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Scherff, Julius (1886 - 1947)

Geboren am 23. Februar 1886 in Essen, verheiratet. Postschaffner in Essen. Nahm seit 1909 an den Essener Versammlungen des 1908 wiederbegründeten "Verbandes Deutscher Post- und Telegraphen-Unterbeamten" teil. (Bei Gründung 1908 63.262 Mitglieder, 1914 ca. 110.000 Mitglieder). Seit 1913 Mitglied der größten Organisation der Postbeschäftigten (ab 1910: "Verband der unteren Post- und Telegraphenbeamten") in Essen, die mit über 650 Mitgliedern im Bezirk Düsseldorf eine ansehnliche Rolle spielte. [1918] 2. Vorsitzender der Essener Organisation. Ende Juni 1919 zum 1. Vorsitzenden gewählt. Forderte zur "treuen Mitarbeit und zum Festhalten an dem Verbande" auf. Nach der Novemberrevolution Beitritt zur SPD. Bezeichnete sich selbst als "Novembersozialist". Am 2. März 1919 auf Platz 15 der sozialdemokratischen Wahlliste zum Essener Stadtverordneten gewählt. Übte das Amt bis zum 28. März 1921 aus; Mitglied im Grundstückausschuß, Sozialausschuß und Wohnungsausschuß des Stadtparlaments. Setzte sich in der Stadtverordnetenversammlung als autorisierter Sprecher der SPD für verbesserte Rechte der Mieter ein.

Scherff nahm im März 1920 als Gast am außerordentlichen Gewerkschaftstag des "Verbandes der mittleren Reichspost- und Telegraphenbeamten (ab 1920: "Verband Deutscher Post- und Telegraphenbeamten") teil, wurde in dieser kurzen Phase in den Abwehrkampf der unteren und mittleren Beamten gegen die Kapp-Putschisten in der Hauptstadt verwickelt. Gehörte zum sechsköpfigen Aktionsausschuß des Deutschen Beamtenbundes, der in enger Kooperation mit den Arbeitergewerkschaften die Niederlage der Putschisten besiegelte. Aus Verbitterung über die zweideutige Haltung mancher Beamtenfunktionäre während der Militärrevolte wechselte Scherff ins freigewerkschaftliche Lager über. 1919 hatte die Generalkommission der Gewerkschaften Deutschlands die "organisationslosen" Posthelfer dem "Deutschen Transportarbeiter-Verband" zur Betreuung zugewiesen, während die freigewerkschaftliche Verbandsspitze hoffte, mit den Verbänden des Deutschen Beamtenbundes zu einer organisationspolitischen Übereinkunft zu kommen. Gründung des "Verbandes des Post- und Telegraphenpersonals" als Unterorganisation des "Deutschen Transportarbeiter-Verbandes" am 22. Oktober 1919 (nach großem Mitgliederzulauf Ende 1919 über 30.000 Mitglieder). Scherff trat nach dem Kapp-Putsch der freigewerkschaftlichen Organisation bei, die als "gemischter" Verband Beamte und Arbeiter gleichermaßen rekrutierte. Auf der Gaukonferenz am 24. Juni 1920 in Dortmund in den regionalen Vorstand gewählt, gehörte gleichzeitig der Kommission an, die für die Oberpostdirektionen Düsseldorf, Dortmund und Münster einheitliche Organisationsrichtlinien aufstellte. Referat "Die wirtschaftliche Lage der Post- und Telegraphenbeamten" auf der 2. Konferenz von Vertretern des Post- und Telegraphenpersonals des "Deutschen Transportarbeiter-Verbandes" vom 10. bis 12. August 1920 im Gewerkschaftshaus in Berlin. Reichstagskandidat auf dem Kreiswahlvorschlag für den 25. Wahlkreis (Düsseldorf-Ost) der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands bei den Reichstagswahlen am 2. Juni 1920 an aussichtsloser Position. Zum 1. Januar 1921 schloß sich der ehemalige "Zentralverband Deutscher Post- und Telegraphenbediensteten" als eigene Abteilung dem "Deutschen Transportarbeiter-Verband" an. Künftiger Name: "Verband des Post- und Telegraphenpersonals, Reichsabteilung im Deutschen Transportarbeiter-Verband". Für die Reichsabteilungen schufen die Delegierten gesonderte Fachabteilungen ("Beamtenfragen", "Telegraphenarbeiter und Handwerker", "Posthelfer und alle übrigen Lohnempfänger").

Wahl zum besoldeten Sekretär auf der 3. Konferenz von Vertretern des Post-, Telegraphen- und Fernsprechpersonals vom 6. bis 9. Februar 1921 in Berlin. Anstellung Scherffs zum 1. März 1921. Übersiedlung nach Berlin. Der ehemalige Postschaffner suchte in der Folgezeit bei Verhandlungen im Postministerium, eine höhere Bewertung der Beamtentätigkeiten innerhalb des Telegraphen- und Fernsprechdienst zu erreichen, stieß in der Inflationszeit jedoch an die Grenzen des Machbaren. Der Essener spielte eine wichtige Rolle im freigewerkschaftlichen Allgemeinen Deutschen Beamtenbund (ADB), dem der "Deutsche Transportarbeiter-Verband" - trotz vieler Ressentiments seiner Vorstandsmitglieder - bei seiner Gründung im Juni 1922 mit seinen Beamtenmitgliedern letztlich beitrat. Auf der 1. Bundesausschußtagung des ADB am 9. Februar 1923 in den Vorstand gewählt. Wiederwahl als unbesoldetes Vorstandsmitglied auf dem 1. Bundeskongreß des ADB vom 12. bis 14. Januar 1924 in Berlin, dem 2. Bundeskongreß vom 12. bis 14. September 1927 in der Reichshauptstadt und dem 3. Bundeskongreß vom 18. bis 20. September 1930 in München. Programmatisch gehörte Scherff zu den bedingungslosen Befürwortern des Berufsbeamtentums im "Deutschen Verkehrsbund" (neuer Organisationsname seit dem 1. Januar 1923): "Die freien Gewerkschaften wenden sich gegen ihre Klassengegner. Die Beamtenschaft aber gehört mit zu den Kopf- und Handarbeitern, deren Los zu verbessern in erster Linie die Aufgabe der freien Gewerkschaften ist." Bestätigung im Amt als Sekretär auf der 4. Reichskonferenz des freigewerkschaftlich organisierten Postpersonals am 7. August 1922. Scherff führte während der zweiten Hälfte des Jahres 1924 Fusionsgespräche mit der "Allgemeinen Deutschen Postgewerkschaft" (ADP), einer freigewerkschaftlichen Abspaltung vom "Reichsverband Deutscher Post- und Telegraphenbeamten", Die im 29. November 1922 in Berlin als "Postorganisation" im ADB gegründete Gewerkschaft hatte sich als reine Beamtenorganisation lange gesperrt, Verhandlungen mit der "gemischten" Organisation im "Deutschen Verkehrsbund" aufzunehmen, war indes nach finanziellen Zerrüttungen während der Inflationszeit zu Kompromissen bereit. Um den beamteten ADP-Kollegen den Weg zu öffnen, beschloß die 5. Reichskonferenz vom 15. bis 16. Dezember 1924 in Berlin die Errichtung eines gesonderten Beamtenausschusses.

Wahl Scherffs in den Ausschuß, Wiederbestätigung als hauptamtlicher Sekretär. Eine gemeinsame Konferenz am 13. September 1925 beschloß die Fusion der "Allgemeinen Deutschen Postgewerkschaft" mit der Reichsabteilung Post im "Deutschen Verkehrsbund" unter dem Namen "Allgemeine Deutsche Postgewerkschaft (Mitgliedschaft im Deutschen Verkehrsbund)". Wahl Scherffs in die Reichsleitung als Sekretär für Beamtenfragen. Delegierter auf dem 2. Internationalen Kongreß des "Personals der Post-, Telegraphen- und Telephonbetriebe" (IPTT) in Berlin vom 18. bis 21. August 1922, dem 4. Kongreß vom 20. bis 23. September 1926 in Paris (Mitglied des Ausschusses für Radiotelegraphie) und dem 6. Kongreß vom 12. bis 15. August 1930 in Kopenhagen (Mitglied des Unterausschusses Rationalisierung, Nichtbeschäftigung). Der Deutsche wehrte sich auf den Kongressen vehement gegen die Zulassung der sowjetischen Gewerkschaft zur IPTT. ("Ich bin der Meinung, daß man die russischen Gewerkschaften den faschistischen gleichstellen kann, weil beide Organisationen im Dienste ihrer Regierungen stehen.") Teilnehmer auf dem 13. Bundestag vom 12. bis 17. August 1928 in Leipzig. Der Leipziger Kongreß ergänzte die Satzung der Gewerkschaft. Statuarisch wurde ein gesondertes Beamtensekretariat gebildet, das einem aus Vertretern aller Beamtengruppen zusammengesetzten Beirat unterstellt wurde. Damit machte das höchste Gewerkschaftsgremium den Beamtenmitgliedern deutliche Konzessionen, obgleich die einzelnen Reichssektionen weitgehend ihre Autonomie behielten.

Zum Leiter des neuen Sekretariats wählten die Delegierten Julius Scherff, der in dieser Funktion in den Verbandsvorstand aufrückte. Nebenbei behielt der Essener die Funktion eines Sekretärs in der "Allgemeinen Deutschen Postgewerkschaft" (ADP), der einzigen Organisation (ca. 43.000 Mitglieder), die nennenswerte Gruppen aller Postbeschäftigten organisierte. Wiederwahl in die Reichsleitung der ADP auf der 7. Reichskonferenz im Dezember 1928. Der Gründungskongreß des "Gesamtverbandes der Arbeitnehmer der öffentlichen Betriebe und des Personen- und Warenverkehrs" vom 7. bis 10. Oktober 1929 in Berlin übernahm weitgehend die Organisationsstrukturen des "Deutschen Verkehrsbundes" im Beamtenbereich. Als Leiter des Beamtensekretariats (und damit Vorstandsmitglied) betrauten die Delegierten Julius Scherff. Das neu verabschiedete Beamtenprogramm trug maßgeblich seine Handschrift. Am 7. April 1930 tagte erstmals der "Beamtenbeirat" (vom Verbandsvorstand nach den Vorschlägen der Reichsabteilungen gebildet). Wahl Scherffs in den fünfköpfigen Geschäftsausschuß. Gleichzeitig Leitungsmitglied der Fachabteilung des Beamtenbeirats des "Reichsbundes der Beamten und Angestellten in den öffentlichen Betrieben und Verwaltungen" (dem Nachfolger der Beamtenorganisation des ehemaligen "Verbandes der Gemeinde- und Staatsarbeiter"). Als höchster Repräsentant von über 40.000 Beamten in der Organisation zerrieb sich Scherff in der Schlußphase der Weimarer Republik in diversen Gesprächen über Lohnreduktionen, Gehaltsabbau und Stellenkürzungen als Folge der Brüningschen Deflationspolitik.

Der ehemalige Postbeamte baute im Vorstand in knapper Zeit eine Dokumentation von Materialien zu Beamtenfragen auf, außerdem zeichnete er für das Verbandsarchiv verantwortlich. Wiederwahl in die Reichsleitung der "Allgemeinen Deutschen Postgewerkschaft" auf der 8. Reichstagung vom 20. bis 22. November 1930 in Dresden. Während der Wirtschaftskrise radikalisierten sich Scherffs Positionen gegenüber den konkurrierenden Standesvertretungen deutlich. Angesichts der passiven Haltung der standespolitischen Beamtenorganisationen dachte er über einen Austritt aus dem internationalen Berufssekretariat nach, um nicht mit der "international organisierten Beamtenbourgeoisie" liiert zu sein. Der Leiter des Beamtenbeirats führte für den Gesamtverband im Oktober 1931 gemeinsam mit dem Verbandsvorsitzenden Schumann die Verhandlungen mit der "Reichsgewerkschaft Deutscher Kommunalbeamter", die sich nach langen Zögern für einen Anschluß entschied. Scherff gab bis 1933 die Hoffnung nicht auf, durch Agitation für ein besseres Beamtenvertretungsgesetz, sein Klientel ins freigewerkschaftliche Fahrwasser zu lenken. Scherff organisierte zu Beginn des Jahres 1932 die "Terrorabwehrstelle" des ADB mit. Er koordinierte die Informationen aus dem Gesamtverband über Repressionen und Denunziationen, die von nationalsozialistischen Beamten gegen republiktreue Angestellte und Beamte in Szene gesetzt wurden. 1933 aus allen Ämtern entlassen.

In der kurzen Spanne der Repression und Halbillegalität von Februar bis April 1933 hatte Scherff das nahezu vollständige Abschweken seiner Beamtenmitglieder in den Deutschen Beamtenbund hinnehmen müssen. Ein Ausscheiden Scherffs aus dem Diensten des Gesamtverband verwehrte ihm im April der Vorstand. Während der Besetzung des Gewerkschaftshauses am 2. Mai 1933 als bekannter Gegner des Nationalsozialismus mehrfach militant bedroht. Ging zunächst drei Monate in die Tschechoslowakei, um dort illegal gegen den Nationalsozialismus zu wirken. Kehrte im Sommer 1933 nach Essen zurück, wurde sofort bespitzelt und Verhören ausgesetzt. Der ehemalige Beamte ging noch im gleichen Jahr nach Berlin zurück und versuchte, sich mit einem Lebensmittelgeschäft selbständig zu machen. Die Repressionen gegen die Familie dauerten an. Anfang November 1934 von der Gestapo erneut verhaftet. Sein Geschäft wurde mehrfach durchsucht und seine wertvolle Bibliothek geplündert. Die Gestapo war auf Scherff aufmerksam geworden, weil bei Hermann Rudolphs Verhaftung 1934 in Mannheim, die Anschrift seines ehemaligen Vorstandskollegen gefunden worden war. Im Gestapo-Keller in der Prinz-August-Straße und im "Kolumbia-Haus" mehrfach schwer mißhandelt. Zog sich während den Mißhandlungen schwere bleibende gesundheitliche Schäden zu. Nach der Entlassung 1935 war sein Lebensmittelgeschäft völlig zusammengebrochen. Unterstand weiterhin ständiger Überwachung. Fand in Berlin zeitweise als Angestellter ein Unterkommen. Wurde am 28. Juni 1946 in Berlin von der sowjetischen Besetzungsmacht verschleppt. Julius Scherff starb am 2. Mai 1947 im Krankenrevier des Sonderlagers Sachsenhausen an TBC.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | September 1998

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