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[Seite der Druckausg.: 26 (Fortsetzung)]


5. Regionalpolitische Aspekte

Angesichts der tiefen (und langen?) Talsohle, die von der ostdeutschen Wirtschaft noch zu durchschreiten ist, und angesichts der damit verbundenen Beschäftigungs- und Sozialprobleme ist die Sorge verständlich, manche ostdeutschen Regionen könnten in der Entwicklung noch unter den Durchschnitt fallen und anschließend an der ab 1992 hoffentlich einsetzenden Wiederbelebung nur unterdurchschnittlich teilhaben. Wie kann man dieser Gefahr entgegensteuern? Dafür ist es wichtig, sich über die Bestimmungsfaktoren regionaler Wirtschaftsentwicklung Klarheit zu verschaffen, ohne zu vergessen, daß es trotz aller Regionalpolitik auch innerhalb von Volkswirtschaften immer regionale Niveauunterschiede geben dürfte. So sind die erheblichen Unterschiede zwischen den Regionen der EG - wie Dr. Sengenberger berichtete - nur zu einem Drittel auf Niveauunterschiede zwischen den EG-Staaten zurückzuführen, zu zwei Dritteln aber auf Unterschiede innerhalb des jeweiligen Mitgliedstaates. Es kann also nicht damit gerechnet werden, daß die Unter-

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schiede zwischen Ost- und Westdeutschland nur deshalb "verschwinden", weil beide jetzt Regionen eines Staates sind. Regionalpolitische Maßnahmen sind mithin erforderlich. Wo aber sollen diese Maßnahmen ansetzen? Bei der Beantwortung dieser Frage ist zu beachten, daß für die Standortentscheidungen der Unternehmen naturbestimmte Standortfaktoren (Bodenschätze, Wasserwege) immer unwichtiger werden. Von wenigen Industriezweigen abgesehen, spielen Massengüter und Transportkosten eine immer geringere Rolle, so daß diese Faktoren die Entstehung grundsätzlich weltweiter Zulieferer- und Abnehmerbeziehungen nicht mehr behindern. Dennoch spielen nach wie vor insbesondere bei den Zulieferungen regional benachbarte Betriebe eine sehr große Rolle. Für die Abnehmer gilt das weniger, außer bei den Dienstleistungsunternehmen, bei denen offenbar die direkte und persönliche Kommunikation und Information besonders wichtig sind. Die Bedeutung der regionalen Beziehungen zeigt, daß sehr viele Geschäfte eben nicht auf anonymen Märkten getätigt werden, sondern daß der Abschluß von Geschäften durch die Benutzung von bereits geknüpften Kommunikations- und Informationsnetzwerken erleichtert wird. Es kann vermutet werden, daß die Bedeutung solcher Netzwerke für kleinere und mittlere Unternehmen besonders groß ist, die wiederum dadurch größere Chancen erhalten, daß aufgrund der zunehmenden Produktdifferenzierung und der dadurch abnehmenden durchschnittlichen Losgrößen die durchschnittliche Betriebsgröße tendenziell zurückgeht.

Die Probleme in den ostdeutschen Bundesländern werden durch einen Blick nach Baden-Württemberg besonders deutlich. Dort gibt es gerade im Bereich der kleineren und mittleren Unternehmen gewachsene Strukturen, die auf eine lange Tradition zurückblicken können und sich im Laufe der Industrialisierung herausgebildet haben. In der DDR dagegen waren die Betriebe sehr stark vertikal integriert und nicht auf Marktbeziehungen ausgerichtet. Diese Zentralisierung wird nun durch die Entflechtung der Kombinate beseitigt, aber die früher einmal vorhandenen industriellen Strukturen entstehen nicht von alleine, sondern müssen nun wieder geschaffen werden. Dazu ist sicherlich die Hilfe der Regionalpolitik notwendig und wünschenswert. Es stellt sich aber die Frage, wer die Träger dieser Regionalpolitik sein sollen. Die vorhandenen Gemeinden Ostdeutschlands sind - von einigen Ausnahmen abgesehen - dafür vermutlich

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noch weniger geeignet als die westdeutschen Gemeinden. Sie haben nämlich im Durchschnitt weniger Einwohner (rund die Hälfte der Gemeinden in den fünf neuen Bundesländern zählt weniger als 500 Einwohner) , sie haben eine sehr schlechte Finanzausstattung und sie sind auf die neuen Aufgaben sehr schlecht vorbereitet.

Da dies wegen der verwaltungsmäßigen Zentralisierung in der ex-DDR auch für andere Aufgaben gilt, ist eine Gemeindereform und die Zusammenlegung vieler kleiner Gemeinden dringend erforderlich, schon um eine Gemeindeverwaltung finanzieren und aufbauen zu können, die ihren heutigen Aufgaben gerecht werden kann.

Die regionalpolitische Kompetenz müßte daher eher auf der Ebene der neuen Bundesländer angesiedelt sein; diese müßten regionalpolitische Leitlinien und -pläne aufstellen, um einen unerwünschten Wettlauf der Gemeinden um ansiedlungswillige Betriebe zu vermeiden, der zu gegenseitigem Über- bzw. Unterbieten führt und zu ungerechtfertigter Subventionierung solcher Betriebe. Empfehlenswert ist die Schaffung von Wirtschaftsförderungsgesellschaften, die außerhalb der eigentlichen Verwaltungsstrukturen angesiedelt werden und deren regionale Zuständigkeitsbereiche auf die regionalpolitischen Bedürfnisse zugeschnitten werden können, so daß sich die Alternative "Entweder Gemeindeebene oder Länderebene" nicht stellt. Es fragt sich außerdem, ob nicht auch eine Koordination der Regionalpolitik zwischen den neuen Bundesländern erforderlich ist.

Über die Vielzahl existierender Wirtschaftsförderungsprogramme und -instrumente informiert das Heft Nr. 15 in der Reihe "Wirtschaftspolitische Diskurse" mit dem Titel "Wirtschaftsförderungsprogramme und -instrumente von EG, Bund, Ländern und Kommunen - Umsetzung in den neuen Bundesländern".

Angesichts des Zustandes, in dem sich die Verwaltungen in der ehemaligen DDR nach wie vor befinden, spricht Dr. Sengenberger auch die Lösung an, daß die kleinen und mittleren Betriebe versuchen, sich selbst kollektiv zu organisieren, um die notwendigen Netzwerke zu schaffen und nicht zu Zulieferfirmen zu degenerieren, die von einem einzigen Großunternehmen abhängig sind. Er verweist da-

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für auf ein in neuerer Zeit viel beachtetes Beispiel für solche Unternehmensnetzwerke, nämlich die räumlich konzentrierten Gruppen von Kleinunternehmen mit eher handwerklich zu nennender Produktionsweise in Mittel- und Norditalien. Diese Netzwerke bestehen aus einer Vielzahl von Kleinbetrieben, welche relativ eng zusammenarbeiten und für Fabrikanten produzieren, die sich auf Konstruktion und Design sowie die Vermarktung des Endprodukts konzentrieren, die aber nicht selber produzieren, sondern mit einer Vielzahl von Zulieferer zusammenarbeiten. Die Zulieferer ihrerseits sind auf einzelne Fertigungsschritte spezialisiert und arbeiten in der Regel für mehrere Fabrikanten, so daß wesentliche Abhängigkeiten von einzelnen Abnehmern selten sind. Es müßte analysiert werden, in welchem Umfang staatliche Institutionen, aber auch Verbände und andere Einrichtungen, wie z. B. Industrie- und Handelskammern, bei der Entstehung solcher Unternehmenskooperationen Hilfestellung geleistet haben. Vermutlich ließen sich daraus Empfehlungen für die Regionalpolitik in Ostdeutschland ableiten.

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Tagungsleiter

Prof. Dr. Erhard Kantzenbach, Universität Hamburg,
Präsident des HWWA-Institut für Wirtschaftsforschung in Hamburg

Prof. Dr. Jürgen Kromphardt, Technische Universität Berlin

Referenten:

Prof. Dr. Reinhard Blum, Universität Augsburg

Prof. Dr. Friedrich Buttler, Direktor des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) der Bundesanstalt für Arbeit in Nürnberg

Dr. Stefan Körber, MdL, SPD-Fraktion, Brandenburger Landtag

Wolfgang Roth, MdB, stellv. Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion

Dr. Werner Sengenberger, International Institute for Labour Studies, Genf

Prof. Dr. Ulrich Steger, Direktor des Instituts für Ökologie und Unternehmensführung an der European Business School (EBS) in Oestrich-Winkel


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