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Zusammenfassung und Schlußfolgerungen

Die Informationsgesellschaft benötigt politischen Flankenschutz damit ihre Chancen auch wirklich genutzt werden. Darauf zielen die operativen Programme auf der europäischen wie nationalen Ebene ab, die seit Anfang der neunziger Jahre aufgestellt worden sind. Mit ihnen wird versucht, die ökonomischen Aussichten der Wirtschaftsstandorte Deutschland und Europa zu verbessern. Gleichzeitig ist es aber auch unabdingbar, die Risiken der Informationsgesellschaft zu begrenzen, die sich aus Informatisierungs-, Internationalisierungs- und Individualisierungstrends ergeben. Hier konzentriert sich die politische Programmatik anscheinend zu sehr auf ihren wirtschaftspolitischen Anspruch und blendet arbeitsmarkt- und beschäftigungspolitische sowie sozialpolitische Steuerungskomponenten noch weitgehend aus.

Das Unternehmen „Informationsgesellschaft" wird dagegen mit der Altlast hoher Massenarbeitslosigkeit gestartet. Zugleich zerbrechen herkömmliche Arbeits- und Erwerbsstrukturen, an denen sich die Erwerbstätigen orientieren und auf denen ihre beruflichen und privaten Lebensmuster aufbauen. Arbeit jenseits abhängiger Erwerbsarbeit und außerhalb des Normalarbeitsverhältnisses gewinnt an Bedeutung. Daraus begründen sich Transformationsprobleme. Das gesellschaftliche Arbeitsvolumen muß in der Informationsgesellschaft anders genutzt und verteilt werden. Die Informationstechnik mit ihren neuen Arbeits- und Erwerbsformen könnte ein passender Schlüssel dazu sein, wenn es gelingt, mit der Informationsgesellschaft auch zu einer anderen Arbeitsgesellschaft zu gelangen, in der auch neue Beschäftigungsutopien umgesetzt werden können.

Doch bevor weiter spekuliert wird, muß auch geprüft werden, in welchem Entwicklungsstadium die Informationsgesellschaft eigentlich steckt. Einerseits kennzeichnet die Informationsverarbeitung schon die Arbeitsvollzüge einer Vielzahl von Beschäftigten. Andererseits ist die Digitalisierung der Arbeitswelt noch keineswegs flächendeckend vorangeschritten. Ein Gesamtbild zeigt deshalb, daß die Informationsgesellschaft eher bruchstückhaft verwirklicht ist

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und es Branchen und Beschäftigte gibt, die derzeit noch die Pioniere der Informationsgesellschaft sind.

Trotzdem werden mit der aufziehenden Informationsgesellschaft bereits hohe Erwartungen verknüpft. Wenn Massenarbeitslosigkeit und der Bedeutungsverlust traditioneller Erwerbsmuster politischen Handlungsdruck erzeugt, sind Rettungsanker äußerst begehrt. Ein solcher findet sich häufig im Medien- und Kommunikationssektor, dessen wirtschafts- und beschäftigungspolitische Perspektiven miteinander vermengt werden. Ernüchternde Prognosen mahnen indes zu mehr Realismus. Überzogene beschäftigungspolitische Erwartungen werden auch dort nicht erfüllt werden können. Innerhalb des Medien- und Kommunikationssektors werden zwar Teilbereiche als Gewinner gelten, in denen sich wirtschaftliches Wachstum auch in einem erhöhten Beschäftigungsniveau niederschlägt. Dieses fällt jedoch kaum überdurchschnittlich aus: die Produktivität wird nach der Jahrhundertwende wieder erheblich steigen, zwischen wirtschaftlichem Wachstum und Beschäftigungsentwicklung besteht wie bislang keine zwangsläufige lineare Proportionalität.

Die kurzfristigeren Perspektiven der Informationsgesellschaft scheinen also woanders zu liegen: nämlich in neuen Arbeitsformen und auf neuen Berufsfeldern. Sie bieten zwar noch keine Chancen für die breite Masse der Erwerbstätigen, sind aber durchaus die Keime, aus denen sich andere Beschäftigungsperspektiven entwickeln können.

Zu den bedeutendsten neuen Arbeitsformen zählen die unterschiedlichen Facetten von Telearbeit. Forschungen in Europa und Erfahrungen mit Pilotprojekten in Deutschland zeigen, daß das Klima für die Einführung von Telearbeit sowohl bei den Unternehmen als auch bei den Beschäftigten immer günstiger wird. Das Interesse der Unternehmen, betriebliche Arbeitsvollzüge auf Telearbeit umzustellen und die Bereitschaft der Beschäftigten, zu Telearbeitern zu werden, steigt permanent an. Telearbeit kann die Klammer zwischen Kosten- und Produktivitätsstrategien der Betriebe und den Wünschen der Beschäftigten nach einer besseren Vereinbarkeit von Arbeitssphäre und privater Leben-

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weit bilden. Allerdings existiert in Deutschland noch eine erhebliche Kluft zwischen der Ausschöpfung dieses Interessenpotentials und der tatsächlichen Verbreitung. Andere europäische Länder sind hier schon weiter. In Deutschland brauchen die Betriebe und Verwaltungen daher noch mehr praktisches Anschauungsmaterial, wo die potentiellen Einsatzfelder von Telearbeit liegen und wie die mit ihr verbundenen organisatorischen und sozialen Probleme zu bewältigen sind.

Ein ganz anderes Anschauungsmaterial dafür, wohin der Aufbruch in die Informationsgesellschaft führen könnte, liefern indes neue Berufsfelder in der Multimediabranche. Mit der Multimedia-Produktion wird künftig auch ein ganz neues Vokabular Einzug in das System der Berufsklassifikationen halten:

Multimedia- bzw. Online-Designer, System-Engineer-Multimedia und Infoengineer sind Beispiele für diese Entwicklung. Die ersten Arbeitskräfte werden heute in Qualifizierungsmaßnahmen auf diese neuen Tätigkeitsfelder vorbereitet. Dort haben allerdings nur die jüngeren, äußerst flexiblen Beschäftigten eine Erwerbschance, die aufgrund ihrer hohen sozialen Handlungskompetenz in die high-tech-orientierte Multimediaproduktion integriert werden können.

Arbeit wird sich in der Informationsgesellschaft also insgesamt wandeln -quantitativ und besonders qualitativ. Neue Regulierungsbedarfe markieren zugleich einige der zentralen gewerkschaftlichen Herausforderungen der Zukunft. Auf diesem Feld ist einiges zu tun.

Kollektive Interessenvertretungsstrukturen werden im Zuge der Individualisierung brüchiger. Virtuelle Unternehmen und dezentralisierte Arbeitsstätten erzeugen einen neuen Mitbestimmungsbedarf und erfordern die Überprüfung rechtlich fixierter Beteiligungsformen. Neue, noch atypische Arbeitsformen und Arbeitsverhältnisse müssen arbeits- und tarifvertraglichen Regelungen zugänglich gemacht werden, ungeschützte Beschäftigungsverhältnisse außerhalb der abhängigen Erwerbsarbeit sind mit neuen Schutzmechanismen auszustatten. Sollte die Informationsgesellschaft in erster Linie zu einem Entfaltungsterrain für beinahe schon international olympiareife, zugleich junge

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und hochqualifizierte Beschäftigte werden, müssen die vorprogrammierten gesellschaftlichen Segmentierungen und Polarisierungen frühzeitig wieder umprogrammiert werden.

Da mit der Digitalisierung der Arbeitswelt zugleich Ländergrenzen überwunden werden, können internationale Konkurrenzsituationen den Marktwert und die Beschäftigungschancen der einzelnen Arbeitnehmer zusätzlich senken. Arbeits-, sozial- und tarifvertragliche Regulierungen müssen mit dieser Internationalisierung Schritt halten können, trotz der Schwierigkeiten, die eine grenzüberschreitende Kooperation und eine internationale Konsensfindung mit sich bringt. Die Stärkung der internationalen Gewerkschaftsbewegung steht angesichts der Herausforderungen der Informationsgesellschaft einmal mehr auf der Tagesordnung, denn nur dann wird ihre sozialverträgliche Regulierung letztendlich auch gelingen. Noch ist die Zeit dafür da. Das hat der Tagungsdiskurs belegt.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Oktober 2000

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