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[Seite der Druckausg.: I ]


Vorwort

Das klassische "Normalarbeitsverhältnis" - das Fundament unseres Systems der sozialen Sicherung - verliert zunehmend an Normalität. Immer mehr Arbeitnehmer befinden sich in prekären Beschäftigungsverhältnissen, d.h. solchen, die ohne Absicherung durch die Sozialversicherung sind, für die keine oder nur geringe arbeitsrechtliche Schutzrechte gelten, und die häufig nicht auf Dauer und Kontinuität angelegt sind. Sie stellen längst keine Randerscheinung mehr da und drängen immer weiter und in immer mehr Bereiche vor. Prognosen gehen davon aus, daß der "Wanderarbeiter", der "Tagelöhner" in neuem Gewände zurückkehrt, der von verschiedenen Firmen für zeitlich begrenzte Aufgaben angeheuert wird und sich nach Abwicklung erneut auf Arbeitssuche begeben muß.

Zum breiten Spektrum gehören: sozialversicherungsfreie geringfügige Beschäftigung (590-DM-Jobs), Saisonarbeit, Leiharbeit, befristete Beschäftigung, freie Mitarbeit, Werksvertragsverhältnisse, Scheinselbständigkeit, Heimarbeit und schließlich, als illegale Form, Schwarzarbeit.

Ein großer Teil dieser Beschäftigten verfügt zwar über einen abgeleiteten Versicherungsschutz - jedoch auf Kosten aller Beitragszahler. Bei nicht abgesicherten Risiken entstehen zusätzliche Belastungen für die Sozialhilfe, für welche die Allgemeinheit der Steuerzahler aufkommen muß. Mit der Ausweitung dieser prekären Beschäftigungsverhältnisse und dem drastischen Abbau von "Normalarbeitsplätzen" sind die ökonomischen Grundlagen des deutschen Konzepts sozialer Sicherheit in Frage gestellt. Die Wettbewerbsneutralität auf dem Arbeitsmarkt ist gestört, sozialversicherungspflichtige und arbeitsrechtlich besser geschützte Arbeitnehmer geraten beim Wettbewerb um Arbeitsplätze ins Hintertreffen. Reguläre Vollzeitarbeitsplätze werden in Mini-Jobs aufgesplittet.

Für die Unternehmen bilden diese Beschäftigungsformen ein wichtiges Element betrieblicher Rationalisierungspolitik. Sie dienen ihnen zur Kostenreduzierung, zur Flexibilisierung und zur Externalisierung betrieblicher Risiken. Nach verbreiteter Meinung geht dieser Prozeß jedoch

[Seite der Druckausg.: II ]

weit über das Ausmaß hinaus, daß sich aus betrieblichen Anpassungserfordernissen ergibt. Erst recht wird der illegale Einsatz obiger Beschäftigungsformen - der Mißbrauch bestehender Regelungen - kritisiert.

Es besteht also offensichtlich erheblicher wirtschafts- und verteilungspolitischer Reformbedarf, um die soziale Absicherung der Betroffenen zu verbessern, die negativen Auswirkungen für das Sozialsystem und die verteilungspolitischen Ungerechtigkeiten zu mildern und die arbeitsmarktpolitischen Fehlentwicklungen aufzuhalten.

Vor dem Hintergrund dieser "prekären" Entwicklung veranstaltete die Friedrich-Ebert-Stiftung eine Fachkonferenz mit dem Titel "Prekäre Beschäftigungsverhältnisse - die Bundesrepublik Deutschland auf dem Weg in die Tagelöhnergesellschaft?", die am 5. Juni 1996 in Leipzig stattfand. Sie konzentrierte sich auf drei besonders häufige Erscheinungsformen prekärer Beschäftigung: auf sozialversicherungsfreie geringfügige Beschäftigungsverhältnisse, auf Leiharbeit und auf Scheinselbständigkeit.

Die Veranstaltung trug zum Informations- und Erfahrungsaustausch über die Verbreitung, die Erscheinungsformen und die Ursachen des Phänomens sowie über den Mißbrauch bei. Die Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt, auf die Arbeitsbeziehungen in den Betrieben, auf den Fiskus und auf das System der sozialen Sicherung wurden analysiert und kritisch diskutiert. Bei der abschließenden Podiumsdiskussion wurden sodann der Handlungsbedarf und die Handlungsmöglichkeiten der zuständigen Akteure ausgeleuchtet und mögliche Strategien und gesetzgeberische Wege zur Bekämpfung der Mißstände aufgezeigt.

Die vorliegende Broschüre faßt die Referate und die Diskussionsbeiträge der Tagung thematisch gegliedert zusammen. Für die Konzeption und Durchführung der Tagung war Diplom-Ökonomin Hannelore Hausmann vom Forschungsinstitut der Friedrich-Ebert-Stiftung verantwortlich. Die Organisation lag in den Händen von Ilona Reuter und Anke Hauske. Der Tagungsbericht wurde von Julia Ortmann, Diplom-Volkswirtin aus Halle, Hannelore Hausmann und Marcus Eichert, Diplom-Politologe aus Bonn verfaßt.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Januar 2001

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