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[Seite der Druckausg.: 27(Fortsetzung)]

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5. Die 10. Novelle des Arbeitsförderungsgesetzes: Stärkung der Brückenfunktion?

5.1 Einsparungen und Restriktionen

Nach der zehnten Novelle des Arbeitsförderungsgesetzes soll der Umfang der Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen in den neuen Bundesländern im Jahr 1993 deutlich reduziert werden. Das Volumen der Einsparung soll bei 800 Millionen Mark liegen und eine Reduzierung des Bundeszuschusses ermöglichen. Das Motiv dafür liegt in der

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notwendigen Konsolidierung des Bundeshaushaltes. In der Regel sollen Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen nur noch zu 75 statt wie bisher zu 100 Prozent gefördert werden. Eine höhere Förderung soll nur ausnahmsweise möglich sein, dann nämlich, wenn die Arbeitslosigkeit in einem Bezirk um 30 Prozent über dem Bundesdurchschnitt liegt. Das ist allerdings nirgendwo der Fall. Für eine Übergangszeit bis 1995 sollen folgende Regelungen hinzutreten: Die Förderungsquote wird auf 90 Prozent erhöht, wenn überwiegend "Zielgruppen", also besonders benachteiligte Arbeitnehmer, beschäftigt werden und wenn für alle die Arbeitszeit auf 80 Prozent der tarifüblichen reduziert wird. Für Arbeiten, die andernfalls nicht durchführbar wären, kann die Förderung ausnahmsweise auch bei 100 Prozent liegen. Der Anteil zu hundert Prozent geförderter Maßnahmen darf aber 25 Prozent aller Maßnahmen nicht übersteigen.

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5.2 Der geplante Paragraph 249a AFG

Parallel zu dieser Mittelkürzung will der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung ein neues Instrument schaffen und zu diesem Zweck einen Paragraphen 249a in das Arbeitsförderungsgesetz einfügen: Arbeitslose sollen ihr Arbeitslosengeld oder ihre Arbeitslosenhilfe als Lohnkostenzuschuß auf einen gefundenen Arbeitsplatz "mitbringen" können. Damit beläuft sich die Förderung auf 58 bis 63 Prozent des zuletzt gezahlten Gehalts. Für die Höhe dieses Lohnkostenzuschusses soll allerdings nicht der individuelle Anspruch, sondern ein pauschalierter Betrag maßgebend sein. Das neue Instrument soll nur für Maßnahmen der Umweltverbesserung und -sanierung gebraucht werden und nur dann, wenn die Arbeitszeit mehr als 19 Stunden beträgt. Nur noch private Wirtschaftsunternehmen sollen Träger sein dürfen. Höchstens soll die Arbeitszeit bei 80 Prozent der tariflichen liegen.

Das Prinzip hinter allen diesen Neuerungen soll sein, daß immer auch eine andere Finanzierungsbeteiligung gefunden werden muß. Dafür kommen die Länder, die Gemeinden und die Treuhand in Frage. Überdies soll das neue Instrument eine bessere "Verzahnung" von erstem und zweitem Arbeitsmarkt ermöglichen.

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5.3 Kontroverse Diskussion

Beim Sozial- und Arbeitsminister des Landes Sachsen-Anhalt stoßen die Bonner Pläne zur Novellierung des Arbeitsförderungsgesetzes auf große Zustimmung. Ein Ver-

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treter des Ministers lobte, mit dem neuen Instrument würde mehr kompensiert, als bei den klassischen Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen zurückgefahren werde.

Diese Zuversicht stieß allerdings bei den meisten Konferenzteilnehmern auf heftigen Widerspruch. Zwar lagen noch keine detaillierten Pläne vor, der grobe Haushaltsansatz aber machte nach Ansicht von nachrechnenden Experten klar, daß die Zahl der Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen von 400.000 auf 300.000 reduziert werden soll. Das neue Instrument, so die Befürchtung, werde das bei weitem nicht kompensieren können, zumal es nur in den umweltrelevanten Branchen Braunkohlebergbau, Chemie und Stahl gelten solle. Der Vertreter der Bundesanstalt für Arbeit bestätigte im Widerspruch zum Vertreter des sachsen-anhaltinischen Sozialministers die pessimistische Annahme. Eine SPD-Landtagsabgeordnete warnte nachhaltig davor, das neue Instrument gegen die schon bestehenden Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen aufzurechnen.

Die Hoffnung der Verantwortlichen, das neue Instrument des Lohnkostenzuschusses könne eine bessere Brücke in den ersten Arbeitsmarkt sein, wurde allgemein nicht geteilt. Erhebliche Zweifel gelten vor allem der Annahme, es werde möglich sein, bei einem Arbeitslosengeld von 63 Prozent irgendwo die fehlenden 37 Prozent aufzutreiben.

Die vorgeschlagene Reduzierung der Arbeitszeit auf 80 Prozent wurde als gefährlich eingestuft. Mancher werde kühl rechnen und feststellen, daß er sich mit dem Empfang von Arbeitslosengeld genauso gut oder gar besser stünde als mit der 80-Prozent-"Kurzarbeits-ABM" mit Lohnkostenzuschuß. Der Vertreter des Landes Sachsen-Anhalt wurde aufgefordert, wenigstens eine Ausweitung des neuen Instruments auf andere Branchen durchzusetzen.

Von politischer Seite kam die Anregung zu einer Bundesratsinitiative. Ein Vertreter der Treuhand kündigte an, seine Anstalt werde sich auch bei den Finanzierungsanforderungen aus dem neuen Instrument beteiligen, mahnte aber zugleich an, die Zahl der Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen nicht zurückzufahren. Das vergrößere nur die Arbeitslosigkeit.

Kaum mehr ernsthaften Widerspruch erntete die abschließende Wertung, bei der zehnten Novelle zum Arbeitsförderungsgesetz handele es sich um ein "finanzielles Manöver" der Bundesregierung. Unverständnis wurde geäußert, daß ausgerechnet in der gegenwärtigen, durch hohe und noch steigende Arbeitslosigkeit geprägten Situation der Haushaltskonsolidierung in Bonn der Vorrang eingeräumt werde. Zur Illustration wurden weitere Zahlen genannt: Der Fremdfinanzierungsbedarf aller öffentlichen

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Haushalte habe 1991 bei 175 Milliarden Mark gelegen, die private Ersparnis dagegen habe 238 Milliarden betragen. Davon entfielen nur 28,6 Milliarden auf private Kreditaufnahme. Kein neues Konzept sei in Bonn in Sicht, so die zitierte SPD- Landtagsabgeordnete, sondern nur Rückzug aus der Verantwortung.

Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, wurde zusammengefaßt, sollten nicht mehr und nicht weniger sein als eine "Brücke". Man solle deren Pfeiler nicht schon verschmälern, während sie noch gebaut werde.

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5.4 Sind Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen wirklich eine "Brücke"?

Wer sich allerdings die Mühe macht, sich nach dieser eingehenden Diskussion das Bild von der Brücke noch einmal vor Augen zu holen, wird mit dieser Auflösung nicht zufrieden sein. Schließlich wirft es, so schlicht es ist, eine Reihe von Fragen auf.

Zunächst bleibt offen, welchen Charakter das Terrain am anderen Ufer hat. Läßt man es den "ersten Arbeitsmarkt" symbolisieren, so muß man sich mit der Vorstellung vertraut machen, daß es sich nicht um ein real existierendes, sondern nur um ein gewünschtes Terrain handelt. Damit wird das Bild von der Brücke noch nicht absurd. Warum soll man nicht eine Brücke zu einem Ufer bauen können, das es noch gar nicht gibt, daß aber sicher bald dort sein wird? Freilich verlagert sich damit die Frage: Wie kommt das zu erreichende Terrain zustande? Sicher nicht durch den Brückenbau, sondern durch ganz andere, mühselige, langwierige Arbeiten wie Aufschüttung und Trockenlegung. Nichts spricht dagegen, daß diese Arbeiten von Menschen ausgeführt werden, die über die Brücke gegangen sind. Aber mit dem Bau oder gar mit dem Überschreiten einer Brücke sind diese Arbeiten nicht getan. Aus der Bildersprache zurückübersetzt soll das heißen: Neben die Arbeitsbeschaffung, die sozialen Kriterien zu gehorchen hat, muß eine regelrechte, nach wirtschafts- und strukturpolitischen Grundsätzen handelnde Wirtschaftsförderung und Industriepolitik treten, mit Akteuren, die für eine solche planende Arbeit die Qualifikation und das Mandat haben.

Bleibt eine ordentliche Wirtschaftsförderung aus, so werden die Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen künftig vor allem von jüngeren und mobilen Arbeitnehmern dazu genutzt werden, sich auf einen Arbeitsplatz im Westen vorzubereiten. Auch dann könnte man sich mit dem nötigen Sarkasmus Arbeitsbeschaffung als eine "Brücke" vorstellen: als eine Brücke über die Elbe. Das aber ist sicher nicht gewollt.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | April 2001

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