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TEILDOKUMENT:


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4. Zusammenfassende Thesen


(1)

Steigender Wettbewerbsdruck, die Notwendigkeit eines leistungsfähigen Schienenverkehrssystems auf europäischer Ebene und die katastrophale Finanzsituation der Deutschen Bahnen erfordern eine umfassende Bahnstrukturreform.

(2)

Ziele der Bahnstrukturreform sind insbesondere die mittel- und langfristige Entlastung des Bundeshaushaltes, die Entschuldung der beiden Deutschen Bahnen und die Schaffung der Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens DBAG am Markt.

(3)

Das Gesetzgebungsverfahren hat bereits begonnen. Zu beraten sind die Gesetzentwürfe der Bundesregierung. Diese setzen sich zusammen aus einem Entwurf zur Änderung des Grundgesetzes und einem Gesetzentwurf zur Neuordnung des Eisenbahnwesens.

(4)

Im ersten Schritt der institutionellen Trennung von Fahrweg und Betrieb gehen die Sondervermögen Deutsche Bundesbahn und Deutsche Reichsbahn in das Bundeseisenbahnvermögen über. Der unternehmerische Bereich des Bundeseisenbahnvermögens wird in Form der Deutsche Bahn Aktiengesellschaft ausgegliedert. Innerhalb der DBAG sind die Geschäftssparten Personenverkehr, Güterverkehr und Fahrweg organisatorisch zu trennen. Nach spätestens drei Jahren sind diese Sparten als selbständige Aktiengesellschaften unter dem Dach der Holding DBAG zu führen. Nach weiteren fünf Jahren soll diese Holding aufgelöst werden.

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Im Rahmen der Bahnstrukturreform ist neben der institutionellen Trennung von Fahrweg und Betrieb eine faktische Trennung zu vollziehen, welche dritten Anbietern von Schienenverkehrsleistungen einen diskriminierungsfreien Zugang zum Netz gewährleistet. Hinsichtlich der faktischen


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Trennung erweist sich die Definition der Trennungslinie zwischen den traditionell integrierten Bereichen Fahrweg und Eisenbahntransportbetrieb als besonders problematisch.

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Im Zuge der Umstrukturierung der Sondervermögen zur privatrechtlichen Unternehmensform der Aktiengesellschaft muß eine Personalüberleitung sowohl von Beamten als auch von Angestellten und Arbeitern stattfinden. Kernpunkt ist dabei die Beurlaubungsregelung für jene Beamte, die nach Übernahme vom Bundeseisenbahnvermögen der DBAG zugewiesen werden sollen.

(7)

Essentieller Bestandteil der Strukturreform ist die Befreiung der Bahn von der Erfüllung gemeinwirtschaftlicher Leistungen. Die zukünftige DBAG ist nicht mehr verpflichtet, unrentable Relationen, welche vorwiegend in der Fläche existieren, zu bedienen.

(8)

Die Aufgaben- und Finanzverantwortung für den ÖPNV soll auf die regionale Ebene übergehen (Stichwort: Regionalisierung). Nach dem Bestellprinzip können die zuständigen Behörden vor Ort die benötigten Leistungen bei der DBAG in Auftrag geben.

(9)

Insbesondere die strittigen Fragen zur Regionalisierung gefährden einen raschen Ablauf des Gesetzgebungsverfahrens. Mit besonderen Problemen behaftet sind die Festlegung von Höhe und Struktur des Finanzausgleichs zwischen Bund und Ländern sowie die Finanzierungsquellen. In diesem Zusammenhang werden die Neufestsetzung des Verteilungsschlüssels der Umsatzsteuer zwischen Bund und Ländern sowie die Erhebung von Autobahngebühren und ein zweckgebundener Länderanteil an der Mineralölsteuer diskutiert. Um eine effiziente Bestellpolitik auf regionaler Ebene realisieren zu können, muß gewährleistet sein, daß die den Ländern zugewiesenen Mittel auch letztlich den bestellenden Gebietskörperschaften zur Verfügung stehen. Diesbezüglich fehlen bislang gesetzliche Regelungen noch völlig.


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Die Bahnstrukturreform beinhaltet die Schaffung eines Schienenwegeausbaugesetzes inclusive Bedarfsplan, der den Ausbau des Schienennetzes zum Gegenstand eines parlamentarischen Gesetzesbeschlusses macht. Dem Bund obliegt die Förderungspflicht für den Neu- und Ausbau der Schienenwege, wobei bei der derzeitigen Ausgestaltung der Gesetzentwürfe nicht ausgeschlossen werden kann, daß auch Gebietskörperschaften und Dritte zur Finanzierung von Investitionen in die Schienenwege herangezogen werden.

(11)

Nach vollzogener Trennung von Fahrweg und Betrieb erhält die Fahrweg AG von den Eisenbahnunternehmen ein Entgelt für die Nutzung der Trassen. Dieses Benutzungsentgelt muß diskriminierungsfrei bestimmt werden und den EG-rechtlichen Verordnungen entsprechen. Dabei wird angestrebt, daß die Einnahmen aus den Benutzungsentgelten die Kosten der Fahrweg AG decken. Offen ist, wer die Kosten im Falle einer Unterdeckung trägt. Im Zusammenhang mit der Festlegung des Benutzungsentgelts müssen die Wegekosten ermittelt werden. Für die Aussagekraft entsprechender Wegerechnungen gelten aufgrund unterschiedlicher Bewertungsansätze zur Zeit noch enge Grenzen.

(12)

Es wird erwartet, daß die Umstrukturierung der Bahn von einem nichtrechtsfähigen Sondervermögen des Bundes zu einem wirtschaftlich handelnden Unternehmen zu sog. "AG-Effekten" führt. Insgesamt wird mit einem Einsparungspotential von über 100 Mrd DM gerechnet. Sind diese Einsparungen erst mit einem time-lag zu realisieren, wird die DBAG aufgrund des starken Wettbewerbsdrucks des Straßengüterverkehrs und des geringen Verlagerungspotentials im Personenverkehr in der Umstrukturierungsphase einer kritischen finanziellen Situation gegenüber stehen.

(13)

Durch die in Gang gesetzte Strukturreform werden neue rechtliche Rahmenbedingungen für die Deutschen Bahnen geschaffen. Es wird angenommen, daß die Bahnen auf dieser Basis


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  • auf die Herausforderungen des europäischen Binnenmarktes reagieren zu können,
  • am Verkehrswachstum sowohl im Personen- als auch im Güterverkehr partizipieren,
  • dadurch zu einer Entlastung des Straßennetzes und zur Reduzierung der CO2-BeIastung beitragen und
  • nicht zuletzt den Bundeshaushalt spürbar entlasten.

(14)

Eine bloße Änderung der Rechts- und Organisationsform allein garantiert aber noch nicht den Erfolg der Bahnstrukturreform. Notwendig ist ein tragfähiges Sanierungskonzept, das Bestandteil einer grundlegenden Neuorientierung der deutschen und europäischen Verkehrspolitik sein muß. Der Bahn müssen faire Wettbewerbschancen eingeräumt werden. Hierbei spielt die europaweit gerechte Anlastung der Wegekosten und der externen Kosten bei allen Verkehrsträgern eine zentrale Rolle.

(15)

Wie erfolgreich per Saldo die Bahnstrukturreform sein wird, hängt nicht zuletzt davon ab, inwieweit der von der Regierungskommission Bahn aufgezeigte Weg trotz parteipolitischer Zwänge, Verbandsinteressen sowie konkurrierender Zielsetzungen von Bund, Ländern und Gemeinden eingeschlagen wird. Wird in den offenen Punkten keine tragfähige Lösung erzielt, besteht die ernste Gefahr, daß die Bahnstrukturreform nur ein "Verschiebebahnhof" der finanziellen Lasten von der Bahn zum Bundeshaushalt wird.

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Tagungsleitung und Referenten

Klaus Daubertshäuser, MdB, verkehrspolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Bonn

Winfried Didzoleit, Redakteur, Nachrichten-Magazin DER SPIEGEL, Bonn (Tagungsleiter)

Roland Heinisch, Vorstandsmitglied der Deutschen Bundesbahn und Deutschen Reichsbahn, Frankfurt/Main

Peter Reinhardt, Ministerialdirektor, Abteilungsleiter Eisenbahnen im Bundesministerium für Verkehr, Bonn

Rudi Schäfer, Vorsitzender der Gewerkschaft der Eisenbahner Deutschlands, Frankfurt/Main

Ernst Welteke, Minister für Wirtschaft, Verkehr und Technologie des Landes Hessen, Wiesbaden

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Teilnehmer der Podiumsdiskussion

Christian Bauer, Ministerialdirigent, Unterabteilungsleiter "Finanzpolitische Fragen einzelner Bereiche, Wirtschaftsförderung" im Bundesministerium der Finanzen, Bonn

Rainer Graichen, Bundesvorsitzender des Verkehrsclubs der Bundesrepublik Deutschland VCD, Bonn

Roland Heinisch, Vorstandsmitglied der Deutschen Bundesbahn und Deutschen Reichsbahn, Frankfurt/Main

Manfred Montada, Ass. jur., Geschäftsführer Güterverkehr des Verbandes Deutscher Verkehrsunternehmen, Köln

Dr. August Ortmeyer, Leiter der Verkehrsabteilung im Deutschen Industrie- und Handelstag, Bonn

Peter Reinhardt, Ministerialdirektor, Abteilungsleiter Eisenbahnen im Bundesministerium für Verkehr, Bonn

Ernst Welteke, Minister für Wirtschaft, Verkehr und Technologie des Landes Hessen, Wiesbaden


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