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Müntner, Fritz (1870 - 1934)

Geboren am 6. November 1870 in Wriezen an der Oder als Sohn eines Bäckermeisters, verheiratet, protestantisch, später Dissident. Besuch der Volksschule in Wriezen und Trebnitz (Schlesien). Erlernte von 1884 bis 1888 das Sattlerhandwerk. Von 1888 bis 1894 Wanderjahre, Wanderung bis Lodz und Budapest. Beendete seine Wanderschaft in Berlin. Trat 1894 in der Hauptstadt dem "Verband der Sattler, Tapezierer und Berufsgenossen" bei. Seit dem 1. Dezember 1902 stellvertretender hauptamtlicher Rendant der Ortskrankenkasse der Sattler in Berlin, machte sich gleichzeitig als "Tarifexperte" bei der Ausgestaltung der Arbeits- und Lohnbedingungen der Berliner Sattler einen Namen. Mitglied der SPD, übte von Oktober 1905 bis April 1906 das Schriftführeramt im Ortsverein Rixdorf (später Neukölln) aus. Müntners Kassenführung galt bei der städtischen Berliner Aufsichtsbehörde als mustergültig, gleichwohl sollte er seine Stellung auf Druck der Berliner Sattlerinnung verlieren. Delegierter auf der 6. ordentlichen Generalversammlung des "Verbandes der Sattler Deutschlands" (neuer Verbandsname ab 1900) vom 16. bis 19. April 1906 in Dresden. Wehrte sich vehement gegen "rechte" Strömungen in der deutschen Gewerkschaftsbewegung, die die Existenz einer politischen Arbeiterpartei für überflüssig hielten. Trat für eine politische Ausgestaltung des Verbandsblattes ein. Wurde auf dem Kongreß von den Berliner Delegierten zum neuen Vorsitzenden der Sattlerorganisation vorgeschlagen, lehnte allerdings eine Kandidatur ab.

Wegen seiner "bürotechnischen Fähigkeiten" zum Verbandskassierer vorgeschlagen und in einer Kampfabstimmung mit 20 : 15 Delegiertenstimmen gewählt. Unterstützte aktiv die Verschmelzungsverhandlungen mit dem "Verband der Portefeuiller und Ledergalanteriearbeiter Deutschlands". Teilnehmer an der 7. Generalversammlung seiner Organisation am 11. April 1909 in Köln, die den Zusammenschluß zum "Verband der Sattler und Portefeuiller" sanktionierte. Seit dem 1. Oktober 1909 Redakteur der "Sattler- und Portefeuiller-Zeitung". Wechselte nach Unstimmigkeiten mit der Verbandsführung zum 1. April 1911 als Leipziger Gauleiter in den Dienst des "Verbandes der Gemeinde- und Staatsarbeiter" über. Müntner hatte als "Berufsfremder" erhebliche Akzeptanzprobleme, zumal die Leipziger Vertrauensmänner der Gemeindearbeiterorganisation sich gegen die Anstellung eines gelernten Sattlers wehrten. Müntners agitatorisches Geschick und seine Erfolge bei seinen zahlreichen Verhandlungen mit der Leipziger Stadtverwaltung ließen ihn jedoch rasch Vertrauen und Ansehen gewinnen. 1912 gelang es dem neuen Gauleiter in der sächsischen Metropole bereits, eine deutliche Lohnerhöhung für 2.500 Beschäftigte durchzusetzen und eine Bezahlung der Feiertage für alle Arbeiter zu erreichen. Mit einem buchmäßigen Mitgliederzuwachs von 1.446 auf 1.569 in den Jahren 1912/1913 profitierte Müntner vom allgemeinen Vorkriegsaufschwung des Gemeindearbeiterverbandes in seinem Gau, der nahezu identisch mit der Leipziger Filiale war. Teilnehmer auf dem 6. Verbandstag vom 2. bis 8. Juni 1912 in München und dem 7. Verbandstag vom 24. bis 30. Juni in Hamburg, der mit der Wahl eines neuen Vorsitzenden (Richard Heckmann) ein Personalkarussell innerhalb des Verbandes in Gang setzte, das auch für Fritz Müntner Auswirkungen hatte. Die Filiale Groß-Berlin wählte Müntner zu ihrem neuen Vorsitzenden, der allerdings erst nach Kriegsausbruch Anfang September 1914 die neue Stelle antreten konnte. Müntner erhielt die Wasserwerke, Park- und Gartenverwaltung, die Kanalisation und Bauverwaltung wie auch die Rieselfelder zur Agitation überwiesen. Die Kriegsrekrutierungen hatten den Vertrauensleutekörper der Gewerkschaft in Berlin nahezu zertrümmert; Müntner organisierte zunächst die Kriegsunterstützungsmaßnahmen des Verbandes für Angehörige der Kriegsteilnehmer. 1916/17 lag nach Einberufung weiterer hauptamtlicher Beschäftigter nahezu die gesamte Außen- und Agitationsarbeit der Berliner Filiale auf den Schultern des gelernten Sattlers. Mitarbeit im Ernährungsausschuß der Stadt Berlin. Von 1915 bis 1917 in den Ausschuß der Gewerkschaftskommission Berlins und Umgebung gewählt. Führte im Auftrag des Filialvorstandes in den letzten beiden Kriegsjahren Tarifverhandlungen mit der Stadt Berlin. Als Ergebnis der Verhandlungen führte die Stadt in der Revierinspektion der Berliner Gaswerke den Achtstundentag zur Probe und am 1. April 1918 endgültig die ausgehandelte Arbeitszeitverkürzung ein.

Müntner hatte nach der Novemberrevolution mit dem ungeheueren Anschwellen der Berliner Mitgliederzahlen zu "kämpfen". Auf seine Initiative hin, beschloß die Berliner Generalversammlung am 29. Januar 1919 die Einführung des Delegiertensystems für die Generalversammlung. Gleichzeitig drohte Müntner mit den übrigen besoldeten Angestellten der Filiale seinen sofortigen Rücktritt an, sollten die ehrverletztenden Angriffe aus den Reihen der Berliner Mitgliedschaft nicht aufhören. Als Repräsentant der Kriegspolitik der freien Gewerkschaften stand Müntner im Rampenlicht innerverbandlicher Kritik, die der starke USPD/KPD-Flügel formulierte. Wiederwahl zum Filialvorsitzenden im Januar 1919. Mitarbeit in der Sozialisierungskommission für die Teerwirtschaft. Teilnehmer am 8. Verbandstag, abgehalten vom 1. bis 6. September 1919 zu Nürnberg. Ursprünglich von einer Kandidatenfindungskommission zum hauptamtlichen Sekretär im Verbandsvorstand vorgeschlagen, gewann Müntner in einer Kampfabstimmung bei der Wahl zum 2. Vorsitzenden mit 95 : 53 Delegiertenstimmen gegen Richard Maroke. Auf Beschluß des Verbandsvorstandes und des Verbandsausschusses wurde der Verbandsvorsitzende Richard Heckmann am 15. November 1920 von seinem Vorstandsamt beurlaubt, um seine neue Stellung im Gaskokssyndikat anzutreten. Die gleichen Gremien bestimmten Fritz Müntner zum neuen Vorsitzenden des "Verbandes der Gemeinde- und Staatsarbeiter.

Mitglied des Vorläufigen Reichswirtschaftsrates seit dem 30. Juni 1920. 1920 bis 1921 sozialdemokratischer Stadtverordneter in Berlin, Mitglied der Deputation für das Ernährungswesen, der Deputation für die städtischen Werke und dem Wasserbeirat der Provinz Brandenburg. Wiederwahl zum Verbandsvorsitzenden auf dem 9. Verbandstag vom 20. bis 26. August 1922 in Magdeburg, dem 10. Verbandstag vom 3. bis 8. August 1925 in Frankfurt am Main und dem 11. Verbandstag vom 6. bis 11. August 1928 in Köln. Mitglied des Bundesausschusses des ADGB, in dem er als profilierter Debattenredner galt. Plädierte als Ausschußmitglied im Sommer 1921 vehement gegen die Einführung einer Zwangsschlichtung und votierte 1923 für einen rechtzeitigen Abbruch des Ruhrkampfes, machte sich im Frühjahr 1924 für einen Volksentscheid zur Wiederherstellung des Achtstundentages stark. Der Vorsitzende der Gemeinde- und Staatsarbeiter gehörte einer Kommission aus 16 Verbandsvorsitzenden an, die seit Oktober 1922 versuchte, die Beschlüsse des Leipziger ADGB-Kongresses zur Organisationsreform umzusetzen. Unter Müntners Vorsitz konsolidierte sich die Gemeindearbeiterorganisation nach den enormen Mitgliedergewinnen in der nachrevolutionären Zeit und den Verlusten der Inflationsperiode. (Ende 1929 rund 260.000 Mitglieder bei 891 Filialen, davon 55 Ortsbüros mit hauptamtlichen Angestellten). Als einer der jüngsten Verbände in der deutschen Gewerkschaftsgeschichte hatte der "Verband der Gemeinde- und Staatsarbeiter" eine erstaunliche innere und äußere Entwicklung genommen; durch ein engmaschiges Netz der sozialen Absicherung gelang die weitgehende Integration der Gemeindearbeiterschaft in die Gesellschaft. Der Abschluß eines Reichsmanteltarifvertrages, der Ausbau des innerverbandlichen Unterstützungswesens, innergewerkschaftliche Bildungsarbeit und Funktionärsschulung, Organisation nach Wirtschaftsbezirken, die durchgängige Gliederung nach Reichssektionen und die Gründung des Verbandsbeirates stehen für Müntners Namen. Teilnehmer an der USA-Reise deutscher Gewerkschafter zu Beginn des Jahres 1926, Lehrer am Fortbildungslehrgang der Berliner Filiale im August 1926. 1927 Mitglied im kommunalpolitischen Beirat der SPD, vertrat darüber hinaus seine Gewerkschaft im Deutschen Städtetag. Teilnehmer an allen wichtigen Branchen- und Fachkongressen des Verbandes in der Weimarer Republik. Als Vorsitzender der deutschen Organisation in den Vorstand der "Internationalen Föderation des Personals in öffentlichen Diensten und Betrieben" gewählt. Teilnehmer auf der Internationalen Konferenz des Berufssekretariats am 12. bis 14. Dezember 1925 in Berlin. Delegierter auf dem 2. Kongreß der Beamteninternationale vom 17. bis 21. September 1927 in Nürnberg. Nach dem krankheitsbedingten Ausscheiden des Internationalen Sekretärs, Nico van Hinte, stellten die Verbände der Schweiz, Belgiens, der skandinavischen Länder und Großbritanniens den Antrag, den Sitz des Internationalen Sekretariats von Holland nach Deutschland zu verlegen.

Auf dem 7. Kongreß der "Internationalen Föderation des Personals in öffentlichen Diensten und Betrieben" vom 16. bis 18. Juli 1929 in Stockholm einstimmig zum Sekretär des internationalen Berufssekretariats gewählt. Sitzverlegung des Internationalen Sekretariats von Amsterdam nach Berlin. Müntner versuchte, mit den "klassischen Methoden" der deutschen Gewerkschaftsbewegung die internationale Arbeit zu intensivieren: planmäßige Beobachtung der Organisationsverhältnisse und der kommunalen und wirtschaftspolitischen Verhältnisse, statistische Erhebungen der Lohn- und Arbeitsverhältnisse der einzelnen Länder. Mit der I. Internationalen Konferenz des Personals der Gas-, Elektrizitäts- und Wasserwerke (1. Internationale Energiearbeiterkonferenz) vom 29. bis 30. August 1930 in Karlsruhe versuchte Müntner, neue Akzente zu setzen, um der internationalen Entkommunalisierung öffentlicher Betriebe entgegenzuwirken. Ein internationaler Konferenzversuch, der durch die massive Verschlechterung der finanziellen Lage des deutschen Verbandes sich nicht mehr wiederholen ließ.

Müntner galt als einer der "Antreiber" und Architekten der Vereinigung des Personals des öffentlichen Dienstes mit den Transportarbeitern, dem wichtigsten Zusammenschluß der Gewerkschaftsbewegung in der Weimarer Republik. Führte seit Mitte der zwanziger Jahre Gespräche mit dem "Deutschen Verkehrsbund" und dem "Einheitsverband der Eisenbahner Deutschlands". Unterschrieb im August 1925 einen Kartellvertrag zwischen den vier Gewerkschaften des Verkehrsgewerbes und des öffentlichen Dienstes. War zunächst geneigt, dem Eisenbahnerverband 1928 bei der Schaffung einer eigenen Beamtensektion entgegenzukommen; nahm allerdings nach den Beschlüssen der 2. Generalversammlung des "Einheitsverbandes der Eisenbahner Deutschlands" vom 17. bis 23. Juni 1928 in Frankfurt am Main Abstand von der "großen" Fusionslösung. Müntner wurde im September 1928 im Bundesausschuß als neues unbesoldetes ADGB-Vorstandsmitglied vorgeschlagen, verfehlte jedoch in der wichtigen Vorabstimmung die erforderliche Mehrheit. Am 11. und 12 Dezember 1928 beschlossen Verbandsvorstand und Verbandsbeirat einstimmig, Müntners Vorschlag anzunehmen und über den Zusammenschluß des "Verbandes der Gemeinde- und Staatsarbeiter" mit dem "Deutschen Verkehrsbund" aufzunehmen. Eine Vorständekonferenz beider fusionswilligen Gewerkschaften setzte am 15. Januar 1929 eine sechsköpfige Verhandlungskommission ein, um die Vereinigungsmodalitäten zu bestimmen. In der "Beamtenfrage" war der Vorsitzende des "Verbandes der Gemeinde- und Staatsarbeiter" geneigt, den Wünschen der ADGB-Spitze entgegenzukommen und über eine gemeinsame Dachorganisation von freigewerkschaftlichem Allgemeinen Deutschen Beamtenbund und dem berufsständischen Deutschen Beamtenbund nachzudenken. Eine Konstruktion, die allerdings am Widerstand der ADB-Vertreter scheiterte. Teilnehmer auf der gemeinsamen Tagung der Verbandsbeiräte der bei den großen fusionswilligen Verbände (einschließlich der freigewerkschaftlichen Gärtner) am 26. Juli 1929 in Berlin, die die Ergebnisse monatelanger Besprechungen sanktionierte. Müntner, der dem "Deutschen Verkehrsbund" bei der umstrittenen Regelung der Beitrags- und Unterstützungsfrage weit entgegenkam, erkrankte kurz vor den endgültigen Verschmelzungsverhandlungen schwer. Sein schweres Herzleiden verhinderte seine Teilnahme auf dem Gründungskongreß des "Gesamtverbandes der Arbeitnehmer der öffentlichen Betriebe und des Personen- und Warenverkehrs" im Oktober 1929 in Berlin. In Abwesenheit neben Oswald Schumann zu einem der gleichberechtigten Vorsitzenden der neuen gewerkschaftlichen Großorganisation gewählt.

Müntner signalisierte im Bundesausschuß, dem höchsten freigewerkschaftlichen Kontrollorgan, Kampfbereitschaft seiner Organisation gegen die Brüningschen Notverordnungspläne, warnte jedoch vor unrealistischen Hoffnungen. ("Es ist allerdings heute schon schwer, Arbeiter aus den Betrieben herauszuholen, und deshalb werden wir sorgfältig prüfen müssen, ob wir alles auf eine Karte setzen wollen.") Am 25. November 1931 zum Revisor der Bundeskasse des ADGB gewählt. Reichte am 1. Oktober 1932 wegen seines schlechten Gesundheitszustandes seine Pensionierung ein. Mußte 1933 die gewerkschaftseigene Wohnung in Berlin-Johannisthal räumen. Fritz Müntner starb am 31. März 1934 in Berlin-Biesdorf. Im Dezember 1949 benannte die Gewerkschaft ÖTV ihr Erholungsheim in Bad Sulzbach nach dem Begründer des "Gesamtverbandes der Arbeitnehmer der öffentlichen Betriebe und des Personen- und Warenverkehrs".


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | September 1998

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