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[Seite der Druckausgabe: 40]


V. Marktwirtschaft als staatliche Veranstaltung


Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung schrieb in seinem Jahresgutachten 1995/96, daß der Transformationsprozeß in Ostdeutschland noch nicht bewältigt, der Weg zur Normalität noch weit sei. In vielen Betrieben sei die Sanierung noch nicht abgeschlossen und die Gewinnschwelle noch nicht erreicht. "Ob die bisher entstandene Unternehmensbasis tragfähig ist und damit die Aufwärtsentwicklung dauerhaft sein kann, muß sich erst zeigen."

Mit Recht wird immer wieder darauf hingewiesen, daß die grundlegenden Bedingungen für eine Investitionsdynamik in Ostdeutschland noch nicht geschaffen sind. Lohnkosten und Produktivität liegen zu eng beieinander, als daß die Unternehmen hinreichend Erträge erwirtschaften, mit denen sie ihre Investitionen finanzieren können. In Ostdeutschland, so stellte das DIW fest, gebe es - trotz des Aufschwungs - keinen Gewinn pro Stunde im Durchschnitt der Gesamtwirtschaft. Damit könne es auch letztlich keine Dynamik der Investitionstätigkeit ohne staatliche Anreize geben.

Damit ist klar: Investieren können Unternehmen in Ostdeutschland nur dann, wenn hinreichend staatliche Anreize vorhanden sind. Umgekehrt gilt: Fallen staatliche Impulse aus oder lassen sie nach, wird die ostdeutsche Wirtschaft zurückfallen - sei es auf den Wachstumspfad der westdeutschen Wirtschaft - dann wird der Aufholprozeß der ostdeutschen Wirtschaft abgebrochen oder sei es unter den westdeutschen Wachstumspfad - dann wird Ostdeutschland das Armenhaus der Republik.

Die öffentlichen Investitionen

Dreh- und Angelpunkt des Investitionsprozeßes sind deshalb nach wie vor die öffentlichen bzw. staatlich induzierten Investitionen. In den Jahren 1991 bis 1995 wurden in allen Wirtschaftsbereichen der neuen Bundesländer 746 Mrd. DM investiert. Der Bundeshaushalt war mit 160 Mrd. DM dabei direkt beteiligt. Das heißt: fast knapp 22 Prozent aller Investitionen in Ostdeutschland wurden direkt aus dem Bundeshaushalt oder vermittelt über die Länder- und Kommunalhaushalte finanziert.

Aus dem Bundeshaushalt wurden zwischen 1991 und 1995 allein 55,7 Mrd. DM an Investitionsfördermittel an die Länder- und Gemeindehaushalte überwiesen.

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[Seite der Druckausgabe: 42]

Die dicksten Brocken waren mit 13,4 Mrd. DM zum einen die Investitionsprogramme des Bundes für die Gemeinden wie das "Gemeinschaftswerk Ost" und seit 1995 das "Investitionsförderprogramm Aufbau Ost", zum anderen die Gemeinschaftsaufgabe "Verbesserung der regionalen Wirtschaftstruktur" mit 15,4 Mrd. DM. Auch die Investitionshilfen des Bundes für den kommunalen Straßenbau sowie den Öffentlichen Personennahverkehr waren mit 9,9 Mrd. DM in diesen Jahren nicht unerheblich, gleiches gilt für die zweite große Gemeinschaftsaufgabe, die 4,5 Mrd. DM für die Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes in den neuen Ländern zur Verfügung stellte.

Vor allem haben die öffentlichen Infrastrukturinvestitionen einen wesentlichen Anteil an der wirtschaftlichen Stabilisierung in den neuen Ländern gehabt. So hat allein die Deutsche Bundespost/Deutsche Telekom zwischen 1991 und 1995 knapp 44 Mrd. investiert. Im Bereich der Verkehrsinvestitionen bei der deutschen Reichsbahn, der Bundesfernstraßen, des Öffentlichen Personennahverkehrs und des kommunalen Straßenbaus sowie der Bundeswasserstraßen gab der Bund über 76 Mrd. DM aus, in den wirtschaftsnahen Infrastrukturen wurde ein Investitionsvolumen von gut 25 Mrd. DM angeschoben.

Sonderabschreibungen und Investitionszulagen

Neben den investiven Ausgaben der Gebietsköperschaften kommt auch den Sonderabschreibungen und Investitionszulagen eine überragende Bedeutung zu, um den Investitionsprozeß in den neuen Ländern in Gang zu halten. Es kann davon ausgegangen werden, daß in den Jahren nach der Vereinigung bis Ende 1995 insgesamt etwa. 38 Mrd. DM an Steuermindereinnahmen aufgrund der eingeräumten Sonderabschreibungs- und Investitionszulagenregelungen für Bund, Länder und Gemeinden angefallen sind. Nach Schätzungen der Bundesregierung wurde dadurch ein Investitionsvolumen in Höhe von 315 Mrd. DM angeschoben, d.h. 50 % der privaten Unternehmensinvestitionen wurden aufgrund steuerlichen Hilfen induziert.

Die Investitionszusagen der Ex-Treuhandunternehmen

Neben den öffentlichen Investitionen und den steuerlichen Hilfen sind es vor allem die Investitionszusagen der privatisierten Ex-Treuhandunternehmen, die die Erneuerung des Kapitalstocks entscheidend beeinflußt haben. Die Treuhandanstalt bot ihre Unternehmen zum Diskountpreis an, häufig noch mit millionenschweren Vergünstigungen, nahezu vollständigen Entschuldungsoperationen, Risikofreistellungen bei Umweltschäden u.a.m., weil sie sich von den Erwerbern Investitions- und Beschäftigungszusagen meistens vertraglich zusichern ließ.

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Über 15.000 Unternehmen hat die Treuhandanstalt im Auftrag der Bundesregierung innerhalb von nur vier Jahren privatisiert. Insgesamt wurden Privatisierungserlöse von rund 67 Mrd. DM erzielt. Die Privatisierer sagten der Treuhandanstalt Investitionen in Höhe von 211 Mrd. DM und 1,5 Millionen Arbeitsplätze zu. Daß die Treuhandanstalt ihre Geschäftstätigkeit mit einem Verlust von 256,4 Mrd. DM zum 31.12.1994 beendete, sei hier nur am Rande vermerkt.

Von den insgesamt vertraglich fixierten Investitionszusagen in der Höhe von 163 Mrd. DM werden in den neun Jahren von 1992 bis 2000 143,4 Mrd. DM oder fast 88% realisiert werden. Ein Drittel der Investitionszusagen entfallen auf das verarbeitende Gewerbe. Die Investitionszusagen der privatisierten ehemaligen Treuhandunternehmen durchschreiten in den Jahren 1995 bis 1997 ihren Höhepunkt. Dann werden zwei Drittel der insgesamt vertraglich fixierten Investitionszusagen realisiert sein.

Investitionszusagen 1992 bis 2000 in Mrd. DM


Investitionszusagen insgesamt

Investitionszusagen im verarbeitenden Gewerbe

Anteil der Investitionszusagen im verarbeitenden Gewerbe an den Investitionszusagen insgesamt

1992

2,2

0,7

31,8

1993

14,6

3,3

22,6

1994

13,8

6,9

50,0

1995

27,8

14,1

50,7

1996

28,4

11,2

39,4

1997

21,8

4,9

22,5

1998

14,5

2,8

19,3

1999

13,0

1,2

9,2

2000

7,3

0,7

9,5

Zusammen

143,4

45,8

31,9

1996 werden fast 80% aller Investitionszusagen der Ex-Treuhandunternehmen im verarbeitenden Gewerbe realisiert sein. Der Höhepunkt ist bereits 1995 mit 14,1 Mrd. erreicht worden. Danach gehen sie wieder deutlich zurück, 1996 allein um

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3,1 Mrd. DM. Im Jahre 1997 wird von den Ex-Treuhandunternehmen nur noch gut ein Drittel der Investitionen des Jahres 1995 realisiert werden.

Es waren vor allem die Ex-Treuhandunternehmen, die in den vergangenen Jahren den Investitionsprozesses im verarbeitenden Gewerbe abgestützt haben. Der Anteil der Investitionen der privatisierten Treuhandunternehmen an den Gesamtinvestitionen im ostdeutschen verarbeitenden Gewerbe war immer schon sehr hoch. Die Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben, das Nachfolgeinstitut der Treuhandanstalt, errechnete, daß zwischen 1992 und 1994 60 Prozent der Investitionen im verarbeitenden Gewerbe in Höhe von 55 Mrd. DM von Ex-Treuhandunternehmen getätigt wurden. Werden die Direktinvestitionen der Treuhandanstalt in Höhe von 5 Mrd. DM noch mitberücksichtigt, dann lag die von der Treuhandanstalt getätigten Investitionen im verarbeitenden Gewerbe sogar bei 70%.

Überdurchschnittlich hoch war der Anteil mit 93% beim Stahl- und Leichtmetallbau, dem Maschinen- und Fahrzeugbau sowie dem Schiffsbau, am niedrigsten war der Anteil mit 28% bei der Mineralölverarbeitung, der Chemischen Industrie, der Kunststoff- und Gummiverarbeitung.

Investitionen in Ostdeutschland im verarbeitenden Gewerbe in Mrd. DM

Jahr

Ex-Treuhand-firmen

Ostdeutschland

Anteil der Ex-Treuhandfirmen an den Investitionen in verarbeitenden Gewerbe insgesamt


in Mrd.

in Mrd.

in Prozent

1991

4,8

12,9

37,2

1992

12,5

17,5

71,4

1993

14,1

18,8

75,0

1994

11,5

18,8

61,2

1995

11,0

20,0

55,0





Zusammen

53,9

88,0

61,2

Allein hieraus kann man ersehen, welch überragende Bedeutung den Investitionszusagen der Ex-Treuhandunternehmen für den gesamten Erneuerungsprozeß im ostdeutschen verarbeitenden Gewerbe zukommt. Doch die ehemaligen Treuhandunternehmen reduzieren ihre Investitionen gerade zu einem Zeitpunkt, an dem auch die investiven Ausgaben des Bundes gesenkt und die steuerlichen Investitionshilfen abgeschmolzen werden. Wie dieser Gesamtausfall an öffentlicher

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Förderung kompensiert werden soll, bleibt bislang ein Geheimnis der Bundesregierung. Investoren sind zurzeit jedenfalls nicht in Sicht, die mit ihrem Geld bereit wären, diese Lücke auszufüllen.

Die investiven Ausgaben des Bundes in den neuen Ländern, die üppigen Sonderabschreibungs- und Investitionszulagenregelungen und nicht zuletzt die großzügigen finanziellen Hilfen des Bundes bei der Privatisierung der über 15.000 Treuhandunternehmen waren die entscheidenden Stützen des wirtschaftlichen Erneuerungsprozesses in Ostdeutschland. Ohne sie hätte es einen unvorstellbaren ökonomischen Kahlschlag gegeben mit katastrophalen Folgen für Gesellschaft und Politik. Doch die Kosten dieser Politik waren enorm und belasten die öffentlichen Kassen in einem Ausmaß, das nicht länger hinnehmbar erscheint.

Der Bluff mit den 1,5 Millionen Beschäftigungszusagen

Wie sieht nun die beschäftigungspolitische Bilanz der Treuhandanstalt aus? Was ist mit den 1,5 Millionen Beschäftigungszusagen? Als die Treuhandanstalt Anfang 1990 noch von der Modrow-Regierung ins Leben gerufen wurde, waren in ihren Unternehmen 4,08 Millionen Menschen beschäftigt. Eineinhalb Jahre später war ihre Beschäftigtenzahl glatt halbiert.

Am 1.10.1995 waren in den vollständig und mehrheitlich privatisierten, reprivatisierten und kommunalisierten ehemaligen Treuhandfirmen rund 950.000 Beschäftigte tätig.

Nach Umfragen der BvS und des LAB wird der Beschäftigtenabbau auch in den kommenden Jahren weitergehen. So ist beabsichtigt, daß im Bergbau knapp 50% der Arbeitsplätze bis Ende 1997 abgebaut werden. In den Ex-Treuhandfirmen des verarbeitenden Gewerbes kommt es zu einem Beschäftigtenabbau von 11% oder 46.000. Schließlich werden auch die aus der Treuhandanstalt hervorgegangenen Beschäftigungsgesellschaften mehr als die Hälfte ihrer Beschäftigten bis zum 1.1.1998 abbauen müssen.

Die von der Bundesregierung immer wieder hochgelobten Beschäftigungszusagen erweisen sich bei näherem Hinsehen als eine Irreführung der Öffentlichkeit, denn in Wahrheit erreichte zu keinem Zeitpunkt die Zahl der Beschäftigten in den Ex-Treuhandfirmen die 1,5 Millionen Marke. Richtig ist: irgendwann, in einem Zeitraum von nur wenigen Jahren oder Monaten nach der Privatisierung des Treuhandunternehmens haben die Erwerber die zugesagten Arbeitsplätze in der

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Regel auch gesichert oder geschaffen, dafür aber andere abgebaut oder Arbeitsplätze vernichtet, nachdem der Vertragszeitraum abgelaufen war. In Wahrheit handelt es sich bei den Beschäftigungszusagen um zeitlich befristete Beschäftigungsbrücken, die für die Beteiligten nicht selten direkt in die Arbeitslosigkeit geführt haben. Dauerhafte Arbeitsplätze wurden in der genannten Größenordnung jedenfalls nicht geschaffen.

Beschäftigungsentwicklung privatisierter Treuhandunternehmen
in 1000


Ex-Treuhandfirmen


Treuhandfirmen


Jahr

Beschäftigte

Veränderung

Beschäftigte

Veränderung






Jan 90



4080


Jul90



3500

-580

Jan 91



2937

-563

Apr91



2653

-284

Okt91

410


2000

-653

Apr92

560

150

1235

-765

Okt92

885

325

560

-675

Apr93

1047

162

337

-223

Okt93

999

-48

213

-124

Apr94

989

-10

137

-76

Okt94

980

-9

94

-43

Okt95

950

-30

18

-76

1.1.1996*

883

-67



1.1.1997*

830

-53



1.1.1998*

816

-14



* Befragung von EX-Treuhandunternehmen durch das IAB und die BvS

Sieht man sich die Beschäftigungsbilanz der Treuhandanstalt insgesamt einmal an, dann ist das Ergebnis alles andere als eine Erfolgsgeschichte. Von den 4,080 Mio. Beschäftigten in den von der Treuhandanstalt verwalteten Unternehmen am Beginn des Jahres 1990 werden zum 1. Januar 1998 gerade einmal 0,814 übriggeblieben sein. Das ist ein Beschäftigtenrückgang von 80% in weniger als acht Jahren.

In keinen anderen Bereich der unternehmensbezogenen Wirtschaftsförderung hatte die Bundesregierung in den Jahren 1990 bis 1994 soviel Geld hineingesteckt wie in die Aktivitäten der Treuhandanstalt. Die steuerlichen Fördermaßnahmen wie

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Sonderabschreibungen und Investitionszulagen, die Zuschüsse im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe "Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur", die vielen, meist kleindimensionierten Hilfen für kleine und mittlere Unternehmen wie das Eigenkapitalhilfeprogramm oder die ERP Programme nahmen sich gegenüber den Finanzmitteln, die der Treuhandanstalt zugute kamen, geradezu bescheiden aus. Erst mit der Beendigung der Privatisierungstätigkeit der Treuhandanstalt, wurden die oben genannten traditionellen Instrumente der unternehmensbezogenen Wirtschaftsförderung verstärkt ausgebaut. Dies gilt jedoch nur bis Ende des Jahres 1996. Dann wird auch diese Förderung drastisch eingeschränkt. Welche Folgen dies für den ostdeutschen Arbeitsmarkt haben wird, kann heute noch niemand verläßlich voraussagen.

Dr. Klaus Funken ist Referent der Querschnittsgruppe Deutsche Einheit in der SPD- Bundestagsfraktion


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Januar 2001

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