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1. Von der Pechblende zum Atomsprengstoff. Der Uranbergbau in Sachsen und Thüringen

Pechblende, so nannten Bergleute in Thüringen und Sachsen das schwarze, schwere Mineral, das sie beim Abbau von Kupfer-, Silber- und anderen Metallerzen immer wieder vorfanden, ohne rechte Verwendung dafür zu haben. Obwohl man das Mineral seit Jahrhunderten kannte, gelang erst dem Analytiker Heinrich Klaproth im Jahre 1789 der Nachweis, daß sich in der Pechblende ein neues Metall befindet. Einer früheren Tradition folgend, Metalle nach den Planeten des Sonnensystems zu benennen, bezeichnete er das Metall als Uranium, orientiert am Namen des wenige Jahre zuvor entdeckten neuen Planeten Uranus.

Zu Beginn des 19. Jahrhunderts fanden Uranerze vor allem als Rohstoff zur Herstellung von Farben für die Glas- und Keramikindustrie Verwendung, später auch in der Fotographie. Nachdem um die Wende zum 20. Jahrhundert die Radioaktivität entdeckt wurde und sich in den folgenden Jahrzehnten die Modelle vom Aufbau der Atome verfeinerten, gelang Ende der dreißiger Jahre der Nachweis, daß Uranatome unter Freisetzung von Energie künstlich gespalten werden können. Während des zweiten Weltkrieges rückte das Uran in den USA - und wohl auch in der Sowjetunion - in den Mittelpunkt militärischer Geheimforschung, die nach Wegen suchte, Atomenergie für Waffen mit einer bis dahin nicht gekannten Zerstörungskraft zu nutzen. Zwar hat das spaltbare Uranisotop 235 (92 Protonen und 143 Neutronen im Atomkern) am Natururan nur einen Anteil von 0,7 Prozent, das heißt, auf einen spaltbaren Atomkern Uran 235 kommen rund 139 nicht spaltbare Uran-238-Atomkerne (mit 92 Protonen und 146 Neutronen). Aber mittels Anreicherungs- und Brütertechnologien läßt sich das Natururan zu waffenfähigem Kernsprengstoff sowie für den Einsatz in Kernreaktoren aufbereiten.

Das Interesse am Bau von Atomwaffen war dann auch der Grund dafür, daß sofort nach Abzug der Amerikaner aus Sachsen und Thüringen sowjetische Geologen an Hand alter Karten und mit Unterlagen über frühere Silberbergwerke im Herbst 1945 die dortigen Bergbaugebiete nach Uranerzvorkommen erkundeten. Zunächst wurden im Frühjahr 1946 alte Silberstollen im Erzgebirge neu aufgeschlossen, so bei Marienberg, Annaberg, Schneeberg, Oberschlema und Johanngeorgenstadt. Nachdem sowjetische Geologen auch in Thüringen Uranerz gefunden hatten, stellten die sowjetischen Besatzer im Mai 1947 alle mit dem Uranerzbergbau beschäftigten Betriebe unter die Leitung der neu gegründeten Sowjetischen Aktiengesellschaft Wismut (SAG Wismut). Der erste Tiefbau im Ronneburger Erzfeld, Ostthüringen,

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begann 1951 inmitten des Dorfes Schmirchau. In den folgenden Jahren wurden die Tagebaue Sorge-Settendorf, Trünzig und Katzendorf aufgeschlossen. Die Bewohner der dem Erzbergbau zum Opfer fallenden Ortschaften siedelte man im gesamtem Süden der damaligen DDR neu an.

Während Uranerzvorkommen bis zu 150 und 200 Meter Tiefe im Tagebau geschürft werden, baut man tiefer liegende Schichten unter Tage ab. Bei beiden Verfahren fällt Abraum an, Erd- und Gesteinsmassen, die wegen ihres geringen Urangehalts nicht zur Aufbereitung geeignet sind. Der Abraum wird zumeist oberirdisch in der Nähe des Bergbaubetriebes zu Halden aufgeschüttet, das Erz in eine nahe gelegene Aufarbeitungsanlage transportiert. Dort wird es zunächst gebrochen, gemahlen und vorkonzentriert. Dann löst man, je nach chemischer Zusammensetzung entweder mit Lauge oder mit Schwefelsäure, das Uran aus dem Erz. Über Ionenaustauschverfahren. Ausfällung, Filtration und Trocknung erhält man schließlich das in Fässern abfüllbare Uranoxid, wegen seiner gelblichen Farbe auch "Yellow Cake" genannt.

Vornehmlich aus kleineren Erzkörpern sowie aus armen Erzen gewinnt man Uran durch Auslaugung, zum Beispiel als Haldenlaugung oder - unter Tage - als Kammerlaugung. Dabei wird Schwefelsäure in zuvor vorbereitete Teile der Lagerstätte, die Laugungsblöcke, gepumpt. Nachdem die Säure das Uran aus dem Erz gelöst hat, wird sie unterhalb der Laugungsblöcke aufgefangen und von dort nach über Tag gepumpt. Aus der dann herzustellenden konzentrierten Uranlösung läßt sich über mehrere Verfahrensschritte wiederum Yellow Cake gewinnen. Dieses Verfahren wurde zum Beispiel im sächsischen Königstein angewandt. Dort, am Rande des Elbsandsteingebirges, baute man Uranerz ab 1967 zunächst im Tiefbau ab, doch zwei Jahre später stellte man auf die Auslaugung des Erzkörpers um.

In den bei der Erzaufbereitung anfallenden Schlämmen (Tailings) findet sich noch Uran in einer Konzentration von 5-10 Prozent des ursprünglichen Gehalts. Außerdem enthalten die Schlämme, wie das Uranerz auch, Tochternuklide des Urans, also Folgeprodukte des radioaktiven Zerfalls von Uranatomkernen. Dieser radioaktive Abfall wird über Rohrleitungen in nahe gelegene Absetzbecken gepumpt, wo die festen Bestandteile des Schlamms nach und nach absinken.

Nach dem Kriege arbeiteten bei der SAG Wismut zum Teil zwangsverpflichtete Bergleute aus der gesamten sowjetischen Besatzungszone sowie angeworbene Kräfte aus anderen Ländern. Den zunächst als Reparationsleistung für die Sowjetunion be-

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triebenen Uranbergbau übernahm 1954 die Sowjetisch-Deutsche Aktiengesellschaft Wismut (SDAG Wismut), an der nach einem Regierungsabkommen mit der Sowjetunion aus dem Jahre 1953 zur Hälfte auch die DDR beteiligt war. Unternehmenssitz der SDAG Wismut war Chemnitz, Geschäftsstellen gab es in Ostberlin und in Moskau.

Während ihrer über vierzigjährigen Tätigkeit produzierte die Wismut rund 220 000 Tonnen Uran. Die höchste Jahresproduktion lag mit rund 7 000 Tonnen in den sechziger Jahren. In den letzten Jahren wurden noch etwa 3 000 Tonnen Uran jährlich in die Sowjetunion geliefert. Mit ihrer Gesamtfördermenge nahm die DDR noch bis zum Jahre 1990 hinter den USA und Kanada den dritten Rang in der weltweiten Uranproduktion ein.

Die wichtigsten Förderreviere der Wismut waren das Ronneburger Erzfeld und der Raum Seelingstädt in Thüringen, die Region Schlema und Aue im Westerzgebirge sowie Abbaugebiete im mittleren und östlichen Erzgebirge. Während im südlichen Teil der Ronneburger Lagerstätte das Uranerz im Tagebau gefördert werden konnte, mußte man Richtung Nordosten auf Teufen von 500 bis 1000 m gehen. In den früheren Jahren verfügte die SDAG Wismut zur Aufbereitung des Erzes über acht bis zehn Aufbereitungsbetriebe mit industriellen Absetzanlagen. Die meisten dieser Betriebe sowie die Mehrzahl kleinerer Schachtanlagen wurden bis zum Beginn der sechziger Jahre stillgelegt. In den letzten Jahren befanden sich nur noch zwei Aufbereitungsanlagen in Betrieb, und zwar die heute noch arbeitende Anlage Seelingstädt, südöstlich von Gera, sowie die Anlage Crossen, nördlich von Zwickau.

Die von 1950 bis 1989 betriebene Anlage Crossen hat rund 74 Millionen Tonnen Erz verarbeitet, das vornehmlich aus den Lagerstätten im Erzgebirge stammte. Der Aufbereitungsbetrieb in Seelingstädt begann 1960 mit einer Kapazität von 3,5 Millionen Tonnen Erz pro Jahr. Dieses Erz kam vor allem aus dem Ronneburger Erzfeld. Die vom Aufbereitungsbetrieb genutzten Flächen liegen in den Kreisen Gera-Land, Greiz und Werdau in unmittelbarer Umgebung der ehemaligen Tagebaue Culmitzsch, Trünzig, Gauern und Sorge-Settendorf. Als Absetzbecken für die Aufnahme der bei der Aufbereitung anfallenden Schlämme dienten die ausgeerzten Tagebaue Trünzig und Culmitzsch.

Bereits in den achtziger Jahren mußte die Erzförderung der SDAG Wismut zunehmend auf Erze mit einem Urangehalt von 0,1 Prozent und weniger zurückgreifen,

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obwohl, gemessen am damaligen Preisniveau, erst Erze mit Konzentrationen von 0,1 bis 0,2 Prozent als abbauwürdig galten. Unter diesen Bedingungen sowie mit der für DDR-Betriebe üblichen viel zu großen Belegschaft ließ sich die Urangewinnung nicht mehr wirtschaftlich betreiben. So sollen, einer früheren Schätzung zufolge, die Produktionskosten für Uran damals rund zehnmal so hoch gewesen sein wie der heute am Markt zu erzielende Preis für Natururan.

Nachdem die Uranproduktion Ende Dezember 1990 eingestellt wurde, gehören heute noch folgende Betriebe des Uranerzbergbaus zur Wismut:

  • die im Ronneburger Raum liegenden Sanierungsbetriebe Ronneburg und Drosen mit den ehemaligen Bergbaubetrieben Schmirchau, Paitzdorf, Beerwalde und Drosen,

  • der Sanierungsbetrieb Aue mit den Bergbaustandorten Aue und Pöhla im westlichen Erzgebirge,

  • der Sanierungsbetrieb Königstein mit den Standorten Dresden-Gittersee und Königstein am Rande des Elbsandsteingebirges,

  • die Sanierungsbetriebe Seelingstädt und Crossen.

In der noch heute arbeitenden Anlage Seelingstädt werden die beim Restabbau bis Ende 1991 angefallenen Erze sowie das Konzentrat aus der noch stattfindenden Untertageauslaugung in Königstein aufbereitet. Außerdem sollen die bei den Stillegungsarbeiten anfallenden großen Mengen kontaminierten Materials wie Bodenaushub und Schutt in der Anlage Seelingstädt aufbereitet werden, sofern der Urangehalt in diesen Abfällen ausreichend hoch ist.

Mit der deutschen Einheit gingen 50 Prozent der SDAG Wismut in den Besitz der Bundesrepublik Deutschland über. Nachdem am 16. Mai 1991 in Chemnitz Vertreter der Regierung der Bundesrepublik und der Regierung der Sowjetunion ein Abkommen über die Beendigung der Tätigkeit der SDAG Wismut unterzeichnet hatten, stimmte der Deutsche Bundestag am 12. Dezember 1991 mit dem sogenannten "Wismut-Gesetz" diesem Abkommen zu. Am 18. Dezember trat das Gesetz in Kraft. Gleichzeitig wurde die Wismut in eine GmbH umgewandelt, deren alleinige Gesellschafterin die Bundesrepublik ist. Bis zur Jahresmitte 1992 umfaßte diese Gesellschaft den Bereich Bergbau und den Bereich der fünf Leistungssparten Maschinen- und Stahlbau, Bauwesen, Consulting, Engineering und Services. Beide Bereiche arbeiteten seit dem 1. Januar 1992 mit getrennten Rechnungskreisläufen.

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Im Verlauf des ersten Halbjahres wurde der Bereich der Leistungssparten als eine am Markt orientierte, rechtlich selbständige Gesellschaft abgespalten.

Während bei der Wismut Anfang 1989 noch über 43 000 Menschen arbeiteten, gehörten Anfang 1990 noch knapp 39 000 Mitarbeiter dem Unternehmen an, ein Jahr später waren es noch gut 27 000 Beschäftigte. Im Juni 1992 war die Belegschaft auf insgesamt 20 350 Menschen gesunken. Davon arbeiteten rund 7 000 in der mit der Sanierung beschäftigten Wismut-Bergbau GmbH (Wismut I), 6 000 in den Leistungssparten der DFA-Fertigungs- und Anlagenbau GmbH (Wismut II) sowie 7 350 in Arbeitsförderungsgesellschaften. Zu rechnen ist damit, daß im Jahre 1993 nur noch rund 5 500 Beschäftigte in den Sanierungsbetrieben der Wismut I arbeiten werden, Ende des Jahrzehnts sollen es nur noch rund 3 000 Menschen sein. Die übrigen Arbeitnehmer müssen in den Leistungssparten Arbeit finden oder in den Arbeitsförderungsgesellschaften auf neue Aufgaben vorbereitet werden, sei es durch Anpassungsschulungen an die langfristigen Bedürfnisse des Arbeitsmarktes oder durch Unterstützung beim Aufbau von selbständigen Existenzen.

Alleinige Aufgabe der vom Bund finanzierten Wismut-Bergbau GmbH (Wismut I) ist die Sanierung der stillgelegten Betriebe des Uranerzbergbaus. Dabei sind insgesamt 3 100 Hektar Fläche, die von der Wismut nach 1962 genutzt wurde, zu bearbeiten. Einen großen Teil davon, mehr als 2 100 Hektar, nehmen Bergbauhalden und Abfallablagerungen aus den Aufbereitungsanlagen ein, darunter rund 760 Hektar im Ronneburger Bergbaugebiet, 620 Hektar Schlammabsetzanlagen, 600 Hektar Halden der Aufbereitungsbetriebe in Sachsen und Thüringen, rund 150 Hektar im Erzgebirge und etwa 40 Hektar im ostsächsischen Erzbergbaugebiet. Hinzu kommen die Sicherung und Verwahrung eines offenen Grubengebäudes von rund 1 400 km Länge, die Verfüllung von mehr als 50 Tageschächten und 30 anderer Tageausgänge wie Stollen und Großbohrlöcher sowie die Sanierung zahlreicher kontaminierter Betriebsflächen, Gebäude, Anlagen und Transportwege. Da in dem Abkommen mit der Sowjetunion eine finanzielle Beteiligung der UdSSR an den Sanierungs- und Stillegungskosten aufgrund der von der DDR eingegangenen Vereinbarungen nicht durchsetzbar war und die SDAG Wismut keine Rücklagen für die Stillegung geschaffen hatte, kommen auf den Bund Sanierungsaufwendungen in Millardenhöhe zu.

Zwar haben sich gegenüber den DDR-Zeiten die Besitz- und Rechtsverhältnisse sowie der Unternehmenszweck völlig gewandelt, doch viele Bewohner der Bergbauregionen beobachten auch die Aktivitäten der neuen Wismut mit Sorge. Dazu

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trägt sicherlich die Geheimhaltung bei, mit der die SDAG Wismut früher ihre Arbeit umgab. Schon der Name des Unternehmens war so gewählt, daß man daraus keine Rückschlüsse auf den Unternehmenszweck ziehen konnte. Offenbar hoffte man, vortäuschen zu können, daß das Unternehmen mit der Förderung von Wismuterzen, die seit langem im sächsischen Erzgebirge abgebaut wurden, beschäftigt wäre. Die Führungsebene der SDAG Wismut bestand zum großen Teil aus Russen, im Betrieb arbeitete eine eigene Bezirksverwaltung der Staatssicherheit In ihren Bemühungen um Geheimhaltung veröffentlichte die Wismut nicht einmal die Mitgliederzahlen der eigens für sie gegründeten Gewerkschaft. Und obwohl die Wismut-Mitarbeiter sowie die Anwohner der Bergbaubetriebe ständigen Belastungen durch radioaktives Material ausgesetzt waren, besaß die im Jahre 1962 gegründete Strahlenschutzbehörde der DDR (SAAS) in der SDAG Wismut keine Befugnisse. Der Generaldirektor selbst hatte das Recht, die einzelnen Betriebe der Wismut zu genehmigen. Unter diesen Umständen ist es nicht erstaunlich, daß sich in den Uranbergbauregionen Sachsens und Thüringens Mißtrauen gegenüber der Wismut und Angst vor den Folgen radioaktiver Belastungen ausbreiteten. Jeder wußte zwar, daß es diese Belastungen gab, doch die Bevölkerung hatte keine Möglichkeit, sich über das Ausmaß dieser Belastungen sowie über die damit verbundenen Gefährdungen zu informieren.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Dezember 2000

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