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6. Zusammenfassung und Schlußfolgerungen:
Unabhängige Stadtwerke als Voraussetzung einer partnerschaftlichen Arbeitsteilung in der Energiewirtschaft


Die wirtschaftlich und ökologisch sanierungsbedürftige Energieversorgung in der früheren DDR eröffnete, zunächst im Rahmen der Wandlungen innerhalb der DDR, dann im Zuge der deutsch-deutschen Einigung, kompetenten, kapitalkräftigen und erfahrenen Energieversorgungsunternehmen aus den alten Bundesländern Aussichten für ein langfristig lukrativ erscheinendes Engagement. Zwar machten erste Bilanzen über den Umfang der nötigen Investitionen einen zunächst hohen Kapitalbedarf deutlich. Alleine in die ostdeutsche Stromwirtschaft sind in den nächsten zehn Jahren bis zu 60 Milliarden DM zu investieren. Aber die Aussicht auf einen vertraglich über 20 Jahre gesicherten Stromabsatz in den Versorgungsgebieten der ehemaligen Bezirks-Energiekombinate ließ ein lohnendes Geschäft erwarten, so daß die drei großen Energieversorgungsunternehmen RWE, Bayernwerke und PreussenElektra der damaligen DDR und der Treuhandanstalt mit dem sogenannten "Stromvertrag" die Rekonstruktion und Sanierung der DDR-Stromverbundunternehmen sowie die Gewährleistung einer sicheren und preisgünstigen Versorgung mit Strom zusicherten. Im Gegenzug bekamen die drei Unternehmen die Mehrheitsbeteiligungen an den zu privatisierenden Verbundunternehmen für die Großkraftwerke und die Verbundnetze sowie an 11 der 15 regionalen Stromversorgungsunternehmen auf dem Gebiet der neuen Länder zugesprochen. Den Kommunen wurde zugesichert, bis zu 49 Prozent der Anteile an den regionalen Bezirks-Energiekombinaten zu erhalten.

Die Festschreibung dieser Beteiligungsverhältnisse sowie die Festlegung, die Regionalversorger hätten über 20 Jahre lang 70 Prozent des Stroms aus dem überregionalen Verbundnetz zu beziehen, rief jedoch Widerstand von Städten und Gemeinden in der DDR hervor. In der Beschränkung ihrer Eigentumsrechte auf Kapitalanteile an regionalen Unternehmen und in Auflagen für die Abnahme des örtlich benötigten und verteilten Stroms sehen die Gemeinden eine Beschneidung des grundgesetzlich verbürgten Rechts auf kommunale Selbstbestimmung im Rahmen der Daseinsvorsorge. Außerdem halten sie die Eigentumsregeln für eine Untergrabung ihrer zum Teil bestehenden Restitutionsansprüche, die sich auf die Existenz ehemaliger Stadt- und Gemeindewerke bis zu den Zentralisierungs- und Enteignungsmaßnahmen in den ersten Jahren nach DDR-Gründung stützen. Darüber hinaus schränkt der Stromvertrag nicht nur den kommunalpolitischen Handlungsspielraum, sondern auch die umweltpolitischen Gestaltungsmöglichkeiten ein: Zwar ist laut Stromvertrag die Gründung von Stadtwerken möglich, doch müssen sich die Stadtwerke von vorneherein

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auf einen hohen Fremdbezug des von ihnen verteilten Stroms einstellen, was zum Beispiel die kommunale Politik des Ausbaus der Kraft-Wärme-Kopplung erschwert. Die gleichzeitige Produktion von Fernwärme und Elektrizität rechnet sich für ein Stadtwerk vor allem dann, wenn es den produzierten Strom über eigene Netze an den Endverbraucher verkauft, statt – für einen zu niedrigen Preis – in das Netz des regionalen Versorgungsunternehmens einzuspeisen. Der Widerstand der Kommunen und Städte mündete in einer beim Bundesverfassungsgericht eingelegten Kommunalverfassungsbeschwerde, mit der inzwischen über 160 Städte und Gemeinden auf dem Gebiet der neuen Länder gegen die im Einigungsgesetz sowie in späteren Gesetzen festgeschriebenen Eingriffe des Stromvertrages in das kommunale Selbstverwaltungs- und Gestaltungsrecht vorgehen.

Neben der Kommunalverfassungsbeschwerde und der Einlösung von Restitutionsansprüchen gibt das ab 1. Januar 1992 den Kommunen zustehende volle Straßen- und Wegerecht den Städten und Gemeinden die Möglichkeit, von den bisherigen Regionalversorgern die Herausgabe der auf kommunalem Grund befindlichen Netze und Anlagen zu verlangen. Nach Auffassungen einiger Kritiker des Stromvertrages wird die zur Zeit noch als Besitzerin dieser Einrichtungen auftretende Treuhandanstalt Entschädigungsleistungen für die Eigentumsübergabe politisch kaum durchsetzen können, wenn viele Städte und Gemeinden der ehemaligen DDR die Herausgabe fordern. Nicht zuletzt würde es der Treuhandanstalt auch schwerfallen, überhaupt einen Schaden nachzuweisen, da ihr der derzeitige Besitz an den Anlagen zugefallen sei.

Während Umfang und Bedingungen einer Eigentumsübertragung von Netzen und Anlagen leitungsgebundener Energien an Städte und Kommune umstritten sind, herrscht heute weitgehend Einigkeit darüber, daß die Gründung von Stadtwerken und die Durchführung einer dezentralisierten Energieversorgung in der Regie von Kommunen in jedem Einzelfall auf Wirtschaftlichkeit, Versorgungssicherheit, Preiswürdigkeit und vor allem auch in ihren Auswirkungen auf die Energieversorgung in der Region zu prüfen sei.

In diesem Zusammenhang ist sicherlich der Rat von Vertretern regionaler Energieversorgungsunternehmen ernst zu nehmen, die auf den ersten Blick günstig aussehenden Angebote, wie zum Beispiel einer amerikanischen Firma zum Bau eines Heizkraftwerks und der Lieferung von Strom und Fernwärme, genau zu rechnen. Die Angebote seien zum Teil nur mit Preisen "frei Kraftwerkszaun" kalkuliert, so daß die Kommunen den teuren Netzbetrieb noch einrechnen müssen. Außerdem

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seien bei der Entscheidung für die Errichtung eigener Stadtwerke die Verwaltungs- und Entflechtungskosten zu beachten sowie vor allem die Kosten für qualifiziertes Personal. Gerade die zum Aufbau dringend benötigten Mitarbeiter mit sowohl kaufmännischen als auch technischen Kompetenzen seien heute schwer zu finden. Hinzu komme, daß die auf eigene Rechnung produzierenden Stadtwerke auch die Deckung des teuren Spitzenstroms sowie die Abnahme des Überschußstroms kalkulieren müßten, was in Wirtschaftlichkeitsberechnungen oft ausgeklammert werde.

Die sorgfältige Prüfung solcher Einwendungen stellt sicherlich eine Hilfe für die Städte und Kommunen dar, ihre Entscheidung für die Durchführung der Energieversorgung in eigener Regie auf eine solide Grundlage zu stellen. Auf der andere Seite klagen Städte und Kommunen darüber, daß ihnen gerade die Wirtschaftlichkeitsberechnungen schwer gemacht würden, weil Versorgungsunternehmen ihnen den Einblick in dafür notwendige Unterlagen verwehren. Diese Behinderungen sind der immer wieder als erwünscht bezeichneten vernunftgeleiteten Kooperation zwischen überregionalen, regionalen und kommunalen Energieversorgern sicherlich ebensowenig dienlich wie die bis heute andauernde Versuche, den Städten und Kommunen mit Pauschalargumenten den Mut zur Gründung eigener Stadtwerke zu nehmen.

Während manche Befürworter des Stromvertrages von vorneherein den Eindruck erweckten, nur die im Vertrag genannten Partnerunternehmen seien in der Lage, die Elektrizitätswirtschaft zu sanieren, gibt es mittlerweile zahlreiche andere interessierte und kompetente Unternehmen, die ohne Vorlieferanteninteressen die Beteiligung an Stadtwerken wünschen und dabei kommunale Mehrheiten akzeptieren. Nicht zuletzt sind auch ausländische Energieversorger, zum Beispiel aus den USA, Großbritannien und Frankreich, daran interessiert, durch solche Kooperationen auf dem deutschen Energiemarkt präsent zu werden. So boten sich amerikanische Unternehmen auf einer im Herbst 1991 in Berlin stattgefundenen mehrtägigen Präsentation als Kooperationspartner für die ostdeutschen Städte und Gemeinden an und sollen dabei Investitionen von insgesamt rund 50 Milliarden DM in Aussicht gestellt haben. Gerade das Engagement ausländischer Unternehmen macht für die Kommunen möglicherweise auch wieder die Kooperation mit westdeutschen Energieversorgern interessant, weil letztere durch die Konkurrenz sich zu größerem Entgegenkommen veranlaßt sehen könnten. Zum Teil eröffnet die Kooperation mit ausländischen Unternehmen auch neue Finanzierungsmöglichkeiten. So berichtet ein Mitarbeiter aus dem Ministerium für Umwelt, Naturschutz und Raumordnung des Landes Brandenburg, daß Anlagenbauer mittlerweile den Kommunen auf Wunsch Angebote für die Finanzierung von Anlagen unterbreiten.

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Schließlich unterstützen westdeutsche Stadtwerke die ostdeutschen Kommunen beim Aufbau und Betrieb von Versorgungseinrichtungen unter anderem durch Bereitstellung von Personal, Kraftfahrzeugen und Geräten, Schulungen und Kapitalbeteiligungen. Auch der Verband kommunaler Unternehmen, dem im Oktober 1991 in den neuen Ländern 32 Mitgliedsunternehmen angehören, leistet durch eine Arbeitsgemeinschaft mit Sitz in Berlin und neu gegründeten Landesgruppen in Ostdeutschland Hilfestellung beim Aufbau von Stadtwerken.

Pauschale Warnungen vor einer drohenden Energielücke oder überteuerten Energiepreisen in der Region als Folge von Stadtwerkegründungen fördern nicht den konstruktiven Dialog, wenn sie sich bei näherem Hinsehen als haltlose Propaganda erweisen. Mittlerweile ist abzusehen, daß der Elektrizitätsbedarf in den neuen Ländern erst Ende des Jahrzehnts den Stand von 1989 erreichen wird. Und für die Behauptung, Stadtwerke würden durch Herauslösung dichter Versorgungsgebiete aus einer Region den Strompreis in den anderen Gebieten in die Höhe treiben, gibt es nach Auffassung von Kritikern des Stromvertrages keine empirische Grundlage. Die regionalen Strompreisunterschiede im Westen seien nicht auf unterschiedliche Verdichtungsniveaus zurückzuführen, sondern eher auf Faktoren wie die Altersstruktur des Kraftwerksparks. Zwar seien in weniger dicht besiedelten Regionen die Netze weitmaschiger, aber dafür ist die Verlegung und Schaffung von Netzen dort weniger aufwendig als in den dicht bebauten und verkehrsreichen Städten.

Gerade wenn man anerkennt, daß die Sanierung der Energiewirtschaft in Ostdeutschland zügig durchzuführen ist, sollten man seine Interessen nicht mit Argumenten durchzusetzen versuchen, die die Ernsthaftigkeit der eigenen Kooperationsbereitschaft in Frage stellen. Drohungen mit Investitionsverzögerungen sind dabei sicherlich ebensowenig hilfreich wie der entbrannte Streit zwischen Erdgaslieferanten über Liefermengen und -preise. Die Berechtigung der unterschiedlichen Interessen zwischen den großen Verbundunternehmen und den Regionalversorgern einerseits und den Städten und Kommunen andererseits lassen sich auch ohne Griff nach ideologischen Argumentationsmustern als berechtigt und damit vernünftig verhandelbar darstellen, denn alle Beteiligten erfüllen ihre spezifischen Leistungen für die gesicherte Energieversorgung in den neuen Ländern:

Die Verbundunternehmen werden gebraucht, um eine zuverlässige und preisgünstige Versorgung und nicht zuletzt die Verstromung der Braunkohle zu garantieren. Dabei ist zu beachten, daß eine Sanierung der Braunkohlenkraftwerke und des Braunkohlentagebaus kaum zu finanzieren ist, wenn der aus Braunkohle erzeugte Strom nicht

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in nötigem Umfang Abnehmer findet. Doch auch den Stadtwerken kommt eine wichtige Rolle in der Energieversorgung zu, weil die dezentralisiert arbeitenden Unternehmen jenes kommunale Wissen über Energiesparpotentiale ausschöpfen können, das neben der kommunalpolitischen Gesamtplanung Voraussetzung für die Schaffung einer umweltpolitisch als verträglich angesehenen Energieversorgung ist. Natürlich gibt es dabei auch Interessengegensätze, denn während die Verbundunternehmen an einem möglichst großen Absatz des zentral erzeugten Strom interessiert sein müssen, versuchen die Stadtwerke, ihren Abnehmern Sparpotentiale zu erschließen und den Bedarf von Haushalten, Industrie und Gewerbe mit den in eigenen Heizkraftwerken erzeugten Strom zu decken.

Gerade dann, wenn Kooperation trotz unterschiedlicher Interessen erwünscht ist, so jedenfalls die Verlautbarungen, und gelingen soll, müssen alle Partner die Möglichkeit haben, ihre Interessen eigenständig und unabhängig voneinander zu vertreten. Deshalb zielt die Kommunalverfassungsbeschwerde im Kern darauf, die Voraussetzungen für die im Westen bewährte Arbeitsteilung zwischen den überregionalen Verbundunternehmen, den Regionalversorgern und den Stadtwerken auch in Ostdeutschland zu schaffen. Eine arbeitsteilige Kooperation, die diesen Namen verdient, bedarf auf allen Seiten starker Partner. Mit ihrem Kampf um das kommunale Eigentum versuchen die Kommunen, die ihnen zugewiesene Rolle des energiepolitischen Bittstellers gegenüber den mit Mehrheiten und Abnahmegarantien ausgestatteten großen Verbundunternehmen gegen die Position des auswählenden Partners einzutauschen. Und diese Position ist angesichts unterschiedlicher Interessen eine vielleicht unbequeme aber notwendige Voraussetzung für faire Verhandlungen und Kompromisse.

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Referenten

Dr. Franz Cromme, Mitglied des Vorstandes Oder-Spree-Energieversorgungs AG

Joachim Franck, MdL, Vorsitzender des Ausschusses für Wirtschaft, Mittelstand und Technologie im Landtag von Brandenburg

Dr. Wolf Gottschalk, Beigeordneter des Verbandes kommunaler Unternehmen e. V.

Ulrich Holzgräbe, Bürgermeister Stadt Jena

Volker Jung, MdB, energiepolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion

Eckard Meyne, Geschäftsführer der Stadtwerke Magdeburg GmbH

Dr. Heinz Oversohl, Direktor Verkauf Nord, Ruhrgas AG

Bernd Schulze, Dezernent für Umweltschutz, Stadtbetriebe und Wohnungswesen, Stadtverwaltung Brandenburg

Dr. Frithjof Spreer, Leiter der Abteilung Energie und Technologie im Ministerium für Wirtschaft des Saarlandes


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