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TEILDOKUMENT:
[Seite der Druckausgabe: 28] IV. Strukturelle Probleme der wirtschaftlichen Entwicklung
Ostdeutschlands traditionelle Wirtschaftsstruktur
Der Strukturwandel in Ostdeutschland hat Millionen von Arbeitsplätzen gekostet, aber auch Millionen neuer Arbeitsplätze gesichert und Hunderttausende neu geschaffen. Doch der Strukturwandel ist noch längst nicht abgeschlossen. Auf dem Weg zu einer modernen Wirtschaftsstruktur sind die neuen Bundesländer ein gutes Stück vorangekommen. Es wäre jedoch ein Trugschluß zu meinen, daß der Strukturwandel bereits im Großen und Ganzen bewältigt worden sei.
* Schätzung des Sachverständigenrats im Jahresgutachten 1995/96 Die beiden für eine moderne Wirtschaftsstruktur entscheidenden Sektoren: das verarbeitende Gewerbe und der Dienstleistungssektor sind in Ostdeutschland nach wie vor unterentwickelt, obwohl in den vergangenen Jahre Fortschritte gemacht wurden. Eindeutiger Verlierer des Strukturwandels ist die Investitionsgüterindustrie, hier vor allem der Maschinenbau und die Elektrotechnik. Aber auch die Energieerzeugung, der Bergbau, die Gewinnung von Steinen und Erden, die Textil- und Bekleidungsindustrie sowie die Lederwarenindustrie sind im Strukturwandel seit der Wiedervereinigung weiter zurückgefallen. [Seite der Druckausgabe: 29] Nach wie vor sind die traditionellen Wirtschaftssektoren im Vergleich zur Wirtschaftsstruktur Westdeutschlands deutlich überrepräsentiert. So ist der Anteil der Land- und Forstwirtschaft, von Bergbau und Energie an der Bruttowertschöpfung mehr als doppelt so hoch wie in den alten Ländern. Der Anteil des Baugewerbes an der Bruttowertschöpfung der ostdeutschen Wirtschaft ist sogar dreimal so hoch wie der in Westdeutschland. Der Anteil des Bauhauptgewerbes und des Ausbaugewerbes an der Bruttowertschöpfung des Produzierenden Gewerbes beträgt über 42%. Im Vergleich dazu beträgt dieser Anteil in Westdeutschland lediglich 15%. Auch der Anteil des Staates, der privaten Haushalte und der Organisationen ohne Erwerbscharakter an der Bruttowertschöpfung Ostdeutschlands ist überdurchschnittlich hoch. Nach der Wiedervereinigung ist die traditionelle Industriestruktur der ehemaligen DDR dem Erdboden gleichgemacht worden Ganze Industrieregionen verschwanden von der Bildfläche. Die DDR - und mehr noch die ostdeutsche Wirtschaft vor dem zweiten Weltkrieg - war eine der bedeutendsten Industrieregionen Europas. Von dieser stolzen Vergangenheit ist nach vierzig Jahren Sozialismus nicht mehr viel übrig geblieben. Millionen von Industriearbeitsplätzen konnten nach der Wiedervereinigung dem Wettbewerbsdruck westlicher Mitkonkurrenten nicht standhalten und wurden vernichtet. Die Industriedichte war vor der Wende 1989 höher als die Westdeutschlands. Heute liegt die Industriedichte mit 72 Industriearbeitsplätzen je 1000 Einwohner bei nur noch 50% des Niveaus in Westdeutschland . Doch nicht nur die Wirtschaftsstruktur Ostdeutschlands ist noch untypisch für eine moderne Volkswirtschaft, auch die unternehmensgrößenbezogene Struktur ist unausgewogen. Sieht man von den wenigen prominenten Beispielen von Großinvestitionen einmal ab, ist die ehemals großwirtschaftlich organisierte Wirtschaft der DDR nahezu vollständig verschwunden. Bei aller Bedeutung kleiner und mittleren Unternehmen es fehlen in Ostdeutschland vor allem auch industrielle Großansiedlungen. Es fehlt in der ostdeutschen Wirtschaft an modernen Produktionsanlagen, es fehlt an wettbewerbsfähigen Arbeitsplätzen vor allem in der Industrie, auch in der Großindustrie. Entscheidend kommt es deshalb darauf an, die industrielle Basis in den neuen Bundesländern zu verbreitern und zu verstärken. [Seite der Druckausgabe: 30] Mit der Stärkung des verarbeitenden Gewerbes steht und fällt auch der weitere Anstieg der Beschäftigung in den übrigen Dienstleistungen. Die Anbieter von produktionsorientierten Dienstleistungen sind auf die Nachfrage der industriellen Warenproduzenten angewiesen. Beide Sektoren sind eng miteinander verflochten, der Erfolg des einen mit dem des anderen verbunden. Würde in Ostdeutschland eine Wirtschaftsstruktur ähnlich wie diejenige Westdeutschlands entstehen, dann müßte sich allein in der ostdeutschen Industrie die Zahl der Arbeitsplätze von heute gut 0,6 Mio. auf 1,2 bis 1,5 Millionen mehr als verdoppeln. Die Exportbasis ist zu eng
Eine zentrale Voraussetzung für mehr Wachstum und Beschäftigung ist die Verbreiterung der Exportbasis der ostdeutschen Industrie. Hier sind aber in den vergangenen Jahren praktisch kaum Fortschritte erzielt worden. Der Exportumsatz am Gesamtumsatz des verarbeitenden Gewerbes hat sich bislang kaum von seinem Tierpunkt im Jahre 1993 wegbewegen können. Es fehlt den ostdeutschen Firmen, die nicht am Vertriebsnetz ihrer westdeutschen oder ausländischen Muttergesellschaften hängen, an hinreichenden Marktkenntnissen, an erfolgversprechenden Verkaufsstrategien, an international identifizierbaren Produktnamen, an risikofreudigen Finanzierungsformen, überhaupt an einem umfassenden, den internationalen Wettbewerbverhältnissen angepaßten Management know how. Dem Wettbewerb auf den hart umkämpften internationalen Märkten sehen sich ostdeutsche Unternehmen nicht selten hilflos ausgesetzt und - nicht ganz zu Unrecht - von der Politik allein gelassen. Denn die wenigen staatlichen Hilfen reichen bei weitem nicht aus, um die vorhandenen Defizite zu kompensieren. Investitionstätigkeit im verarbeitenden Gewerbe unzureichend
Der Löwenanteil der Investitionen von allen Wirtschaftsbereichen Ostdeutschlands fiel auf die Wohnungswirtschaft. Von den 953 Mrd. DM, die in den Jahren 1991 bis 1996 in den neuen Ländern investiert wurde, entfielen 390 Mrd. DM (oder knapp 41%) auf die Wohnungswirtschaft, die bis Ende 1996 von den öffentlichen Händen großzügig mit steuerlichen Hilfen bedacht wird. Der Dienstleistungsbereich investierte im gleichen Zeitraum 340 Mrd. DM und ist damit nach der Wohnungswirtschaft zweitgrößter Investor. An dritter Stelle folgt [Seite der Druckausgabe: 31]
[Seite der Druckausgabe: 32] erst das Produzierende Gewerbe mit einer gesamten Investitionssumme von 270 Mrd. Das waren nur 28% aller Investitionen in Ostdeutschland. Der Staat und die Organisationen ohne Erwerbscharakter investierten im gleichen Zeitraum 155,6 Mrd. DM, das ist ein Anteil an den gesamtwirtschaftlichen Investitionen von gut 16%. Betrachtet man die Sektoren Verschiebungen bei der Investitionstätigkeit, dann stellt man fest, daß der Anteil der Wohnungswirtschaft an den Investitionen aller Wirtschaftsbereiche kontinuierlich anstieg - von 34,12% im Jahre 1991 auf 46,27% im Jahre 1996. Dagegen sank der Anteil des Produzierenden Gewerbe - ebenfalls kontinuierlich - von 32,91% im Jahre 1991 auf 24,92% im Jahr 1996. Auch an dieser Entwicklung ist erkennbar, an welcher Stelle wirtschaftspolitisch angesetzt werden muß, um den wirtschaftlichen Aufbau in Ostdeutschland voranzubringen. Die Produktionslücke in Ostdeutschland...
Die Unternehmen Ostdeutschlands sind mit ihrem Angebot nach wie vor nicht in der Lage, die inländische Nachfrage nach Gutem und Dienstleistungen zu befriedigen. Diese Lücke - die sogenannte Produktionslücke - ist in den vergangenen Jahren sogar noch weiter gewachsen: Von 152 Mrd. DM 1991 auf 210 Mrd. DM Jahre 1994 - mit wahrscheinlich steigender Tendenz im letzten Jahr.
Die Produktionslücke, im wesentlichen durch Waren und Dienstleistungen aus den westlichen Bundesländern gefüllt, sichert westlich der Elbe Arbeit und Beschäftigung. [Seite der Druckausgabe: 33] ... schafft Arbeit in Westdeutschland Die Versorgung Ostdeutschlands mit Waren und Dienstleistungen ist für westdeutsche Unternehmen mit ihren Beschäftigten somit ein wahrer Segen. Dem Abbau der Beschäftigung in den neuen Bundesländern von 3,477 Mio. im Zeitraum von 1989 bis 1994, stand in den westlichen Bundesländern ein Beschäftigungszuwachs von 1 Mio. Erwerbstätigen gegenüber, nämlich von 27,658 Mio. auf 28,654 Mio. Allein die Füllung der Produktionslücke in Ostdeutschland hatte 1994 eine zusätzliche Beschäftigung in den westdeutschen Ländern in einer Größenordnung von 5 - 7 % des Bruttoinlandsprodukts oder 1,4 - 1,9 Mio. Arbeitsplätze gesichert. Der Osten holt zwar auf ...
Die (öffentlichen und privaten) Investitionen je Einwohner haben sich seit 1991 von 5.800 DM auf 13.340 im Jahre 1994 mehr als verdoppelt. Die Pro-Kopf Investitionen überstiegen 1993 erstmals das westdeutsche Niveau. Im ostdeutschen produzierenden Gewerbe sind 1995 ca. 3.600 DM pro Einwohner investiert worden, das ist das 1,8 fache des westdeutschen Vergleichswertes. Gegenüber dem Kahlschlag am Beginn der neunziger Jahre konnte zwischenzeitlich ein erfolgreicher wirtschaftlicher Aufbauprozeß in Gang gesetzt werden. Doch er steht erst am Anfang. Zwischenzeitlich wird in den neuen Bundesländern sowohl bei den Bauten wie auch bei den Ausrüstungen je Einwohner mehr investiert als in den alten Bundesländern. Das ist aber auch bitter nötig, wenn Ostdeutschland mit Westdeutschland wirtschaftlich gleichziehen will. Bei den Anlageinvestitionen insgesamt wurde das westdeutsche Niveau 1994 um gut 30 % überschritten. Der Staat leistete dabei den größten Beitrag. Pro Einwohner investierte der Staat bei den Anlageinvestitionen in Ostdeutschland ca. 76 % mehr als in Westdeutschland, gefolgt von den Unternehmen, die je Einwohner gut 42 % mehr in den neuen Bundesländern als in den alten Bundesländern investierten. Bei den Bauinvestitionen lag der Unternehmenssektor an der Spitze, der je Einwohner mehr als doppelt soviel in Bauten der neuen Länder investiert als in die der alten Länder. Hier folgten an zweiter Stelle die öffentlichen Hände. [Seite der Druckausgabe: 34] Eindeutiger Schwerpunkt sind bislang die Bauinvestitionen, während die Ausrüstungsinvestitionen relativ zurückgeblieben sind. Bei den Ausrüstungsinvestitionen hat der Staat anteilmäßig den größten Beitrag geleistet, während die privaten Unternehmen trotz großzügiger Förderung eher zögerlich bereit waren, ihr Geld in neue Maschinen und industrielle Anlagen anzulegen. So verwundert es nicht, daß der Kapitalbestand im Unternehmenssektor bei den Bauten deutlich höher liegt als bei den Ausrüstungen. Der Bestand an Ausrüstung je Einwohner erreichte zu Beginn des Jahres 1991 26 % des westdeutschen Niveaus, diese Relation hat sich bis zum Beginn des Jahres 1995 auf 43 % erhöht. Bei den Bauten ist das Ost-West-Verhältnis im gleichen Zeitraum lediglich von 61 % auf 64 % gestiegen. ... doch es ist noch ein langer Weg, bis das westdeutsche Produktionspotential pro Kopf erreicht ist
Zwar ist die Erneuerung des Kapitalstocks in den vergangenen Jahren vorangekommen, doch klafft bei den Bruttoanlagevermögen pro Kopf immer noch eine beträchtliche Lücke zwischen Ost und West.
Das Bruttoanlagevermögen der Unternehmen ohne Wohnungsvermietung in Westdeutschland betrug 1994 5.952 Mrd. DM, das Bruttoanlagevermögen in den neuen Bundesländern betrug dagegen nur 727 Mrd. DM. Das Bruttoanlagevermögen pro Kopf der Bevölkerung ist in den neuen Bundesländern nur halb so groß wie das in Westdeutschland. Pro Kopf der Bevölkerung lag das Bruttoanlagevermögen in Westdeutschland bei 90.870 DM, während es in Ostdeutschland nur bei 46.903 DM lag. Den Bevölkerungsanteil Ostdeutschlands unterstellt, [Seite der Druckausgabe: 35] müßte das Bruttoanlagevermögen in Ostdeutschland jedoch ca. 1.400 Mrd. DM ausmachen. Hieraus läßt sich leicht abschätzen, welch große Aufgabe Ostdeutschland noch bevorsteht, um mit Westdeutschland ökonomisch gleichzuziehen. Das Problem ist allerdings, daß die Leistungsfähigkeit der ostdeutschen Betriebe wieder nachgelassen hat, die Unternehmen gerade im industriellen Bereich im Durchschnitt noch keine Erträge erwirtschaften, mit denen sie ihre Expansion finanzieren können. Der Abstand in der Leistungsfähigkeit zwischen Ost und West nimmt wieder zu
In den Jahren 1990 bis 1992 holte die ostdeutsche Wirtschaft gegenüber der westdeutschen mächtig auf: die alten Maschinen und Anlagen wurden verschrottet, der Kaptialstock wurde erneuert und erweitert. Vor allem wurden Beschäftigte entlassen, die für die Leistungserstellung nicht mehr benötigt wurden. Pro Kopf der Erwerbstätigen konnte das Bruttoinlandsprodukt in den neuen Ländern deutlich erhöht werden. In den neuen Ländern stieg die Produktivität pro Kopf der Erwerbstätigen von 28.138 DM im Jahre 1991 auf 55.037 DM 1994 oder um über 95%, doch ist die extrem niedrige Ausgangslage zu berücksichtigen. So lag die Produktivität in Ostdeutschland 1990 lediglich bei knapp einem Drittel des westdeutschen Niveaus. Es wurden zwar deutliche Fortschritte bei der Produktivitätsentwicklung erzielt, sie reichten allerdings noch bei weitem nicht aus, um die Produktivitätslücke zu Westdeutschland zu schließen. Denn auch in Westdeutschland stieg die Produktivität pro Kopf der Erwerbstätigen von 90.705 DM im Jahre 1991 auf 103.769 DM oder um 14,4% im Jahre 1994. In den Jahren 1993 und 1994 ließ der Anstieg der Produktivität in Ostdeutschland allerdings deutlich nach. Die ostdeutsche Wirtschaft hat im vergangenen Jahr bei der Produktivitätsentwicklung ihre Aufholjagd gegenüber Westdeutschland praktisch eingestellt. Wurde der Produktivitätsrückstand 1992 und 1993 noch deutlich abgebaut, so verlangsamte sich die Aufholjagd 1994, um dann im ersten Halbjahr 1995 zum Stillstand zu kommen. [Seite der Druckausgabe: 36]
Besonders beunruhigend ist die Produktivitätsentwicklung, wenn man sie den Arbeitskosten in den neuen Ländern gegenüberstellt. Die Fortschritte bei der Produktivitätsentwicklung wurden durch die forcierte Anpassung der Löhne an das westdeutsche Lohnniveau weit überkompensiert. Das Bruttoeinkommen aus unselbständiger Arbeit stieg von 177,9 Mrd. DM 1991 auf 250,0 1994. Das war ein Anstieg von gut 40%. Pro Erwerbstätigen stieg das Bruttoeinkommen aus unselbständiger Arbeit sogar um gut 63%. Das Bruttoeinkommen pro Kopf der Erwerbstätigen stieg dagegen in Westdeutschland um nur 11% mit der Folge, daß die Bruttoeinkommen der Arbeitnehmer in Ostdeutschland sich sehr schnell an das Einkommensniveau der westdeutschen Arbeitnehmer angepaßt haben.
Betrug das Bruttoeinkommen aus unselbständiger Arbeit in Ostdeutschland 1991 noch knapp 50% der westdeutschen Einkommen, so war es gut drei Jahre später schon auf knapp 75% gestiegen. [Seite der Druckausgabe: 37] Es sind diese forcierten Einkommensanpassungen, die das Investieren in den neuen Ländern so unendlich schwer und unattraktiv gemacht haben. Die absoluten Lohnstückkosten in Ostdeutschland, die am Beginn der neunziger Jahre noch deutlich zurückgingen, gehen seit etwa drei Jahren nur sehr langsam weiter zurück. Im gleichen Zeitraum sanken sie in Westdeutschland jedoch relativ schneller mit der Folge,...
* Bruttoeinkommen aus unselbständiger Arbeit je 100 DM Bruttoinlandsprodukt ...daß im ersten Halbjahr 1995 die absoluten Lohnstückkosten in den neuen Bundesländern gegenüber den westdeutschen Lohnstückkosten sogar um fast 3 Prozentpunkte wieder angestiegen sind. Damit hat sich zum ersten mal seit der Vereinigung der Abstand in der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit zwischen Ost- und West wieder vergrößert. Da die ostdeutschen Unternehmen seit der Einführung der Wirtschafts- Währungs- und Sozialunion am 1.7.1990 voll dem internationalen Wettbewerb ausgesetzt waren, hätte es darauf an kommen müssen, die Produktivitätslücke zu Westdeutschland - durch einen massiven Investitionsprozeß auch und vor allem in verarbeitenden Gewerbe - so schnell als möglich zu schließen und mit einer investitions- und beschäftigungsorientierten Lohnpolitik den Unternehmen die Möglichkeit zu geben, ihre Eigenmittel zur Erweiterung ihrer unternehmerischen Aktivitäten selbst zu verdienen. Dies ist bislang nicht möglich. So ist der wirtschaftliche Aufbauprozeß weiterhin auf die öffentliche Investitionstätigkeit bzw. die staatlichen Hilfen für private Investitionen angewiesen. Die Bundesregierung muß sich fragen lassen, warum Unternehmen angesichts der hohen Lohnstückkosten und der mageren Gewinnerwartungen in den neuen Ländern eigentlich investieren sollen, wenn ihnen nun auch noch die öffentlichen Hilfen zusammengestrichen werden. [Seite der Druckausgabe: 38] Die Entkopplung von Wachstum und Beschäftigung: "jobless growth"
Auch in Ostdeutschland finden wir das Phänomen, das Ökonomen mit dem Terminus "jobless growth", d.h. die Abkopplung von Wirtschaftswachstum und Beschäftigungsentwicklung, gekennzeichnet haben. Vor und unmittelbar nach der Wiedervereinigung brachen die alten Strukturen der DDR-Wirtschaft regelrecht zusammen. Das Bruttoinlandsprodukt ging im Jahresverlauf 1990 bis zum 1. Quartal 1991 um fast 1/3 zurück, die Industrieproduktion sank sogar um 70 %. Nach dem Tiefpunkt Anfang 1991 stieg das Bruttoinlandsprodukt seit dem 2. Quartal kontinuierlich an, während die Beschäftigungsentwicklung erst im Laufe des Jahres 1993 ihre Talsohle durchschritten hatte. Während das Bruttoinlandsprodukt von 1991 bis 1995 von 206 Mrd. DM auf 272 Mrd. DM (in Preisen von 1991) anstieg, ging im gleichen Zeitraum die Zahl der Erwerbstätigen von 7,321 Mio. 1991 auf 6,436 Mio. 1994 zurück. Das ist ein Rückgang von 0,885 Millionen.
Nirgendwo zeigen sich die Schwächen des wirtschaftlichen Aufbaus in Ostdeutschland so kraß wie bei der Entwicklung der Beschäftigten im verarbeitenden Gewerbe. Vom Jahresbeginn 1991 ist die Beschäftigung im verarbeitenden Gewerbe bis Ende 1995 um nicht weniger als 70 % zurückgegangen. Auch im Jahre 1995 verzeichnen wir noch keinen Beschäftigungszuwachs. Mit zehn Prozent aller Erwerbstätigen liegt die Beschäftigtenquote in der ostdeutschen Industrie deutlich unter dem westdeutschen Durchschnitt. Gleichzeitig ist hier die Ertragslage besonders ungünstig, was das Investieren und Arbeitsplätzeschaffen nachhaltig erschwert. Ostdeutschland braucht aber gerade im verarbeitenden Gewerbe [Seite der Druckausgabe: 39] und in den industrienahen Dienstleistungen mehr Kapazitäten, um einen gesunden Mix in der Wirtschaftsstruktur insgesamt zu erhalten.
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