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[Seite der Druckausgabe: 7 / Fortsetzung]


III. Investitionen und Investitionsschwerpunkte in den neuen Bundesländern

  1. Investitionen sind Voraussetzung für zukünftige Produktionen. Die Entwicklung des Investitionsvolumens ist einer der wichtigsten Gradmesser dafür, wie die Erneuerung des Produktionsapparates in der ostdeutschen Wirtschaft vorankommt. Im Jahre 1991 haben staatliche und private Investoren rund 72 Mrd. DM für die Errichtung und Modernisierung von Produktionsanlagen, Bauten und Infrastruktureinrichtungen aufgewendet. In Relation zum nominalen Bruttosozialprodukt waren das zwar 37,5 vH (Westdeutschland 21,8 vH), in Relation zur letzten inländischen Verwendung dagegen nur 20 vH (Westdeutschland 23,6 vH), und je Kopf der Bevölkerung war das Investitionsvolumen mit 4517 DM im Jahre 1991 gerade halb so hoch wie in Westdeutschland (9 042 DM). Je nach Wahl einer Bezugsgröße fällt das Urteil über die Höhe der Investitionen in Ostdeutschland offenbar sehr unterschiedlich aus. Darüber hinaus gibt es keine historischen Referenzmaßstäbe,

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    anhand derer objektiv beurteilt werden könnte, ob die Investitionsaktivität unter den gegebenen Bedingungen als stark oder schwach anzusehen ist.

  1. Unbestritten dürfte es auf der einen Seite sein, daß der in 1991 erreichte und in 1992 vermutlich auf rund 100 Mrd. DM ansteigende Wert der Anlageinvestitionen noch viel zu gering ist, um die Produktivität der Wirtschaft und damit auch die im Wettbewerb erzielbaren Produktionseinkommen rasch an das westdeutsche Niveau heranzuführen. Die Schätzungen darüber, was an privatem und öffentlichem Kapitaleinsatz erforderlich wäre, um eine den westdeutschen Verhältnissen entsprechende Kapitalausstattung zu erreichen, variieren ganz beträchtlich. Vielfach werden Größenordnungen zwischen 1 und 2 Billionen genannt. Daneben stehen jedoch Studien, die schon für einzelne Bereiche zu weitaus größeren Werten kommen. So hat das ifo-Institut die gesamten erforderlichen Bauinvestitionen jüngst auf etwa 2 1/2 Billionen DM geschätzt (ifo 15/92). Für die notwendigen Umweltschutzinvestitionen werden ebenfalls gewaltige Summen genannt. Wie auch immer diese Schätzungen zu bewerten sind, klar scheint zu sein, daß das gegenwärtige Investitionsvolumen noch zu niedrig ist, um eine ähnliche Kapitalausstattung wie in Westdeutschland zu erreichen. Andererseits hatte man aber auch gar nicht erwarten können, daß die Investitionen schon im ersten Jahr nach der Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion auf das für einen Angleich erforderliche Volumen ansteigen würden. Bei größeren Investitionsprojekten stehen dem allein schon erhebliche Vorlaufzeiten für Planung und Genehmigung entgegen. Hinzu kommen spezifische Investitionshemmnisse in den neuen Bundesländern, angefangen bei den zahlreichen noch offenen Vermögensfragen bis hin zur mangelnden Personalkapazität in den Verwaltungsbehörden. Stellt man diese Hindernisse in Rechnung, dann erscheint das derzeit erreichte Niveau an Bruttoanlageinvestitionen als ein respektabler erster Schritt.

  2. Um zu einem Urteil über die Angemessenheit der Investitionen zu kommen, ist neben dem Volumen vor allem auch ihre Struktur in den Blick zu nehmen. Wichtig für die Entfaltung von Angebotskräften in den neuen Bundesländern sind zum einen Investitionen

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    in die Infrastruktur, die vielerorts einen Engpaßfaktor für private Investitionsprojekte darstellt. Zum anderen hängen die Entwicklungsperspektiven der neuen Bundesländer in entscheidendem Maße davon ab, inwieweit die Unternehmen in die Errichtung von Fertigungskapazitäten (gegenüber reinen Vertriebseinrichtungen) investieren, und inwieweit es sich dabei um überregional absetzbare Produktionen handelt.

  1. Die Investitionen der Gebietskörperschaften, der Reichsbahn und der Deutschen Bundespost Telecom haben schon heute pro Kopf der Bevölkerung ein etwas höheres Niveau erreicht als in Westdeutschland . In die Erneuerung und Modernisierung der Infrastruktur dürften im Jahre 1991 rund 30 Mrd. DM investiert worden sein. Davon sind schätzungsweise jeweils 8 Mrd. DM vom Bund und der Reichsbahn für die Verbesserung der Verkehrswege und von der Deutschen Bundespost Telecom für die Verbesserung der Telekommunikationseinrichtungen aufgebracht worden. Die Investitionen der Länder und Kommunen in die Infrastruktur und den Wohnungsbestand dürften in etwa 15 Mrd. DM betragen haben. Im Jahre 1992 dürfte das Volumen an Infrastrukturinvestitionen nochmals kräftig steigen, möglicherweise auf etwa 40. Mrd. DM. Darauf deuten die Planungen von Post und Bundesbahn hin, dafür spricht aber auch, daß sich im Jahre 1991 vor allem auf gemeindlicher Ebene ein beträchtlicher Investitionsstau entwickelt hat. Auch die öffentlichen Investitionen in die Infrastruktur müssen freilich noch kräftig gesteigert werden, damit die Infrastrukturaustattung des Standortes Ostdeutschland ein dem Westen vergleichbares Niveau erreicht.

  2. Als Enttäuschung wird vielfach das Niveau der Unternehmensinvestitionen angesehen. Pro Kopf der Bevölkerung haben die Unternehmen in Ostdeutschland - wenn man die staatsnahen Unternehmen Bahn und Post einmal herausrechnet - im vergangenen Jahr weniger als halb so viel investiert wie im Westteil des Landes. Im Jahre 1992 dürfte sich diese Relation auf 60 vH erhöhen. Auch wenn das viel zu wenig ist, um im Aufholprozeß gegenüber Westdeutschland rasch voranzukommen, ist es auf der anderen Seite auch kein Beleg für die These einer Deindustrialisierung Ostdeutschlands. Um die Entwicklung der

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    Produktionskapazitäten der Industrie beurteilen zu können, sind vielmehr verschiedene Strukturmerkmale der Investitionstätigkeit in den Blick zu nehmen. Zieht man die Investitionserhebungen des ifo-Instituts heran, so dürfte ein Großteil der Unternehmensinvestitionen in den neuen Bundesländern - im Jahre 1992 ein Betrag von 33 Mrd. DM - auf westdeutsche Unternehmen zurückgehen (Tabelle 1). Dabei zeigen sich interessante Entwicklungen nach Wirtschaftsbereichen. Die Investitionen der Unternehmen des tertiären Sektors - Banken, Versicherungen, Handelsunternehmen, sonstige Dienstleistungen - die schon im Jahre 1990 in beträchtlichem Umfang in Ostdeutschland investierten, haben im Jahre 1991 und den Investitionsplanungen zufolge auch im Jahre 1992 deutlich an Bedeutung verloren. Die dominierende Rolle haben mittlerweile die Unternehmen des Verarbeitenden Gewerbes inne; sie haben ihre Investitionsabsichten gegenüber 1991 verdoppelt und kommen, den Umfragen zufolge, für mehr als die Hälfte der gesamten Unternehmensinvestitionen auf. Auf eine zunehmende Bedeutung der Industrieunternehmen als Investoren deuten im übrigen auch die Angaben der Treuhandanstalt über Investitionszusagen in den neuen Bundesländern hin.

  1. Über die Investitionen der bereits privatisierten, neu gegründeten und noch im Besitz der Treuhandanstalt befindlichen ostdeutschen Unternehmen lassen sich lediglich Vermutungen anstellen. Nach Schätzungen des ifo-Instituts dürften ihre Investitionsausgaben wesentlich geringer sein als diejenigen der westdeutschen Unternehmen (1992 etwas über 15 Mrd. und 1992 über 20 Mrd. DM). Stellt man in Rechnung, daß sich die Investitionsausgaben der Treuhandunternehmen deutlich vermindern werden (nach Schätzungen des Instituts für Wirtschaftsforschung Halle von 13 Mrd. in 1991 auf 6 Mrd. in 1992), weil die Zahl dieser Unternehmen mit fortschreitender Privatisierung stark zurückgeht, und daß im Wohnungsbau aus verschiedenen Gründen noch keine starke Investitionsdynamik zu erwarten ist, dann deuten diese Zahlen doch auf eine gewisse Investitionsdynamik im Bereich der kleineren und mittleren ostdeutschen Unternehmen hin.

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Tabelle 1

Investitionstätigkeit westdeutscher Unternehmen in Ostdeutschland

(Sachanlagen in Mrd. DM)



Veränderung

Wirtschaftsbereiche

-zweige

Schätzung von Anfang Februar 1992 für

1992 gegenüber 1991 in vH


1991

1992


Energieversorgung a)

2,5

3,5

+40,0

Gasversorgung

1,0

2,0

+100,0

Verarbeitendes Gewerbe

9,5

18,0

+89,5

Baugewerbe

1,0

1,5

+50,0

Handel

2,5

3,7

+48,0

Banken, Versicherungen

1,0

1,8

+80,0

Bundespost

7,0

10,5

+50,0

Sonstige Dienstleistungen

1,0

2,5

+150,0





A. Unternehmen insgesamt

25,5

43,5

+70,6

(ohne Wohnungsvermietung und




Verkehr)








B. Unternehmen insgesamt

18,5

33,0

+78,4

(ohne Wohnungsvermietung,




Verkehr und Bundespost)








C. Anteil des Verarbeitenden

51,4

54,5

X

Gewerbes am insgesamt (B.)in vH




a) Einschließlich Schätzung für öffentliche Fernwärmeversorgung und industrielle Kraftwärmekopplung.
Quelle: ifo-lnstitut

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    Ein solches Ergebnis ist in Anbetracht der inzwischen doch recht hohen Anzahl an neugegründeten Unternehmen sowie an privatisierten und reprivatisierten Unternehmen nicht unwahrscheinlich. Es ist aber zugleich beachtenswert, weil viele ostdeutsche Unternehmen über Finanzierungsengpässe klagen. Bei noch geringen Gewinnen fällt es ostdeutschen Unternehmen häufig schwer, Investitionen aus eigener Kraft zu finanzieren; nicht selten steht auch Fremdkapital wegen mangelnder Besicherungsmöglichkeiten nicht zur Verfügung. Die für einzelne Unternehmen bestehenden Probleme haben aber offenbar nicht insgesamt zu einer Investitionsschwäche geführt.

  1. Aus regionalpolitischer Sicht ist die Verteilung der Investitionen innerhalb der neuen Bundesländer von zentraler Bedeutung. Anders als Arbeitslosenzahlen oder Beschäftigtenzahlen, die lediglich über bereits abgelaufene Entwicklungen informieren, enthalten Investitionsdaten gewisse Informationen über zukünftige Entwicklungen.
    Anhaltspunkte über die regionale Verteilung von Investitionen sind allerdings sehr spärlich. Lediglich die Investitionszusagen, die der Treuhandzentrale und den Treuhandniederlassungen gegeben wurden, bieten hierüber Informationen. Ost-Berlin schneidet bei den Investitionszusagen pro Kopf der Bevölkerung
    (12 612 DM) deutlich besser ab als die neuen Bundesländer. Es wird gefolgt von Brandenburg (9 189 DM) und Sachsen (6 589 DM) (Tabelle 2). Ein regional noch etwas stärker differenziertes Bild bieten die Investitionszusagen, die den Treuhandniederlassungen gegeben wurden. Insgesamt ergaben sich aus den Privatisierungen der Treuhandniederlassungen vom Juli 1990 bis zum April 1992 Investitionszusagen in Höhe von 24,15 Mrd. DM. Die Verteilung dieser Summe auf die 15 Niederlassungen, und zwar bezogen auf die Bevölkerungszahlen der jeweiligen Niederlassungsbezirke, ist in Schaubild l dargestellt. Für die Bevölkerung mußten Werte für das Jahr 1989 verwendet werden, da für die ehemaligen DDR-Bezirke keine Daten mehr erhoben werden.

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Tabelle 2:

Bruttoanlageinvestitionen und Investitionszusagen

in den neuen Bundesländern

(in Mio. DM)

Bundesland

Bruttoanlage- investitionen 1)

Investitions- zusagen

Bruttoanlage- investitionen je Einwohner

Investitions- zusagen je Einwohner

Mecklenburg- Vorpommern

0,60

5,5

309

2827

Sachsen- Anhalt

1,95

12,1

667

4141

Brandenburg

1,69

22,6

646

9189

Thüringen

1,39

8,2

523

3089

Sachsen

2,46

31,9

509

6589

Berlin-Ost


16,2


12612

1) Vom 1. bis zum 3. Quartal 1991, Verarbeitendes Gewerbe, Bergbau, Industrie.
Quelle: Gemeinsames Statistisches Amt der Länder, Treuhandanstalt.

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Die Bevölkerung wird sich mittlerweile zwar aufgrund von Wanderungsprozessen verändert haben. Jedoch dürfte die Bevölkerungshierarchie in den Grundzügen noch erhalten sein. Es zeigt sich, daß Regionen mit einer relativ großen Bevölkerung, wie Chemnitz, Dresden und Halle, auch hohe Investitionszusagen aufweisen, während weniger zahlreich besiedelte Gebiete, wie die Bezirke Neubrandenburg und Suhl, auch nur geringe Investitionszusagen erhalten.

Bei den Investitionszusagen je Einwohner zeigt sich dennoch ein differenziertes Bild. Ost-Berlin und Dresden haben die höchsten Zusagen zu verzeichnen. Es folgen Schwerin, Gera, Magdeburg mit eher westlicher Lage. Die nach Osten grenzenden Bezirke Cottbus und Neubrandenburg, allerdings auch der im Westen liegenden Bezirk Erfurt, liegen an erster Stelle. Die Grunde für regional unterschiedliche Investitionsaktivitäten pro Kopf der Bevölkerung müssen nicht in jedem Fall auf Unterschiede in der Standortqualität zurückzufahren sein. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW, 1992) hat eine Untersuchung zu den Determinanten der Standortwahl investitionswilliger Unternehmen und zu den Investitionshemmnissen in 6 ostdeutschen Städten durchgeführt (Potsdam, Dresden, Parchim, Riesa, Brandenburg, Schwerin). Die Untersuchung wurde im November letzten Jahres abgeschlossen. Für alle sechs Städte wurde festgestellt, daß die Standortnachfrage - damals vor allem aus den Bereichen Handel, Banken, Hotelerie, Gastronomie und sonstige Dienstleistungen - in allen Städten wesentlich größer als das Angebot an verfügbaren Flächen war. Engpässe ergaben sich insbesondere dadurch, daß die Kommunen noch nicht über städtebauliche Rahmenpläne verfügten und daher die Zuweisung von Gewerbeflächen nur langsam vorankam. Dieses Problem ergab sich insbesondere deswegen, weil nicht genügend Personal mit städteplanerischer Erfahrung zur Verfügung stand. Außerdem wurde das Angebot an Standorten zusätzlich aufgrund ungeklärter Eigentumsfragen, aus Gründen des Denkmal- oder Mieterschutzes und aufgrund privater Grundstücksspekulationen verknappt.

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Aus diesen Untersuchungsergebnissen kann man schließen, daß Unterschiede im investiven Engagement sich insbesondere auch deswegen ergaben, weil die Kommunen unterschiedlich schnell bei der Ausweisung von Gewerbeflächen vorankamen und weil das Angebot an Standorten unterschiedlich war, über die frei verfugt werden konnte. Die Bedeutung derartiger Faktoren wird auch in aktuelleren Untersuchungen bestätigt (Söstra, 1992).


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