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Giebel, Karl (1878 - 1930)

Geboren am 26. Mai 1878 in Burg bei Magdeburg als Sohn eines Zimmerers, verheiratet, protestantisch, später Dissident. Besuchte von 1884 bis 1888 die Bürgerschule in Burg und von 1888 bis 1892 die Volksschule in Magdeburg-Neustadt. Absolvierte von 1892 bis 1895 eine Lehrzeit als Bürogehilfe in Magdeburg; von 1897 bis 1898 Vorsteher eines Anwaltsbüros. Von 1898 bis 1904 Angestellter einer Berufsgenossenschaft und der Kaufmännischen Ortskrankenkasse Magdeburg. Seit 1899 Mitglied der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands. Trat früh in den seit Januar 1894 bestehenden "Verband der Verwaltungsbeamten der Krankenkassen und Berufsgenossenschaften Deutschlands" ein. Der Verband suchte, allein durch Petitionen an den Gesetzgeber die soziale Lage der Berufsgenossen zu verbessern; gewerkschaftliche Kampfmittel lehnte er ab (1901: 1.464 Mitglieder).

Am 19. Januar 1902 auf dem Bezirkstag der Provinz Sachsen als Beisitzer in den Bezirksgruppen-Vorstand gewählt. Seit der Jahrhundertwende waren in Giebels Verband Strömungen virulent, die einen Anschluß an die freie Gewerkschaftsbewegung suchten. Zentren der innerverbandlichen Opposition lagen in Berlin und in Magdeburg. Während die Berliner für den kommenden Verbandstag im Spätsommer 1902 den Anschluß an die Generalkommission der Gewerkschaften Deutschlands forderten, referierte Giebel am 6. Juli 1902 auf dem Bezirkstag in Schönebek über die Presse. Das Verbandsorgan ("Volkstümliche Zeitschrift für praktische Arbeiterversicherung") solle "ein Kampforgan für unsere wirtschaftlichen Forderungen" werden, ein hauptamtlicher Redakteur sei einzustellen; im übrigen unterstützte er die radikalen Berliner Forderungen. Auf dem 5. Verbandstag vom 8. bis 9. September 1902 brachte Giebel eine Mißtrauensresolution gegen den Verbandsvorstand ein, die mit 13 gegen 11 Delegiertenstimmen akzeptiert wurde. Der Antrag auf Anschluß an die Generalkommission verfehlte hingegen knapp sein Ziel. Rücktritt des amtierenden Vorstandes und Wahl Giebels zum neuen ehrenamtlichen Vorsitzenden. Verlegung des Verbandssitzes nach Magdeburg. Giebel rückte mit seinem Verband programmatisch und im Wortlaut seiner Petitionen in die Nähe der organisierten Arbeiterbewegung. Arbeiterbewegung und Verband hätten gleichermaßen ein Interesse an der Selbstverwaltung der Krankenkassen. Die Anstellung der Kassenbeamten dürfe nicht den Aufsichtsbehörden unterworfen werden. Giebels Wahl war der Auftakt zur eigentlichen gewerkschaftlichen Tätigkeit seines Verbandes. Eine Erhebung über die soziale Lage der Berufsangehörigen bildete die Grundlage zur Einleitung einer Tarifbewegung mit dem Zentralverband der Ortskrankenkassen im Deutschen Reich. Referat: "Die Regelung der Anstellungs- und Gehaltsverhältnisse der Kassenangestellten" auf der 10. Jahrestagung des Zentralverbandes der Ortskrankenkassen im September 1903 in Breslau.

In Breslau in eine "Kommission" gewählt, die für den Krankenkassentag 1904 über "geregelte Gehalts- und Anstellungsverhältnisse" berichten sollte. Am 4. Januar 1904 zum 2. Vorsitzenden der Breslauer Kommission gewählt (1. Vorsitzender der Sozialdemokrat Eduard Gräf, Vorsitzender der Frankfurter Ortskrankenkasse). Vom 1. Oktober 1904 bis zum 31. Dezember 1905 Anstellung als hauptamtlicher Arbeitersekretär in Düsseldorf, wobei ihm bei seiner Beratungstätigkeit seine fundierten Kenntnisse als Versicherungsangestellter zugute kamen. Verwaltete den Verband gut ein Jahr vom Rheinland aus. Wiederwahl Giebels zum Vorsitzenden auf dem 6. Verbandstag in Breslau vom 28. bis 30. August 1905; seinen Resolutionsentwurf zugunsten eines Anschlusses an die Generalkommission der Gewerkschaften hießen die Delegierten gut. Gleichzeitig wurde beschlossen, den Verbandsvorstand zu ermächtigen, "mit der auf gleichem wirtschaftlichen stehenden Verbänden von Bureauangestellten und verwandten Berufen ein kartellartiges Vertragsverhältnis" anzustreben. Außerdem stellte der Verbandstag Giebel als hauptamtlichen Funktionär ein. Übersiedlung nach Berlin. Seit Juni 1906 fungierte der Vorsitzende auch als Verleger der "Volkstümlichen Zeitschrift für praktische Arbeiterversicherung. Organ des Verbandes der Verwaltungsbeamten der Krankenkassen, Berufsgenossen etc. Deutschlands. Publikationsorgan des Zentralverbandes von Ortskrankenkassen im Deutschen Reiche. Allgemeines Anzeigeblatt für die Interessentenkreise der Kranken-, Unfall- und Invaliden-Versicherung", dessen Redaktion nach wie vor in Magdeburg saß. Giebels tarifpolitische Arbeit krönte der Tarifvertrag von 1906, der erste Tarifvertrag für die Angestellten der Krankenkassen und Berufsgenossen überhaupt. (Anstieg der Mitglieder auf 2.608 zum Januar 1907.)

Seit Januar 1907 fungierte Giebel als Vorsitzender für die Arbeitnehmer des neugeschaffenen Zentralamtes der Tarifgemeinschaft mit den Ortskrankenkassen. Trotz vieler Reibungen setzte Giebel seine Bemühungen fort, einen Zusammenschluß mit dem "Zentralverein der Bureauangestellten Deutschlands" herbeizuführen. Ein Zusammenschluß, der ganz im Sinne der Generalkommission lag, die drei Angestelltengewerkschaften unter ihrem Dach barg. Giebels Unterschrift trugen die "Verschmelzungsbedingungen" im Februar 1908, die ihm als Vorsitzenden des größeren Verbandes quasi den Vorsitz der neuen Organisation garantierten. Auf dem gemeinsamen Verbandstag der organisierten Verwaltungsbeamten und Bureauangestellten vom 18. bis 21. April 1908 in Berlin verabredungsgemäß zum Vorsitzenden des "Verbandes der Bureauangestellten" gewählt (ca. 4.500 Mitglieder). Zweiter Vorsitzender wurde der spätere Reichskanzler Gustav Bauer. Gleichzeitig realisierten die Delegierten Giebels Wunschvorstellung und stimmten der Einrichtung einer eigenen Pensionskasse zu.

Als Vorsitzender stritt Giebel eng an der Seite der Sozialdemokratie um eine Verbesserung der Reichsversicherungsordnung und machte sich als Experte für Versicherungsfragen unentbehrlich. Einstimmige Wiederwahl zum Vorsitzenden auf dem 2. Verbandstag vom 7. bis 9. August 1911 in Köln. Delegierter auf den Kongressen der Gewerkschaften Deutschlands 1908, 1910, 1911, 1914 und 1915. Profilierte sich auf dem 8. Kongreß der Gewerkschaften Deutschlands vom 26. Juni bis 1. Juli 1911 in Dresden zu den Themen Arbeiterschutz und Arbeiterversicherung. ("Es muß Aufgabe der Arbeiterversicherung sein, dem kulturellen Aufstieg der Arbeiterschaft zu dienen, wenn sie nicht zu einem Almosenautomaten herabsinken soll.") 1914 in die Kommission zu "Gehaltsregulierung" gewählt, die die Gehälter der Gewerkschaftsangestellten festsettze. Delegierter auf den SPD-Parteitagen 1910 bis 1913, der Parteikonferenz 1916 und den Parteitagen 1917, 1919 und 1922. Wegen seiner umfänglichen Kenntnisse auf dem Gebiet der Sozialversicherung im Januar 1912 als "ortsfremder" Reichstagskandidat im Wahlkreis 9 (Regierungsbezirk Frankfurt an der Oder) aufgestellt. Im Wahlkreis Cottbus-Spremberg im 2. Wahlgang mit 14.750 Stimmen (= 53,6%) in den Reichstag entsandt. Wiederwahl 1919 und 1920 im Wahlkreis 6 (Frankfurt an der Oder) und im Dezember 1924 im Wahlkreis 5 (Frankfurt an der Oder). Regelmäßiger Mitarbeiter an der "Märkischen Volksstimme". Typisches Thema: "Maifeier und Sozialpolitik". Im Parlament gehörte Giebel durchgängig dem Sozialpolitischen Ausschuß an und galt als einer der besten parlamentarischen Sachkenner auf dem Gebiet der Sozialversicherung. Gehörte vor dem Krieg zu den autoritativen Sprechern der Parlamentsfraktion auf dem Gebiet des einheitlichen Privatangestelltenrechts und den Forderungen nach rechtlicher Gleichstellung der technischen und Bureauangestellten mit den Handlungsgehilfen. Vertrat nachdrücklich die Abschaffung des Gesetzes über die Konkurrenzklausel der Handlungsgehilfen und nahm zu allen Fragen der Sozial- und Krankenversicherung Stellung. Sein spezielles Interesse galt allerdings der Dienstordnung für die Angestellten der Berufsgenossenschaften. Giebel gehörte während des Krieges zu den Anhängern der Kriegspolitik der Generalkommission und der Mehrheit der Sozialdemokratie. Gegen oppositionelle Strömungen verteidigte im Juli 1915 Kreiskonferenz und Kreisvorstand die Politik ihres Reichstagsabgeordneten. ("Der Vorstand erwartet, daß die Politik des 4. August fortgesetzt wird.") Erhielt im Januar 1916 von den gleichen Gremien Rückendeckung für seine feste Haltung gegen die innerparteiliche Opposition. Während des Krieges suchte Giebel vor allem die Mitwirkungsmöglichkeiten von Arbeitern und Angestellten in den Betrieben und das Frauenwahlrecht für Gremien der Sozialversicherung auf die Tagesordnung des Reichstages zu bringen. Referat: "Arbeiter- und Angestelltenkammern" auf dem 3. Verbandstag des "Verbandes der Bureauangestellten Deutschlands" vom 3. bis 6. November 1918, der Giebels einmütige Wiederwahl erbrachte, jedoch auch sein Eingeständnis, daß "unser Volk den Krieg verloren hat" und ausländischen "Gewaltpolitikern" ausgeliefert sei.

Am 20. November 1918 von Friedrich Ebert beauftragt, die Reichsregierung bei der Obersten Heeresleitung "in den mit der Rückbeförderung und Demobilisierung des Feldheeres verbundenen Angelegenheiten zu vertreten" (Tagegeld 30 Mark). Am 20. Januar 1919 durch Friedrich Ebert von seinen alten Tätigkeiten entbunden und als Nachfolger Ewald Vogtherrs als Beigeordneter des Staatssekretärs ins Reichsmarineamt entsandt. Während - und unmittelbar nach dem Kriege - begann Giebel mit dem "Zentralverband der Handlungsgehilfen" Gespräche mit dem Ziel einer Vereinigung zu einer großen einflußreichen Angestelltengewerkschaft zu führen. Giebels Gewerkschaft selbst war durch Beitritte aus dem Bereich der Militärverwaltung Ende 1918 auf 27.804 Mitglieder angewachsen. Hindernisse für einen Zusammenschluß mit dem Zentralverband lagen in Giebels Augen in der starken "Linkslastigkeit" der organisierten Handlungsgehilfen. Seine Vorbehalte galten vor allem dem leitenden Redakteur und KPD-Funktionär Paul Lange, der die "Handlungsgehilfen-Zeitung" im gewerkschaftsoppositionellen Sinne redigierte. Nach internen Kompromißgesprächen tagten am 8. und 9. September 1919 in Weimar die Beiräte des "Zentralverbandes der Handlungsgehilfen" und des "Verbandes der Bureauangestellten Deutschlands" und beschlossen zum 1. Oktober 1919 eine Verschmelzung beider Organisationen unter dem Namen "Zentralverband der Angestellten". Wahl Giebels zu einem der gleichberechtigten Vorsitzenden der neuen "Angestelltenmacht" (1919 über 300.000 Mitglieder). Bestätigung in diesem Amt (neben Otto Urban) auf dem 1. Verbandstag des "Zentralverbandes der Angestellten" vom 29. Mai bis 4. Juni 1921 in Weimar, auf der Giebel deutliche Konzessionen an die linke Stimmung der Angestellten machte. ("Wir wissen, daß die heutigen sozialen und wirtschaftlichen Äußerungen des Kapitalismus keine Zufallserscheinungen sind".)

Seine Bemühungen um eine Zusammenarbeit der Angestelltengewerkschaften untereinander krönte der 1. Gewerkschaftskongreß des Allgemeinen freien Angestelltenbundes in Düsseldorf vom 2. bis 3. Oktober 1921, der ihn als Beisitzer in den erweiterten Vorstand entsandte. Innerverbandlich nutzte Giebel den Schwenk der Kommunistischen Internationale in der Gewerkschaftsfrage, um im Beirat einen Unvereinbarkeitsbeschluß durchzusetzen: künftig durfte kein besoldeter Funktionär Mitglied der KPD sein. Im Reichstag blieb Giebel seinen alten Themen Sozialpolitik und Sozialversicherung treu. Neu war sein Engagement - bedingt durch seine unmittelbare Nachkriegserfahrung - für militärische Fragen, wobei er für eine Demokratisierung des Offizierskorps und für mehr "republikanischen Geist" in der Marine plädierte. Seit 1922 galt seine Schaffenskraft nahezu ausschließlich den parlamentarischen und Ausschußberatungen eines "Arbeitsnachweisgesetzes". Seinem Engagement war vieles zu danken, daß in Deutschland die Grundlagen für eine moderne Arbeitsverwaltung gelegt wurden. Im März 1924 erlitt Giebel einen Schlaganfall, an dessen Folgen er nachdauernd litt. Wiederwahl zum Vorsitzenden auf dem 2. Verbandstag des "Zentralverbandes der Angestellten" vom 22. bis 24. Juni 1924 in

Kassel. Auf dem 3. Verbandstag im Mai 1927 in Köln trat Giebel endgültig zurück. Kurz darauf legte er sein Reichstagsmandat nieder. Carl Giebel starb am 2. November 1930 in Berlin.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | September 1998

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