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Nürnberg, Richard (1869 - 1941)

Geboren am 21. Mai 1869 in Stolzenhagen (Kreis Niederbarnim), verheiratet. Mußte nach dem Besuch der Dorfschule sofort seinen Lebensunterhalt verdienen. Ging 1883 als Vierzehnjähriger nach Berlin und arbeitete zunächst als Laufbursche, später als Hausdiener. Trat am 15. Januar 1891 dem "Verein Berliner Hausdiener" bei. Da der Lokalverein sich gegen eine Fusion mit anderen Berliner Organisationen mehrheitlich sperrte, Übertritt zum "Verband der Geschäftsdiener, Packer und Berufsgenossen", einem Zusammenschluß des "Unterstützungsbundes der Hausdiener" mit dem "Zentralverein der Haus- und Geschäftsdiener" (1892). Die vereinigte Lokalorganisation stand auf dem Boden der modernen Arbeiterbewegung, in ihr sammelten sich die dominierenden Persönlichkeiten der kommenden Bewegung der Handelshilfs- und Transportarbeiter.

Auf der ersten Generalversammlung am 29. Januar 1892 als Vorstandsmitglied für den "Bezirk Osten" gewählt. Im Berliner Kampf der "Zentralisten" und "Lokalisten" stellte sich Nürnberg auf die Seite der Anhänger eines beruflich orientierten, autonomen, gewerkschaftlichen Lokalverbandes. Überregionale Zusammenarbeit sollte nur auf dem Boden der "Vertrauensmännerzentralisation" stattfinden. Auf der Generalversammlung der Berliner "Lokalisten" am 10. Januar 1899 als Vertreter des Berliner Ostens in den Vorstand gewählt. Am 1. Juli 1900 Anschluß mit den lokalistischen Gesinnungsgenossen an den 1896 gegründeten "Zentralverband der Handels-, Transport- und Verkehrsarbeiter Deutschlands". Nürnbergs spezifische Interessen galten der Sicherung der Berufskollegen im Krankheitsfalle. Im Dezember 1900 Mitglied der Wahlkommission der "Ortskrankenkasse der Kaufleute, Handelsleute und Apotheker" für die Delegiertenersatzwahlen des Jahres 1901, seit 1902 Vorstandsmitglied und seit April 1903 Vorsitzender einer der bedeutenden Ortskrankenkassen Berlins. Seit dem Frühjahr 1913 beteiligte sich Nürnberg an den Verschmelzungsverhandlungen der drei größten Berliner Krankenkassen, um der heillosen Zersplitterung ein Ende zu bereiten. Die Generalversammlung der "Ortskrankenkasse der Kaufleute, Handelsleute und Apotheker" billigte im August 1913 sein Verhandlungsergebnis. Die Satzung der "Allgemeinen Ortskrankenkasse der Stadt Berlin" wurde Ende 1913 vom Königlichen Oberversicherungsamt Groß-Berlin gebilligt und trat zum 1. Januar 1914 in Kraft. Wahl Nürnbergs zum Schriftführer im Januar 1914. Wiederwahl in diesem Amt bis 1919. Von April 1903 an als hauptamtlicher Funktionär des Zentralverbandes zur Unterstützung des Hauptkassierers eingestellt. Delegierter auf der 3. Generalversammlung des Verbandes vom 11. bis 16. April 1903 in Hamburg. (Ab Juli 1903 neuer Verbandsname: "Zentralverband der Handels-, Transport- und Verkehrsarbeiter und Arbeiterinnen Deutschlands".) Zeichnete 1905 phasenweise für das Verbandsorgan "Courier" verantwortlich, um den österreichischen Redakteur Johann Dreher vor Repressionen zu schützen. Als Protokollführer der Konferenzen der Gau- und Ortsvorstände zählte Nürnberg bald zum "inneren Kreis", in dem organisatorisch die Fäden der Organisation zusammenliefen. 1910 trat in Deutschland das neue Automobilgestz in Kraft, welches den Autofahrern die Schadensersatzpflicht auferlegte. Aus den Reihen der organisierten Kraftfahrer entstand der Wunsch nach einer gewerkschaftseigenen Schadensversicherung.

Der 7. außerordentliche Verbandstag des "Deutschen Transportarbeiter-Verbandes" vom 8. bis 11. Mai 1910 rief die "Fakultative Rechtsschutz- und Haftpflicht-Unterstützung" (kurz Fakulta genannt) ins Leben. Als Kassierer der Fakulta sah der Verbandsvorstand Richard Nürnberg vor. Die konstituierende Versammlung der Rechtsschutzeinrichtung am 16. Juni 1910 bestätigte den Vorschlag. Der erhoffte Mitgliederstrom blieb indes aus. Die höchste Mitgliederzahl vor dem Krieg lag bei ca. 1.300 Mitgliedern, trotz intensiver Werbung ihres Kassierers auf diversen Berufs- und Bezirkskonferenzen. Seit 1910 bis zum Ende der Weimarer Republik Teilnehmer auf allen Verbandstagen als Kassierer der Fakulta (bzw. als Hauptkassierer). Wiederwahl als Kassierer der Fakulta auf der Generalversammlung am 12. Juni 1912 in Breslau im Rahmen des 8. Verbandstages. Engagement in der SPD: Von 1917 bis Anfang 1919 Vorsitzender des 6. Berliner Reichstagswahlkreises und von 1921 bis 1925 Bezirksverordneter für den Berliner Stadtbezirk Prenzlauer Berg. Während des Krieges zeichnete Nürnberg für den Notstandsfond der Organisation verantwortlich. Nach dem krankheitsbedingten Ausscheiden des Hauptkassierers Carl Kaßler (1916) und der Einberufung des Interimskassierers Otto Pfeiffer, verwaltete der ungelernte Handelshilfsarbeiter die Hauptkasse seiner Gewerkschaft bis zum 10. Verbandstag vom 22. bis 27. Juni 1919 in Stuttgart. Auf der Sitzung des Ausschusses der Allgemeinen Ortskrankenkasse der Stadt Berlin am 1. Juli 1919 zum 1. Vorsitzenden gewählt. Nürnberg stand künftig der größten deutschen "Arbeiterkasse" (knapp 500.000 Mitglieder) vor und galt bald als der berufene Experte der freien Gewerkschaften in Krankenkassenfragen. Unter seiner Federführung setzte die sozialdemokratisch dominierte Ortskrankenkasse viele Ideen aus der Gewerkschaftsbewegung in die Tat um. So wurde bereits Ende 1919 ein Tarifabkommen zwischen den Krankenkassenärzten und der AOK realisiert. Die alte Forderungen aus der Arbeiterbewegung nach Konzentration des Kassenwesens ging 1919 ebenfalls in Erfüllung. Auf Grund gesetzlicher Bestimmungen schloß sich die lose Vereinigung der Berliner Krankenkassen zum Verband der Krankenkassen im Bezirk des Oberversicherungsamtes Groß-Berlin zusammen (35 Ortskrankenkassen, 65 Betriebskrankenkassen, 33 Innungskassen und eine Landkrankenkasse).

Wahl zum Vorstandsmitglied des Groß-Berliner Krankenkassenverbandes, in dem Nürnberg vor allem die sozialhygienischen Initiativen unterstützte. Als Krönung seiner versicherungspolitischen Arbeit wertete Nürnberg die Einführung der Familienversicherung der Berliner Ortskrankenkasse (ab 1. Juli 1924). Wiederwahl zum Berliner AOK-Vorsitzenden am 25. September 1921, dannach Wiederwahl im vierjährigen Turnus. Auf dem 29. Deutschen Krankenkassentag vom 5. bis 7. Juli 1925 in der Münchner Tonhalle in den Vorstand des Hauptverbandes deutscher Krankenkassen gewählt. Seit 1926 2. Vorsitzender des Hauptverbandes. Mitglied der Neunerkommission der Vorwärtsdruckerei und des Aufsichtsrates der Aktiengesellschaft Lindenhaus. Seine Kandidatur als Vertreter für den IV. Verwaltungsbezirk bei den Berliner Bezirkswahlen von 1920 scheiterte jedoch. Die Wahl des ehemaligen Berliner Gauleiters, August Werner, als Kassierer in den Transportarbeitervorstand 1919 war nicht lange zu "halten", zu groß waren die Verwaltungsaufgaben der anschwellenden Organisation, so daß Werner Ende 1919 nur noch reine Vorstandsaufgaben ausübte. An Werners Stelle verwaltete Richard Nürnberg die Hauptkasse. Bestätigung als Hauptkassierer (und damit als Mitglied des Verbandsvorstandes) auf dem 11. Verbandstag vom 3. bis 8. September 1922 in Berlin. Nürnberg sanierte nach der Inflation die Finanzen der Organisation. Die vom Verbandstag 1922 beschlossene Auflösung der Fakulta wurde hingegen in einer Urabstimmung der Mitglieder verworfen. Die 6. Reichskonferenz der Berufskraftfahrer Deutschlands ("Reichsverband der Berufskraftfahrer im Deutschen Transportarbeiter-Verband") empfahl dem bevorstehenden Bundestag, die Mitgliedschaft für obligatorisch zu erklären. Vom 12. Bundestag des "Deutschen Verkehrsbundes" in Frankfurt (16. bis 21. August 1925) wurde entsprechend beschlossen. Wiederwahl Nürnbergs zum Hauptkassierer. Innerhalb des Bundesausschusses des ADGB setzte sich Nürnberg im Februar 1923 für eine großzügige Ausgestaltung der geplanten Gewerkschaftsbank ein.

Am 23. Dezember 1925 konstituierte sich der neue Verwaltungsausschuß der Fakulta mit Johann Döring als Vorsitzenden und Richard Nürnberg als Kassierer (Ende 1925: 9.886 Mitglieder, Ende 1928: 42.371 Mitglieder). Der konstituierende Verbandstag des "Gesamtverbandes der Arbeitnehmer der öffentlichen Betriebe und des Personen- und Warenverkehrs" vom 7. bis 10. Oktober 1929 wählte Richard Nürnberg zum Hauptkassierer. Neben Adam Ruppert vom ehemaligen "Verband der Gemeinde- und Staatsarbeiter" als Vermögensverwalter war Nürnberg für die eingehenden Beiträge von 673.000 Mitgliedern (Ende 1930) verantwortlich. Auf der 4. Beiratssitzung am 11. Juni 1932 teilte Otto Becker den Rücktritt Richard Nürnbergs mit. Nürnberg hatte einen Teil des Verbandsvermögens ohne Beschluß des Verbandsvorstandes angelegt. Eine vom Verbandsvorstand eingesetzte Untersuchungskommission hatte außer Nürnberg auch den Vermögensverwalter Adam Ruppert und den Verbandsvorsitzenden Oswald Schumann eine Verletzung der "statuarischen Pflichten" vorgeworfen. Beide traten mit Nürnberg zurück. 1933 aus allen Selbstverwaltungsämtern vertrieben. Lebte seit 1933 als Rentner in Berlin. Richard Nürnberg starb am 29. Oktober 1941 in der Reichshauptstadt.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | September 1998

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