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[Seite der Druckausgabe: 8 / Fortsetzung]

2. Probleme und Perspektiven einer aktiven Arbeitsmarktpolitik aus der Sicht einer regionalen Arbeitsverwaltung

Die Erfahrungen bei der Umsetzung von Maßnahmen der aktiven Arbeitsmarktpolitik auf regionaler Ebene waren Gegenstand eines weiteren Beitrages zur Fachkonferenz. Um einen Eindruck über die konkreten Problemlagen an regionalen Arbeitsmärkten zu vermitteln, wurde eingangs von der Vertreterin des Arbeitsamtsbezirks Frankfurt/Oder eine kurze Skizzierung der Arbeitsmarktsituation vorangestellt. Der Arbeitsamtsbezirk Frankfurt/Oder in seiner geographischen Lage östlich bzw. südöstlich von Berlin und mit Grenzlage zur Republik Polen umfaßt eine Fläche von 4.135 qkm. Der Amtsbezirk ist in sieben politische Kreise (Stadtkreis Frankfurt/Oder, Beeskow, Eisenhüttenstadt, Eisenhüttenstadt/Land, Fürstenwalde, Seelow und Strausberg) gegliedert, wobei sich in jedem Kreis eine Nebenstelle des Arbeitsamtes Frankfurt/Oder befindet. Nach den letzten statistischen Erhebungen weist er eine Wohnbevölkerung von 430 Tsd. Personen aus. Von der

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Wohnbevölkerung waren insgesamt ca. 202 Tsd. Personen im Arbeitsamtsbezirk erwerbstätig, weitere ca. 25 Tsd. Personen pendelten täglich nach Berlin.

Die wirtschaftliche Branchenstruktur im Arbeitsamtsbezirk ist sehr einseitig ausgeprägt. In Frankfurt/Oder sind die Bereiche Mikroelektronik, in Eisenhüttenstadt die Metallurgie und in Fürstenwalde die Chemie- und Baustoffindustrie stark vertreten. Die Bezirke Seelow und Beeskow sind sehr stark landwirtschaftlich dominiert, im Kreis Strausberg war der größte Arbeitgeber das ehemalige Verteidigungsministerium der DDR. Die Dominanz großer Beschäftigungsbetriebe und Verwaltungseinheiten geht einher mit der stark unterentwickelten Struktur von Klein- und Mittelbetrieben, so daß von dieser Seite aus gegenwärtig keine beschäftigungswirksamen Effekte ausgehen können.

Im Zeitraum 1990 bis Ende April sind im Arbeitsamtsbezirk ca. 13 Tsd. Gewerbeanmeldungen zu verzeichnen gewesen, wobei sich hieran zeigt, daß eine großer Nachholbedarf existiert. Der überwiegende Teil der Existenzgründungen bezog sich jedoch lediglich auf den Bereich des Versicherungs- und Handelsgewerbes.

Zum Stichtag 30.4.1991 registrierte der Arbeitsamtsbezirk Frankfurt/Oder 21.519 Arbeitslose. Dies entspricht einer Arbeitslosenquote von 10,7 Prozent. Weitere 47.263 Personen befanden sich in 935 Betrieben in Kurzarbeit. Über die Anzahl derjenigen, die sich gegenwärtig im Bereich der öffentlichen Dienstes noch in Warteschleife befinden, lagen dem Arbeitsamt keine genauen Zahlen vor. Die Zahl der Nichtarbeitslosen, Arbeitssuchenden und der von Arbeitslosigkeit Bedrohten, die sich beim Arbeitsamts zur Vermittlung in ein neues Beschäftigungsverhältnis gemeldet haben, betrug Ende April 18.906.

Nach der Einschätzung der Vertreterin der Arbeitsamtes Frankfurt/Oder gehen zur Zeit die wesentlichen Impulse zur Belebung des regionalen Arbeitsmarktes von den Existenzgründungen und von den Wirkungen der arbeitsmarktpolitischen Instrumente aus.

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2.1 Erfahrungen mit der Einrichtung von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen

Mit der Umsetzung von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen lagen zum Zeitpunkt der Berichterstattung acht Monate Erfahrungen vor. Bereits im September 1990, so berichtete die Vertreterin des Arbeitsamtes, wurden erste Voraussetzungen geschaffen, um ein Netz von ABM-Beauftragten im Bereich der Kommunalverwaltung zu organisieren. Schwerpunkt dabei lag auf der Gewinnung geeigneter Träger von Maßnahmen. Seit September 1990 wurden bisher 1.326 ABM-Anträge mit einem Volumen von 4.730 Stellen gestellt. Über Vermittlungsbemühungen des Arbeitsamtes wurden 70 Prozent der ABM-Stellen besetzt. Ziel für 1991 ist es, im gesamten Arbeitsamtsbezirk ca. 7.200 Neueintritte in ABM zu realisieren.

Treibende Kraft bei der Ingangsetzung von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen waren die Bürgermeister und Landräte. Insgesamt entfallen gegenwärtig 60 Prozent der gestellten Anträge auf Beschäftigungsmaßnahmen im Kontext von Projekten der Wohnungssanierungen, des Umweltschutzes und der Bereitstellung oder Erhaltung sozialer Infrastrukturleistungen. Hauptproblem der Realisierung von ABM war die Klärung der Sachkosten, da die Antragsteller aufgrund ihrer angespannten Haushaltssituation zumeist nicht in der Lage waren, die entsprechenden Sachkostenanteile selbst zu finanzieren. Das Angebot der Finanzierung der Sachkosten über zinslose Darlehen der Bundesanstalt, die mit einer Laufzeit von bis zu 27 Jahren ausgestattet sind, wurde kaum oder nur sehr zögerlich angenommen. Durch die Vereinbarungen zwischen der Bundesregierung und der Bundesanstalt für Arbeit im Rahmen des Gemeinschaftswerkes "Aufschwung-Ost" sind mittlerweile die Bedingungen für die Durchführung von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen und auch der Rahmen für die Gewährung von Sachkostenzuschüssen erheblich verbessert worden. Nach Aussagen der Vertreterin des Arbeitsamtes zeigen sich trotz der Verbesserungen jedoch neue Problemschwerpunkte. So ist die formale Antragstellung weiterhin für die potentiellen Träger zu kompliziert und mit zu vielen Voraussetzungen verknüpft. Träger, deren ABM-Anträge bereits bewilligt sind, fühlen sich infolge der neuen Rechtslage (insbesondere den Bereich der Sachkostenfinanzierung betreffend) be-

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nachteiligt, so daß es vermehrt zu vorzeitigen Kündigungen der ABM-Stellen kommt.

Das Arbeitsamt ist gegenwärtig bemüht, durch enge Kooperation mit den Kommunen neue Finanzierungstöpfe zu erschließen und Verknüpfungen zwischen Bundes-, Landes- und EG-Fördermitteln zu erreichen. Ziel dieser Finanzierungsmuster ist es, gemeinnützige Investitionsprojekte mit ABM-Stellen auszurüsten, um hiermit Möglichkeiten zur Schaffung von Dauerarbeitsplätzen zu eröffnen. Trotz dieser vielfältigen Aktivitäten in der Arbeitsmarktpolitik steht die Existenzfähigkeit von Großunternehmen in der Region (z.B. EKO-Stahl AG, Halbleiter GmbH, Pneumant Reifen AG oder Rüderdorfer Zement) zur Disposition. Entlassungen scheinen hier in naher Zukunft unausweichlich zu sein. Bereits jetzt liegen dem Arbeitsamt Anzeigen für 13.796 Entlassungen zum Jahresende 1991 vor.

Um den drohenden Einbruch am Arbeitsmarkt zumindestens teilweise abzufedern, wurde bereits frühzeitig im Arbeitsamtsbezirk über Modelle von Beschäftigungsgesellschaften nachgedacht. Am Stahlstandort Eisenhüttenstadt ist mit Unterstützung der EKO-Stahl AG und der Stadt- und Kreisverwaltung eine Beschäftigungsgesellschaft gegründet worden, die über einen Zeitraum von vier Jahren bis zu 6.000 Arbeitnehmer auf eine berufliche Neuorientierung vorbereiten soll. Für die ersten 600 ABM-Stellen liegen die Konzepte vor. Aufgabe dieser Gesellschaft ist es, in der Anfangsphase Gewerbeflächen auf dem Gelände der EKO-Stahl AG neu zu erschließen. Zu einem späteren Zeitpunkt sollen Beschäftigungsfelder im Bereich der Umweltsanierung und Sozialarbeit hinzukommen. Die hierdurch entstehenden Sachkosten müssen, so die Vertreterin des Arbeitsamtes, durch den Bund, das Land, die Treuhand und die Bundesanstalt für Arbeit mitfinanziert werden.

Aus den bisher vorliegenden Erfahrungen mit der Realisierung können aus der Sicht der regionalen Arbeitsverwaltung nachstehende Schlußfolgerungen gezogen werden:

  1. Unerläßlich für die Aktivierung arbeitsmarktpolitischer Maßnahmen ist die ständige Beratung und Motivierung von Trägern für die Beantragung von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen.

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  1. Die Bereitstellung einer breiten Unterstützung bei der konkreten Antragstellung und die Klärung von Voraussetzungen und finanzieller Rahmenbedingungen (z.B. ABM für ABM) bietet den besten Weg für eine erfolgreiche Realisierung von ABM-Beschäftigungsprojekten.

  2. Die intensive und zielgerichtete individuelle Beratung von Arbeitslosen beim Eintritt in eine ABM gewährleistet in der Regel die schnelle und unverzügliche Besetzung der ABM-Stellen.


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2.2 Durchführung von Qualifizierungsmaßnahmen

Bereits im August 1990 wurde im Arbeitsamtsbezirk Frankfurt/Oder ein kompetenter Bildungsträger aus dem Westen gefunden, der mit der Durchführung von ca. 20 Qualifizierungsmaßnahmen beauftragt wurde. Nach Aussagen der Arbeitsamtsvertreterin hat sich die regionale Arbeitsverwaltung bei den Bemühungen um die Etablierung eines regionalen Marktes von Bildungsträgern von folgenden Grundsätzen leiten lassen:

  1. Profilierung der im Arbeitsamtsbezirk vorhandenen Bildungseinrichtungen nach den Standards, die in den alten Bundesländern gelten.

  2. Einbeziehung anerkannter Bildungsträger aus den alten Bundesländern bei kurzfristig zu realisierenden Projekten der beruflichen Fortbildung und Umschulung.

  3. Förderung von Kooperationsbeziehungen zwischen Bildungsträgern aus den neuen und alten Bundesländern, um durch Synergieeffekte die Leistungsfähigkeit und die Sicherung der materiellen und qualitativen Basis für Qualifizierungsmaßnahmen herzustellen.

Nach den Erfahrungen der zurückliegenden 10 Monate ist aus Sicht der Arbeitsverwaltung festzustellen, daß diese eingeschlagene Strategie sich als richtig erwiesen hat. So konnten 53 Bildungsträger (davon 25 aus den alten Bundesländern) im Arbeitsamtsbezirk etabliert werden, die gegenwärtig 223 Fortbildungs- und Umschulungsmaßnahmen mit 5.134 Teilnehmern durchführen. Die Maßnahmen werden von 40 Einrichtungen als Auftragsmaßnahmen durchgeführt. Die Bildungsträger arbeiten bei der Konzeption von Qualifizierungsmaßnahmen eng, u.a. in einem Trägerverbund, mit dem Arbeitsamt und den Betrieben zu-

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sammen, wobei spezifische Bedarfslagen der Betriebe berücksichtigt werden. Mit der vorhandenen Infrastruktur an Bildungseinrichtungen wird es möglich sein, das für 1991 vorgesehene Ziel von 13.400 Maßnahmeeintritten zu erreichen.

Nach den Erfahrungen mit den ersten Maßnahmen zeigt sich, daß sich die Vermittlungschancen der Absolventen deutlich verbessern. So konnten Personen mit Hochschulabschluß, die zum Wirtschaftslehrer bei der Kammer für Technik weitergebildet oder Teilnehmer, die zum EDV-Multiplikator oder in EDV-Grundlagen qualifiziert wurden, ausnahmslos in neue Beschäftigungsverhältnisse vermittelt werden.

Problematisch aus der Sicht der Arbeitsverwaltung erscheint die noch immer bestehende Zurückhaltung von Arbeitslosen bzw. von Arbeitslosigkeit Bedrohten gegenüber dem Angebot, an einer Bildungsmaßnahme teilzunehmen, obwohl die individuellen Beschäftigungsaussichten gegenwärtig eher düster zu bewerten sind. Demgegenüber liegt die Bereitschaft für eine ABM-Beschäftigung höher. Erklärbar ist dies dadurch, daß bei ABM mehr Einkünfte zu erzielen sind, zum anderen fehlen individuelle Erfahrungen über die Vermittlungschancen nach dem Besuch einer Bildungsmaßnahme. Ebenfalls gering ist der Anteil der Arbeitnehmer in Null-Kurzarbeit, die sich für eine Teilnahme an Bildungsveranstaltungen bereiterklärt haben. Als Beispiel führte die Vertreterin des Arbeitsamtes an, daß von 250 Personen, die sich für ein berufliches Orientierungsseminar interessierten, das innerhalb eines Betriebes angeboten wurde, nur wenige Interessenten am ersten Unterrichtstag erschienen. Für diesen Tatbestand sind ebenfalls Einkommensunterschiede als Motivationsursache anzuführen, da zumeist den Arbeitnehmern zu ihrem Kurzarbeitergeld noch Mittel aus dem Tarifausgleich gezahlt werden. Mit Ablauf der bisher bestehenden Tarifvereinbarungen hat sich die Situation jedoch erheblich verändert, so daß jetzt mehr Bildungsangebote nachgefragt werden. Zugleich betonte die Vertreterin der Arbeitsverwaltung, daß es künftig verstärkt relevant sei, daß sich die Betriebe und Unternehmen in eigener Regie um die Initiierung von betrieblichen Weiterbildungsmaßnahmen kümmern müßten.

Zum Abschluß der Ausführungen wurde noch auf zwei weitere Bereiche der arbeitsmarktpolitischen Initiativen verwiesen. So sind in den Monaten November 1990 bis Januar 1991 die Voraussetzungen geschaffen

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worden, daß 9.370 Personen (davon 5.364 Frauen) Vorruhestandsleistungen und 3.274 ältere Arbeitnehmer Altersübergangsgeld beziehen können.

Drängendes arbeitsmarktpolitisches Problem in der Region ist die Stabilisierung des Ausbildungsstellenmarktes. Im Arbeitsamtsbezirk Frankfurt/Oder werden 1991 ca. 4.000 Schulabgänger erwartet. Ende April hatten sich 2.760 Jugendliche für eine berufliche Erstausbildung beim Arbeitsamt gemeldet. Zu diesem Zeitpunkt standen aber dieser Nachfrage nur 1.353 angebotene Ausbildungsplätze gegenüber. Es ist davon auszugehen, daß sich im Verlauf des Jahres die Nachfrage noch weiter erhöhen wird, wobei das betriebliche Angebot nur noch begrenzt auf ca. 1.600 Ausbildungsplätze ausweitbar ist. Um die Lücken annähernd zu schließen, sind bis dato ca. 1.300 überbetriebliche Ausbildungsplätze entstanden, die in ca. 20 Ausbildungsberufen qualifizieren. Als Fazit wurde von der Vertreterin der Arbeitsverwaltung betont, daß seit dem 3.10.1990 bis Ende April 1991 181 Mill. DM für Arbeitslosengeld, Arbeitslosenhilfe, Fortbildung und Umschulung sowie die Schaffung und Erhaltung von Arbeitsplätzen verausgabt wurden. Mit diesen Finanzleistungen stellt das Arbeitsamt selbst einen erheblichen regionalen Wirtschaftsfaktor dar.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Juli 1999

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