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[Seite der Druckausgabe: 48]

7. Leitlinien für eine sozialverträgliche Innenstadtsanierung

Die Revitalisierung der ostdeutschen Innenstädte ist eine erstrangige sozial- und wirtschaftspolitische Aufgabe. Der Verfall von Stadtquartieren und ganzer Innenstädte bewirkt bei den Bewohnern soziale Erosion, reduziert das Wirtschafts- und Geschäftsleben, hält Besucher und Benutzer von den betroffenen Stadtquartieren ab und führt damit zum Niedergang von städtischen Leben und Lebensformen. Die von vielen Kommunen gewählte Lösung, große Gewerbegebiete "auf dem flachen Land" auszuweisen, fördert diese Tendenzen.

Die Wiedervereinigung eröffnete auch vielen Kommunen in den neuen Bundesländern die Chance, auf der Grundlage langfristig orientierter Stadtentwicklungskonzepte alte Bausubstanz zu rekonstruieren und Neubauten stadtverträglich hinzuzufügen. Dabei sind nach den Konzeptionen des Ministeriums für Stadtentwicklung, Wohnen und Verkehr des Landes Brandenburg folgende Grundsätze zu beachten:

  • Zusammenführung von Wohnen und Gewerbe

    Hinter diesem Ziel der Innenstadtsanierung steht nicht der nostalgische Wunsch nach Wiederherstellung von Hinterhofidyllen. Letztere waren oft nur für den Betrachter idyllisch, der dort nicht leben und arbeiten mußte. Die Nähe von Wohnen und Arbeiten hat bei der Entwicklung der Innenstädte in den neuen Bundesländern eine wichtige soziale Funktion. 'Sozial' ist in diesem Zusammenhang übergreifend zu verstehen und schließt eine umweltverträgliche Funktionsmischung ein. "Entfremdung von der Arbeit" hat seine Bedeutung auch als "Fremdsein in den Arbeitsorten". Es ist eine zentrale Aufgabe der sozialverträglichen Stadtsanierung, dieses Fremdsein abzubauen. Städte müssen wieder sozial erlebbar gemacht werden. Sie dürfen nicht zu Orten degenerieren, an denen man nur arbeitet oder einkauft. Statt dessen sind sie zu Plätzen zu entwickeln, an denen man "lebt". Notwendig erscheint es, die Städte wieder stärker als komplexe Einheit zu entwickeln. Die dabei notwendige Parallelität von Planung, Neuordnung, Sicherung und Erneuerung der Bausubstanz des Hoch- und Tiefbaus bestimmt den Schwierigkeitsgrad der städtebaulichen Erneuerung in den neuen Bundesländern und erfordert ein enges Zusammenwirken unterschiedlicher Fachplanungen.

[Seite der Druckausgabe: 49]

  • Umweltgerechte Verkehrspolitik

    Verkehr sollte - soweit es möglich ist - vermieden werden. Das abgasfreie Auto, der vollbesetzte Bus, das neu entwickelte Straßenbahnnetz sind nur die zweitbesten Lösungen einer umweltgerechten Verkehrspolitik. Sinnvoller erscheint es, die Notwendigkeit von Verkehrsleistungen zu reduzieren. Eine wichtige Voraussetzung hierfür ist die Entwicklung einer Stadtstruktur, in der die Funktionen Wohnen, Arbeiten und Freizeit eine räumliche Einheit bilden. Hierdurch erhalten auch die weniger mobilen Bevölkerungsgruppen bessere Chancen zur Teilnahme am gesellschaftlichen Leben.

  • Revitalisierung historischer Stadtkerne

    Die Forderung nach Revitalisierung der historischen Stadtkerne schließt deren Anpassung an die Bedürfnisse der Zeit bei Wahrung der Eigenart von städtebaulichen Ensembles und Baudenkmalen ein. Die Revitalisierung sollte in erster Linie nicht eine "museale" Rekonstruktion zu Betrachtungszwecken zum Ziel haben, sondern dazu beitragen, die historischen Stadtkerne mit wirklichem Leben zu erfüllen.

  • Sozialverträgliche Finanzierung

    Die neuen Bundesländer und die Bundesregierung haben für die Aufgaben der Sanierung der Innenstädte beachtliche Finanzhilfen zur Verfügung gestellt. Im Verhältnis zu den zu lösenden Aufgaben bleiben diese jedoch völlig unzureichend. Öffentliche Subventionen können nur unterstützend wirken. Erforderlich sind vor allem private Finanzierungsmodelle. Dabei geht es auch um Sozialverträglichkeit, denn alle stadtentwicklungspolitischen Ziele sollten sich sowohl im gewerblichen als auch im wohnungswirtschaftlichen Bereich primär an den Bedürfnissen der Menschen orientieren.

    Die sozial verträgliche Innenstadtsanierung erfordert dabei neue Wege in der Investitionsförderung und im Zusammenspiel unterschiedlicher Förderprogramme. Neben einem möglichst flächendeckenden Einsatz der Städtebauförderung zur Behebung akuter Mißstände und zur Vermeidung weiterer Substanzverluste ist eine Konzentration der Mittel auf Modelle erforderlich. Diese tragen dazu bei, Erfahrungen mit der Anwendbarkeit des bundes- und landesgesetzlichen Instrumentariums zu sammeln, leistungsfähige kommunale Verwaltungs- und Organisationsstrukturen aufzubauen und qualifiziertes Fachpersonal in der planenden und planumsetzenden Verwaltung heranzubilden.

[Seite der Druckausgabe: 50]

  • Bezahlbare Mieten für Wohn- und Gewerberaum

    Lebendige Innenstädte können sich nur entwickeln, wenn die Mieten für Wohn- und Gewerberaum bezahlbar bleiben und nicht zur Verdrängung der dort lebenden und arbeitenden Menschen führen. Die Forderung nach bezahlbaren Mieten wird im Land Brandenburg nicht aus politischer Opportunität erhoben, sondern als zwingende Folgerung eines ernstgenommenen Verfassungsauftrages gesehen. Die Schaffung von Wohnraum und Gewerbeflächen ist für die neuen Bundesländer nicht allein eine wirtschaftliche Aufgabe. Vielmehr bleibt sie in den kommenden Jahren auch ein zentraler sozialpolitischer Auftrag.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Oktober 2000

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