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Polenske, Carl (1876 - 1956)

Geboren am 11. November 1876 in Burau bei Sagan (Niederlausitz) als Sohn eines schlesischen Landarbeiters, verheiratet. Zog 1897 aus seiner schlesischen Heimat nach Berlin und trat in den Dienst der privat betriebenen Imperial-Continental-Gas-Association ("Englische Gasanstalten"), die den Südwesten, Westen und Nordosten Groß Berlins mit Gas versorgte. Mitglied im damaligen "Verband der in Gemeinde- und Staatsbetrieben beschäftigten Arbeiter- und Unterangestellten" ein. Mitglied der SPD seit 1900. Gehörte vom 25. Oktober 1901 bis zum 16. Februar 1904 der Lokalkommission des 2. Berliner Reichstagswahlkreises seiner Partei an. Vetrauensmann seiner Gewerkschaft und seit 1903 einer der führenden Agitatoren bei der Wiederbelebung der zusammengebrochenen Gewerkschaftsorganisation in den Englischen Gasanstalten. Seit 1903 Vorsitzender des Arbeiterausschusses der Englischen Gasanstalten. Polenske mußte mehrfach schwere Schikanen und Maßregelungen im Betrieb erdulden, ohne jedoch entlassen zu werden. Am 1. Oktober 1903 schlossen sich die bislang unabhängigen Berliner Filialen zu einer einheitlichen Ortsverwaltung zusammen. Als Sprecher der Arbeiter der Englischen Gasanstalten als ehrenamtlicher Beisitzer in den ersten Filialvorstand gewählt. 1904 Wiederwahl als Schriftführer. Bekämpfte 1904 unter den Berliner Gasarbeitern Bruno Poerschs Denkschrift an den "Hochwohllöblichen Magistrat und das Stadtverordneten-Kollegium zu Berlin", in der die Verbandsleitung auf ihre Verdienste bei der Erhaltung des sozialen Friedens hinwies. Teilnehmer am 4. Verbandstag vom 27. Mai bis 1. Juni 1906 in Mainz und dem 5. Verbandstag vom 23. bis 29. Mai 1909 in Dresden. In Mainz scharfe Distanzierung vom ehemaligen Verbandsvorsitzenden Bruno Poersch und seinem "unheilvollen Einfluß". Eintritt zum 1. Mai 1905 als besoldeter "Hilfsarbeiter" in die Berliner Filiale. Gehörte künftig bis 1928 der Berliner Organisation als hauptamtliches Vorstandsmitglied an. Zunächst zuständig für die Portokasse (innere Organisation), die Agitation unter den Arbeitern der Englischen Gasanstalten, den Beschäftigten der Parkverwaltung und den Außenbezirken Köpenick, Lichtenberg und Rixdorf (Neukölln). Vertrat bis 1908 als Sektionsleiter der Englischen Gasanstalten die Interessen seiner ehemaligen Kollegen.

Mitglied der Berliner Gewerkschaftskommission seit 1908. Als einer der ersten kommunalen Mandatsträger des "Verbandes der Gemeinde- und Staatsarbeiter" (neuer Verbandsname seit 1906) von 1910 bis 1921 als Sozialdemokrat in die Stadtverordnetenversammlung von Rixdorf (später Neukölln) gewählt. Polenske durchlief in der Berliner Filiale alle Bereiche der Agitation und Administration und galt intern als einer der begabtesten Kräfte der Organisation. Trat im Juli 1911 für die Vereinigung von Partei- und Gewerksachaftsschule ein. 1915 zum Heeresdienst eingezogen; diente an der Front im Nordwesten Rußlands. Im Spätherbst vorläufig entlassen, trat Polenske zunächst provisorisch in das Berliner Filialbüro ein, schied Ende 1917 endgültig aus dem Heeresdienst aus. Bei den ersten Wahlen nach der Novemberrevolution im Januar 1919, auf denen der Berliner Vorstand nicht mehr durch Urwahl, sondern durch Delegierte gewählt wurde, zum stellvertretenden Bevollmächtigten der Filiale (hinter Fritz Müntner) gewählt. Vertrat von 1919 bis 1924 seine Gewerkschaft als stellvertretendes Vorstandsmitglied im Berliner Gewerkschaftskartell. Polenske wurde sofort mit den ungeheueren Problemen der größten Ortsverwaltung im Reich konfrontiert: das starke Anschwellen der Mitgliederzahlen (1922: 46.126 Mitglieder), die Integration der Gewerkschaftsbewegung bislang Fernstehender, die Zerrissenheit der politischen Arbeiterbewegung und ihre Auswirkungen auf die Gewerkschaftsbewegung der Hauptstadt. Zu Beginn des Jahres 1919 hatte der Druck auf die hauptamtlichen mehrheitssozialdemokratischen Funktionäre, die für die Kriegspolitik der Gewerkschaften geradestehen mußten, einen solchen Grad erreicht, daß im Januar 1919 sämtliche besoldeten Angestellten der Berliner Filiale mit Rücktritt drohten. Nachdem im März/April 1919 der bisherige 1. Bevollmächtigte Fitz Müntner zusammen mit drei anderen Kollegen aus dem Dienst der Filiale schieden und zum Hauptvorstand übergetreten waren, übernahm Polenske das Steuer der Filiale.

Im Januar 1920 zu einem der beiden gleichberechtigten Bevollmächtigten in der Hauptstadt gewählt. Polenske plädierte nun für eine strikte Trennung der politischen von der gewerkschaftlichen Arbeiterbewegung. Lehnte bei den großen Massenstreiks Berlins (wie bei den Demonstrationen gegen die Unzulänglichkeiten des Betriebsrätegesetzes im Januar 1920) entschieden ab, politischen Aufforderungen Folge zu leisten, solange die Berliner Gewerkschaftskommission entsprechende Beschlüsse nicht sanktioniert habe. Bei der Niederschlagung des Kapp-Putsches einer der Hauptorganisatoren des gewerkschaftlichen Widerstandes in der Hauptstadt. Gleichwohl mußte Polenske mit erheblicher Opposition bei den jährlich stattfindenden Berliner Wahlen rechnen. 1921 bei den Vorstandswahlen erhielt die kommunistische Oppositionsliste knapp 40% der Delegiertenstimmen. Im Januar konnte sich Polenske gegen den ehemaligen 2. Vorsitzenden des "Verbandes der Gemeinde- und Staatsarbeiter", Franz Lagodzinski, mit etwa gleichen Mehrheitsverhältnissen durchsetzen. Sprach allerdings auf dem 9. Verbandstag vom 20. bis 26. August 1922 in Magdeburg nur als Gast, da er von der Berliner Mitgliedschaft kein Delegiertenmandat bekam. 1922 löste sich die Berliner Organisation von ihrem Leitungsmodell zweier gleichberechtigter Bevollmächtigter und übertrug Carl Polenske für die nächsten Jahre die Hauptverantwortung, nachdem die Rückkehr der Rest-USPD im September 1922 zur Sozialdemokratie (darunter viele Gewerkschafter) in Berlin bei den Gemeinde- und Staatsarbeitern zu stabilen Mehrheitsverhältnissen führte.

Polenske konsolidierte in der relativen Phase wirtschaftlicher Stabilisierung die Berliner Organisation und band kommunistische Gewerkschafter der rechten und der "Mittelgruppe" in die Leitung ein. Betreute neben seinen administrativen Aufgaben ab 1924 die Angehörigen der Berliner Elektrizitätswerke. 1922 Wahl in den Verbandsbeirat, 1925 Wiederwahl in das Beratungsgremium. In der Weimarer Republik Teilnehmer an fast allen wichtigen Berufs- und Fachkongressen des Verbandes. Teilnehmer auf dem 9.(1922) bis 11.(1928) Verbandstag des "Verbandes der Gemeinde- und Staatsarbeiter". Beteiligte sich Mitte der zwanziger Jahre als Dozent am ambitionierten Bildungsprogramms des Verbandes (vierzehntägige Sommerkurse). Stieg am 15. Juli 1925 bei den Neuwahlen zum Vorstand des Ortsausschusses des ADGB Berlin (früher: Berliner Gewerkschaftskommission) zum ordentlichen Vorstandsmitglied der Industriegruppe staatliche und komunale Betriebe auf. Von Januar 1925 bis Dezember 1927 stellvertretendes Mitglied im Verwaltungsausschuß des Berliner Arbeitsamtes. Rückte 1925 für den zurückgetretenen Ernst Niekisch in den Vorstand des Berliner Arbeiter-Kulturkartells nach. 1926 in die Verwaltungskommission der Berliner Volksfürsorge delegiert. Nahm im neu eingerichteten Landesarbeitsamt Brandenburg seit Januar 1928 verschiedene Funktionen wahr: Mitglied des Unterausschusses für Arbeitslosenversicherung und wertschaffende Arbeitslosenfürsorge und des Prüfungsausschusses für die Beschäftigung von Ausländern.

Der 11. Verbandstag vom 6. bis 11. August 1928 in Köln wählte den Berliner in das neugeschaffene Amt eines 3. Vorsitzenden. Gab damit alle Berliner Ämter ab. Schärfster Kritiker der ultralinken KPD-Gewerkschaftspolitik auf dem Verbandstag ("Alpdruck auf den deutschen Gewerkschaften"). Die durch den Verbandstag beschlossene Erweiterung des Verbandsvorstandes führte zu einer Neueinteilung der Ressorts. Zu Polenskes umfangreichen Aufgabengebiet zählte die Vertretung des 2. Vorsitzenden, die Leitung der Reichssektion Kämmereibetriebe, der Aufbau und die Bearbeitung einer Jugendabteilung und die Verantwortung (zusammen mit Josef Orlopp) für die Beschäftigten der Gas-, Wasser- und Elektrizitätswerke. Vor allem dem Aufbau der neuen Reichssektion Kämmereibetriebe kam Polenskes jahrelange kommunalpolitische Erfahrung zugute. Die neue Reichssektion umfaßte zehn Hauptgruppen (Stadtreinigung, Park- und Friefhofsverwaltung, Hoch- und Tiefbauverwaltung, Ernährungswesen, Verkehrswesen, Beschaffungsbetriebe, Theater und Städtische Lichtspielhäuser, Verwaltungs- und Schulwesen, Stadtbüchereien, Lesehallen, Güter- und Forstverwaltung, Kunststraßen und Wege der Gemeinden, Kreise und Provinzen). Die Gesamtorganisation zählte am Schluß des Jahres 1928 257.000 Mitglieder, mit 112.000 Mitgliedern war die neue Reichssektion die mitgliederstärkste Gruppe. Auf der 1. Reichskonferenz vom 6. bis 8. Mai 1929 war der Organisationsaufbau abgeschlossen, Polenske einer der einflußreichsten Männer der Organisation.

Auf dem Gründungskongreß des "Gesamtverbandes der Arbeitnehmer der öffentlichen Betriebe und des Personen- und Warenverkehrs" im Oktober 1929 in Berlin in die Geschäftsleitung der neuen "gewerkschaftlichen Großmacht" als Reichsabteilungsleiter gewählt, hielt auf dem Verbandstag das zentrale Referat. Mitarbeiter am voluminösen "Handbuch der öffentlichen Wirtschaft". Berlin 1930. Polenske leitete die Reichsabteilung A, die den Kern des ehemaligen Gemeinde- und Staatsarbeiterverbandes rekrutierte (1930: 238.124 Mitglieder = 62% aller Beschäftigten des Bereichs). Ihm lag der Kampf um die Erhaltung und den Ausbau der sozialen Arbeitsverträge besonders am Herzen. Die Arbeitnehmer der öffentlichen Betriebe seien die "Pioniere des sozialen Arbeitsvertrages", diese Rolle gelte es zu festigen. Neben dem Reichsmanteltarifvertrag fielen in Polenskes Ressort 443 Tarifverträge, die detailliert Lohn- und Arbeitsverhältnisse regelten. Im April 1930 in die neugeschaffene Leitung der Fachabteilung des Beamtenbeirats des "Reichsbundes der Beamten und Angestellten in den öffentlichen Betrieben und Verwaltungen" entsandt. Nach dem Beitritt seiner Gewerkschaft zum AfA-Bund trat Polenske am 1. Juni 1931 in dessen Vorstand ein. Vorher war durch ein "Abkommem über die Abgrenzung der Werbegebiete" viel Zündstoff aus der Diskussion mit den Angestelltengewerkschaften genommen worden. Polenskes Arbeit wurde durch die Notverordnungen und die Auswirkungen auf die Arbeitnehmer der öffentlichen Betriebe und Verwaltungen besonders krass betroffen (bis Dezember 1931 vier Lohnsenkungen, bei einer Verminderung der Lohnsumme um ein Drittel der Bezüge). Machte sich zum berufenen Sprecher der Gemeinden, denen das Reich "ungeheure Wohlfahrtslasten" auferlegt habe. Die 5. Tagung des Verbandsbeirates vom 18. bis 20. November 1932, die das Antlitz des Führungsgremiums der Gewerkschaftsspitze radikal veränderte, wählte Carl Polenske für die wenigen verbleibenden Monate deutscher Demokratie zum Vorstandssekretär als "3. Mann" der Führungsspitze. Mitglied einer vierköpfigen Kommission, die das kommende Verbandsprogramm ausformulieren sollte. Verfasser der Monographie: "Hat der Marxismus versagt?". Berlin 1933. Einen Anpassungskurs an die NSDAP lehnte Polenske nach dem 30. Januar 1933 ab. Am 13. April 1933 schied Carl Polenske aus dem Verbandsvorstand mit einer vom Vorstand bewilligten Abfindung aus, er glaubte sich durch Angaben seiner ersten, geschiedenen Frau besonders gefährdet.

Am gleichen Tag Abreise nach Zürich; kurzfristiger Aufenthalt in der Schweiz, 1934 Emigration in die CSR, betrieb in Turn bei Teplitz einen Gemüseladen, hauptamtlicher Leiter der Emigrantenfürsorge der Deutschen sozialdemokratischen Arbeiterpartei in der Tschechoslowakischen Republik im Bezirk Teplitz-Schönau. Über den ehemaligen Sekretär der Sektion Gesundheitswesen (Paul Levy) hielt er Kontakt zu antifaschistischen Mitgliedern seiner Gewerkschaft und unterstützte illegal Arbeitende bei ihren Besuchen in der Tschechoslowakei mit Geld. Mitarbeit im Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbund unter Heinrich Schliestedt. 1938 vor der deutschen Besetzung Flucht nach Stockholm, sollte in der schwedischen Emigration eine überragende Rolle spielen. 1940 bis 1943 Vorsitzender der Stockholmer Sopade-Ortsgruppe. Ausbürgerung am 16. August 1940, die auch auf Polenskes zweite Ehefrau Gertrud ausgedehnt wurde. Ab November 1943 Vorstandsmitglied der Landesgruppe Schweden der Auslandsvertretung deutscher Gewerkschafter. Plädierte für die parteipolitische Unabhängigkeit der Gewerkschaften im Nachkriegsdeutschland. Delegierter auf der 1. Landeskonferenz der deutschen Sozialdemokraten in Schweden am 2. und 3. Dezember 1944, auf der 211 Parteimitglieder durch 21 Delegierte vertreten waren. Referat auf der Konferenz über "Organisatorische Fragen und Aufgaben".

Anfang 1944 Mitbegründer und zeitweise Vorsitzender des "Freien Deutschen Kulturbundes in Schweden". Gastdelegierter auf dem "Vereinigungsverbandstag der Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes, Transport und Verkehr" in Stuttgart vom 28. bis 30. Januar 1949, wo er neben David Stetter als einer der ehemaligen Vorstandsmitglieder des Gesamtverbandes die Kontinuität vom Gesamtverband zur Gewerkschaft ÖTV dokumentierte. Auf einer Sitzung im September 1949 beschloß der geschäftsführenden Hauptvorstand die "Rückholung" Polenskes aus Schweden. Dies sei eine "Ehrenpflicht" der deutschen Gewerkschaftsbewegung. 1950 ebnete die Gewerkschaft ÖTV den Weg endgültig nach Stuttgart, wo seine zweite Frau (Gertrud Polenske, geb. Riedel) künftig als Angestellte beim Hauptvorstand der Gewerkschaft ÖTV für den 2. Vorsitzenden Georg Huber arbeitete. Gastdelegierter auf dem 1. Gewerkschaftstag der Gewerkschaft ÖTV vom 18. bis 22. Februar 1952 in Hamburg. Carl Polenske verstarb am 22. März 1956 in Stuttgart.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | September 1998

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