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[Seite der Druckausgabe: 17 / Fortsetzung]


IV. Investitionsmotive westdeutscher und ausländischer Unternehmen in Ostdeutschland

  1. Um Aufschluß darüber zu erhalten, welche Standortvorteile in Ostdeutschland gegeben sind, ist es unerläßlich, die Investitionsmotive von gebietsfremden Investoren näher zu betrachten.

    Zu dieser Frage wurde vom ifo-Institut Ende 1990/Anfang 1991 eine Umfrage bei westdeutschen Unternehmen des Verarbeitenden Gewerbes durchgeführt. Zwar liegt der Zeitpunkt der Erhebung schon einige Zeit zurück, es läßt sich jedoch einigermaßen abschätzen, welche Motive auch heute noch Bestand haben müßten und welche an Bedeutung verloren haben dürften. Die Fragen des ifo-Instituts zielten auf die Vorteile ab, die Ostdeutschland den westlichen Unternehmen als Produktionsstandort bietet. Aus der Befragung geht hervor, daß Ostdeutschland als Produktionsstandort hauptsächlich deswegen attraktiv ist, weil es für westdeutsche Unternehmen einen neuen, noch nicht erschlossenen Absatzmarkt darstellt. Dies gilt nicht nur für die Gesamtheit der Industrieunternehmen, sondern auch für die einzelnen Hauptgruppen und Beschäftigtengrößenklassen. Durch die Errichtung von Produktionsstätten in Ostdeutschland wird ein engerer Kontakt zum dortigen Markt hergestellt. Diese größere Marktnähe ermöglicht zum einen einen engeren Kontakt zu Lieferanten und Kunden und senkt zum anderen die Transaktionskosten, wie zum Beispiel Transportkosten, die durch eine größere Entfernung zum Markt entstehen. Nachdem die Unternehmen zunächst auf

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    vertriebsbezogene Investitionen einen Schwerpunkt legten, haben nach und nach die Investitionen in Fertigungskapazitäten an Bedeutung gewonnen.

    Als zweithäufigstes Motiv wurde angegeben, das Ostdeutschland ein "Brückenkopf für die Erschließung des osteuropäischen Marktes sei. Aufgrund der engen Verbindung, die Ostdeutschland zu den osteuropäischen Volkswirtschaften als RGW-Partner hatte, hofften viele westdeutsche Investoren offenbar, mit Hilfe der noch bestehenden Handelsbeziehungen und Kontakte mit diesen Ländern die dortigen Absatzmärkte besser erschließen zu können. Allerdings dürfte dieses Motiv angesichts der gegenwärtigen wirtschaftlichen Lage in Osteuropa an Bedeutung verloren haben. Das ifo-Institut rührte im August 1991 Befragungen des Baugewerbes und des Handels durch. Dabei kam heraus, daß die Verschlechterung der Marktlage in Ostdeutschland und Osteuropa zu den Hauptgründen für die Aufgabe oder Einschränkung von Investitionsplänen gehörte. Eine im Juni 1991 veröffentlichte Umfrage des DIHT bei den deutschen Außenhandelskammern im letzten Jahr ergab, daß die "Brückenfunktion" Ostdeutschlands, die im Jahre 1990 für ausländische Investoren noch eine größere Rolle spielte, nach dem Zusammenbruch des RGW-Handels kaum noch Bedeutung hatte. Da die alten Lieferbeziehungen weitgehend zusammengebrochen sind, ist dieser Vorteil Ostdeutschlands verlorengegangen. Die gegenwärtigen ökonomischen Schwierigkeiten, insbesondere in der GUS, lassen es auch fraglich erscheinen, ob der ehemalige RGW-Raum sich in den nächsten Jahren überhaupt zu einem lukrativen Absatzmarkt entwickeln wird.

    Weniger oft wurden Gründe genannt, die erkennen lassen, daß Ostdeutschland in den Augen der Unternehmen relativ günstige Produktions- bzw. Investitionsbedingungen aufweist. Am häufigsten wurde dabei auf das Vorhandensein einer qualifizierten Facharbeiterschaft hingewiesen. Allerdings gaben dieses Motiv nur ein Fünftel der vom Ifo-Institut befragten Unternehmen an. Das DIW (1992) berichtet dagegen von einer großen Bedeutung des Arbeitskräfteangebots als Investitionsmotiv. Andere Erhebungen

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    lassen erkennen, daß die Qualifizierung der ostdeutschen Beschäftigten differenziert zu beurteilen ist. Eine Befragung ostdeutscher Unternehmen durch das Institut für Wirtschaftsforschung Halle ergab, daß das Qualifikationsniveau der Beschäftigten im Verhältnis zu Westdeutschland mit zunehmendem Anforderungsgrad bezüglich der beruflichen Tätigkeiten abnimmt. Auch ausländische Unternehmer sahen nach Angaben der deutschen Außenhandelskammern einen Standortnachteil in der ungenügenden Erfahrung und der geringen Flexibilität des ostdeutschen Managements. Ein weiterer potentieller Standortvorteil der Lohnkostenrückstand gegenüber Westdeutschland scheint jedenfalls für westdeutsche Unternehmen nur eine nachrangige Bedeutung zu haben. Zwar dürften neu errichtete Produktionsstätten nicht weniger produktiv sein als in Westdeutschland, so daß sich für solche Investoren ein Lohnstückkostenvorteil ergibt. Da in den nächsten Jahren mit einer weitgehenden Angleichung der Löhne und Gehälter zu rechnen ist, spielen vorübergehende Lohnkostenvorteile jedoch nur eine geringe Rolle. Langfristig können Unternehmen in Ostdeutschland nur konkurrenzfähig sein, wenn sie mit einer dem Westen entsprechenden Kapitalintensität produzieren.

    Zum Zeitpunkt der Umfrage gaben verhältnismäßig wenige Unternehmen an, aufgrund günstiger Finanzierungsbedingungen in Ostdeutschland investiert zu haben. Dieses Motiv dürfte mittlerweile aber bedeutsamer sein. Im Rahmen der oben zitierten Telefonumfrage des ifo-Instituts gaben 30 vH der Investoren an, zusätzliche Investitionsprojekte in Angriff genommen zu haben, weil sie von staatlichen Fördermaßnahmen profitieren konnten. Auf eine zunehmende Bedeutung der Investitionsforderung deutet auch die Umfrage des DIW (1992) hin.

    Ausländische Unternehmen geben ähnliche Motive für Investitionen in den neuen Bundesländern an, wie westdeutsche Unternehmen. Für Unternehmen aus nicht EG-Ländern spielt zuweilen auch der Eintritt in den Binnenmarkt eine Rolle. Insgesamt läßt sich festhalten, daß die "Nähe zum Markt" offenbar auch für Produktionsunternehmen ein

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    eigenständiges Motiv darstellt; wichtig sind darüber hinaus die Verfügbarkeit ausgebildeter Arbeitskräfte und die Finanzierungshilfen für Investitionen.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | November 2000

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