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[Seite der Druckausgabe: 17 / Fortsetzung]

4. Beschäftigungsgesellschaften - eine vorläufige Entwicklungsbilanz



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Anfänge

Am 06. Juli 1990 wurde zwischen den Geschäftsleitungen des ehemaligen Kombinats Kraftwerks-Anlagenbau und den betrieblichen Interessenvertretungen dieser Betriebe eine Vereinbarung über die Gründung der Qualifizierungs- und Entwicklungsgesellschaft Energie und Umwelt mbH in Berlin geschlossen. In der Satzung werden als Grundsätze und Ziele des Projekts aufgeführt:

"Durch die Qualifizierungsgesellschaft sollen die unmittelbar von Kündigung bedrohten Beschäftigten der Unternehmen weiterhin Einkommen beziehen, während sie qualifiziert werden und Entwicklungsarbeiten für neue Beschäftigungsfelder vornehmen. Damit leistet eine solche Gesellschaft einen wichtigen Beitrag sowohl zur Milderung sozialer Probleme des Strukturwandels in den Unternehmen, als auch zur Schaffung neuer Beschäftigungsfelder im Betrieb und in der Region.

Die Gründung der GmbH soll der Beschäftigungssicherung und der Erarbeitung neuer Beschäftigungsfelder dienen. Die GmbH soll als ge-

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meinnützige Gesellschaft gegründet werden, bzw. die Gemeinnützigkeit beantragen.

Die Wiedereingliederung in den ehemalig beschäftigenden Betrieb soll ermöglicht werden, ohne daß dabei eine Beschäftigungsgarantie gegeben werden kann.

Durch eine Kombination öffentlicher Mittel, insbesondere des Kurzarbeitergeldes von der Arbeitsverwaltung mit betrieblichen Mitteln, sollen die Beschäftigungsverhältnisse in der neuen GmbH gesichert werden.

Die GmbH ermöglicht Maßnahmen der Ausbildung, Fortbildung, Umschulung und sonstige Maßnahmen der beruflichen Weiterbildung."

Damit war in der damals noch existierenden DDR der erste Schritt zur Implementierung eines neuen Typs strukturförderlicher Initiativen getan. Es handelt sich dabei um eine Konzeption, die unter verschiedensten Begriffen gehandelt wird wie "Beschäftigungsfirmen, Auffanggesellschaften, Qualifizierungsgesellschaften, Arbeitsförderungsgesellschaften" etc.

Wesentlich für diese Konzeption ist, daß für gravierende Strukturwandlungsprozesse Überbrückungs- und Überleitungsinstrumente vorgeschlagen werden, die in Form von Beschäftigungsgesellschaften den Betroffenen helfen sollen, die Strukturveränderungen im Betrieb und der Region mitzuvollziehen und mitzugestalten.

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Rückgriffe und Glaubenskriege

Dabei finden sich Anknüpfungspunkte bei den Beschäftigungsplänen und Beschäftigungsgesellschaften in den alten Bundesländern, die aber keine erschöpfenden Hinweise für die neuen Wege in der Arbeitsmarktpolitik geben können. Die Erfahrungen in den alten Bundesländern zeigen, daß die Projekte in der Regel auf ihre Qualifizierungskomponente reduziert wurden. Beschäftigungs- und Arbeitsplatzschaffungseffekte müssen eher als gering eingeschätzt werden.

Durch die arbeitsmarktlichen Entwicklungen und Herausforderungen in den neuen Bundesländern ist das Konzept "Qualifizieren statt Entlassen" in das Zentrum einer neuen Diskussion gerückt. Dabei wurde durch überflüssige ideologische Auseinandersetzungen und Grabenkämpfe viel Zeit verschenkt. Trotz erheblichen Handlungsbedarfs und

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der zur Verfügung stehenden gesetzlichen Rahmenbedingungen durch die Regelungen des AFG (DDR) kam es nicht zu konkreten Initiativen. So bezeichnete die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" am 21. März 1991 Beschäftigungsgesellschaften als ein "Phantom", das schon immer aufgetaucht ist, "wenn es in Regionen der alten Bundesrepublik Schwierigkeiten bei der Anpassung an neue Industriestrukturen gegeben hat". Die FAZ räsoniert, ob Beschäftigungsgesellschaften hoch subventionierte Betriebe mit unrentabler Produktion sind, oder ob es sich dabei um Initiativen zum Abriß von Gebäuden und Produktionsanlagen handelt, oder ob nicht einfach damit sozialpolitische Auffangtücher gespannt werden sollen, in denen "Menschen für ein paar Monate (oder Jahre) ihr gewohnter Lebensbereich erhalten" bleibt.

Schärfer formuliert die "Wirtschaftswoche" einen Tag später in ihrer Ausgabe vom 22. März 1991. Sie titelt: "Ostdeutschland: Der wirtschaftliche Verfall macht die Politiker kopflos. Rabatten hacken. Beschäftigungsgesellschaften sollen Arbeitslosigkeit und drohende soziale Unruhen verhindern. Wunderwaffe oder Rohrkrepierer?" Die selbstgestellte Frage nach Wohl oder Übel beantwortet sie mit eindeutiger Wertung:

"Die Beschäftigungsgesellschaften laufen in der Praxis auf eine gigantische Beschäftigungstherapie für ein ganzes Volk hinaus. Die Gesellschaften drohen den gerade anlaufenden Motor des wirtschaftlichen Fortschritts in den neuen Bundesländern gleich wieder abzuwürgen und die stärkste Quelle für neue zukunftsichere Arbeitsplätze zu verschütten: den Mittelstand. Private Unternehmer werden mit den ohne Personalkosten kalkulierenden Beschäftigungsgesellschaften im Wettbewerb um Aufträge nicht mithalten können. Neue lebensfähige Strukturen werden verhindert, alte kranke künstlich konserviert. Genauso funktionierte einst die DDR-Wirtschaft. Sie war nichts anderes als eine riesige Beschäftigungsgesellschaft."

Diese Meinungen bilden beileibe keine zu vernachlässigende Minderheitsposition, sehen sich aber auch aus Kreisen der Wirtschaft und Wirtschaftspolitik mit Widerspruch konfrontiert. Der wachsende Handlungsdruck bringt den ordo-liberalen Wirtschaftspurismus in Konkurrenz zu Auffassungen, die sich die wirtschaftliche Konjunktur in den neuen Bundesländern nicht als einen durch den Markt und die

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Privatinitiative selbstinduzierten Vorgang vorstellen können. Begriffe wie "begleitete Marktwirtschaft" (Klaus Murmann, Präsident der Deutschen Arbeitgeber) oder auch politische Aussagen wie die des Ministerpräsidenten des Freistaates Sachsen, Kurt Biedenkopf, illustrieren dies. Wenn Rationalisierungsschutz- und Kündigungsschutzabkommen ablaufen (Metall- und Elektroindustrie 30.06.91 bzw. 31.12.91; Öffentlicher Dienst 31.05.91; Chemische Industrie 31.12.91) und die Zahl der zu erwartenden Arbeitslosen um Hunderttausende anwächst, dann sind Lösungen gefragt, die nicht im Lehrbuch stehen. Kurt Biedenkopf hat die Situation mit folgendem Bild beschrieben: Wenn das alte Haus abgerissen werden muß und das neue Haus noch nicht fertiggestellt ist, dann muß für die Menschen ein Übergang geschaffen werden, der sie nicht ohne Dach über dem Kopf beläßt. Ein Mittel, das in diesem Politikverständnis eine Rolle spielt, sind seiner Meinung nach Beschäftigungsgesellschaften.

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Typen und Modelle

Zur Zeit lassen sich idealtypisch zwei Modelle von Beschäftigungsgesellschaften in der Diskussion unterscheiden:

  1. Einzelbetrieblich bezogene Beschäftigungsgesellschaft

    Sie wird von einem Unternehmen gegründet, um sich im Interesse der Realisierung einer Sanierungskonzeption von Beschäftigten zu entlasten. Dabei wird ein Übergangszeitraum genutzt, um durch Angebote von Qualifizierung und öffentlich finanzierter Beschäftigung (ABM) den ehemaligen Mitarbeiterinnen den Rückweg in den Betrieb zu eröffnen oder den Zugang zum allgemeinen Arbeitsmarkt zu erleichtern.

    Die Beschäftigungsgesellschaft kann als eine Betriebsabteilung geführt werden, auf die die Kurzarbeitergeldregelungen nach § 63 AFG zutreffen. Eine andere Rechtsform ist die Beschäftigungsgesellschaft als GmbH mit dem abgebenden Betrieb als 100%igen Gesellschafter, der nach und nach seine Anteile zugunsten anderer Gesellschafter reduziert.

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  1. Beschäftigungsgesellschaften als Verbundmodelle

    Diese Beschäftigungsgesellschaften versuchen die Problemlagen einer Branche oder einer monostrukturell geprägten Region, die sich in ähnlicher Weise auf mehrere Betriebe auswirken, durch ein Verbundmodell gebündelt anzugehen. Dabei bilden in der Regel die beteiligten Betriebe die Ausgangsbasis. Angesprochen werden darüber hinaus als zu beteiligende Gesellschafter die öffentliche Hand, die Sozialpartner oder auch Betriebe, die aufgrund ihrer Betriebsgröße keine eigenen Kapazitäten z.B. für Qualifizierung bereitstellen können.



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Interne Strukturen von Beschäftigungsgesellschaften

Die interne Dimensionierung und Komponentenzusammensetzung von Beschäftigungsgesellschaften ist variantenreich. Im reduziertesten Fall beschränkt sich die Aufgabenstellung auf Qualifizierungsmaßnahmen, die es den Betroffenen erlauben sollen, betrieblichen Strukturwandel nachzuvollziehen oder sich auf die Ansprüche der externen Arbeitsmärkte vorzubereiten. Dazu kommt in den meisten Konzepten eine durch ABM-finanzierte Beschäftigungskomponente mit einem Qualifizierungsanteil von 20 %. Die Anschlußperspektive liegt hier in der Verbesserung der arbeitsmarktlichen Chancen für eine versicherungspflichtige Beschäftigung im Arbeitnehmerstatus.

Darüber hinaus lassen sich Beschäftigungsgesellschaften nennen, die direkt auf wirtschaftsförderliche Initiativen setzen wie die Vorbereitung von Existenzgründungen und Technologietransfer. Dabei wird davon ausgegangen, daß in den Forschungs- und Entwicklungsabteilungen der abgebenden Betriebe genügend durchmusterungsfähiges Innovationspotential liegt, das durch Technologie- und Wissenstransfer zur Marktreife gebracht werden kann. Durch die Verknüpfung unterschiedlicher personen- und sachbezogener Förderungsmöglichkeiten (Arbeitsförderungsgesetz - ABM; Wirtschaftsförderung - GA; Technologieförderung) soll suboptimal genutztes Ingenieurwissen aus den ehemals zentral verwalteten Staatsbetrieben für Produkt- und Dienstleistungsinnovation aktiviert werden.

Ansätze von Produktentwicklung und Existenzgründerprogrammen sind bislang ohne durchschlagende Vorbilder. Initiativen zur "Produkt-

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konversion und -innovation" besonders aus der Werften- und Stahlindustrie in der alten Bundesrepublik konnten keine nennenswerten spin-off-Effekte für selbständige Beschäftigung verbuchen, sie blieben in der Diskussions- und Planungsphase hängen. Deshalb müssen auch derartige Vorhaben in den neuen Bundesländern vor übertriebenen Erwartungen geschützt werden. Sie haben aber bessere Ausgangs- und Realisierungschancen.

Das illustriert der Bericht eines Vertreters aus dem Aufsichtsrat einer Beschäftigungsgesellschaft im Bereich des Kraftwerk-Anlagenbaus. Der abgebende Betrieb, dessen alte Beziehungen zu den Absatzmärkten im Osten völlig zusammengebrochen sind und zum Teil auch nur mühselig rekonstruiert werden können, bereitet ein Energiedienstleistungsangebot (Energieanalyse, Energieeinsparung, Energieservice) für kommunale Auftraggeber vor. Für die Erarbeitung des Angebotpakets werden personenbezogene ABM-Mittel eingesetzt, die den Weg zu eigenständigen Ausgründungseinheiten ebnen sollen. Vor dem Hintergrund und der Notwendigkeit betrieblicher Diversifizierung im Hinblick auf Produktpaletten und betriebliche Gesamtkapazitäten sind Privatisierungsstrategien durch Förderung vorhandener betrieblicher Humanressourcen ein Weg, sich mit öffentlicher Unterstützung in den Markt hineinzuentwickeln. Sie sind Teil eines Bündels von Aktivitäten zur Entfaltung eines Gesamtmarkts, der aus unterschiedlichen Entwicklungsperspektiven konstituiert wird. Beispielhaft dafür steht eine Liste von Maßnahmen, die dem Arbeitsministerium von Brandenburg vorliegen. Diese Maßnahmen beinhalten Projekte, die zwischen dem Ministerium für Forschung und Technologie (BMFT) und dem Ministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) abgestimmt wurden.

Das Gelingen von beschäftigungsförderlichen Projekten ist, wie ein Landtagsabgeordneter des Freistaats Sachsen deutlich machte, von dem Ineinandergreifen der Entwicklungsschritte Aufgabenstellung - Planung - Ausführung abhängig. Bau- und Industrieprojektierung als ein Bindeglied zwischen Defizitanalyse und Realisation können öffentlich finanzierte Unterstützung für marktwirtschaftliche Dynamik haben, wenn sie sich an den Schnittstellen von Regionalförderung, Stadtentwicklung und betrieblicher Umstrukturierung anbieten.

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Projekt-Service-Centren können für Kommunen und andere potentielle Träger zum Selbstkostenpreis Projektplanungen übernehmen und ein Stück weit die Projektdurchführung begleiten. Die Projektmitarbeiter werden ABM-finanziert und haben während Ihrer Tätigkeit im Projektbüro einen Anspruch auf Qualifizierung (Normen, Vorschriften, gesetzliche Auflagen etc.), die in Verbindung mit der erworbenen Berufserfahrung die arbeitsmarktlichen Chancen beträchtlich erhöhen können. Bei einem entsprechenden Antragsvolumen kann der ABM-Sachkostenzuschuß von 30 % die notwendigen Ausstattungsmittel und Anleitungskosten tragen.

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Zwischenbilanz und Schlußfolgerungen

Die aktuelle Situation ist dadurch geprägt, daß die "Inkubationszeit" für Beschäftigungsinitiativen sich dem Ende zuneigt und der schwierige Prozeß des Zusammenfindens der betroffenen Akteure (Betriebe, Sozialpartner, Arbeitsverwaltung, Kammern, Kommunen etc.) Resultate auf der Umsetzungsebene fordert. Auf dem Weg zum Wendepunkt von der Projektierung zur Konkretisierung sind Erfahrungen aufgelaufen, die es erlauben, eine erste Zwischenbilanz zu ziehen und Schlußfolgerungen für die Konstitutionierungsbedingungen von Beschäftigungsprojekten zu ziehen.

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Kooperation

Die Entwicklung und Gründung von beschäftigungsförderlichen Initiativen kann sich vor Ort nicht auf erfahrungsgebundene Kompetenzen stützen. Beratungskapazitäten stehen nur in beschränkter Anzahl, und dann auch nur punktuell, zur Verfügung. Das bedeutet, daß in jedem Betrieb und in jeder Region Lern- und Kommunikationsprozesse in Gang gesetzt werden, die sich als "Handeln in ungewöhnlichen Situationen ohne Vorbild" charakterisieren lassen. Dabei kommt es darauf an, in einem mühseligen Verfahren konsensfähige Ergebnisse zu erzielen. Das Zusammenführen und die Abstimmung zwischen den beteiligten Akteuren kann über die Tatsache der durch sie definierten konfligierenden Teilinteressen nicht hinweggehen.

Diese Teilinteressen sind nicht nur in der Konzipierungsphase projektverträglich abzugleichen, sondern vornehmlich in der Konkreti-

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sierung als arbeitsteilige Rollenwahrnehmung konstruktiv zu aktivieren. Dieses Problem stellt sich besonders bei der Finanzierung. Die durch Alltagserfahrung geprägte Formel "Wer die Musik bestellt, soll sie auch bezahlen", gewinnt hier ihre hohe Brisanz, da Konzeptionsentwicklung und Finanzierung nicht in einer Hand liegen. Im Gegenteil: Der in der Regel öffentliche Zuwendungsgeber muß von der Konzeption überzeugt werden, um die Finanzierung zu übernehmen. Die Verständigung darüber erfordert Geduld und objektivierbare Kriterien, an denen die Teilinteressen relativiert werden können. Einen sinnvollen Beitrag zur Objektivierung liefert eine professionelle Prozeßmoderation durch externe Beratungskapazitäten, wie sie durch Consult-Büros (eine Liste findet sich in den "Wirtschaftspolitischen Diskursen" Nr. 11 der Friedrich-Ebert-Stiftung) angeboten werden.

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Konsensfindung

Konsensfindung als Verfahren setzt nicht auf die inhaltliche Übereinstimmung der Beteiligten, sondern auf die Akzeptanz einer Entscheidung. Dieser wichtige Unterschied wird oft übersehen und blockiert ergebnisorientiertes Handeln. Das wichtigste Element zur Konsensfindung ist eine transparente und deutliche Informationspolitik. Sie schafft die Voraussetzung dafür, daß z.B. nicht alle Beteiligten sich mit einem Diskussionsergebnis identifizieren müssen, es aber durch inhaltlichen Nachvollzug annehmen können. Hier liegt auch der Schlüssel für wechselseitige Kompromißfähigkeit. Auf keinen Fall darf Konsensfindung bedeuten, daß nicht eher gehandelt werden kann, bevor nicht eine vollständige Meinungskongruenz herbeigeführt worden ist. Die Beteiligten müssen ein Ergebnis vertreten und ihrem institutionellen Hinterland verständlich machen können, d.h. damit "leben können".

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Abrufbare Wissensbestände (Rechtsfragen, Finanzierung, Organisation)

Trotz des Neulands, auf dem sich Beschäftigungsprojekte bewegen, können sie bei Rechtsfragen, Finanzierungsproblemen und Organisationsfragen auf Wissensbestände zurückgreifen. Sie sind gut beraten, auf diesem Gebiet nicht "das Rad neu erfinden zu wollen".

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Bei den Rechtsfragen handelt es sich meistens um Fragen der satzungsmäßigen Verfassung z.B. GmbH oder Verein? Für die Beantwortung dieser Frage liegt mittlerweile genügend Material an juristisch geprüften Satzungen und Kommentaren vor, so daß viel Zeit gespart werden kann.

Die überlebensnotwendigen Finanzierungsfragen haben eine Dimension erreicht, die nicht mehr im Alleingang bewältigt werden kann. Ein grober Überblick zeigt, daß ca. 60 Fördermöglichkeiten mit unterschiedlichen Zuschnitten für Beschäftigungsgesellschaften potentiell zur Verfügung stehen. Sie unterscheiden sich nach Zielsetzung, Zuwendungsgeber, Antragsebene, Antragsverfahren, Volumen und Vergabemodalitäten. Die Stärke drittmittelfinanzierter Projekte besteht in Ausschöpfung und Kombination verschiedener "Förderungstöpfe", so daß die einseitige Abhängigkeit von einer Förderlinie vermieden werden kann und Förderketten und Fördersäulen entstehen, die ein Projekt solide und breit absichern. Die Gefährlichkeit einer monostrukturierten Förderungsgrundlage wird daran deutlich, daß eine einzige gesetzliche Entscheidung dieses Konstrukt zum Einstürzen bringen kann. Alternativen des Umsteuerns können aber meistens aufgrund der langen Antragswege und begrenzten Zuteilungszeiträume kurzfristig nicht realisiert werden.

Organisationsfragen der Aufbau- und Ablauforganisation schlucken viel Energie und produzieren bei falschen Entscheidungen motivationstötende Reibungsverluste. Trotz betriebs-, kommunal- oder regionalspezifischem Anforderungsprofil lassen sich auch für Beschäftigungsgesellschaften satzungsbedingte und aufgabenadäquate Verallgemeinerungen für den Organisationsaufbau treffen.

Bislang läuft der Austausch über Rechts-, Finanzierungs- und Organisationsfragen noch sehr stark über informelle Kontakte bzw. die punktuelle Wahrnehmung von Beratungskapazitäten der einschlägigen Institute. Es fehlt im ganzen an Systematik und flächendeckender abrufbarer Dienstleistung auf diesem Sektor. Die Entwicklung von Landesstruktur- und Arbeitsförderungsgesellschaften als animierende und moderierende Dienstleistungsebene geht in die richtige Richtung. Sie

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werden aber in ihrer Bedeutung in den neuen Bundesländern von den Landesregierungen unterschiedlich politisch gewertet (positiv: Brandenburg und Sachsen).

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Dokumentation

Der Prozeß der Herausbildung und Realisierung von strukturwandelorientierten Beschäftigungsinitiativen ist kaum dokumentiert. Es fehlt am Einblick in die Zahl (Schätzungen schwanken zwischen 200 bis 1.000), die Zielsetzungen, die Realisierungsstufen und die Prozeß modalitäten (Beteiligte, Kosten etc.).

Wünschenswert wäre ein ausgeweitetes Engagement von Instituten und Forschungseinrichtungen, die in den Bereichen Arbeitsmarktpolitik - Qualifizierung - Beschäftigungsstrukturpolitik zu Hause sind.

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Einsatzfelder

In der Literatur über mögliche Tätigkeitsfelder von Beschäftigungsgesellschaften finden sich Auflistungen, die genügend Hinweise auf sinnvolle Arbeitsgebiete geben. Dazu gehören Bausanierung, Altlastenbeseitigung, Industriebranchenaufbereitung, Renaturierungsprojekte, Infrastrukturaus- und aufbau (Kommunikation und Transport), Optimierung von Brauchwasserver- und entsorgungssystemen etc. Diese Aufreihungen haben eine wichtige Funktion für die Legitimation von entstehenden Beschäftigungsinitiativen, können aber die Festlegung der Vor-Ort-Bedarfe nicht ersetzen. Dabei entsteht oft das Problem, daß niemand den ersten Schritt wagt. Besonders deutlich wird das bei der Ermittlung und Festlegung von Qualifikationsbedarfssituationen. Die "klassische" Folge lautet hier:

  • Ermittlung von wirtschaftlichen und betrieblichen Wachstumsfeldern und den impliziten organisatorisch-technischen Anforderungen,
  • Analyse der Qualifikationspotentiale der Humanressourcen,
  • Benennung des Qualifikationsdefizits,
  • Ermittlung des Qualifikationsbedarfs.

Dieses Modell der schlüssigen Folge erweist sich in der Praxis als Teufelskreis. Da es keine klaren Trendsignale aus dem Beschäftigungssystem gibt, besteht auch bei den öffentlichen Entscheidungsträgern eine große Zurückhaltung bei der Benennung von Zielgrößen.

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Dadurch entsteht eine Situationsstarre, die zur Handlungsunfähigkeit und zu Zeitverlusten führt. Sie muß durch Entscheidungen von "mittlerer und langfristiger Reichweite" vermieden bzw. durchbrochen werden. Wirtschaftsförderungspläne und Regionalentwicklungspläne der Kommune oder auf Breitenwirkung angelegte Qualifikationsprogramme der Arbeitsverwaltung können dazu ein Mittel sein. Bedarfsfestlegung für Beschäftigung und Qualifizierung ist in mittlerer Zeitperspektive machbar und notwendig.

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Agentur oder Träger - institutionelle Perspektiven

Jede Beschäftigungsgesellschaft steht vor der Frage "selber machen oder andere beauftragen?" , Omnipotenzansprüche sind so verführerisch wie gefährlich. Da Beschäftigungsgesellschaften Instrumente des Strukturwandels mit zeitlicher Befristung sind, müssen sie sich bei jeder Einzelaktivität zwischen der Alternative "Träger oder Agentur" entscheiden. Das bedeutet auch die Frage zu beantworten, was bleibt, wenn die Gesellschaft ihren Auftrag erfüllt hat und ihren Rückzug einleiten muß:

  • Was wird aus den personellen Overheads, die zum Management notwendig sind?
  • Was wird aus den sächlichen und räumlichen Kapazitäten, die zur Aufgabenbewältigung gebraucht werden?

Angesichts der Tatsache, daß Beschäftigungsgesellschaften für Tausende von Teilnehmern geplant werden, ist die Beantwortung dieser Fragen keine leichte Aufgabe.

Mögliche Antworten können gefunden werden, wenn die Beschäftigungsgesellschaft ihre bleibende Wirkung im Hinblick auf die Regionalentwicklung definiert. So wäre es denkbar, daß nach ihrer Auflösung institutionelle Kapazitäten gewonnen werden, die nicht als Ruinen ihrer Tätigkeit, sondern als Gewinn für die kommunale/regionale Wirtschaftsförderung verbucht werden könnten: Qualifizierungsverbünde, Innovations-, Technologie- und Gründerzentren; Verwaltungseinheiten für kommunale Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik etc.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Juli 1999

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