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3. Neue Arbeitsformen und Berufsfelder in der Informationsgesellschaft

In der Informationsgesellschaft wandeln sich auch die Arbeitsvollzüge. Neue Arbeitsformen ersetzen die alten oder es bildet sich eine Koexistenz zwischen diesen heraus. Eine wichtige und schon an mehreren Stellen diskutierte Arbeitsform ist die Telearbeit, deren praktisches Entwicklungspotential nunmehr näher zu beleuchten sein wird. Gleichsam ist die Blickrichtung auf neue Berufsfelder der Informationsgesellschaft zu richten. Die Multimediabranche wird expandieren: klein, aber fein. Der Beschäftigtenzuwachs in dieser Branche wird die arbeitsmarktpolitischen Probleme der Informationsgesellschaft zwar nicht lösen können, aber die neu entstehenden Berufsprofile eröffnen zumindest neuartige Erwerbschancen. Welche Arbeitnehmer sich dort behaupten können, kann anhand der derzeitigen Qualifizierungsanstrengungen auf diesem Gebiet aufgezeigt werden.

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3.1 Telearbeit auf dem Prüfstand der Praxis

Neue technische Möglichkeiten der Informationsverarbeitung verringern die Bedeutung der räumlichen Konzentration und Gleichzeitigkeit der Zusammenarbeit von Beschäftigten eines Betriebes. Über Telearbeit wird deshalb schon seit längerem geforscht, viel diskutiert und vielleicht noch mehr spekuliert. Telearbeit ist mit den eingangs vorgestellten Megatrends der gesellschaftlichen Entwicklung kompatibel bzw. als neue Arbeitsform ein Produkt dieser Trends. Durch die Informatisierung entstehen immer mehr Informationsberufe, die durch Telearbeit ausgeübt werden könnten. Sie erlaubt zugleich, Arbeit international, d.h. raum- und zeitüberwindend weltweit über die Ländergrenzen hinweg zu verteilen. Telearbeit unterstützt die Internationalisierung instrumentell. Gleichzeitig verstärkt Telearbeit die Individualisierung durch den Bedeutungsverlust sozialer Kommunikation am Arbeitsplatz und kollektiver Interessenaushandlung im Betrieb.

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Konzepte, Verbreitung und Entwicklungspotentiale

Um das Entwicklungspotential von Telearbeit zu bestimmen, muß zunächst Klarheit darüber bestehen, was unter Telearbeit zu verstehen ist und wie sie überhaupt organisatorisch praktiziert werden kann. Telearbeit hat vor allem in den achtziger Jahren als Teleheimarbeit Furore gemacht, sie ist allerdings heute als flexible Form der Arbeitsgestaltung weitaus facettenreicher als früher. Eine allgemeine Definition beschreibt Telearbeit als ein Tätigkeitsspektrum, das unterstützt durch luK-Technik räumlich entfernt vom Standort des Auftrags- oder Arbeitgebers ausgeführt wird. Sie wird schwerpunktmäßig in folgenden Anwendungsformen umgesetzt:

  • die wohnungszentrierte Teleheimarbeit (vor allem im Gebiet der Sachbearbeitung) verlagert die Arbeitsvollzüge vollständig in den häuslichen Bereich, der zur primären Arbeitsstätte wird;
  • die alternierende Telearbeit wird demgegenüber nur teilweise zu Hause bei regelmäßiger Präsenz im Betrieb praktiziert, d.h. sie beruht auf einem Rotationsprinzip zwischen privater und betrieblicher Arbeitsstätte;
  • Satellitenbüros (als ausgelagerte Abteilung eines Unternehmens) und Nachbarschaftsbüros (im ländlichen Raum auch unter Beteiligung mehrere Unternehmen zwecks Senkung von Miet- und Sachkosten) sowie Telecenter (für Dienstleister) sind Beispiele für dezentrale Organisationseinheiten, in denen mehrere Telearbeiter tätig sein können. Dazu gehört auch die Televerwaltung von Behörden.

Schätzungen über den Verbreitungsgrad von Telearbeit hängen also auch von der Brandbreite ab, was unter dieser Arbeitsform subsumiert wird. Bei einer engeren Definition kann von nur wenigen tausend Telearbeitsplätzen (zumeist in öffentlichkeitswirksamen Pilotprojekten der Großunternehmen) ausgegan-

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gen werden. Zu den erfolgreichen Telearbeitsprojekten in den Unternehmen zählen heute beispielsweise: IBM, Integrata (knowledge worker), Dresdner Bank, GRZ (DV-Systementwicklung und -betreuung), Württembergische Versicherung, Allianz (Sachbearbeitung), Hewlett Packard (Kunden-, Außendienst). Eine sehr weitgefaßte Definition könnte dagegen im Extremfall sogar zu Millionenschätzungen gelangen, wenn schon die Nutzung des privaten PCs zu Hause für berufliche Zwecke als Telearbeitskriterium herangezogen wird.

Verschiedene Studien haben den Versuch unternommen, daß Telearbeiterpotential auch empirisch abzuschätzen. Eine breite und auch europaweit angelegte Studie wurde von empirica in Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien und Spanien durchgeführt, denn Telearbeit hat im europäischen Wirtschaftsraum einen unterschiedlichen unternehmenspolitischen Stellenwert und nationalen Verbreitungsgrad. Diese Studie wurde 1994 unter dem Namen TEDET (Telework development and trends) durchgeführt. Sie beruht auf einer Bevölkerungsbefragung (5347 Personen) und einer Befragung von Entscheidungsträgern (2507 Personen). In jedem Land wurden die gleichen Erhebungsinstrumente eingesetzt mit Fragen zum Kenntnisstand, zur Ver- bzw. Ausbreitung, zum Interesse an und zu geeigneten Tätigkeitsfeldern für Telearbeit. Zugleich ergeben sich Vergleichsmöglichkeiten gegenüber einer 1985 von empirica durchgeführten Studie in diesem Forschungsfeld.

Die Querschnittsuntersuchung von 1994 versucht also zu beantworten, wie hoch die Zahl der Telearbeiter ist, wieviel Arbeitsplätze überhaupt für Telearbeit in Frage kommen und welche Zukunft Telearbeit aufgrund dieser Erkenntnisse hat. Die zugrundeliegende Definition von Telearbeit schließt ihre unterschiedlichen Erscheinungsformen ein. Danach ist der Verbreitungsgrad von Telearbeit in Europa recht unterschiedlich.

Insgesamt gibt es in den untersuchten EU-Ländern hochgerechnet 1,25 Millionen Telearbeiter. Zwischen den Ländern existiert aber ein Gefälle: Spitzenreiter ist Großbritannien, gefolgt von Frankreich, in der Mitte behauptet sich

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Verkleinerte Abbildung / Anzahl der Telearbeiter in EuropaBild vergrößern

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Deutschland, während Spanien und in Italien die Schlußlichter bilden. Umgerechnet auf die Erwerbstätigen bedeutet dies, daß in diesen Ländern Telearbeit mit einer Spannbreite zwischen 2% bis zu über 7% praktiziert wird (in Deutschland zu 4,8%). Ausschlaggebend für diese Unterschiede sind nach der Einschätzung des Instituts u.a. Faktoren wie der Stand der Liberalisierung im Telekommunikationsbereich, die Angebotsvielfalt und der Preis, die unterschiedliche Durchdringung der Haushalte und Unternehmen, die Zahl der Teilzeitarbeitsplätze etc.

Weitaus größer als das tatsächliche Angebot ist allerdings das Interesse der Bevölkerung an Telearbeit. Allein in Deutschland interessieren sich 40,5% für Telearbeit. Auch hier liegen allerdings die ausländischen Werte etwas höher (Frankreich 49,8%, Großbritannien 43,5%, Italien 45,4% und Spanien 54,6%), was auf eine unterschiedliche Aufgeschlossenheit gegenüber dieser Arbeitsform und vielleicht gegenüber der „Technik" im allgemeinen hindeuteten kann, wenn man etwa auch an den Erfolg von Minitel in Frankreich oder die Verbreitung von PCs in Großbritannien denkt. In Deutschland äußern vor allem Jüngere, Haushalte mit Kindern (Hausfrauen), Personen mit mittlerem und hohem Bildungsstand, Angestellte sowie Schüler, Studenten und Arbeitslose ein verstärktes Interesse an Telearbeit. Im übrigen ergibt sich ein Zusammenhang zwischen Geschlecht und sozialer Stellung: nicht-erwerbstätige und selbständige Frauen sowie Arbeiterinnen sind mehr an Telearbeit interessiert als erwerbstätige weibliche Angestellte und Führungskräfte. Frauen in diesen Positionen wollen sich offenbar nicht (wieder) nach Hause drängen lassen.

Ein Vergleich mit der genannten älteren Erhebung von empirica unterstreicht zudem das deutlich gestiegene Interesse an Teleheimarbeit. Dies war 1985 noch eine eher futuristische Fragestellung. In Deutschland, Frankreich und Italien hat es sich etwa verdreifacht, in Großbritannien dagegen, wo schon Mitte der achtziger Jahre ein regeres Interesse festzustellen war, veranderthalbfacht.

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Verkleinerte Abbildung / Interesse an Telearbeit in Unternehmen 1994Bild vergrößern

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Ein hohes Interesse an Telearbeit haben nach Auskunft der Entscheidungsträger auch die Unternehmen selbst.

Neben Italien, äußern vor allem Unternehmen in Deutschland, gefolgt von Frankreich, Großbritannien und Spanien Interesse an der Einführung von Telearbeit. Gleicht man die Interessen der Unternehmen und der Bevölkerung im Rahmen einer von empirica durchgeführten Interessenspotentialanalyse ab, wären nach den Angaben der Befragten 20% der Arbeitsplätze für Telearbeit geeignet. Dieses Ergebnis scheint zu hoch angesiedelt. Bereinigt man das Ergebnis um eine angenommene Quote von Arbeitsplätzen, die erfahrungsgemäß nicht für Telearbeit geeignet sind, ergeben sich nach den Berechnungen des Instituts länderabhängig zwischen 6,6% und 8,2% telearbeitsfähige Arbeitsplätze. Dies könnten für die Bundesrepublik Deutschland (mit 6,8%) wieder hochgerechnet 2,5 Millionen potentielle Telearbeitsplätze sein.

Zu diesem Zahlenwerk können auch Studien der TA Telearbeit GmbH ergänzende Hinweise liefern. Dort wird ebenfalls festgestellt, daß mittelständische Unternehmen ein hohes Telearbeitspotential aufweisen: 20% der Unternehmen denken konkret über die Einführung von Telearbeit nach, 30% der Unternehmen erfüllen alle Voraussetzungen für Telearbeit und 9% der Arbeitsplätze wären für Telearbeit geeignet. Das bedeutet hochgerechnet auf das Bundesgebiet, daß in 150.000 mittelständischen Unternehmen 2 Millionen telearbeitsfähige Arbeitsplätze existieren würden. Diese Untersuchungsergebnisse weisen demnach - national wie international - auf ein günstiges Klima für die Einführung von Telearbeit hin. Bei diesen Zahlen, die hohe beschäftigungspolitische Aussichten suggerieren könnten, ist allerdings zu berücksichtigen, daß Telearbeit überwiegend keine neuen Arbeitsplätze schafft, sondern vorhandene örtlich bzw. räumlich verlagert.

Das Interesse der deutschen Unternehmen an bestimmten Telearbeitsformen läßt sich auch an den Befragungsergebnissen der TA Telearbeit GmbH bei 272 zufällig ausgewählten Unternehmen aus dem Jahre 1996 ablesen. Von

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diesen hatten insgesamt 30,5% ca. 2.000 Telearbeitsplätze eingerichtet und ca. weitere 1.200 Telearbeitsplätze befanden sich im Planungsstadium. Im Vordergrund der geplanten wie realisierten Telearbeit steht die alternierende Telearbeit, gefolgt von der isolierten Telearbeit (als Teleheimarbeit). Gezielte Branchenuntersuchungen von empirica zeigen darüber hinaus, daß besonders die Versicherungswirtschaft (nach wie vor) ein großes Interesse an Telearbeit äußert. Dort liegt ein originäres Anwendungspotential für Telearbeit, noch sind derzeit allerdings im Schnitt nur weniger als 1 % der Beschäftigten Telearbeiter.

Wenn Telearbeit den Untersuchungsergebnissen zufolge eine durchaus günstige Zukunft haben könnte, stellt sich die Frage, welche konkreten Erwartungen Beschäftigte und Unternehmen mit dieser Arbeitsform verbinden, wie sie erfolgreich einzuführen ist und mit welchen Problemen dabei allerdings auch zu rechnen ist.

Implementationsgründe, -probleme und Implementationsstrategien

Warum deutsche Unternehmen ein verstärktes Interesse an Telearbeit zeigen, darüber geben erst die Gründe Auskunft, die für ihre Einführung sprechen. Die TA Telearbeit GmbH kommt aufgrund ihrer Befragungen zu dem Ergebnis, daß nach den Maßstäben der Unternehmen nicht nur die harten Faktoren wie Einsparung von Miet- und Raumkosten, höhere Produktivität und Verbesserung der Qualität der Arbeit ausschlaggebend sind. Für die Einführung von Telearbeit sprechen nach Angabe der Befragten auch die bessere Berücksichtigung von individuellen Wünschen der Mitarbeiter, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, aber auch die Schaffung neuer Arbeitsplätze in der Region und von geeigneteren Arbeitsplätzen für Behinderte. Hier besteht im übrigen eine relative Übereinstimmung zwischen Geschäftsführungen und Personalleitungen, mittlerem Management und Betriebsräten.

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Die endgültige Entscheidung hängt natürlich letztlich von den erwarteten wirtschaftlichen Vorteilen, den „hard facts" ab: Telearbeit muß sich rechnen. Die Gestaltungsprojekte und Evaluationen der TA Telearbeit GmbH belegen auf dem Gebiet der harten Fakten, daß Telearbeit durchaus zur Verbesserung der Wirtschaftlichkeit beiträgt. Und dies in mehrfacher Hinsicht. Die Unternehmen sind heute aufgrund der hohen Büromieten in den Ballungsräumen auf der Suche nach Alternativen an den Stadträndern. Die Ergebnisse von Pilotprojekten aus der Versicherungswirtschaft zeigen beispielsweise, wie hohe Bürokosten bei geplanten Unternehmenserweiterungen durch Telearbeit gesenkt werden können. Dasselbe gilt natürlich auch für die (eingesparten) Fahrtkosten der Beschäftigten. Ein weiterer entscheidender wirtschaftlicher Nutzen, der zu den „hard facts" gehört, kommt hinzu. Zwar erhöhen sich die Organisations- und Telekommunikationskosten, gleichzeitig steigt aber die Arbeitsproduktivität (durch die Erhöhung der Arbeitsmotivation, höhere Arbeitszeitflexibilität und ergebnisorientiertes Arbeiten) häufig um 15-20% an, so daß die Zusatzkosten der Telearbeitsplätze wieder durch günstigere Arbeitskosten kompensiert werden. Besonders wichtig ist diese Kompensation bei alternierender Telearbeit. Wenn zwei Arbeitsplätze (zu Hause und im Betrieb) eingerichtet werden, müssen die zusätzlichen Kosten durch eine wesentlich höhere Arbeitsproduktivität ausgeglichen werden.

Auch andere ökonomische Vorteile sind zu berücksichtigen. Ein wirtschaftlicher Nutzen von Telearbeit liegt im Dienstleistungsbereich in der größeren Marktnähe von Telearbeitsplätzen. Das bedeutet im übrigen bezogen auf öffentliche Verwaltungen größerer Flächengemeinden auch mehr Bürgernähe (durch wohnortnahe Telearbeitsplätze). Darüber hinaus dürfen auch verkehrs- und umweltpolitische Vorteile (unter dem Stichwort „Datenströme statt Pendlerströme") nicht übersehen werden.

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Für Telearbeit geeignete Tätigkeitsfelder 1994Bild vergrößern

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Zusammengefaßt ergibt sich aus der Perspektive des Unternehmens, des Mitarbeiters und der Gesellschaft folgende Nutzenpalette:

Nutzen durch Telearbeit für

Unternehmen/Verwaltung

Mitarbeiter

Gesellschaft

Flexible Arbeitsleistung

Einsparung Fahrtzeiten/-kosten

Umweltschutz

Besserer Kundenservice

Höhere Arbeitszufriedenheit

Energieeinsparung

Kosteneinsparung

Vereinbarkeit Familie/Beruf

Mehr Arbeitsplätze

Attraktivitäts-/lmagezuwachs

Ungestörtes Arbeiten

Verkehrsentlastung

Größere Marktnähe

Freie Zeiteinteilung

Keine Abwanderung

Größere Bürgernähe

Vereinbarkeit von körperlichen

qualifizierter Kräfte

Virtuelle Organisation

Handicaps und Beruf

Standorttreue

Die Vorteile dürfen aber nicht über die Probleme bei der Einrichtung von Telearbeit hinwegtäuschen. Hemmnisse und Hinderungsgründe zur Einführung von Telearbeit werden von allen oben genannten Untersuchungen der verschiedenen Institute beobachtet, denn die Unternehmen müssen bei der Einführung von Telearbeit technische, rechtliche, soziale und organisatorische Problemkonstellationen beachten.

Die Einführung von Telearbeit ist zwar eine technische Herausforderung, die auch Geld kostet, doch dazu stehen inzwischen leistungsfähige und preisgünstige Technologien auf dem Markt zur Verfügung. Die technischen Probleme sind relativ überschaubar und rasch lösbar. Im Mittelpunkt stehen vielmehr organisatorische Schwierigkeiten, die aus Führungs-, Kommunikations- und Kontrollproblemen entstehen. Wie können die Arbeitsergebnisse von Telearbeitern von den Vorgesetzten kontrolliert werden? Allein diese Frage stellt das traditionelle Rollenverständnis von Führungskräften in Frage und muß bei der Einführung von Telearbeit geklärt bzw. in einem Umdenkungsprozeß auf seiten der Führungskräfte gelöst werden. Insbesondere Betriebsräte betonen nach den Untersuchungsergebnissen aber auch den Aspekt der sozialen Isolation von Mitarbeitern, die auf Telearbeitsplätze wechseln. Dahinter ver-

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birgt sich das Problem, welche Form von Telearbeit eingeführt wird: ihre isolierende Variante oder die alternierende Telearbeit.

Da Telearbeit somit eine organisatorische Herausforderung für die Unternehmen und eine soziale Gestaltungsanforderung für die Interessenvertretungen darstellt, lauten die wichtigsten Grundempfehlungen zur Einführung von Telearbeit - z.B. der TA Telearbeit GmbH - insbesondere:

  1. Telearbeit erfordert ein Management by objectives (MOB), d.h. eine ergebnis- statt einer verhaltensorientierten Kontrolle. Dies erfordert die Entwicklung neuer Führungsprinzipien im Unternehmen, ein Umdenken der Führungskräfte (qualitative persönliche Zielvorgaben für die Telearbeiter als Führungsprinzip). Telearbeit braucht auch eine neue Vertrauensorganisation.

  2. Die Koordination muß durch ein Projektmanagement gewährleistet werden, das die Einführung der Telearbeit steuert.

  3. Die Planbarkeit der persönlichen Kommunikation muß sichergestellt werden. Vor allem die alternierende Telearbeit garantiert, daß persönliche Kontakte zwischen den Mitarbeitern und Führungskräften nicht abreißen und sie verringert das Risiko sozialer Vereinzelung der isolierten Teleheimarbeit.

  4. Zu empfehlen sind deshalb Pilotprojekte, die nach Auswertung der bereichsspezifischen Erfahrungen später in die Fläche gehen können.

Diese Anforderungen liefern auch die Kriterien zur Auswahl möglicher Tätigkeiten, die in Telearbeit überführt werden können. Dies sind Aufgaben, die

  • wenig spontane persönliche Kommunikation erfordern (Planbarkeit der Kommunikation),

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  • eine ergebnisorientierte Kontrolle des Arbeitsergebnisses zulassen,
  • überwiegend ohne den ständigen Rückgriff auf schriftliche Unterlagen und zentrale Dokumentationsbestände erfüllt werden können und
  • nicht die permanente Anwesenheit des Mitarbeiters im Unternehmen erfordern.

Daraus ergibt sich ein durchaus buntes Spektrum potentieller Telearbeitsplätze in den Unternehmen. Allerdings zeigt der internationale Vergleich (aus der Studie von empirica), daß in deutschen Unternehmen vorher offenbar noch erhebliche Überzeugungsarbeit zu leisten ist.

Die befragten deutschen Entscheidungsträger nennen auf die Frage, welche Tätigkeitsfelder für Telearbeit geeignet sind, vor allem die „klassischen" Bereiche, die schon mit der Technikausstattung der achtziger Jahre realisierbar waren wie Daten- und Texterfassung, Programmieren, Übersetzen etc., während die englischen Manager Telearbeit auch in anderen Bereichen wie Rechnungswesen, Vertrieb, Marketing, Forschung und Beratung für weitaus möglicher halten. Großbritannien gehört neben Frankreich zu den Vorreitern auf dem Feld der Telearbeit. Die deutschen Unternehmen benötigen offenbar noch mehr „Anschauungsmaterial", wie Telearbeit in der Praxis bei welchen Arbeitstätigkeiten und auf welchen Geschäftsfeldern funktionieren kann. Dies zu ermöglichen, ist eine Zielsetzung der Initiative "media NRW" (z.B. in der Schaffung von „star cases") und sie zeigt die Bedeutung politisch initiierter Förderprogramme in Deutschland auf.

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3.2 Multimediaberufe: High Tech als berufliche Entwicklungschance

„Multimedia" wird zunehmend zum Zauberwort für neue Berufsfelder, denen rosige Entwicklungsperspektiven vorausgesagt werden. In der gesamten Multimediabranche wird von einem stetig wachsenden Bedarf an qualifizierten Arbeitskräften ausgegangen. Darauf verweist der deutsche Multimedia Ver-

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band, der Produzenten im Kernbereich Multimedia vertritt. Die Plattformen der Multimedia Produktion, d.h. der interaktiven multimedialen Produkte sind PC-Systeme (für POI, POS oder CD-ROM), Online-Systeme wie Internet und Intranet sowie die Dienste der Online-Anbieter. Zu den interaktiven Produktionen rechnen Anwendungen auf CD-ROM (Informationssysteme, Präsentationen z.B. für Messen, Entertainment, Lernsoftware CBT) und multimediale interaktive Applikationen im Internet/Intranet (Teleworking, -learning, -tutoring, -kooperation).

Eine empirische Studie über Multimediaberufe wurde in Zusammenarbeit zwischen der Freien Universität Berlin (Institut für Pädagogische Psychologie und Medienpsychologie), der mediadesign GmbH Berlin-multimedia akademie und dem Deutschen Multimedia Verband erstellt. Sie basiert auf einer Befragung, die sich an alle in Deutschland bekannten Multimediaproduzenten richtet. In den letzten Jahren ist die Zahl der Firmenneugründungen in dieser Branche danach gestiegen. Wie die Studie zeigt, ist ein großer Teil der Firmen (72%) ab 1990 gegründet worden, davon allein 37% in den Jahren 1995 und 1996. Unter der Annahme, daß sich dieser Trend fortschreibt, kann mittelfristig mit weiteren rund 10% Neugründungen von Unternehmen pro Jahr gerechnet werden. Wie die Umfrage zur Einstellungsplanung der Multimediagesellschaften belegt, rechnen die Firmen damit, daß sich die Zahl der Mitarbeiter schon 1997 im Vergleich zu 1995 verdoppeln könnte. Über die Hälfte der festen und freien Mitarbeiter in der Multimedia- und Online-Produktion sind in Firmen mit bis zu 10 Mitarbeitern beschäftigt. Diese kleinen Firmen werden zusammen mit den prognostizierten Neugründungen die höchsten Zuwachsraten aufweisen, bei den größeren Unternehmen wird der Anstieg der Beschäftigtenzahlen dagegen eher bescheiden ausfallen.

Dieser Arbeitskräftebedarf muß durch Personen abgedeckt werden, die auf die branchenspezifischen Qualifikationsanforderungen vorbereitet sind. Dazu sind Qualifizierungen notwendig und das Qualifizierungsziel ist sehr genau auszuloten, denn nur unter dieser Voraussetzung können die Arbeitskräfte reibungslos in den interaktiven Produktionsprozeß integriert werden. Bil-

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dungsträger, Arbeitsverwaltung und Firmen arbeiten deshalb sehr eng zusammen. Diese Kooperation ist besonders wichtig, denn die erforderlichen Qualifikationen im Bereich Multimedia sind keine einfache Fortschreibung bisheriger Tätigkeiten und Berufsfelder. Als beispielsweise vor ca. 10 Jahren DTP-Programme neu eingeführt wurden, entsprachen diese Programme auch den handwerklichen Fähigkeiten der Graphiker zu jener Zeit. Die Grundtätigkeiten blieben erhalten und wurden jetzt nur EDV-technisch realisiert. Eine solche technische Verlagerung der Grundqualifikationen gibt es in der Multimediaproduktion nur begrenzt. Vielmehr entwickeln sich neue Berufe mit neuen Qualifikationsanforderungen.

Die multimedia-akademie organisiert als Bildungsträger auf diesem Feld in ihrem Aktionsgebiet (Berlin-Brandenburg) die Ausbildung von Abiturienten (in Studienform), Fortbildungen in Zusammenarbeit mit der Arbeitsverwaltung und Weiterbildungen von Mitarbeitern aus der Werbebranche und der gesamten Industrie der neuen interaktiven Medien. Die meisten der heutigen Multimedia-Spezialisten waren Pioniere in diesem Arbeitsbereich und haben ihre Kenntnisse und Erfahrungen durch learning in the job erworben. Obwohl sich die Ausbildung von Fachkräften zwar allgemein noch im Aufbau befindet, bilden sich heute andere Qualifizierungsstandards heraus. Die Qualifizierungsmethoden werden auf die neuen Qualifizierungsziele zugeschnitten. Die Grundproduktionsprozesse der Firmen werden in der Ausbildung möglichst naturgetreu (auch von der Hard- und Softwareseite) abgebildet. Die Ausbildung erfolgt überwiegend projektorientiert und die Dozenten stammen aus der Multimediabranche, um eine enge Verzahnung mit der Produktion von Multimediaprodukten sicherzustellen.

Sechs Tätigkeitsfelder, in denen die multimedia-akademie Arbeitskräfte qualifiziert, gelten zwar noch nicht als anerkannte Berufe im engeren Sinne, werden aber als Haupttätigkeitsfelder im Multimedia-Verband diskutiert. Derzeit werden ca. 230 Teilnehmer geschult, etwa genausoviel wie auf dem Berlin-Brandenburger Arbeitsmarkt auch gebraucht werden. Diese neuen Berufe bilden den multimedialen Produktionsprozeß ab. In der Praxis werden hin-

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sichtlich der Qualifizierungsanforderungen für die unterschiedlichen Tätigkeitsfelder differenzierte Forderungen an die fachliche und soziale Handlungskompetenz gestellt, die sich aus dem jeweiligen Aufgabengebieten ergeben. Das bedeutet für die sechs neuen Berufsprofile im einzelnen:

  1. Konzepter/Storyboarder. Dieses Tätigkeitsfeld beinhaltet die Entwicklung eines Konzepts und eines Storyboards für interaktive Multimediaproduktionen. Zu den Qualifikationsanforderungen gehören die Beherrschung multimedialer Produktionstechniken und interaktives Storyboarding, die Fähigkeit zur Drehbucherstellung (Entwicklung von Geschichten) und ein genaues Gespür für die Zielgruppen, um das Medium für den Benutzer attraktiv zu gestalten.

  2. Infoengineer. In dieser Ausbildung werden Arbeitskräfte geschult, die die für eine Multimediaproduktion benötigten Informationen zusammentragen können. Das Arbeitsfeld umfaßt Informationsrecherche, Abklärung der Urheberrechte, digitale Datenaufbereitung und -archivierung bzw. -sicherung.

  3. Multimedia/Online-Designer. Sie müssen in der Lage sein, die verschiedenen Elemente der Produktion zu integrieren und aufeinander abzustimmen. Zu ihrem Tätigkeitsspektrum zählen AV-Bildbearbeitung, Bildbearbeitung mit Photoshop, Animation (für Internet/Multimedia), Autorensysteme.

  4. System-Engineer-Multimedia/Online: Nach der Konzeption erfolgt die Implementierung auf die jeweiligen EDV-Systeme (Endprogrammierung). Grafikprogrammierung, CD-ROM-Anwendungsprogrammierung, WWW-Systemprogrammierung, Server-Systemprogrammierung übernehmen die zum System-Engineer ausgebildeten Arbeitskräfte.

  5. Projektmanager für interaktive Medien: Der gesamte Produktionsprozeß ist ein hartes Tagesgeschäft mit erheblichem Kosten- und Termindruck.

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    Die Multimediaproduktion erfordert von Produktionsbeginn an ein Management, das auch die kommerzielle Produktverantwortung übernimmt. Das Tätigkeitsfeld des Projektmanagers erstreckt sich auf Angebotserstellung für interaktive Medien, das Produktionsmanagement im engeren Sinne (mit entsprechenden Managementtechniken) und Software-Testing. Den Arbeitskräften wird daher eine fundierte, praktisch erworbene Kenntnis der Multimedia-/Online-Produktionstechniken abverlangt.

  1. Online-Redakteur. Hier handelt es sich um ein neues Tätigkeitsfeld dort, wo große Anwender oder Redaktionen engen Publikumskontakt suchen (Anfragenbeantwortung, redaktionelle Änderungen). Zum Qualifikationsprofil gehören ebenfalls Erfahrungen mit Online-Produktionstechniken, die Beherrschung von medienspezifischen Dialogtechniken (z.B. e-mail), zielgruppenorientierte Dialogfähigkeit und Online-Tutoring.

Gemeinsam ist allen Tätigkeitsfeldern die starke Orientierung an einer praxisnahen Ausbildung. Die Ausbildungen stehen deshalb auch nur Personen offen, die über bestimmte formale Grundqualifikationen verfügen. Die Multimediafirmen erwarten im Rahmen ihrer Einstellungspolitik zwar in der Regel keinen akademischen Abschluß, aber praxisbezogene Berufsausbildungen. Zugangsvoraussetzung für die oben genannten Qualifizierungen ist aufgrund dieser Anforderung eine entsprechende berufliche Vorbildung (z.B. Designer, Informatiker), eine akademische Ausbildung ist lediglich für die Ausbildung zum Projektmanager erforderlich.

Neben den fachlichen stellen die Firmen vor allem spezielle Anforderungen an das Persönlichkeitsprofil ihrer künftigen Mitarbeiter. Besonderer Wert wird auf soziale Kompetenzen wie Teamfähigkeit und kommunikative Kompetenz, Flexibilität und Anpassungsfähigkeit sowie Präsentationsfähigkeit gelegt. Die hohe Priorität, die den Eigenschaften Teamfähigkeit, Flexibilität und Präsentationsgeschick als Selektionskriterien zugemessen wird, hat mehrere Gründe:

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  • Multimediaprojekte werden in Produktionsteams erstellt. Die Integrations- und Kommunikationsfähigkeit aller am arbeitsteiligen Produktionsprozeß Beteiligten ist grundlegende Voraussetzung für die erfolgreiche Vollendung einer Multimedia- oder Online-Anwendung.
  • Die Interdisziplinarität der Multimediabranche verlangt, daß die Teammitglieder bereit sein müssen, sich gegebenenfalls auch konträre Fähigkeiten anzueignen. Die Integration unterschiedlicher Aufgaben des neuen Mediums führt dazu, daß z.B. ein Designer zugleich programmieren kann und sich auch in der Betriebswirtschaft auskennt. Unverzichtbar ist also die Fähigkeit der Mitarbeiter, sich vollständig auf das neue interaktive Medium einzulassen.
  • In den Konzeptions- und Produktionsphasen müssen Teilarbeitsergebnisse den Auftraggebern vorgestellt werden, gegebenenfalls Änderungswünsche aufgenommen und umgesetzt werden. Insbesondere die Projektmanager im Team sollten beispielsweise in der Lage sein, ihre Teamergebnisse kundenorientiert zu präsentieren.

Zu den weiteren sozialen Kompetenzen zählen vor allem Kundenorientierung, konzeptionelles und analytisches Denken, ausgeprägte Lernbereitschaft, Selbständigkeit und Kreativität. Solche Handlungskompetenzen werden ebenfalls hoch bewertet, da in den Firmen kaum kontinuierliche, sich wiederholende Arbeitsprozesse existieren, sondern die Multimediaproduktion beruht auf einem stringent projekt- und auftragsorientierten Arbeiten.

Damit ist zugleich auch aufgezeigt, welcher Beschäftigtentyp in dieser Branche (besonders in den kleinen Firmen) eine wirkliche Entwicklungschance hat: der relativ junge Mitarbeiter, der imstande ist, den projektorientierten und sich ständig inhaltlich und technisch wandelnden Produktionsprozeß auf Dauer mitzumachen und der zudem fähig ist, die Produktgestaltung, die auch einer gewissen Modernität unterliegt, den Designvorstellungen der überwiegend

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jungen Zielgruppen (für z.B. interaktive Spiele) anzupassen. Die Multimedia-Produktion ist danach zum großen Teil ein berufliches Entfaltungsterrain „for the youngest and fittest" - ein beruflicher Selektionsmechanismus, der vielleicht zu einem maßgeblichen allgemeinen Segmentationskriterium in der Informationsgesellschaft werden könnte.


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