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1. Zur Lage und den Rahmendaten

1.1. Die spezifischen Ausgangsbedingungen in den Städten der Neuen Bundesländer

Die Entwicklung der Städte und Regionen in den neuen Bundesländern findet unter besonderen Vorzeichen statt. Hierzu gehören die spezifischen wirtschaftlichen und sozialen Strukturen der ehemaligen DDR-Gesellschaft ebenso wie die rahmensetzenden Bedingungen der Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion vom 1. Juli 1990 und die im Einigungsvertrag formulierten Determinanten des Zusammenwachsens der beiden deutschen Staaten. Dabei finden in den neuen Bundesländern momentan wirtschaftliche und soziale Transformations- und Differenzierungsprozesse statt, für die die Städte der Altbundesländer teilweise zwei bis drei Jahrzehnte Zeit hatten. Im folgenden sollen einige dieser für die Stadtentwicklung in den neuen Bundesländern besonders bedeutsamen Bedingungsmomente kurz benannt werden:

Arbeitsmarkt-/Beschäftigungssituation

Mitte 1992 wurden in der Bundesrepublik mehr als 3 Mio. Arbeitslose gezählt. Während die Zahlen für die alten Bundesländer bei 1,8 Mio. lagen, erreichten die Arbeitslosenzahlen in den neuen Bundesländern inzwischen knapp 1,2 Millionen. Dies entspricht einer Arbeitslosenquote von 6% in Westdeutschland und 14,6% in Ostdeutschland, was eine deutliche Ungleichverteilung zuungunsten der neuen Bundesländer bedeutet. Hinzu kommt, daß in den neuen Bundesländern mehr noch als in Westdeutschland zahlreiche Menschen Qualifizierungs- und Beschäftigungsmaßnahmen absolvieren, auf Kurzarbeit gesetzt oder in den vorzeitigen Ruhestand gegangen sind. Ohne die Wirkung dieser arbeitsmarktpolitischen Instrumente - so die Schätzungen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) der Bundesanstalt für Arbeit - lägen die Arbeitslosenzahlen in den neuen Bundesländern bei über 3 Millionen. Die Talsohle könnte so möglicherweise erst Ende 1992/Anfang 1993 erreicht werden. Die Anpassungslasten müssen neben älteren Arbeitnehmern vor allem auch von den Frauen getragen werden, die 2/3 der arbeitslos gemeldeten Personen stellen, was im Zusammenhang zu sehen ist mit der hohen Frauenerwerbsquote in der ehemaligen DDR. Schließlich ist auch auf die ca. 0,5 Mio. Pendler hinzuweisen, die den Arbeitsmarkt in Ostdeutschland erheblich entlasten. Die Anzahl der Erwerbstätigen ist dabei in den neuen Bundesländern von 9,75 Mio. (Herbst 1989) auf inzwischen gut 6,25 Mio., d.h. um etwa ein Drittel gesunken. Hierzu beitragen hat nicht zuletzt auch die Abwanderung qualifizierter Arbeitskräfte (ca. 0,7 Mio.) vor allem nach Westdeutschland. Der notwendige Strukturwandel fordert weiterhin seinen Tribut: Noch werden mehr alte Arbeitsplätze aufgegeben, als neue Arbeitsplätze hinzukommen.

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Wirtschaftsstruktur

Nach einer Untersuchung des Deutschen Industrie- und Handelstages (DIHT) ist Ostdeutschland vorrangig Standort für Handels- und Dienstleistungsbetriebe. Nur knapp 7% der Neugründungen kommen aus den Bereichen Industrie und Bau, aber 45% aus dem Handel und sogar 48% aus dem Dienstleistungssektor. Auf zwei Neugründungen kommt z.Zt. ein Konkurs bzw. eine Geschäftsaufgabe. Die Investitionen liegen in den neuen Bundesländern bei 6.000 DM/Kopf/Jahr gegenüber 10.000 DM/Kopf/Jahr in Westdeutschland. Bei den Exporten besteht weiterhin eine deutlich Fixierung auf osteuropäische Länder. Während von Seiten der Wirtschaft die wegen der noch hinterherhinkenden Produktivität in den neuen Bundesländern sehr hohen Lohnstückkosten moniert werden, verweisen die Gewerkschaften auf die aufgrund der niedrigeren Löhne geringere Kaufkraft der ostdeutschen Haushalte.

Siedlungs- und Sozialstruktur

Eine den westdeutschen Städten vergleichbare Suburbanisierung hat in den Städten der ehemaligen DDR nicht stattgefunden. Während die innenstadtnahen zumeist gründerzeitlichen Altbauquartiere einem rapiden baulichen Verfall ausgesetzt waren, wurden am Rande der Städte großflächige Neubausiedlungen errichtet. Anders als in Westdeutschland geschah dies aber in durchaus beträchtlichem Umfang auch in Klein- und Mittelstädten des ländlichen Raums. In siedlungsstruktureller Hinsicht zeigen sich deshalb heute erkennbare Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland. Insbesondere finden sich gänzlich andere Anteile der verschiedenen Siedlungstypen, wie historische Stadtkerne, gründerzeitliche Altbauquartiere und Neubaugebiete. Während in Westdeutschland nur etwa 3% der Bevölkerung in großen randstädtischen Siedlungen leben, sind es in den neuen Bundesländern etwa 20%. Dabei findet sich dort - anders als in den Sozialwohnungsghettos der westdeutschen Städte - die gesamte soziale Bandbreite wieder. Die sozial-räumliche Differenzierung in den Städten der neuen Bundesländer hat inzwischen aber eingesetzt.

Wohnungsmarkt/Mieten

In der ehemaligen DDR wurde der Ansatz zur Versorgung der Bevölkerung mit Wohnraum seit den 70er Jahren fast ausschließlich in der Einführung der industriellen Plattenbauweise gesucht. Etwa 1,5 Mio. Wohnungen wurden auf diese Weise errichtet. Wohnraumversorgung wurde primär als quantitatives Problem gesehen und war Aufgabe staatlicher Versorgungsagenturen. Nur Neubauwohnungen kamen an die Mindeststandards einer modernen Wohnung heran, wie sie in Westdeutschland etwa im Rahmen des sozialen Wohnungsbaus garantiert werden: eine Toilette in der Wohnung, eine Dusche, eine Zentralheizung. Bezüglich der Wohnflächenversorgung pro Kopf liegen die neuen Bundesländer bei durchschnittlich 26 qm, während sie in den alten Bundesländern etwa 37 qm erreicht hat. Wer auf den Altbau angewiesen

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blieb, konnte Qualitätsverbesserungen weitgehend nur über Selbsthilfeleistungen erreichen. Wegen der technisch-konstruktiv bedingten Mängel weisen auch die Großplattenbauten inzwischen hohe Instandsetzungs- und Modernisierungsbedarfe .auf, insbesondere in energetischer Hinsicht. Mit entsprechendem finanziellen Aufwand sind diese heute allerdings behebbar. Als besonders problematisch erweist sich die Entwicklung im Bereich der Mieten. Diese haben sich mit der Mietanpassung zum 1.10.91 vor allem in den Städten vervier- bis verfünffacht, sind für die Wohnungswirtschaft aber nicht annähernd kostendeckend, was vor dem Hintergrund der umfangreichen Altschulden für die Rechtsnachfolger der früheren VEB-Gebäudewirtschaften und Arbeiterwohnungsgenossenschaften auf den enormen Bedarf an öffentlichen Subventionen in diesem Bereich verweist.

Rückübertragungsansprüche

Der Einigungsvertrag hat der Rückübertragung von Grundstücken und Gebäuden an ehemalige Eigentümer den Vorrang vor Entschädigung eingeräumt. Bis Anfang 1992 sind so ca. 2,2 Mio. Restitutionsansprüche auf etwa 1,1 Mio. Gebäude, Grundstücke oder Produktionsanlagen erhoben worden. Geht man vom derzeitigen Bearbeitungstempo aus, so werden die städtischen Ämter zur Regelung offener Vermögensfragen noch bis weit über das Jahr 2.000 hinaus mit der abschließenden Klärung der Eigentumsverhältnisse befaßt sein. Dies wird als ein wesentliches Investitionshemmnis gesehen. §3a des Vermögensgesetzes besagt zwar, daß ein Investitionsersuchen mit der Aussicht auf Schaffung von Arbeitsplätzen priorisiert werden kann. In der Praxis findet dieser Passus aber kaum Anwendung.

Administrative Strukturen

Die Verwaltung in den neuen Bundesländern erfährt einen fast vollständigen Neuaufbau. Dabei fehlt es häufig nicht nur an qualifizierten Mitarbeitern, z.T. mit der Folge, daß einzelne Ämter personell deutlich unterbesetzt sind. Während den Kommunalverwaltungen in den neuen Bundesländern von Bundesseite vorgeworfen wird, daß sie einen personellen Überhang von etwa 1/3 im Vergleich zu bundesdeutschen Städten hätten, wird entgegengehalten, daß aus der derzeitigen Umbruchsituation völlig neue und zusätzliche Aufgaben resultieren. So müssen zunächst einmal funktionierende Organisationsstrukturen und Verfahrensweisen herausgebildet werden. Dies gilt nicht nur für die kommunale Ebene sondern insbesondere auch im Hinblick auf die suprakommunalen Koordinations- und Aufsichtsorgane (z.B. Regierungspräsidenten). Eine quasi-staatliche Superorganisation des Vereinigungsprozesses stellt dabei die Treuhandanstalt dar.

Neben den angsprochenen Problemen und Entwicklungen erweisen sich in den Städten der neuen Bundesländer nicht zuletzt auch die ökologische Problematik (Immissionsbelastungen, Braunkohletagebau, Altlasten usf.) und die Probleme im

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Bereich der Versorgungs- und Verkehrsinfrastrukturen (Straßen, Gehwege, Kanalisation etc.) als besonders akut. Eine weiteres Spezifikum stellen der bereits eingeleitete Abzug der Streitkräfte der GUS sowie die Auflassung von ehemaligen NVA-Standorten mit der Folge des Freiwerdens bzw. der Konversion großer militärischer Flächen in z.T. guten städtischen Lagen dar. Die Dimension der genannten Aufgaben ist nicht zuletzt im Zusammenhang zu sehen mit der hochgradig defizitären Situation der ostdeutschen Kommunen, für die die Metapher der Abhängigkeit vom staatlichen "Tropf" wohl noch auf lange Sicht und ungleich dramatischer als für die westdeutschen Kommunen bestimmend sein wird.

All die genannten Aspekte markieren Besonderheiten der Umbruchsituation in den neuen Bundesländern und bestimmen in spezifischer Weise den Handlungsrahmen zukünftiger Stadtentwicklungsbemühungen. Vergessen werden darf aber nicht, daß das Umschalten von einem System auf das andere im Zuge der Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten auch mit psychologischen Momenten behaftet ist, insbesondere wenn die einen hinsichtlich des gesellschaftlichen Reichtums auch zukünftig als Verlierer, die anderen eher als Gewinner dastehen.

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1.2. Stadtentwicklungspolitische Ziele und Handlungsvorgaben aus landespolitischem Blickwinkel am Beispiel des Landes Brandenburg

Die oben skizzierten generellen stadtentwicklungspolitischen Probleme finden sich im Lande Brandenburg einerseits zwar bestätigt. Andererseits sind hier aber auch spezifische Bedingungen anzutreffen. So ist das Bundesland Brandenburg in siedlungsstruktureller Hinsicht in noch stärkerem Maße vor allem durch eine Dominanz von Klein- und Mittelstädten charakterisiert, was unter der Perspektive von Stadtentwicklung und Wirtschaft besondere Handlungsansätze erfordert. Insbesondere findet sich hier mit Berlin ein großstädtisches Wirtschaftszentrum und zugleich eigenständiges Bundesland, das unweigerlich Ausstrahlung ausübt auf die siedlungsstrukturelle Entwicklung in der Gesamtregion.

Die landespolitischen Zielsetzungen versuchen diesen Bedingungen Rechnung zu tragen. Wichtige Leitbilder der Stadt- und Regionalentwicklung sind die Bewahrung von Charakter und Eigenart der typischen Landschaften und Siedlungsräume sowie die behutsame Sanierung der Städte. Als räumliches Entwicklungsmuster wird eine "dezentrale Konzentration" und damit ein polyzentrisches Konzept favorisiert. Dabei wird wesentlich auch auf die vorhandenen Entwicklungspotentiale gesetzt. Es geht um eine Konzentration auf die vorhandenen regionalen Entwicklungsschwerpunkte (z.B. durch den raschen Aufbau eines Regionalschnellbahnsystems oder die Ansiedlung von Forschungs- und Fachhochschuleinrichtungen in Zuordnung zum

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Oberzentrum Berlin), die häufig über bedeutende historische Stadtkerne verfügen, noch erhebliche Flächenpotentiale aufweisen und eine attraktive landschaftliche Umgebung haben. Dies soll allerdings in einem Geflecht einander zugeordneter und sich entsprechend der Zentrenhierarchie aufgabenmäßig ergänzender Gemeinden geschehen.

Die vorhandenen regionalspezifischen Potentiale sollen weitgehend erhalten bleiben - dies unter Beibehaltung der "DDR"-typischen Nähe von Wohnen und Arbeiten. Dies spiegelt sich auch in den Förderstrategien des Ministeriums für Stadtentwicklung, Wohnen und Verkehr (MSWV) des Landes Brandenburg wider. So bündeln sich die Städtebau- und Wohnungsbauförderungsmittel zu je einem Drittel auf die Regionalstädte, auf die Kleinstädte und auf den weiteren ländlichen Raum. Der Fokus der Stadtentwicklung liegt aber eindeutig auf den historischen Stadtkernen. Inzwischen wurde zusammen mit den Städten eine Arbeitsgemeinschaft "Historische Stadtkerne" gegründet.

Ein zentrales Problem ist die wirtschaftliche Revitalisierung der Innenstädte. Angesichts der zahlreichen außerhalb der Ortschaft entstehenden großflächigen Einzelhandelsstandorte werden hier Notwendigkeiten des Rückbaus (auch) von Wohnungen zu Geschäften und verträglichen gewerblichen Nutzungen gesehen, um wieder eine Basisinfrastruktur in die Wohngebiete hineinzubekommen. "Es muß wieder Geld verdient werden in den Städten". Für die dünner besiedelten Räume wird das Konzept "mobiler Nachbarschaftsläden" diskutiert. Große Einzelhandelsunternehmen sollen dazu bewegt werden, ihren Beitrag zu leisten zur Verbesserung der dort z.T. sehr schwierigen Versorgungssituation.

Im Land Brandenburg besteht ein anhaltend großer Bedarf an Wohnungen. Berechnungen verweisen auf einen Neubaubedarf von 20.000 Wohnungen jährlich. Auch die im Rahmen des komplexen industriellen Wohnungsbaus errichteten Wohnungen sind für die Zukunft deshalb unverzichtbar. Um aber den vorhandenen Wohnungsbestand westlichen Standards anzugleichen, bedarf es nach Schätzungen einer Summe in dreistelliger Milliardenhöhe. Der Landeshaushalt weist aber für dieses Jahr nur Gesamtinvestitionen in Höhe von 3-4 Mrd. DM aus. Dies verweist darauf, daß die Probleme im Wohnungsbestand aufgrund ihrer Größenordnung ohne die Aktivierung privaten Kapitals nicht annähernd in den Griff zu bekommen sind.

Die Stabilisierung der historischen Stadtkerne der Klein- und Mittelstädte im Verflechtungsraum von Berlin soll auch gegenüber den enormen zentrifugalen Kräften der Metropole erreicht werden. Das Interesse des Landes Brandenburg ist daher eher auf einen behutsamen Umbau der Region Berlin als auf deren Expansion gerichtet. Im Prinzip soll die "Stadtkante" von Berlin erhalten bleiben: "Wir wollen se-

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hen, wo Berlin endet und Brandenburg anfängt". Die von der Stadt ausgehende Wachstumsdynamik soll allerdings nicht dort enden, sondern möglichst Impulse in die Region hinein ausüben. In jedem Fall wird Berlin in seinem Verflechtungsraum die wichtigste Versorgungsfunktion übernehmen. Es liegt auf der Hand, daß nicht jede Gemeinde ihr Symphonieorchester braucht. Gerade im kulturellen Bereich sind kleine Gemeinden häufig weniger auf die professionelle Dienstleistung als auf das ehrenamtliche Engagement ihrer Bürger angewiesen, etwa in Form von Vereinen. Gerade auch darin werden Qualitäten und Standortvorteile für das Wohnen in solchen Städten und Gemeinden gesehen.

Die Städte müssen Orientierungs- und Identifikationsmerkmale für die Bürger bieten, damit sich auch in den Gemeinden der neuen Bundesländer so etwas wie ein "Bürgersinn" (wieder) entwickeln kann. Die historischen Stadtkerne verkörpern gewissermaßen das Land. Sie gilt es zu bewahren und zu sanieren. Erst so kann sich ein neues Identitätsgefüge für seine Bewohner aber auch für das Umland und potentielle Investoren herausbilden.

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1.3. Ziele und Schwerpunkte der Wirtschaftsförderung am Beispiel des Landes Brandenburg



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1.3.1. Wirtschaftsförderungsaktivitäten des Landes

Der wirtschaftliche Aufbau des im Jahre 1990 neu gegründeten Bundeslandes Brandenburg erforderte ein schnelles politisches Handeln. Im Jahre 1991 konnten so im Rahmen der "Gemeinschaftsaufgabe zur Förderung der regionalen Wirtschaftsstruktur" (GA) 706 Vorhaben im Bereich der Förderung von Investitionsvorhaben mit einem Volumen von 2,35 Mrd. DM gestützt werden. Als zweitem Standbein der GA-Förderung wurden im Bereich der Förderung von investiven Maßnahmen zum Ausbau der wirtschaftsnahen regionalen Infrastruktur für 77 Vorhaben zusammen 0,59 Mrd. DM bewilligt. Die dabei zugrunde gelegte Investitionssumme belief sich im Oktober 1991 auf ca. 15,1 Mrd. DM und hat sich bis März 1992 auf ca. 21,8 Mrd. DM erhöht. Die Zahl der im Lande Brandenburg auf diese Weise neu errichteten bzw. erhaltenen Arbeitsplätze addiert sich bis März 1992 auf ca. 150.000. Als Faustformel gilt, daß 1 Mark Fördermittel des Landes und 1 Mark Fördermittel des Bundes zusammen 8 Mark an privatem Kapital anstoßen. Allerdings ist anzumerken, daß im gleichen Zeitraum eine erhebliche Anzahl an Arbeitsplätzen - die Rede ist von etwa 0,5 Millionen - verloren gegangen sind.

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Von Experten wird die für die Errichtung eines neuen Arbeitsplatzes in den neuen Bundesländern zu tätigende Investitionssumme mit etwa 200.000 DM, die für den Erhalt eines vorhandenen Arbeitsplatzes notwendige Investition mit ca. 100.000 DM angesetzt. Das bedeutet zugleich, daß ein Schwerpunkt auf die Sanierung von Betrieben gesetzt werden müßte, da die staatliche Fördermark hier doppelt so viel wert ist.

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1.3.2. Analyse der Fördertätigkeit

Das zuständige Wirtschaftsministerium arbeitete im Bereich der GA-Förderung zunächst mit weitgehend einheitlichen Fördersätzen. Diese Strategie wird mit dafür verantwortlich gemacht, daß die Fördermittel im Bereich der gewerblichen Wirtschaft vor allem in den „Speckgürtel" Berlins geflossen sind. Tatsächlich haben im Jahre 1991 vor allem große Projekte und wirtschaftlich eher unproblematische Regionen einen Großteil der Fördermittel erhalten. Als Konsequenz daraus wurden im Jahre 1992 die Fördersätze entsprechend der wirtschaftlichen Stärke der jeweiligen Region gestaffelt. So ist gemäß den Förderrichtlinien des Ministeriums für Wirtschaft, Mittelstand und Technologie (MWMT) des Landes Brandenburg jeder Kreis einer von vier Kategorien zugeordnet. Unterschieden wird nach Fördergebieten la, Ib, II und III. Die im Rahmen der Förderung von Investitionsvorhaben für die Errichtung neuer Betriebe gewährten Fördersätze fangen bei 10% in der Regionen der Kategorie la an und gehen hoch bis 23% in der Kategorie III. Im Bereich der Infrastrukturentwicklung betragen diese Sätze sogar 25% bzw. 90%.

Trotz der für die strukturschwachen Gebiete deutlich höheren Fördersätze sind die Erfolge in diesen Bereichen allerdings bislang eher gering, eine Erfahrung die etwa auch im Land Thüringen gemacht wurde. Andererseits wird eingeworfen, daß die Herunterstufung heranwachsender Regionen (wie etwa der Stadt Brandenburg) die sich auftuenden Entwicklungschancen wiederum hemmen könnte, während für die Gemeinden im "Speckgürtel" Berlins - insbesondere im Süden der Stadt - auch die veränderten Fördersätze noch zu hoch erscheinen.

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1.3.3. Erfahrungen mit der städtischen Wirtschaftsförderung

Im Hinblick auf die Situation der städtischen Wirtschaftsförderung lassen sich zur Zeit drei Trends ausmachen:

  • Alles deutet darauf hin, daß die staatlichen GA-Mittel in entwickelteren Regionen in einem höheren Maße Arbeitsplätze erzeugen bzw. erhalten als in peripheren Bereichen. Darauf jedenfalls verweisen Vergleiche in der Wirksamkeit der staatlichen Förderung. So ist ein Arbeitsplatz in den Regionen Brandenburg oder Potsdam für einen deutlich geringeren Förderbetrag zu haben als etwa in den Kreisen Perleberg oder Wittstock.
  • Die Ansiedlungsgesuche kommen nur zu einem sehr geringen Teil (Stadt Potsdam: 4,5%) von Seiten industrieller Investoren. Hauptsächlich handelt es sich um Dienstleistungen, Einzelhandel, Banken und Versicherungen (Stadt Potsdam: 44%). Geht man davon aus, daß eine hinsichtlich der Betriebsgrößen und der Branchen gemischte Wirtschaftsstruktur am stabilsten ist, dann besteht hier die Gefahr der Entwicklung wirtschaftlich monostrukturierter Regionen.
    So ist die Arbeitslosenquote in der Stadt Cottbus mit unter 10% zwar vergleichsweise gering. Dies wurde aber erreicht über die Aufrechterhaltung einer sehr einseitigen, vorwiegend industriell ausgerichteten Wirtschaftsbasis. Darin könnte für die Zukunft bereits eine Strukturschwäche angelegt sein.
  • Trotz sehr unterschiedlicher Ausgangsbedingungen zeigt sich, daß - wie ebenfalls am Beispiel von Cottbus gut ablesbar - die Branchenstruktur in der Stadt und in dem sie umgebenden Landkreis erstaunliche Ähnlichkeiten aufweisen können, obwohl jeweils spezifische Ausgangsbedingungen gegeben sind.

Zu den Problemen der Städte im Hinblick auf die Wirtschaftsförderung zählen vor allem der Mangel an geeigneten Gewerbeflächen bzw. hohe Gewerbemieten, die ungeklärten Eigentumsverhältnisse und das fehlende Planungsrecht. Gegenüber dem ländlichen Raum weisen sie hingegen spezifische Potentiale auf:

  • die vorhandene Infrastruktur (v.a. Verkehrsanbindung),
  • die unmittelbare Nähe zu potentiellen Abnehmern der Produkte,
  • eine gute Basis an qualifizierten Arbeitskräften,
  • Fühlungsvorteile im Hinblick auf Kooperationen mit anderen Unternehmen,
  • ein urbanes Lebensumfeld als wichtigen Standortvorteil insbesondere für das Personal ansiedlungswilliger Firmen aus Westdeutschland oder Berlin.

Kritisch gesehen wird das Verhalten der Treuhandanstalt beim Verkauf von Produktionsanlagen und Flächen. Dieses Funktionalorgan des Bundes läßt sich dabei durchweg von der Maxime des maximal erzielbaren Erlöses leiten. Für die vollstän-

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dige Vermarktung werden in der Regel Developer eingeschaltet, die die Immobilie möglichst als Gesamtpaket an einen potenten Investor veräußern. Dies hat den Nachteil, daß die bodenständigen Gewerbebetriebe, wenn sie nicht entsprechend zahlungskräftig sind, bei der Vergabe der Flächen keine Berücksichtigung finden. Dies sollte in Zukunft verstärkt so gehandhabt werden, daß die nicht unmittelbar im Zusammenhang mit den Neu-Investitionen stehenden Produktionsanlagen und Flächen an die Kommunen weitergegeben werden, um für eine gezielte Förderung der kleinen und mittleren Unternehmen und damit auch die Differenzierung der Branchenstruktur Handlungsspielräume zu eröffnen.

Ein Beispiel hierfür ist der Verkauf von großen Teilen des Stahlwerks Brandenburg an den italienischen Stahlkonzern Riva. Nach dem Motto "Investitionen + Arbeitsplätze" gegen den Verkaufspreis wurden dem Investor 1,7 Mio. qm industrieller und gewerblicher Fläche für den Spottpreis von 28 DM/qm überlassen. Die Aufbereitung und Nutzbarmachung der Flächen erfolgt zudem im Rahmen von öffentlich geförderten Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen. Im Gegenzug sollen ca. 1.050 Arbeitsplätze erhalten werden. Kritisiert wird, daß dem Investor von der Treuhandanstalt sämtliche Flächen inklusive aller darauf befindlichen Immobilien zugestanden wurden, während zur gleichen Zeit kleine und mittlere Unternehmen aus der Region große Schwierigkeiten haben, geeignete Gewerbegrundstücke zu bekommen und dafür Preise bis zu 150 DM/qm zahlen müssen. Auf Landesseite verspricht man sich hier allerdings einen Durchbruch insbesondere im Hinblick auf weitere ausländische Groß-Investoren.

Demgegenüber sehen sich auch die Kommunen zur Linderung ihrer finanziellen Not dazu angehalten, ihre Liegenschaften möglichst umsatzmaximierend zu veräußern. Die Kommunen sollten hier stärker die sich daraus ergebenden Zukunftschancen im Blick behalten, brauchen aber auch die Unterstützung von Land und Bund, damit die staatlichen Bemühungen zur Wirtschaftsförderung und Gewerbeansiedlung nicht durch die städtische Liegenschaftspolitik unterlaufen werden.

Kritisch gesehen wird das deutliche Übergewicht von Investitionen im tertiären Sektor, d.h. die Schieflage zuungunsten der gewerblichen Produktion. Ein ad-hoc-Umstieg in den neuen Bundesländern von einer produzierenden hin zu einer Dienstleistungsgesellschaft ist aber als Fiktion zu betrachten. Die "Euphorie von der Dienstleistungsgesellschaft" vernachlässigt nämlich die Tatsache, daß es dort im wesentlichen um die Verteilung andernorts produzierter Güter geht, also Geld aus dem Raum herausgezogen wird.

Anders als in den alten Bundesländern werden ökologisch begründete Einwände gegenüber Gewerbeansiedlungen im städtischen Bereich als weniger wahrscheinlich

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angesehen. Tatsächlich mag die Akzeptanz von industrieller und gewerblicher Nutzung im städtischen Raum größer sein, da vorher bereits entsprechende Nutzungen vorhanden waren, insbesondere im Falle des Flächenrecyclings. Andererseits kann sich wegen der mit der Re-Aktivierung von Flächen häufig verbundenen Probleme (insbes. Kontaminierung) dieser Weg z.T. als aufwendiger erweisen als eine Neuansiedlung im ländlichen Bereich.

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1.3.4. Wirtschaftsberatung in der Region

Auch wenn es selbstverständlich erscheinen mag: Die "conditio sine qua non" einer effizienten und treffsicheren Wirtschaftsförderung ist die Wirtschaftsberatung. "Wirtschaftsförderung ohne Wirtschaftsberatung ist zwecklos". Durch die Beratung wird sichergestellt, daß die Mittel im Sinne der Förderziele eingesetzt werden. Zudem können es sich kleine und mittlere Betriebe in der Regel nicht leisten, sich eigenes Know-how an die Seite zu stellen (z.B. in Form entsprechender Beratungsstäbe), was dazu führt, daß die Förderung an dieser wichtigen Zielgruppe häufig vorbeigeht.

Von der formalen Konzeption her sind auf der Ebene der regionalen Wirtschaftsberatung im Lande Brandenburg drei Institutionen zu unterscheiden: die regionalen Wirtschaftsberatungsgesellschaften, die regionalen Aufbaustäbe und die regionalen Anschubgruppen. In der Realität weichen die tatsächlich herausgebildeteten Strukturen allerdings nicht selten erheblich davon ab.

Eine solche Regionalisierung der Beratung wird als ein wichtiger Garant einer effizienten Wirtschaftsförderung angesehen. Ein Beispiel dafür ist die Wirtschaftsförderungsgesellschaft Oranienburg. Sie versucht technisch-innovative Unternehmen, die im gleichnamigen Kreis investieren wollen, im Technologiepark Hennigsdorf-Süd anzusiedeln.

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1.3.5. Leuchtturm-Szenario

Ein Ansatz zur Effektivierung der staatlichen Wirtschaftsförderung wird darin gesehen, angesichts beschränkter Fördermittel auf das "Gießkannenprinzip" zu verzichten und sich auf jene Regionen zu konzentrieren, die als Wachstumskerne zu prosperieren versprechen. Dieses plakativ als "Leuchturm-Szenario" bezeichnete Konzept entspricht der oben bereits skizzierten Landesentwicklungskonzeption ("dezentrale Konzentration"). Seine Vorteile werden in der Aktivierung betrieblicher Synergien gesehen, denn es ist angelegt auf die Nutzbarmachung vorhandener Unternehmensgeflechte und die Stimulierung von Multiplikator-Wirkungen. Es geht also

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nicht um die Förderung von "Kathedralen in der Wüste", da die Kompensation der dort vorhandenen Nachteile zu hohe Fördersummen in Anspruch nimmt, die dann wiederum an anderer Stelle fehlen. Tatsächlich konnten im Land Brandenburg eine Reihe von sektoralen "Leuchtturm-Investitionen" getätigt werden. Größere investive Projekte werden u.a. durch die VEBA AG, Mercedes Benz AG, die Heidelberger Druckmaschinen AG und Herlitz AG durchgeführt.

Während die Neugliederung und Privatisierung der für ein flexibles Wirtschaften in der Regel zu großvolumigen Kombinate und Betriebe von der Treuhandanstalt (THA) übernommen wurde, liegt die Aufgabe der Existenzsicherung, der Neugründung oder Ansiedlung von Betrieben nicht in deren Aufgabenbereich. Solchen Aktivitäten der Wirtschaftsförderung kommt beim ökonomischen Neuaufbau in den neuen Bundesländern aber eine entscheidende Bedeutung zu.

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1.4. Situation und Ziele der Stadtentwicklung aus kommunaler Sicht am Beispiel der Stadt Leipzig

Leipzig (ca. 511.000 Einwohner) als alte Handels-, Messe- und Universitätsstadt sowie, durchaus unter Bezugnahme auf ihr früheres Image einer "Stadt des Buches", als zukünftige Medienstadt, gilt neben Berlin heute als der bevorzugte Investitionsstandort in den Neuen Bundesländern. Die Stadt boomt, heißt es allerorten.

Der Großraum Leipzig-Halle-Bitterfeld kann in gewisser Weise - wenn auch in kleinerem Maßstab - als das Ruhrgebiet Ostdeutschlands gelten. Das Ruhrgebiet hat seit den 60er Jahren einen tiefgreifenden Strukturwandel erfahren, von einer montanindustriell dominierten Wirtschaftsbasis hin zu einer Dienstleistungsregion. So hat sich das Verhältnis der sekundären und tertiären Wirtschaftsektoren längst in das Gegenteil verkehrt. Während das Ruhrgebiet aber nahezu drei Jahrzehnte Zeit hafte, den anstehenden Strukturwandel zu bewältigen, sind hier innerhalb kürzester Zeit wesentliche wirtschaftliche Grundlagen der industriellen Produktion regelrecht weggebrochen (z.B. Wirtschaftsbeziehungen mit den osteuropäischen Ländern). Zugleich findet ein rapider Wandel in allen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Bereichen statt. Dabei ist der "Erwartungsdruck" von Seiten der Bevölkerung nicht zuletzt angesichts der von seilen der Bundesregierung geäußerten Versprechungen weiterhin enorm hoch.

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1.4.1. Probleme der Entwicklungsplanung

Erschwerend kommt hinzu, daß noch keine entwickelten Lenkungsmechanismen verfügbar sind. Die in bezug auf eine koordinierte Entwicklung der Region sich ergebenden Probleme werden deutlich, wenn man sich vor Augen hält, daß sich der Raum Leipzig-Halle-Bitterfeld über zwei Bundesländer (Sachsen/Sachsen-Anhalt), über zwei Regierungspräsidien (Leipzig, Halle) und über eine Vielzahl von Landkreisen hinweg erstreckt. So stellt sich beispielsweise die Abstimmung zwischen der Stadt Leipzig und dem sie umgebenden Landkreis - in dem der Flughafen Leipzig/Halle liegt - angesichts von immerhin 49 kleinen und Kleinst-Gemeinden (zus. ca. 130.000 Einwohner) mit eigener Planungshoheit und noch schwach ausgebildeten Verwaltungsstrukturen nicht einfach dar.

Insbesondere in den ersten Monaten nach der Wende suchten einzelne Investoren hier ihre "Chance", um in einem z.T. noch rechtsfreien Raum Einzel-Projekte - vor allem großflächige Einzelhandelsprojekte an nicht-integrierten Standorten - qua Beschluß des Gemeinderates frühzeitig festzuzurren. Diese Planungen entstanden vielerorts und völlig unabgestimmt und stellen heute eine Hypothek für alle weiteren entwicklungsplanerischen Bemühungen dar.

Nachdem im Sommer 1991 in Sachsen zwei Vorschaltgesetze zum Landesplanungsgesetz über die "Grundsätze und Ziele der Siedlungsentwicklung und Landschaftsordnung" sowie über die "Regelung der Raumordnung und Landesplanung" eingebracht worden waren, war die sog. "Zeit der Unschuld" aber weitgehend vorbei. Inzwischen steht die Verkündigung des sächsischen Landesplanungsgesetzes an (seit Mitte Juni 1992 rechtskräftig!). Es sieht die Schaffung von regionalen Planungsverbänden und von regionalen Planungsstellen bei den Regierungspräsidenten vor, um eine abgestimmte Regionalentwicklung einzuleiten. So wurde inzwischen der Regionalplanungsverband West-Sachsen gegründet. Problematisch ist es, daß einerseits zwar die Formulierung langfristiger planerischer Leitziele unabdingbar ist, man sich andererseits aber nicht den alltäglich anfallenden Entscheidungen versagen darf, da man kaum auf das Vorliegen geordneter administrativer Strukturen und Planungsgrundlagen warten kann.

Im Rahmen der Erarbeitung eines Flächennutzungsplanes für die Stadt Leipzig wurde zur Koordination der Nachbargemeinden inzwischen eine Planungsgemeinschaft geschaffen, dies in Form eines informellen und rechtlich nicht näher geregelten Kooperationsverbundes. Konstitutives Element sind dabei Beratungen und Workshops. Auch ohne entwickelte gesetzliche und planerische Regularien - etwa ein regionales Raumordnungsprogramm - konnte so entsprechend der Hierarchie der Orte im großen und ganzen Einigkeit hergestellt werden über die gegenseitige

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Aufgabenverteilung. Insbesondere konnte man sich auf eine Reduzierung der Gewerbe- und Wohnbauflächen einigen. Eines der Hauptthemen waren aber auch hier die großflächigen Einzelhandelsstandorte.

Ein Vor-Entwurf zum Flächennutzungsplan wurde trotz weiterhin z.T. divergierender und noch nicht endgültig geklärter Standpunkte innerhalb der Verwaltung und ohne Abstimmung mit den sonstigen Trägern Öffentlicher Belange aufgestellt. Zur Zeit bestimmen z.T. noch weiße Flächen als offene Konfliktpunkte das Bild. Immerhin braucht man in westdeutschen Städten vergleichbarer Größenordnung für die F-Plan-Erstellung 6-7 Jahre.

Als wichtige Rahmenbedingung und zugleich Haupthindernis der räumlichen Entwicklung der Stadt Leipzig ist zuallererst die Tatsache des Vorliegens von etwa 30.000 Rückübertragungsansprüchen zu nennen. Eine vernünftige Stadtentwicklung wird hierdurch in weiten Bereichen blockiert. Ein weiteres Handicap bilden die durchweg unsicheren Prognosen über die weitere Entwicklung im Bereich von Bevölkerung, Kaufkraft und damit einhergehenden Versorgungsbedarfen.

Dies ist allerdings keine Besonderheit der ostdeutschen Städte, sondern hat stets auch ein Unsicherheitsmoment für die Entwicklung der westdeutschen Städte dargestellt. Beispielsweise war in der Stadt Essen noch im Jahre 1986 die Rede davon, Wohnbauflächen aus dem Flächennutzungsplan herauszunehmen zugunsten eines Waldentwicklungsprogramms. Drei Jahre später kam es bereits zu Erscheinungen der Wohnungsnot.

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1.4.2. Entwicklung in Einzel-Sektoren

Gewerbe

Tatsächlich zeigt sich bislang auch in Leipzig so gut wie keine Nachfrage im Bereich des produzierenden Gewerbes. Investitionsinteresse regt sich allein im Bereich von Büro- und High-Tech-Nutzungen. Die sich hier z.Zt. auftuenden Gewerbeflächenbedarfe sind allerdings enorm. Momentan rechnet man für die Stadt Leipzig mit einem zusätzlichen jährlichen Bedarf von knapp 300.000 qm Fläche (bis zum Jahr 2.000 mit rd. 5 Mio. qm insgesamt). Im Vergleich dazu weist eine Stadt wie Hannover derzeit Büroflächenbedarfe von ca. 50-60.000 qm/jährlich auf. Die Preise erreichen exorbitante Höhen. Sie liegen heute bei bis zu 80 DM/qm, werden sich für den Bereich der City längerfristig aber eher bei 30 bis 50 DM/qm einpendeln.

In der Innenstadt werden durch die Umstrukturierung der Messe hochwertige Flächen in zentraler Lage frei (s. unter 3.3.3). Die Stadt ist allerdings bestrebt, mehrere Standbeine der Wirtschaftsentwicklung aufzubauen und versucht, Flächen mit guter

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verkehrlicher Anbindung an weiteren Standorten im Stadtgebiet vorzuhalten. Insbesondere werden auch Flächen für rein gewerbliche Nutzungen ausgewiesen.

Einige der planerischen Fehlentwicklungen sind z.T. bereits vor der Wirtschafts- und Währungsunion eingeleitet worden. Als größtes Projekt in der Region erweist sich der Saale-Park, mit einer Verkaufsfläche von 120.000 qm das größte Projekt seiner Art in Deutschland. Das Projekt liegt 15 km entfernt vom Stadtzentrum Leipzigs verkehrsgünstig an einer Autobahn, dies allerdings in Sachsen-Anhalt unmittelbar an der Landesgrenze zu Sachsen. Schon jetzt steht eine Ausweitung des Einzelhandelsparks an (u.a. mit Firmen wie Ikea). Wenige Kilometer vom Saale-Park entfernt ist inzwischen der Sachsen-Park entstanden mit einer Verkaufsfläche von 70.000 qm. Ganz aktuell ist sogar der Spatenstich erfolgt für ein Projekt auf Leipziger Stadtgebiet ebenfalls in der Größenordnung von 70.000 qm Verkaufsfläche. Die Stadt hat sich allerdings bemüht, das Gewerbegebiet ein wenig zu differenzieren und auch Wohn- und Freizeitnutzungen hineinzubringen. Als Hebel hierfür liegen die Vergaberechte bei der Stadt selbst.

Verkehr

Am nördlichen Rand des Entwicklungsraumes Leipzig an der A 14 liegt der Flughafen Halle/Leipzig, bei dem für 1992 eine Fluggastzahl von inzwischen ca. 1 Mio. Personen erwartet wird. Im Kraftfeld des Flughafens werden sich auch weitere tertiäre Einrichtungen ansiedeln. Wichtig ist die geplante ICE-Verbindung, wobei die Stadt Leipzig großen Wert darauf legt, daß der Hauptbahnhof als Kopfbahnhof in diese Verbindung integriert wird.

Auch dem geplanten Güterverteilzentrum kommt hohe Priorität zu. Hier geht es um die Verteilung des Güterverkehrs auf Straße und Schiene. Bislang erfolgt die Verkehrsabwicklung in diesem Bereich vor allem über die Straße.

Der sog. Modal Split (Verhältnis ÖPNV : IV) hat sich in Leipzig in den letzten Jahren regelrecht umgekehrt. Lag er 1987 noch bei 60 : 40, so liegt er heute bei 40 : 60. Diese Entwicklung soll aufgehalten werden. In bezug auf die Verkehrsentwicklung setzt man - und da wurde aus Fehlern zahlreicher westdeutscher Großstädte gelernt - im Bereich des ÖPNV eindeutig auf die Straßenbahn als Verkehrsmittel der Gegenwart und der Zukunft. Hier sind jenseits der Tarifgestaltung Konzepte zur weiteren Attraktivierung z.B. durch Beschleunigung zu entwickeln.

Das historische (römische) Radial-Straßennetz soll tangential umgebaut werden, um so auch Durchgangsverkehre um Leipzig herumführen zu können. In dem Zusammenhang wird auch eine Autobahn-Südspange für Leipzig diskutiert. Beim ruhenden Verkehr sieht man hingegen kaum Lösungsansätze, allenfalls Chancen, die vor

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handenen Probleme ein wenig abzumildern. Insbesondere in gründerzeitlichen Gebieten, in denen z.T. Geschoßflächenzahlen von 3,0 anzutreffen sind, aber auch in den in dieser Hinsicht völlig unzureichend ausgestatteten großen Neubauquartieren sieht man kaum Ansatzpunkte.

Leipzig verfügt auch über einen Wasseranschluß (Elsterkanal). Hier werden z.Zt. die wirtschaftlichen Möglichkeiten der noch aus den 40er Jahren stammenden Planungen eines Anschlusses an die Saale geprüft.

Wohnen

Das Wohnen ist als ein wichtiger "weicher" Standortfaktor für die wirtschaftliche Entwicklung zu bezeichnen. Leipzig hat einen Wohnungsbestand von 257.000 WE. Davon befinden sich 53% im Besitz der Leipziger Wohnungsbaugesellschaft (LWB), die mit 130.000 WE zur größten Wohnungsbaugesellschaft in Deutschland avanciert ist. 22,5% befinden sich in genossenschaftlichem Eigentum, 6,2 % in privatem Besitz und 17% werden von der Treuhandanstalt verwaltet.

Von den Wohnungen in Leipzig sind ca. 130.000 den Bauzustandsstufen 1 und 2 (sehr gut bis gut) zuzuordnen. Bei diesen handelt es sich im wesentlichen um Neubauwohnungen. 105.000 befinden sich in schlechtem Zustand (Stufe 3). Ca. 20.000 gelten als sehr schlecht oder sogar unbewohnbar. Daneben besteht ein dringender zusätzlicher Bedarf an 35.000 Wohnungen.

Als ein Haupthindernis der Entwicklung erweist sich ähnlich wie im gewerblichen Bereich die hohe Anzahl an Rückübertragungsansprüchen. Sie lasten auf etwa 57.000 Wohnungen.

Von der Struktur des Wohnungsbestandes her sind die gründerzeitlichen Altbauquartiere (wie Plagwitz, Connewitz) von den großen Neubausiedlungen zu unterscheiden (wie Grünau, Paunsdorf). Letztere haben wie Grünau mit 100.000 Einwohnern die Größe von städtischen Zentren, sind aber monostrukturiert und verfügen in weiten Bereichen nicht über die entsprechenden privaten und öffentlichen Versorgungsstrukturen. Anders als in den - wenn auch kleineren - westdeutschen Beispielen weist die Bevölkerung noch die gesamte soziale Bandbreite auf, vom Universitätsprofessor bis zum einfachen Arbeiter. Die Maßnahmen zur Verbesserung der Wohn- und Versorgungssituation (z.B. durch Wohnumfeldverbesserung) richten sich denn auch gegen die erwarteten Prozesse sozialer Segregation. In Bereichen mit hohem Aufwertungsdruck wird z.Zt. über Erhaltungssatzungen nachgedacht.

Im Altbaubestand wurden in 19 Gebieten mit zusammen ca. 55.000 WE sog. "vorbereitende Untersuchungen" nach dem BauGB eingeleitet. Zwei Sanierungsge

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biete sind inzwischen förmlich festgelegt worden. Sechs Gebiete wurden zu Schwerpunktgebieten der Stadterneuerung ernannt. In weiteren Gebieten sind einfache Sanierungs- und Modernisierungsmaßnahmen vorgesehen. Im Jahr 1991 konnten so 170 Mio. DM an Fördermitteln in den Wohnungsbau gelenkt werden. Die Schwerpunkte der Aktivitäten im Wohnungsbereich erstrecken sich damit

  • auf die Sanierung und behutsame Stadterneuerung,
  • die Komplementierung und behutsame Nachverdichtung vorhandener Wohnsiedlungsbereiche (bes. Großsiedlungen wie etwa Paunsdorf) und
  • die Ausweisung neuer Wohnbauflächen (insbes. auch für 1- und 2-Familien-häuser).

Die Flächenbedarfe für letztere sind nicht allein innerhalb der Leipziger Stadtgrenzen zu befriedigen. Hier bedarf es vielmehr der Kooperation mit dem Umland.

Über die hier skizzierten Einzel-Sektoren hinaus liegen besondere stadtentwicklungspolitische Handlungsbedarfe im Bereich von Landschaftsschutz und Freiraumentwicklung. Leipzig ist dadurch gekennzeichnet, daß der Braunkohletagebau im Süden krakenartig bis in das Stadtgebiet hineingreift. Hier wurde eine Entwicklungsgesellschaft Südraum gegründet, die Konzepte zur Rekultivierung und Wiederbelebung dieses in ökologischer Hinsicht sehr stark geschädigten Bereichs erarbeiten soll.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Oktober 2000

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