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[Seite der Druckausgabe: 27 / Fortsetzung]


4. Nutzungsintensivierung und Stadtentwicklung - das Beispiel Aachen

Projekte der Nutzungsintensivierung, wie die Über- oder Unterbauung von Verkehrsflächen, müssen in ein langfristiges Konzept der Stadtentwicklung eingebunden sein, um Fehlentwicklungen, wie zum Beispiel eine einseitige Ausweitung von Büroflächen, zu verhindern. Die Erschließung eines neuen innerstädtischen Flächenpotentials sollte vor dem Hintergrund städtebaulicher Zielvorstellungen erfolgen, die daran gemessen werden, wie sich solche Projekte in das Zusammenwirken innerstädtischer Aktivitäten insgesamt harmonisch einfügen. Am Beispiel der Aachener Innenstadt können die Wechselwirkungen zwischen funktionaler Nutzung, fußgängerfreundlicher, menschengerechter Gestaltung und Aktivitätenvielfalt aufgezeigt werden, die wiederum als wesentliche Voraussetzungen für die Entstehung einer intakten und lebendigen Stadtmitte angesehen werden müssen. Da diese Merkmale auf die gesamte Stadt ausstrahlen, sollten entsprechende Planungen und Konzepte der Stadtentwicklung auf einem explizit formulierten und langfristig gültigen stadtentwicklungspolitischen Leitbild beruhen, das die langfristigen Ziele der Stadtplanung benennt. Nur so können Einzelprojekte danach beurteilt werden, ob sie sich in die langfristigen Planungen einfügen bzw. die generellen städtebaulichen Ziele fördern.

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4.1 Die Wechselwirkungen zwischen funktionaler Nutzung fußgängerfreundlicher Gestaltung und Aktivitätenvielfalt

Die Stadt Aachen liegt im Dreiländereck zwischen Deutschland, Belgien und den Niederlanden; die nächsten Städte nach der Größe sind Maastricht und Lüttich. Beim Wiederaufbau der im Zweiten Weltkrieg stark zerstörten Stadt wurde der historische Stadtgrundriß - Pfalzkapelle, Rathaus, Marktplatz und Dom als Mittelpunkt - ausdrücklich erhalten. Aachen ist mit 250.000 Einwohner regionales Oberzentrum mit einem Einzugsgebiet von ca. 1 Million Menschen. Die etwa 200 Hektar große Aachener Innenstadt ist regionales Einkaufszentrum und Standort für 40.000 Arbeitsplätze in den verschiedensten Dienstleistungsbereichen. Etwa 65% aller Arbeitsplätze in Aachen können dem tertiären Sektor zugerechnet werden. Zugleich ist die Aachener Innenstadt mit ihrem mittelalterlichen Grundriß und den verschiedenen Bauwerken trotz der Kriegszerstörungen Insgesamt ein baugeschichtliches Denkmal und ein Ort touristischer Attraktionen. Sie ist, das läßt sich ohne Zweifel sagen, somit der Inbegriff der Identität von Stadt und Region, Mittelpunkt des kulturellen Lebens sowie Schul- und Universitätszentrum. Die Innenstadt ist aber auch Wohnort für etwa 40.000 Einwohner - damit zählt die Aachener City zu den am dichtesten besiedelten Kernbereichen aller deutschen Großstädte: die Aktivitäten- und Nutzungsvielfalt begründet ihre natürliche Attraktivität. All die verschiedenen Nutzungen und Aktivitäten sind gleichgewichtige, stadtbildende Kräfte, die die Atmosphäre und den Lebens- und Wohnwert Aachens ausmachen.

Vor allem zwei Faktoren waren für diese positive Entwicklung der Aachener Innenstadt von Bedeutung:

  1. Der bewußte Verzicht auf flächenweite Sanierungsmaßnahmen und die Schaffung von innenstadtnahem Wohnraum und "Wohninseln" auf Parkplätzen sowie auf ehemaligen Industrie- und Gewerbeflächen.

  2. Die Umgestaltung des historisch geprägten Straßenraumes und auch der in den sechziger Jahren autogerecht erweiterten Verkehrsflächen in fußgängergerechte innerstädtische "Aufenthaltsräume".

Die Lebensqualität einer Stadt, die zugleich einen wichtigen Faktor der Standortförderung und der Wirtschaftsentwicklung darstellt, wird wesentlich von den

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Bewohnern und den ihnen gegebenen Möglichkeiten zur Kommunikation und zum urbanen Zusammenleben beeinflußt und nicht von den durcheilenden Massen der Touristen und Einkaufspassanten. Autofreie Zonen mit Sitz- und Kommunikationsmöglichkeiten, Cafés, Restaurants und Läden sollen daher zum "Verweilen" einladen und ein hektisches "Durcheilen" der Innenstadt vermeiden. Ehemalige Verkehrsflächen und Parkplätze wurden dazu in großem Umfang zurückgewonnen; Flächen, die mittlerweile von den Bewohnern und Fußgängern wieder "in Besitz genommen" worden sind.

Indem Stadtgeschichte sich nicht nur in einzelnen historischen Bauwerken ausdrückt, sondern in der Aktivitätenvielfalt in öffentlichen Straßenräumen, bildet sie einen wichtigen Faktor für die Identifikation der Bürger mit "ihrer" Stadt. Zu dieser Identifikation hat auch die Wiederanbringung der im Krieg zerstörten Turmhelme auf verschiedenen historischen Bauwerken beigetragen, die ein wichtiger Teil der mittelalterlichen Stadtarchitektur waren und die auch heute noch von fast allen Stellen der Stadt aus sichtbar sind.

In diesen konzeptionellen Hintergrund müssen sich städtebauliche Großprojekte, wie zum Beispiel die Überbauung einer innerstädtischen Tiefgarage, des Omnibusbahnhofes und des Aachener Hauptbahnhofes sowie die Bebauung eines ehemaligen Güterbahnhofs, einpassen. Als Beispiel für eine Nutzungsintensivierung aus der Vergangenheit kann dabei die Überbauung des Aachener Busbahnhofes angesehen werden.

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4.2 Die Überbauung des Aachener Omnibusbahnhofs

Im Zentrum der Stadt, nur etwa 500 m vom Dom entfernt und damit verkehrsgünstig gelegen, wurde vor 25 Jahren der Bau eines Omnibusbahnhofs beschlossen. Entgegen der Ausschreibung, die neben dem Bahnhof die Errichtung eines großen ebenerdigen Parkhauses vorsah, wurde im Rahmen eines Angebotes der Bau einer Tiefgarage mit 560 Einstellplätzen unter dem Busbahnhof vorgeschlagen. Darüber hinaus legten die Anbieter auch umfangreiche Pläne für die Überbauung des Busbahnhofes vor, die für die Stadtentwicklung von Bedeutung werden sollte. Die bis zu sechsgeschossige Überbauung sah Flächen für den Einzelhandel, Dienstleistungspavillions, Gaststätten, Büroflächen und schließlich eine Kunsteislaufbahn vor, die aber aufgrund der zu erwartenden Investitions- und Folgekosten nicht realisiert

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werden konnte. Nach langen Diskussionen in den politischen Gremien ist das Projekt schließlich etwas modifiziert verwirklicht worden.

Anfängliche Probleme mit der Vermietung führten dazu, daß die sehr stark expandierende städtische Volkshochschule einen großen Teil der Büroflächen übernehmen konnte. Gerade die zentrale Verkehrsanbindung, die vorhandenen Parkplätze unter dem Busbahnhof und die Nähe zu den Einkaufszentren der Stadt, erhöhten die Attraktivität einer derartigen Nutzung und führten schließlich zur Umwidmung der Büros in eine Vielzahl verschiedener Unterrichtsräume. Der gesamte Komplex bildet heute einen innenstadtnahen Baukomplex mit einer bedeutenden Nutzfläche. Die ursprüngliche Planung, die lediglich die Errichtung des Busbahnhofes und des Parkhauses vorsah, hätte demgegenüber eine solche Belebung dieses Bereiches nicht auslösen können. Durch die verschiedenen Nutzungsmöglichkeiten des Gebäudes, die den unterschiedlichen Interessen von Handel, Dienstleistungen und Gewerbe Rechnung tragen und in den Rahmen einer menschengerechten Stadtentwicklung einpaßt sind, konnte die Verödung dieses Teilbereichs der City vermieden und die Attraktivität der Innenstadt verbessert werden. Was nicht so recht gelungen sein dürfte, ist die architektonisch-gestalterische Lösung des Gesamt-Bauwerks bzw. seine Einpassung in die gegliederte, hoch differenzierte Bausubstanz der Umgebung. Das führt natürlich zu einer gewissen Beeinträchtigung der Attraktivität des Baukomplexes. Es ändert jedoch nichts an der sinnvollen Überlagerung von Nutzungen im Untergrund, auf der natürlichen Ebene bzw. in verschiedenen Baugeschossen.

Ähnliche Intentionen, nämlich die Aktivitäten- und Nutzungsvielfalt in der Stadt zu erhöhen, verfolgen die Aachener Stadtplaner mit einem großen Projekt: In der zweiten Hälfte der neunziger Jahre wird der französische Schnellzug TGV in Aachen-Hauptbahnhof haltmachen. Das Gelände um den Hauptbahnhof zählt heute noch zu den mindergenutzten Flächen in der Nähe der Innenstadt, deren Attraktivität durch den TGV-Haltepunkt aber wesentlich gesteigert werden wird. Im Rahmen der Umgestaltung des Bahnhofes ist daher auch eine Überbauung der Gleisanlagen geplant, bei der Rächen in einer Größenordnung von etwa 25.000 m² BGF entstehen sollen, die Raum für die unterschiedlichsten Nutzungsmöglichkeiten bieten können.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Dezember 2000

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