmentfonds, Kapitallebensversicherung etc.) seine private Altersvorsorge ansparen können. Die Erträge auf dem Vorsorge-Spar-Konto sind bei Einhaltung einer 12jährigen Mindestanlagedauer und laufender Beitragszahlung bis zu einem Höchstbetrag steuerfrei.

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Nach Einschätzung des Vertreters der Versicherungswirtschaft kann es einen Wettbewerb nur zwischen gleichen oder zumindest vergleichbaren Produkten geben. Bei dem SPD-Vorschlag werde jedoch übersehen, daß eine Lebensversicherung etwas anderes sei als alle anderen Kapitalanlageformen. Die Lebensversicherung böte als einzige Anlageform den Risikoschutz und die absolute Planungssicherheit, die von entscheidender Bedeutung sei. Das Risiko der Anlage werde vom Kunden voll auf das Unternehmen transferiert, da einzig das Unternehmen das Risiko der falschen Kapitalanlage trage, während der Versicherte mit hundertprozentiger Sicherheit davon ausgehen könne, zu einem bestimmten Zeitpunkt die vereinbarte Summe zuzüglich eines Überschußanteils ausgezahlt zu bekommen. Eine derartige Sicherheit könne kein Fondsprodukt über eine Laufzeit von mehr als 25 Jahren bieten. Wegen dieses substantiellen Unterschieds gebe es in Deutschland und vielen anderen Ländern die steuerliche Andersbehandlung der Lebensversicherung im Vergleich zu anderen Anlageformen. Und diese steuerliche Sonderstellung der Behandlung von Kapitallebensversicherungen müsse aufrechterhalten werden, solange keine anderen Anlageformen geeignet seien, entsprechende Vorteile zu bieten.

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3.5 Die Lobbyarbeit der Versicherungsverbände

Ein Versicherungswissenschaftler kritisiert den großen Einfluß der Versicherungsverbände auf die Politik. Seiner Einschätzung nach bestehe ein kausaler Zusammenhang zwischen der Übermacht der Verbände im Bereich der Versicherungswirtschaft und der faktischen Ohnmacht der Verbraucher. So müßten die Gründe für die schwerlich zu rechtfertigende steuerliche Privilegierung der Kapitallebensversicherung angesichts der Defizite des Produktes primär auf die unheilvolle Allianz von Gesetzgeber und Versicherungswirtschaft zurückgeführt werden. Entsprechend sei es der Versicherungslobby bislang stets gelungen, für sie unangenehme Gesetzesvorhaben im Vorfeld einer parlamentarischen Entscheidung zu Fall zu bringen. So habe vor einigen Jahren die Kommission der Europäischen Gemeinschaft die Versicherungsbilanzrichtlnie verabschiedet, die das Ziel hatte, die Bilanzen der Versicherungsunternehmen in Europa vergleichbar zu machen. Hierzu sollte eine Vergleichbarkeit der Werte,

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der Kapitalanlagen und der Bewertungsansätze geschaffen werden. Dies geschah vor dem Hintergrund, daß die für die Versicherungsunternehmen gültigen Bilanzierungsregeln innerhalb der EU vollkommen unterschiedlich waren. Um eine Vergleichbarkeit herzustellen, sah die Richtlinie der Kommission vor, daß die korrespondierenden Zeitwerte im Anhang der Bilanz anzugeben seien. Für deutsche Versicherungsunternehmen hätte die Umsetzung der Richtlinie zur Folge gehabt, daß auch die stillen Reserven offengelegt werden mußten. Im Umsetzungsverfahren in deutsches Recht sei es jedoch zu der Kuriosität gekommen, daß der § 56 der Rechnungslegungsverordnung, der diese Zeitwertangabe regelt, den Versicherungsunternehmen die Möglichkeit einräumt, für die Zeitwertangabe sämtliche Bilanzpositionen in einer Summe zusammenzufassen. Damit sei die Aussagekraft der Angabe jedoch vollkommen verwässert worden, was bei allen unabhängigen Experten noch heute ungläubiges Kopfschütteln zur Folge habe. Eine derartige Verwässerung eines wettbewerbsorientierten Ansatzes dokumentiere die erfolgreiche Einflußnahme der Versicherungsbranche auf den Gesetzgebungsprozeß. Vor diesem Hintergrund stelle sich die Frage, ob der Einfluß des Versicherungsverbandes auf den Gesetzgeber nicht ein aus rechtsstaatlichen Gründen problematisches Ausmaß erreicht habe.

Der Vertreter der Versicherungswirtschaft verwehrt sich gegen den Vorwurf einer unheiligen Allianz zwischen Versicherungswirtschaft und Politik. Dieser Vorwurf tauche immer wieder auf, werde aber nie durch Fakten unterlegt. Der Vorwurf sei umso absurder, als es in den letzten Jahren eine ganze Reihe von Gesetzesänderungen gegeben habe, bei der die Branche die jeweiligen Sachverhalte grundlegend anders gesehen habe als der Gesetzgeber, die Änderungen aber trotzdem zu Lasten der Versicherungsunternehmen und zugunsten der Verbraucher vorgenommen worden seien. Dies gelte beispielsweise für den Bereich der Zehn-Jahres-Verträge bei Lebensversicherungen. Bezüglich der Umsetzung der europäischen Bilanzrichtlinie in deutsches Recht müsse festgestellt werden, daß die Richtlinie mit Rücksicht auf die in Deutschland generell übliche Rückstellungspraxis von vornherein Spielraum für nationale Regelungen vorsah.

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Der Geschäftsführer des Versichertenverbandes verweist darauf, daß es wiederholt Gesetzentwürfe gegeben habe, bei denen im Gesetzgebungsverfahren auf Druck der Versicherungsbranche verbraucherfreundliche Regelungen aus den Entwürfen herausgenommen wurden. So gab es einen Referentenentwurf, der ursprünglich die Streichung der Zehn-Jahres-Verträge vorgesehen hatte. Bei der abschließenden Beratung des Entwurfs fehlte diese Regelung jedoch. Beim § 12a VAG "Altersrückstellung, Direktgutschrift" sei ebenfalls eine vom Bundesministerium der Finanzen und dem Bundesaufsichtsamt für das Versicherungswesen erarbeitete Regelung bei der endgültigen Vorlage des Gesetzentwurfs plötzlich verschwunden.

Der Vertreter des Bundesministeriums der Justiz betont, daß es natürlich einen intensiven Kontakt zwischen den Ministerien und den Verbänden gibt. Dieser Kontakt sei notwendig, da die Ministerien heute insbesondere in Spezialgebieten auf die Sachkunde der Verbände angewiesen seien, die in dieser Form von der Ministerialverwaltung nicht zu leisten sei. Insofern müsse der Lobbyismus durchaus mit einem positiven Vorzeichen versehen werden. Bei einer Bewertung des Einflusses von Verbänden müsse zudem berücksichtigt werden, daß es keinen monolithischen Verbändeblock gebe, sondern von den Verbänden eine Vielzahl von Interessen vertreten werden, zwischen denen abgewogen werde. Bei der Umsetzung der Versicherungsbilanzrichtlinie sei die endgültige Position der Bundesregierung nicht auf einen besonders intensiven Kontakt mit einem bestimmten Verband zurückzuführen. Vielmehr sei es für das Justizministerium vollkommen klar gewesen, daß die im Gesetzgebungsverfahren gefundene Regelung einer gesammelten Bilanzierung der stillen Reserven im Anhang die vernünftigste Lösung gewesen sei. Da die deutschen Versicherungen heute in Europa in einem sehr scharfen Wettbewerb ständen, galt es eine Möglichkeit zu schaffen, schwächere Geschäftsjahre durch die Saldierung stiller Reserven zu überstehen. Dies sei für die Bundesregierung der ausschlaggebende Grund gewesen, in der Versicherungsbilanzrichtlinie dieses Sammelverfahren einzuführen. Diese Regelung sei auch im Sinne der Versicherten, da es nicht deren Interesse entspräche, daß ihr Versicherungsunternehmen am Markt wegen eines schlechten Geschäftsjahres heruntergeredet werden könne.

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Der SPD-Politiker hält es für sinnvoll und notwendig, den Einfluß der Lobbyverbände kritisch zu betrachten. Dabei stehe außer Zweifel, daß es die Aufgabe von Interessenverbänden sei, ihren Einfluß beim Gesetzgeber geltend zu machen. Es sei jedoch nicht akzeptabel, daß sich Parlamentarier im Deutschen Bundestag nicht als Volks-, sondern als Versicherungsvertreter verständen.


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