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TEILDOKUMENT:
1914
Die Hüttenindustrie, der Bergbau an der Saar, der Mansfelder Kupferschieferbergbau, der rheinische und mitteldeutsche Braunkohlenbergbau, der nieder- und oberschlesische Steinkohlenbergbau, der Kalibergbau, die Eisenverhüttung, die chemische Industrie und einzelne Zweige der Textilindustrie beharren noch auf einem "Herr-im-Haus"-Standpunkt und wehren sich erfolgreich gegen Tarifverträge. Daneben suchen noch immer Arbeitgeber anderer Branchen ihre Monopolstellung als einzigen Industriebetrieb eines Ortes oder ein Überangebot an Arbeitskräften zu nutzen, um Gewerkschaftsorganisationen zu verhindern.
Noch sind über die Hälfte der Arbeiter in Betrieben mit unter 50 Arbeitern beschäftigt.
Anfang 1914
Die 46 der Generalkommission angeschlossenen Gewerkschaften geben 46 Verbandsorgane mit einer Gesamtauflage von ca. 2.610.700 Exemplaren heraus. Das Abkommen von 45 Zeitungen ist im Beitrag enthalten. Nur der "Correspondent für Deutschlands Buchdrucker" muß extra abonniert werden.
Die meisten Verbandsblätter kommen wöchentlich heraus. 6 Zeitungen erscheinen alle 14 Tage, 5 einmal im Monat.
Januar / Februar 1914
In vielen Städten Deutschlands finden Protestkundgebungen gegen die geplanten Verschlechterungen des Koalitionsrecht und das Verbot des Streikpostenstehens.
Januar 1914
Der Vorstand des Holzarbeiterverbandes richtet eine Petition an Bundesrat und Reichstag, in der er zur Verbesserung des Unfallschutzes der an Holzbearbeitungsmaschinen Beschäftigten u.a. fordert:
die Durchführung der Gewerbeaufsicht durch das Reich;
die Anstellung von Gewerbebeamten aus den Kreisen der Arbeiter;
die Gewährung polizeilicher Strafbefugnis an die zur Beaufsichtigung der Betriebe angestellten Gewerbe- und Aufsichtsbeamten;
die Festsetzung eines Maximalarbeitstages von zehn Stunden für alle Betriebe der Holzindustrie und Herabsetzung desselben innerhalb gesetzlich zu bestimmender Frist auf acht Stunden;
das Verbot der Frauenarbeit an Holzbearbeitungsmaschinen, in Sägewerken und auf Holzlagerplätzen;
das Verbot der Beschäftigung jugendlicher Arbeiter und Lehrlinge unter 17 Jahren an den Maschinen;
die Einführung von Pflichtunterrichtskursen für alle Arbeiter an Holzbearbeitungsmaschinen über Unfallverhütung an den Maschinen und Anwendung der vorgeschriebenen Schutzvorrichtungen.
12./14. Januar 1914
Die Konferenz der Vertreter der Verbandsvorstände in Berlin beschließt, den seit 1896 bestehenden Gewerkschaftsausschuß zu beseitigen und die Vorständekonferenzen zu einer offiziellen Gewerkschaftsinstanz auszugestalten.
20. Januar 1914
Der Innenminister v. Delbrück bezeichnet im Reichstag die sozialpolitische Gesetzgebung "als im wesentlichen abgeschlossen" und da der Arbeitsschutz nur noch die Detailarbeit der Verwaltung erfordere, lägen die neuen Probleme auf dem Gebiet des Koalitionsrechts. Für die Arbeitgeber verlangt er "wirtschaftliche und moralische Ellenbogenfreiheit, um die großen Aufgaben zu erfüllen, die unsere Industrie bisher gelöst hat und in viel höherem Maße als bisher wird erfüllen müssen".
Doch das Kernproblem der sozialen Frage, die gesellschaftliche und politische Gleichberechtigung der Arbeiterschaft, rückte schon wenige Monate später unter dem Druck der Kriegsereignisse so zentral ins Blickfeld der Öffentlichkeit, daß es noch im Verlauf der Kriegsjahre zu grundlegenden Entwicklungen auf staatlicher und nichtstaatlicher Ebene kam, die einen Lösungsprozeß einleiteten.
Anfang Februar 1914
Der Verband der Lithographen und Steindrucker setzt eine Zentralkommission für die Lehrlingsabteilung ein, deren Vorsitzender Sitz und Stimme im Vorstand hat.
Die Zentralkommission soll die Gewinnung neuer Mitglieder sowie die geistige Entwicklung durch fachtechnische und wissenschaftliche Weiterbildung, die körperliche Entwicklung durch gewerblichen Jugendschutz sowie Sport und Spiel fördern.
6. Februar 1914
Der Reichstag nimmt mit großer Mehrheit Anträge des Centrums, der Sozialdemokratie und der Polen an, das Vereinsrecht zu ändern. Vor allem fordern diese Parteien, die Überwachung politischer Versammlungen sowie die Verbote des Gebrauchs fremder Sprachen und der Teilnahme Jugendlicher an politischen Vereinen und Versammlungen aufzuheben.
In der gleichen Sitzung lehnt der Reichstag gegen die Stimmen der Konservativen deren Antrag ab, die Reichsregierung aufzufordern, einen Gesetzentwurf vorzulegen, das Streikpostenstehen zu verbieten und "dem immer schärfer ausgeübten Terrorismus gegenüber arbeitswilligen Arbeitern entschieden entgegenzutreten".
März 1914
Die Generalkommission veröffentlicht die bereits Ende 1912 abgeschlossene Denkschrift, die in ihrem Auftrag von Siegfried Nestriepke zusammengestellt wurde: Das Koalitionsrecht in Deutschland. Gesetze und Praxis.
Diese Denkschrift wird allen Reichs- und Landtagsabgeordneten, den Ministerien, der bürgerlichen Presse und Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens übersandt. Sie ist mit ihrer umfangreichen Sammlung krasser Fälle von Klassenjustiz, Verwaltungsschikanen und Unternehmerwillkür vor allem auf die Mentalität der bürgerlichen Sozialreformer abgestimmt.
13. März 1914
Die Mitgliederversammlung der Vereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände billigt das Eintreten des Vorstandes für ein Streikpostenverbot und stellt fest, daß die bestehenden Gesetze und ihre Handhabung unzulänglich sind und wendet sich dagegen, die gesetzliche Neuregelung "wiederum auf Jahre hinaus zu vertagen". Auch die "schärfere Handhabung straßenpolizeilicher Maßnahmen" sei nicht geeignet, eine durchgreifende Änderung herbeizuführen.
Doch die Reichsregierung ist nicht bereit, vor allem auf Grund der ablehnenden Haltung einer Mehrheit im Reichstag, diesen Wünschen der Arbeitgeber zu entsprechen.
Frühjahr 1914
Die der Schwerindustrie nahestehende Zeitung "Post" empfiehlt den Arbeitgebern erneut diese "Selbsthilfe". Sie sollen "jeden ihnen als Vertrauensmann bekannten freigewerkschaftlich organisierten Arbeiter aufs schärfste überwachen und beim kleinsten Anlaß schleunigst an die Luft setzen. "Hinaus aus dem Hause mit diesen Friedensstörern, fort von der Arbeit mit diesen Hetzern!"
Die gewerkschaftlichen Angestelltenorganisationen schließen sich in loser Form zur "Arbeitsgemeinschaft für das einheitliche Angestelltenrecht" zusammen.
28. März 1914
In Berlin schließen sich eine Reihe von Werkvereinen zum "Kartellverband Deutscher Werkvereine" zusammen, nachdem ihre Forderungen auf das Streikrecht nicht zu verzichten und die politische Haltung der Mitglieder dürfe für diese keine Nachteile bringen, von der Mehrheit der Vereine abgelehnt worden waren.
31. März 1914
Im Bericht des Parteivorstandes an den Parteitag wird das abgelaufene Geschäftsjahr als ein Jahr der wirtschaftlichen Krise und der politischen Reaktion bezeichnet. Die Bestimmungen des Vereins- und Versammlungsrechtes seien trotz aller Auseinandersetzungen im Reichstage noch schlimmer mißachtet worden als in den vorausgegangenen Jahren. Dem Koalitionsrecht seien Fesseln angelegt worden, für die es gesetzliche Handhaben nicht gebe. Durch Polizeiverordnungen sei das Streikpostenstehen vielerorts unmöglich. Der Sozialdemokratie solle der jugendliche Zufluß abgesperrt werden durch die brutale Unterdrückung der proletarischen Jugendbewegung.
1. April 1914
Der Berliner Polizeipräsident läßt in einer Verfügung neben dem Holzarbeiterverband - bei ihm hatte er kurz vorher eine behördliche Razzia durchführen lassen -, den Lederarbeiterverband, den Transportarbeiterverband, auch die Berliner Filiale des Fabrikarbeiterverbandes, des Metallarbeiterverbandes und des Zimmererverbandes als politisch erklären.
22. April 1914
Auf einer öffentlichen Kundgebung der Gesellschaft für soziale Reform in Berlin über "Organisationszwang und Organisationsfreiheit" sprechen sich die Vertreter aller drei Gewerkschaftsbünde der Kaufleute und der technischen Angestellten entschieden gegen alle Versuche, das Koalitionsrecht der Arbeiterorganisationen einzuschränken, vor allem das Streikpostenstehen unter Strafe zu stellen, aus. Die bestehenden einengenden Bestimmungen des § 153 der Gewerbeordnung müßten beseitigt werden.
Die Sprecher der Gewerkschaften lehnen zudem energisch die Tätigkeit der "gelben" Werkvereine ab.
26. April 1914
12 Angestelltenverbände, darunter der Bund der technisch-industriellen Beamten, der Zentralverband der Handlungsgehilfen, der Verein der Deutschen Kaufleute, der Technikerverband, der Verband der Bureauangestellten veranstalten einen Kongreß für ein einheitliches Angestelltenrecht.
Das Hauptreferat hält Hugo Sinzheimer. Der Kongreß stellt fest:
Die bestehenden Unterschiede in den Rechtsverhältnissen der verschiedenen Angestelltengruppen sind weder in den wirtschaftlichen Verhältnissen begründet, noch entsprechen sie den Forderungen der Gerechtigkeit.
Der Kongreß erklärt es für dringend notwendig, daß, unbeschadet der Notwendigkeit, die Besonderheiten der einzelnen Angestelltenschichten zu berücksichtigen, ein einheitliches Angestelltenrecht geschaffen wird.
Der Kongreß ist sich bewußt, daß angesichts der Übereinstimmung der Grundfragen des Angestelltenrechts mit denen des Arbeiterrechts das einheitliche Angestelltenrecht nur eine Etappe auf dem Wege zum allgemeinen Arbeitsrecht bilden wird.
Mai 1914
In einem geheimen Rundschreiben stellt der Geschäftsführer des Arbeitgeberverbandes der Eisen- und Stahlindustriellen für den Bezirk der Nordwestlichen Gruppe fest: "Der Arbeitsnachweis der Unternehmer wirkt dem Bestreben der Gewerkschaften entgegen, Arbeitskämpfe durch Entziehung von Arbeitskräften oder durch Ansammlung organisierter Arbeiter in einem Betrieb vorzubereiten. Der Nachweis unterstützt durch Beschaffung von Ersatz wirksam das angegriffene Werk. Nötigenfalls kann durch die zeitweilige Schließung des Nachweises ein starker Druck auf die Gesamtheit der Arbeiter ausgeübt werden."
10. Mai 1914
Auf einer von 5.000 Personen, darunter die meisten führenden Sozialpolitiker und Sozialrefomer, christliche und liberale Gewerkschafter besuchten öffentlichen Kundgebung der Gesellschaft für soziale Reform für die Fortsetzung der Sozialreform hält Francke, 2. Vorsitzender der Gesellschaft, das Hauptreferat. Francke kritisiert zwar die Ziele und politischen Methoden der Sozialdemokratie, er sieht diese Veranstaltungen vor allem aber als Gegenkundgebung zum Kartell der schaffenden Stände, das glaube, nun sei die Zeit gekommen, "wo die Herrschaft des Unternehmers im Arbeitsvertrag als roche de bronce stabilisiert und die Knechtung der Arbeiterbewegung erreicht werden könne".
Er verwirft den Ruf nach Arbeitswilligenschutz als das "nackte Streben nach einer Zertrümmerung der Gewerkschaften". "Dies Unrecht brennt allen Arbeitnehmern ohne Unterschied der Richtung in tiefster Seele, weckt ihre heiße Empörung, schürt das fast schon im Erlöschen begriffene Feuer des Radikalismus. Will man denn auch die reichs- und kaisertreue Arbeiterschaft gewaltsam in den Widerstand gegen den Staat drängen?"
Francke verlangt - unter Zustimmung der Teilnehmer - die Senkung des Rentenalters auf 65 Jahre, die Behebung der Wohnungsnot, eine Arbeitslosenversicherung im Rahmen einer umfassenden Arbeitsmarktpolitik, ein Reichseinigungsamt, ein tarifpartnerschaftliches Arbeitsrecht, die Sicherung des Koalitions- und Vereinsrechts und ein unbehindertes Streikrecht.
Die Generalkommission ist durch R. Schmidt vertreten.
Am 23. Mai äußert das "Correspondenzblatt", "das Ergebnis wird auch unsererseits viel Zustimmung finden müssen. Es ist erfreulich, daß an der meisten Hetze gegen das Koalitionsrecht und der harten einseitigen Verfolgung der Gewerkschaften sich eine Anzahl Männer aus bürgerlichen Kreisen finden, die so viel Objektivität besitzen, daß sie das Unrecht, das der Arbeiterbewegung zugeführt wird, erkennen und fernab von dem Treiben der Scharfmacher und anderer kapitalistischer Interessenten ein Rechtsempfinden zum Ausdruck bringen, das gegen die Vergewaltigung der Arbeiterorganisationen sich auflehnt. Wir begrüßen es, wenn von jener Seite die tendenziöse und gehässige Art, in der die Gewerkschaftsbewegung verfolgt wird, zurückgewiesen wird."
10./16. Mai 1914
Die 15. Generalversammlung der Lederarbeiter in Berlin beschließt, daß bei tarifpolitischen Forderungen auch die Gewährung von Ferien miteinbezogen werden soll.
18./23. Mai 1914
Der Verbandstag der Steinarbeiter in Dresden erhebt dagegen Protest, daß die Unternehmerverbände sowie ein Teil der bürgerlichen Parteien immer wieder bemüht sind, den Arbeitern die Ausübung des Koalitionsrechts streitig zu machen.
Die Gewerkschaften verwerfen alle terroristischen Akte, sie tun alles, um ihre Mitglieder über die gesetzlichen Bestimmungen in der nachdrücklichsten Weise aufzuklären. Festgestellt sei, daß in der Steinindustrie die Unternehmer trotz der bestehenden Tarife wiederholt mit schwarzen Listen operieren und damit erreichen, daß den Arbeitern in den betreffenden Gebieten das Recht der Freizügigkeit unterbunden wurde.
Es muß dagegen Einspruch erhoben werden, daß es sogar noch Steinindustrielle gibt, die ihren Arbeitern den Eintritt in die Gewerkschaftsorganisation durch sofortige Entlassung aus dem Arbeitsverhältnis unmöglich machen. Die organisierten Steinarbeiter verlangen Ausbau des Koalitionsrechts, sie verlangen ferner, daß die terroristischen Akte der Unternehmer gesetzlich geahndet werden.
Der Verbandstag verlangt eine schärfere Überwachung der Steinindustrie, da die Unfallhäufigkeit noch sehr groß ist.
19./21. Mai 1914
Die Generalversammlung des Centralverbandes der Handlungsgehilfen in Hannover wünscht eine reichsgesetzliche Arbeitslosenfürsorge mit staatlichen Zuschüssen an die Gewerkschaften und erneuert die Forderung nach einer paritätischen Stellenvermittlung für Handlungsgehilfen.
Die Generalversammlung fordert ein einheitliches Arbeitsrecht für alle Angestellten, die kaufmännische Dienste leisten.
Der hauptsächlichste Zweck, der mit der Vereinheitlichung herbeigeführt werden muß, ist die dringend notwendige soziale Ausgestaltung des Arbeitsrechts, die den Angestellten und Arbeitern nicht nur die Persönlichkeitsrechte, sondern auch hinreichenden Schutz vor übermäßiger Ausnutzung ihrer Arbeitskraft bietet.
Die Generalversammlung hält den dem Reichstag vorliegenden Gesetzentwurf zur Sonntagsruhe im Handel für nicht akzeptabel.
Sie bedauert, daß die anderen Gehilfenverbände sich geweigert haben, zwecks Abschaffung der Sonntagsarbeit gemeinsam bei den Geschäftsinhabern vorstellig zu werden und diese nötigenfalls durch Verweigerung der Sonntagsarbeit, durch Personalsperre oder durch Boykott zu zwingen. Diese Verbände, die ihre Mitwirkung hierbei versagt haben, tragen die Verantwortung dafür, wenn die Sonntagsarbeit weiterhin eine schlechte Gewohnheit im Handelsgewerbe bleibt.
24./30. Mai 1914
Der Verbandstag des Holzarbeiterverbandes in Dresden legt allen an Tarifverträgen beteiligten Mitgliedern erneut die Pflicht auf, für die strikte Einhaltung der Verträge überall einzutreten und Vertragsverletzungen der Arbeitgeber in allen Fällen auf das entschiedenste und mit allen Mitteln zurückzuweisen.
Insbesondere verwirken diejenigen Unternehmer, die bewußt und beharrlich sich weigern, die materiellen Bedingungen des Vertrages hinsichtlich Arbeitszeit, Lohn und tariflicher Akkordpreise zu erfüllen, jeden Anspruch auf den Schutz der Vertragsinstanzen vor Arbeitseinstellungen, Sperren usw.
Nach Möglichkeit sollen die Wünsche nach Urlaub bei Tarifverhandlungen berücksichtigt werden.
Der Verbandstag erneuert den Beschluß des voraufgegangenen Verbandstages, daß die Einführung des freien Sonnabendnachmittags nicht unter Erhöhung der täglichen Arbeitszeit geschehen darf, wie diese Forderung überhaupt erst in Frage kommen kann, wenn die tägliche Arbeitszeit auf acht Stunden herabgesetzt ist.
Die Angliederung an einen kommunalen oder sonstigen öffentlichen Arbeitsnachweis darf nur erfolgen, wenn die volle Parität garantiert ist und wenn der Organisation mindestens ein genügendes Kontroll- und Mitbestimmungsrecht bei der Arbeitsvermittelung und bei Erledigung etwaiger Differenzen zugesichert wird.
Vor allem für die unbesoldeten Funktionäre des Verbandes wird eine Unfallunterstützungskasse errichtet.
Bei Unfällen "im Dienste der Organisation" soll die Differenz zwischen den Bezügen aus der Krankenkasse und dem Lohn gezahlt werden und bei länger dauernder Krankheit drei Viertel des Lohnes. Bei Ganzinvalidität erhalten sie eine dauernde Unterstützung in Höhe von drei Viertel des Lohnes. Hat der Unfall den Tod des Verletzten zur Folge, dann wird an die hinterbliebene Ehefrau eine jährliche Unterstützung je nach der Dauer der Verbandstätigkeit gezahlt.
25./30. Mai 1914
Der außerordentliche Verbandstag des Verbandes der Gemeinde- und Staatsarbeiter in Hamburg erhebt schärfsten Protest gegen die geplanten und neugeschaffenen Koalitionsrechtsbeschränkungen im Strafgesetzentwurf, im Entwurf zum bayerischen Gemeindebeamtengesetz sowie in der überaus willkürlichen polizeilichen Auslegung und Handhabung des Vereinsgesetzes.
Der Verbandstag hält die vollständige Anerkennung des Koalitions- und Streikrechts aller Arbeiter öffentlicher Betriebe für unbedingt erforderlich, sollen nicht die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Fortschritte dieser Arbeiterkategorien schweren Schaden erleiden.
Die beste Gewähr gegen Streiks in öffentlichen Betrieben erblickt der Verbandstag in der vollen Anerkennung der Organisation, wodurch ein Mitbestimmungsrecht bei Festsetzung und Regelung der Lohn- und Arbeitsverhältnisse geschaffen wird.
Die Unterstellung aller Arbeiter öffentlicher Betriebe unter die Bestimmungen der Gewerbeordnung ist ferner dazu angetan, den gewerblichen Frieden zu erhalten.
30. Mai / Juni 1914
Der Verbandstag des Verbandes der Maschinisten und Heizer in Leipzig ist im Prinzip einer Verschmelzung mit dem Metallarbeiterverband nicht abgeneigt, hält den Zeitpunkt noch für verfrüht.
Auch dieser Verbandstag protestiert entschieden gegen die beabsichtigten Verschlechterungen des Koalitionsrechts.
Juni 1914
Die Internationale der Arbeiter öffentlicher Betriebe beschließt, ein internationales Sekretariat zu schaffen und ein Internationales Bulletin herauszugeben.
5. Juni 1914
Auf der letzten Delegiertenversammlung des Centralverbandes Deutscher Industrieller erklärt dessen Vorsitzender "solange der Terrorismus der Gewerkschaften unausgesetzt die Arbeitswilligen in und außerhalb der Werkstätten straflos bedrohen und bis aufs Blut peinigen kann, so lange werden die Gewerkschaften im Kampfe mit den Arbeitgeberverbänden wohl im einzelnen Falle empfindlich getroffen werden, aber sie werden sich auch vom schwersten Schlag immer wieder erholen". Er beklagt als das "Trostlose in unseren heutigen Verhältnissen, daß eher für die Beseitigung der Koalitionsschranken als für den Schutz der Arbeitswilligen im Deutschen Reichstage eine Mehrheit zu finden" sei.
7./13. Juni 1914
Der Verbandstag des Transportarbeiter-Verbandes in Köln stellt fest, "der von der Regierung im Herbst 1913 dem Reichstag vorgelegte Gesetzentwurf, die Neuregelung der Sonntagsruhe im Handelsgewerbe betreffend, dessen Verabschiedung durch den Schluß der Reichstagssession verhindert worden ist, entsprach in keiner Beziehung den Wünschen der Handelsarbeiter auf Gewährung des freien Sonntags und wurde den dringendsten sozialpolitischen Forderungen unserer Zeit nicht gerecht. ...
Die volle Sonntagsruhe ist für die Handelsarbeiter eine Lebensfrage, der Kampf für sie muß energisch weitergeführt werden. Wenn den Gegnern der vollen Sonntagsruhe die Profitinteressen höher stehen als die körperliche und geistige Gesundheit der Handelsarbeiter und von der Regierung und dem Reichstage in ihrem volksschädigenden Tun unterstützt werden, so haben wir uns dagegen zu wenden."
8./13. Juni 1914
Auf dem 15. Verbandstag der Schuhmacher in Hamburg sind zum ersten mal drei weibliche Delegierte anwesend.
Auch die Schuhmacher sprechen sich gegen einen freien Samstagnachmittag aus, wenn er auf Kosten der gesamten Arbeitszeit erreicht werden soll.
Wie schon eine Reihe anderer Verbände protestieren die Schuhmacher gegen die geplante Beeinträchtigung des Koalitionsrechtes.
10. Juni 1914
Die sächsische Staatsregierung veröffentlicht die "Verordnung, das Verhalten der Polizeibehörden bei gewerblichen Streitigkeiten (Streiks, Aussperrungen) betreffend". Danach wird das "Aufstellen von sogenannten Streikposten" nur dann für zulässig angesehen, "wenn sie den freien Verkehr nicht beeinträchtigen, insbesondere sich darauf beschränkten, die Arbeitsverhältnisse zu beobachten, ohne hierbei Personen zu belästigen". Als Belästigung sei anzusehen, wenn Arbeitswillige oder andere Personen wider ihren ausgesprochenen Willen auf öffentlichen Straßen oder Plätzen angesprochen oder auffällig begleitet werden. Falls Streikposten wegen "derartiger Belästigungen" fortgewiesen werden oder "durch Streikposten eine unmittelbare Störung der öffentlichen Ordnung zu erwarten" ist, kann die Polizeibehörde "nach Lage des Falles die Aufstellung von Streikposten vorübergehend oder für die Dauer der betreffenen Streitigkeit ganz verbieten".
Die Gewerkschaften aller Richtungen protestieren einmütig gegen die "ungerechtfertigte Einengung der gewerkschaftlichen Willensfreiheit". In einer entscheidenden Frage kommt es damit zu einer Einheit der organisierten Arbeiter. Besorgt warnt dann auch ein Zentrumsparlamentarier in der Kölnischen Volks-Zeitung, der Politiker müsse sich darüber klar sein, "daß mit der neuerdings entfachten Bewegung gegen das Koalitionsrecht der Arbeiter ein Kampf entfesselt wird, der alle Arbeiter, ohne Unterschied der Partei, soweit sie auf eine selbständige Gewerkschaftsbewegung und Vertretung der Arbeiterinteressen Wert legen, in geschlossener Abwehr findet". Der "ohne Grund und Ursache aufgeworfene Zankapfel um das Koalitionsrecht" sei eine "große politische Kurzsichtigkeit".
22./27. Juni 1914
Auf dem 9. Kongreß der Gewerkschaften in München geht C. Legien ausführlich darauf ein, daß der Berliner Polizeipräsident die Gewerkschaften zu "politischen" Vereinen erklärt hat. Zweck dieser Aktion sei es, daß beim geltenden Vereinsrecht jugendliche Werktätige nicht mehr der Gewerkschaft beitreten könnten. Die Gewerkschaften würden aber eine andere Organisationsform für die Jugendlichen zu finden wissen. Die Handhabung des Reichsvereinsgesetzes von 1908 wird als schikanös-arbeiterfeindlich und illoyal gekennzeichnet; das Gesetz selbst würde die Anforderungen an ein freies Vereins- und Versammlungsrecht nicht erfüllen. Nur durch eine Änderung kann ein freies und gleiches Recht für alle geschaffen werden.
Ein weiterer Auf- und Ausbau der sozialpolitischen Gesetzgebung sei dringend erforderlich.
In der Frage der Arbeitslosenversicherung hätten das Reich und die Einzelstaaten restlos versagt. Alle Organisationen der Arbeiter und Angestellten werden aufgefordert, in den Mittelpunkt ihrer Agitation die Forderung der öffentlichen Organisation der Arbeitslosenversicherung zu stellen und ihren ganzen Einfluß im öffentlichen Leben für sie einzusetzen.
Heimarbeiterschutz und Versicherung müssen fortentwickelt werden, die Heimarbeiter und -arbeiterinnen sich in Gewerkschaften zusammenschließen.
Der Kongreß weist ein Eingreifen in das Koalitionsrecht mit Entrüstung zurück und fordert dagegen dessen Ausdehnung auf alle Arbeiter ohne Rücksicht auf die Art ihres Beschäftigungs- oder Dienstverhältnisses, Aufheben des § 153 der Gewerbeordnung und Bestrafung aller, die Arbeitnehmer an der Ausübung des Koalitionsrechts hindern.
Zur gesetzlichen Regelung der Tarifverträge erklärt der Kongreß: "Die Abneigung der Unternehmer gegen die Gewerkschaften und gegen die von ihnen erkämpften Tarifverträge bildet eine weit größere Gefahr für die Verträge als die rechtliche Unsicherheit und der mangelnde gesetzliche Schutz derselben.... Die Gewerkschaften fordern nicht schon jetzt eine gesetzliche Regelung der Tarifverträge, weil der Boden hierfür noch lange nicht als genügend geebnet betrachtet werden kann. Die Gewerkschaften fordern vielmehr, um der gedeihlichen Entwicklung der Tarifverträge zu dienen, völlige Freiheit für ihre auf Anerkennung der Gleichberechtigung der Arbeiter gerichtete Bewegung."
Entscheidend für diese Haltung ist die Befürchtung der Gewerkschaften, bei einer gesetzlichen Regelung zivilrechtlich in Anspruch genommen zu werden.
Nachdem die Teilnahme von führenden Gewerkschaftern an den Tagungen der Gesellschaft für soziale Reform kritisiert wird, erklärt Robert Schmidt: "Wollen wir auf dem Gebiet der Sozialpolitik etwas erringen, so bedürfen wir auch der Unterstützung andersgesinnter Kreise und haben allen Anlaß, diese Kreise nicht abzustoßen, sondern soweit möglich unsere Stellungnahme dort zur Geltung zu bringen" , und C. Legien teilt mit, daß Robert Schmidt und Th. Leipart persönlich Mitglieder der "Gesellschaft für soziale Reform" geworden wären, da ein Beitritt der Generalkommission noch nicht opportun sei.
Der Kongreß beschließt ein neues "Regulativ für das Zusammenwirken der Gewerkschaften Deutschlands". Danach macht die Vertretung der gemeinsamen Interessen der gewerkschaftlich organisierten Arbeiter und Angestellten Deutschlands ein ständiges Zusammenwirken der gewerkschaftlichen Centralverbände erforderlich.
Dieses Zusammenwirken soll sich insbesondere erstrecken auf:
- Die Förderung der gewerkschaftlichen Agitation, besonders in rückständigen Berufen und Bezirken;
- die Aufnahme allgemeiner gewerkschaftlicher Statistiken;
- die Herausgabe geeigneter Publikations- und Propagandaorgane und Agitationsschriften;
- die Wahrung des Rechtsschutzes; Wahrung und Förderung des Arbeitsschutzes;
- die Förderung der sozialpolitischen Arbeitervertreterwahlen;
- die Sammlung und Verwertung sozialpolitischer Materialien in gewerkschaftlichen Interessen;
- die Veranstaltung gewerkschaftlicher Unterrichtskurse;
- die Abgrenzung der Organisations- und Agitationsgebiete der Gewerkschaften und die Entscheidung über Grenzstreitigkeiten gemäß den Beschlüssen der Gewerkschaftskongresse;
- die gegenseitige Unterstützung der Gewerkschaften in der Durchführung außerordentlicher Kämpfe.
Zur Wahrung dieser Aufgaben werden folgende Organe bestimmt:
a) Die Generalkommission der Gewerkschaften Deutschlands,
b) die Konferenzen der Vertreter der Verbandsvorstände,
c) die Kongresse der Gewerkschaften Deutschlands.
Die Aufgaben der Generalkommission sind u.a.: Die gewerkschaftliche Agitation, namentlich in denjenigen Gegenden, Industrien und Berufen, deren Arbeiter nicht oder nicht genügend organisiert sind, zu fördern und den Zusammenschluß kleinerer existenzunfähiger Verbände und Lokalorganisationen zu leistungsfähigen Centralverbänden anzustreben.
Das Sammeln aller Materialien zur Sozialgesetzgebung, die Agitation unter den Arbeitnehmerinnen zu fördern, die Veranstaltung gewerkschaftlicher Unterrichtskurse und von Kursen für Arbeitersekretäre.
Die Streikunterstützung aus allgemeinen Mitteln soll nach wie vor auf außergewöhnliche Notfälle, in denen die eigene Kraft der beteiligten Organisation versagt, beschränkt bleiben. Über die Notwendigkeit solcher Hilfsaktionen entscheiden Generalkommission und Vorstände. Die Unterstützung soll in der Regel von allen angeschlossenen Verbänden durch Beitrag nach Maßgabe ihrer Mitgliederzahl aufgebracht werden; doch kann die Generalkommission in besonderen Fällen mit Zustimmung der Vorstände auch Sammlungen vornehmen lassen. Die Gewährung solcher Hilfe ist an eine Reihe von Vorbedingungen geknüpft.
In das Regulativ wird auch eine Regelung von Grenzstreitigkeiten aufgenommen, da Grenzstreitigkeiten noch immer häufig zu schlichten sind.
Erneut wird die Regelung der Organisationsbeziehungen durch Kartellverträge dringend empfohlen und für Differenzfälle, in denen trotz Vermittelung der Generalkommission Kartellverträge nicht zustandekommen und die Beilegung der Differenzen für das ungestörte Zusammenwirken der Gewerkschaften unbedingt notwendig ist, die Entscheidung durch ein Schiedsgericht angeordnet.
Das Schiedsgericht soll aus je drei von den Vorständen der beteiligten Gewerkschaften zu wählenden unparteiischen Gewerkschaftsvertretern und einem von den Schiedsrichtern selbst gewählten Vorsitzenden bestehen und sein Spruch endgültig und bindend sein.
Der Kongreß lehnt die Anträge nach einer Berufsinstanz und für die Betriebsorganisation ab.
Zur Vertretung der gemeinsamen lokalen Aufgaben und der Interessen der Gewerkschaften bilden die am Orte oder im Bezirk vorhandenen Zweigvereine der Gewerkschaftlichen Centralverbände ein Gewerkschaftskartell. Zum Beitritt sind auch solche lokalen Vereine berechtigt, für deren Beruf ein Centralverband nicht besteht.
Die Gewerkschaftskartelle haben die Arbeiterinteressen gegenüber den Behörden (Gewerbeinspektion, Gemeindeverwaltung) zu vertreten, die Gewährung des Rechtsschutzes durch Errichtung von Rechtsauskunftsstellen oder Arbeitersekretariaten sicherzustellen und die Errichtung von Arbeitsnachweisen zu fördern.
Sie haben weiter im Einverständnis mit den betreffenden Organisationsleitungen die Agitation in den unzulänglich organisierten Berufen zu unterstützen und sich auf Ersuchen der Centralvorstände oder deren Beauftragte (Gauleiter) diesen bei der Vorbereitung von Versammlungen zur Verfügung zu stellen.
Der Kongreß protestiert gegen die Lebensmittelteuerungen und fordert die Öffnung der Grenzen für die Vieh- und Fleischeinfuhr unter Aufrechterhaltung der notwendigen veterinärpolizeilichen Vorsichtsmaßregeln, die Beseitigung der Futtermittelzölle und die Ermäßigung der Eisenbahntarife beim Nahrungs- und Futtermitteltransport.
Bei der Wahl zur Generalkommission werden 426 Stimmen abgegeben, von denen 7 ungültig sind.
In die Generalkommission werden gewählt: C. Legien (Vorsitzender 390 Stimmen), G. Bauer (381), H. Kube (400), A. Cohen (383), E. Döblin (350), C. Hübsch (294), A. Knoll (296), G. Sabath (337), H. Sachse (278), J. Sassenbach (359), R. Schmidt (354), O. Schumann (268), H. Silberschmidt (357).
28. Juni 1914
In der bosnischen Hauptstadt Sarajevo erschießen serbische Nationalisten den österreichischen Thronfolger Erzherzog Franz Ferdinand.
30. Juni 1914
Die 48 der Generalkommission angeschlossenen Gewerkschaften haben rund 2.514.000 Mitglieder, davon rund 223.000 weibliche.
Die größten Verbände sind die der Metallarbeiter mit 543.000, die der Bauarbeiter mit 310.000, die der Transportarbeiter mit 228.000, die der Fabrikarbeiter 208.000, die der Holzarbeiter mit 192.000, die der Textilarbeiter mit 133.000 und die der Bergarbeiter mit 102.000 Mitgliedern.
Die kleinsten Gewerkschaften sind die der Xylographen mit 422, die der Notenstecher mit 441 und die der Asphalteure mit 1.279 Mitgliedern.
Mitte 1914
Erst für knapp 50.000 der rund 300.000 Mitglieder christlicher Gewerkschaften sind Tarifverträge abgeschlossen.
5. Juli 1914
Wilhelm II. erklärt, Deutschland werde Österreich gegen Serbien unterstützen. Ähnliche Zusagen macht Reichskanzler v. Bethmann Hollweg.
5./11. Juli 1914
Der Verbandstag des Verbandes der Fabrikarbeiter in Stuttgart billigt das Verhalten seiner Delegierten auf dem Gewerkschaftskongreß in München und deren Erklärung zu der Erledigung von Grenzstreitigkeiten.
In München hatten die Vertreter des Fabrikarbeiterverbandes erklärt, daß sie die Ablehnung aller Anträge, die der Betriebsorganisation den Weg öffnen sollten, bedauern. Sie sind auch nach dem Entscheid des Gewerkschaftskongresses noch der Auffassung, daß die Betriebsorganisation als Grundlage der Industrieverbände notwendig ist und durch die Konzentration der Gütererzeugungen sowie durch die Entwickelung der Technik immer mehr notwendig wird.
Die Vertreter des Fabrikarbeiterverbandes sind ferner der Auffassung, daß die Entscheidung des Gewerkschaftskongresses eine Vermehrung der Differenzen und Streitigkeiten innerhalb der Gewerkschaften zur Folge haben wird. Als einen Versuch, wenigstens zu einem Teile diese Differenzen zu beheben oder zu mildern, betrachten die Unterzeichneten die wiederholte Erklärung des Vorsitzenden der Generalkommission, daß diejenigen gelernten Arbeiter den Organisationen der ungelernten Arbeiter überwiesen werden sollen, die zur Stärkung der Kampffähigkeit dieser Organisationen wesentlich beitragen.
Weiter erklärten sie, daß die Bildung der Zwangsschiedsgerichte das gewerkschaftliche Zusammenwirken, namentlich aber das Zusammenarbeiten des Verbandes der Fabrikarbeiter mit den übrigen der Generalkommission angeschlossenen Verbänden außerordentlich erschwert.
10. Juli 1914
Adolf Braun schreibt in der "Neuen Zeit" zum Münchner Gewerkschaftskongreß: "... Die Männer und Frauen, die auf diesem Gewerkschaftskongreß so rückhaltlos den Standpunkt der Arbeiterschaft gegen alle ihre Feinde klarstellten, waren noch ehegestern die Hoffnung all derer, die da träumten von der Möglichkeit einer Versöhnung der Arbeiter mit der heutigen Staats- und Gesellschaftsordnung und die phantasierten von einem Zusammenschluß aller von Bassermann bis Bebel. Haben sich die Männer geändert, die sicherlich vielfach ohne ihren Willen diese Hoffnungen keimen ließen? Durchaus nicht, sie sind in ihren Grundanschauungen, in ihren Lebensauffassungen, in ihren politischen Erwägungen die gleichen geblieben, die sie damals waren, aber die Gegnerschaft der Unternehmerorganisation wurde deutlicher, klarer, ihre Macht sichtbarer, ihre Führung härter, ihre Methoden rücksichtsloser, und ihr Einfluß auf die Regierungsgewalten erschien nun auch dem Hoffnungsvollsten über alle Zweifel erhaben. Nicht von der proletarischen Seite wurde der Klassengegensatz verschärft. Wurden die Hoffnungen vernichtet, die innerhalb der bürgerlichen Gesellschaft auf die Gewerkschaften und ihre Repräsentanten gesetzt wurden, so ist dies ein Ergebnis der Schroffheit, mit der der Klassenkampf von den Unternehmerorganisationen und ihren Sekretären geführt wird ..."
18. Juli 1914
Nachdem in mehreren Betrieben in Forst (Niederlausitz) am 1. Juli über 50 Walker (Textilarbeiter) in den Streik treten, weil ihre Forderung nach einem Mindestlohn nicht akzeptiert wird, sperren die Unternehmer rund 30.000 Textilarbeiter in der Niederlausitz aus.
25. Juli 1914
Der SPD-Parteivorstand fordert die Organisationen zu Friedenskundgebungen auf, die in den folgenden Tagen in großer Zahl, mit zehntausenden Teilnehmern, durchgeführt werden.
27./30. Juli 1914
Der Verbandstag der Friseurgehilfen in Hannover fordert erneut eine gesetzliche Ladenschlußregelung, die vorsieht, daß an Wochentagen die Arbeitszeit um 20 Uhr, an Sonnabenden um 22 Uhr und an Sonn- und Feiertagen um 12 Uhr beendet wird.
28. Juli 1914
Österreich-Ungarn erklärt Serbien den Krieg.
28./29. Juli 1914
Das Internationale Sozialistische Büro fordert die europäische Arbeiterklasse auf, den Kampf um den Frieden, für eine schiedsgerichtliche Erledigung des österreichisch-serbischen Konfliktes fortzusetzen und zu verstärken.
29. Juli 1914
A. Südekum teilt Reichskanzler Th. v. Bethmann Hollweg im Namen von F. Ebert, O. Braun, H. Müller, F. Bartels und R. Fischer mit, daß keine Streikaktionen geplant seien.
31. Juli 1914
H. Müller versucht in Paris, mit den französischen Sozialdemokraten eine einheitliche Haltung beim Kriegsausbruch zu vereinbaren. Während des Aufenthaltes wird J. Jaurès von einem Nationalisten erschossen. Die Besprechungen verlaufen ergebnislos.
Russische Generalmobilmachung.
Das Reichsgebiet wird in Kriegszustand erklärt, der Belagerungszustand verkündet, die Versammlungs- und Meinungsfreiheit damit stark eingeschränkt. Sozialdemokratische Zeitungen werden während des Krieges auf Grund des Belagerungszustandes oft verboten.
Der SPD-Parteivorstand appelliert angesichts der sich zuspitzenden internationalen Lage an die Arbeiter, sich nicht zu "Unbesonnenheiten, nutzlosen und falschverstandenen Opfern" hinreißen zu lassen.
Ende Juli 1914
Bis zum Ausbruch des Krieges gibt es bei allen gewerkschaftlichen Richtungen unterschiedliche Organisationsformen. Noch bestehen zahlreiche handwerklich geprägte Organisationen, doch die stärksten Verbände sind die berufsübergreifenden Industrieverbände. Die Bedeutung der reinen Fachgewerkschaften schwindet wegen der engen Begrenzung des Organisationsgebietes, der Zunahme des Anteils un- bzw. angelernter Arbeitskräfte und wegen des Rückgangs ganzer Gewerbezweige.
Bis zu diesem Zeitpunkt haben sich im wesentlichen die bis heute bestehenden Organisationsstrukturen gebildet: die persönliche Mitgliedschaft im Einzelverband, der seinerseits dem Dachverband angehört; Delegation von der örtlichen über die regionale zur zentralen Ebene durch demokratische Wahlen; Rechenschaftspflicht der gewählten Vorstandsmitglieder gegenüber den Kongressen auf allen Ebenen; Zahlstellen der Einzelverbände auf lokaler Ebene, die sich zu Ortskartellen zusammenschließen; Streikentscheidung auf zentraler Ebene; Aufbau eines zentralen Apparates hauptamtlicher Gewerkschaftsfunktionäre, die Verwaltung, Kassenwesen, Agitation und Pressearbeit usw. übernehmen.
Durch die mehrstufige Delegation wird allerdings die Distanz zwischen der Führungsspitze und den Betriebsbelegschaften größer.
Die Gewerkschaften der Generalkommission beschäftigen 2.867 Personen. Davon 408 in den Zentralverwaltungen, 429 in den Gauleitungen, 1955 in den lokalen Organisationen und 75 in den Redaktionen.
Beim Metallarbeiterverband arbeiten 739 Personen, davon 636 in den lokalen Verbänden. Mehr als 10 Personen in den Zentralverwaltungen haben nur 10 Verbände.
Seit 1900 hat sich die Zahl der Angestellten verzehnfacht.
1. August 1914
Das Deutsche Reich erklärt Rußland den Krieg.
Wilhelm II erklärt: "Ich kenne keine Partei mehr, ich kenne nur Deutsche."
Das "Correspondenzblatt" schreibt unter dem Titel "Die Kriegsgefahr":
"Die Gewerkschaften können an dieser ernsten Situation nicht achtlos vorübergehen, denn die Frage des Krieges geht nicht nur die politischen Machthaber an, sondern vor allem die Arbeiterklasse, die alle Leiden, die Opfer an Gut und Blut in höherem Maße und schwerer zu tragen hat, als irgendeine andere Gesellschaftsschicht. Was uns aber vom engeren Standpunkt der Gewerkschaft besonders veranlaßt, gegen das Heraufbeschwören des Krieges Front zu machen, das sind die entsetzlichen wirtschaftlichen Verwüstungen, die bei einem künftigen Kriege drohen...
Der Krieg würde unser gesamtes Erwerbsleben in Industrie und Handel, mit Ausnahme der Rüstungsindustrie, lahmlegen; dieser Krieg wird uns den Außenhandel unterbinden, einen Mangel an Nahrungsmitteln, eine maßlose Teuerung aufbürden...
Wir können uns das Bild, das die zerrüttende Wirkung zeigt, wenn die Kriegsfurie dahinrast, nicht vollständig in seinen düsteren Farben vorstellen, es wird ein Bild des Jammers und Entsetzens sein, wie es die Weltgeschichte noch nicht gesehen hat.
Mit der ganzen Schwere trifft der Schrecken des Krieges die Arbeiterklasse, sie vor allem wird den harten Druck empfinden. Wir bedauern die Toren, die sich von den nationalen Phantastereien fortreißen lassen; in der Arbeiterschaft sollte dafür kein Raum sein, denn sie wird den Leidenskelch bis zur Neige lehren müssen...
...aber wir müssen Verwahrung einlegen, daß wir für die Eroberungspolitik der österreichischen Imperialisten Vorspann leisten sollen und Österreichs Balkanpolitik, die fortgesetzt uns an den Rand kriegerischer Verwickelungen gebracht hat, unterstützen. Wir verabscheuen das verbrecherische Attentat gegen den österreichischen Thronfolger und finden es berechtigt, ... daß Österreich verlangt, daß die Schuldigen zur Rechenschaft gezogen werden...
Die Arbeiterschaft wird von unserer deutschen Regierung verlangen müssen, daß sie ihren Bundesgenossen zur Mäßigung anhält und jeden Versuch, den Krieg den Österreich mit Serbien jetzt begonnen hat, durch eine Verständigung oder Ausgleich zu beenden, unterstützt.
Wir sind überzeugt, daß unsere russischen und französischen Freunde auch in ihren Ländern alles aufbieten werden, um den Frieden zu propagieren, damit nicht zu dem österreichischen Verbrechen noch das russische hinzugefügt werde. Den Krieg zu verhüten ist eine Aufgabe, die alle angeht, es ist eine Sache, die den Menschen in seinem Tiefinnersten erfaßt, ihn herausreißen muß aus seinem Gleichmut, auch wenn er dem politischen Leben fernsteht.
Viel, ungeheuer viel steht für die Arbeiterklasse auf dem Spiel, deshalb erheben wir unsere Stimme gegen die verbrecherische Kriegshetze und wollen mit unseren Freunden im Ausland alle Kräfte einsetzen, um dem Frieden zu dienen und die Gefahr des Krieges zu bannen."
Bei Kriegsausbruch wird die Hälfte der SPD-Mitglieder, bis 1917 75%, zum Militär eingezogen.
Anfang August 1914
Der "Centralverband Deutscher Industrieller" und der "Bund der Industriellen" vereinigen sich zum "Kriegsausschuß für die deutsche Industrie", um dafür zu sorgen, daß die wirtschaftliche Arbeit, soweit irgend möglich, aufrechterhalten und zu diesem Zwecke die hierfür verfügbaren Kräfte auf rationellste Weise gesammelt und organisiert werden, damit vor allem Zersplitterung und Vergeudung sowie das Lahmliegen wirtschaftlicher Kräfte und Werte vermieden werden.
2. August 1914
Die Vorständekonferenz der Gewerkschaften beschließt einen Aufruf "An die Mitglieder der Gewerkschaften": "Alle Bemühungen der organisierten Arbeiterschaft, den Frieden aufrechtzuerhalten, den mörderischen Krieg zu bannen, sind vergeblich gewesen.
Der Krieg mit seinen Verwüstungen des wirtschaftlichen Lebens, mit seinen unermeßlichen Opfern an Gut und Blut ist über die Kulturnationen hereingebrochen. Unzählige werden als Opfer auf den Schlachtfeldern bleiben. Schwer wird die Arbeiterklasse diese Last zu tragen haben; Arbeitslosigkeit, Not und Entbehrung werden in nie gekanntem Umfange hereinbrechen.
In dieser ernsten Stunde richtet die Generalkommission ... den Appell an die Mitglieder der Gewerkschaften, ihrer Organisation treu zu bleiben, um die dringend notwendige Fortsetzung der Tätigkeit der Gewerkschaften zu sichern.
Die Gewerkschaften werden alle Mittel in den Dienst ihres Aufgabenkreises stellen. Aber dauernd können sie diese Verpflichtungen nur erfüllen, wenn diejenigen, die in Arbeit stehen, nach wie vor es als ihre Pflicht betrachten, durch die Beitragsleistung es zu ermöglichen, daß die Unterstützungen an die Hilfsbedürftigen weitergezahlt werden. Die Gewerkschaften werden bestrebt sein, soweit es in ihren Kräften steht, die bitterste Not der Mitglieder und ihrer Angehörigen zu mildern.
Wir erwarten aber auch in dieser schicksalsschweren Stunde, daß nicht diese wirtschaftliche Schwächung der Arbeiterklasse ausgenützt wird, um die Löhne herabzudrücken und unwürdige Anforderungen an die Arbeiterschaft zu stellen.
Wir hoffen, daß die Arbeiterschaft zu ihren Organisationen steht und sie über eine Zeit der schwersten Prüfung lebensfähig erhält, und daß die Solidarität der Arbeiterschaft sich in alter Treue bewährt."
Die Konferenz beschließt alle Lohnbewegungen und Streiks abzubrechen.
2./3. August 1914
Zwischen dem preußischen Landwirtschaftsministerium und der Generalkommission wird über die Mithilfe der freien Gewerkschaften bei der Einbringung der Ernte ein Übereinkommen getroffen, wonach die in der Industrie freiwerdenden Arbeitskräfte für die Einbringung der Ernte eingesetzt werden sollen. Die Arbeiter und Arbeiterinnen, die Arbeit in der Landwirtschaft annehmen, unterstehen nicht der Gesindeordnung. Sie erhalten den ortsüblichen Tagelohn bei freier Wohnung und Verpflegung.
Die Vermittlung erfolgt durch die öffentlichen Arbeitsnachweise. Von den Gewerkschaften wird in allen in Frage kommenden Orten eine Vertrauensperson bestellt, die u.a. die Arbeitsbedingungen kontrollieren können. Mit dieser Vereinbarung werden die Gewerkschaften von staatlichen Behörden zum ersten Mal als vertragsfähig anerkannt.
Die Parteien vereinbaren untereinander, keine Wahlkämpfe während des Krieges durchzuführen.
Der Reichsverband gegen die Sozialdemokratie stellt für die Dauer des Krieges seine Tätigkeit ein.
3. August 1914
Deutschland erklärt Frankreich den Krieg.
In der Sitzung der SPD-Fraktion stimmen 14 Abgeordnete gegen die Bewilligung der Kriegskredite.
4. August 1914
Großbritannien erklärt Deutschland den Krieg.
Der Reichstag tritt zur Bewilligung des ersten Kriegskredites zusammen. Die SPD-Fraktion bewilligt einstimmig die Kredite. H. Haase gibt als Vorsitzender für die SPD-Fraktion die Erklärung ab: "Wir stehen vor einer Schicksalsstunde. Die Folgen der imperialistischen Politik, durch die eine Ära des Wettrüstens herbeigeführt wurde und die Gegensätze unter den Völkern sich verschärften, sind wie eine Sturmflut über Europa hereingebrochen. Die Verantwortung hierfür fällt den Trägern dieser Politik zu; wir lehnen sie ab. Die Sozialdemokratie hat diese verhängnisvolle Entwicklung mit allen Kräften bekämpft, und noch bis in die letzten Stunden hinein hat sie durch machtvolle Kundgebungen in allen Ländern, namentlich in innigem Einvernehmen mit den französischen Brüdern, für die Aufrechterhaltung des Friedens gewirkt... Für unser Volk und seine freiheitliche Zukunft steht mit einem Sieg des russischen Despotismus, der sich mit dem Blute der Besten des eigenen Volkes befleckt hat, viel, wenn nicht alles auf dem Spiel. Es gilt, diese Gefahr abzuwehren, die Kultur und die Unabhängigkeit unseres eigenen Landes sicherzustellen.
Da machen wir wahr, was wir immer betont haben: Wir lassen in der Stunde der Gefahr das eigene Vaterland nicht im Stich. Wir fühlen uns dabei im Einklang mit der Internationale, die das Recht jedes Volkes auf nationale Selbständigkeit und Selbstverteidigung jederzeit anerkannt hat, wie wir auch in Übereinstimmung mit ihr jeden Eroberungskrieg verurteilen.
Wir fordern, daß dem Krieg, sobald das Ziel der Sicherung erreicht ist und die Gegner zum Frieden geneigt sind, ein Ende gemacht wird durch einen Frieden, der die Freundschaft mit den Nachbarvölkern ermöglicht..."
6. August 1914
Generalkommission und SPD-Parteivorstand rufen ihre Mitglieder auf:
Es ist selbstverständlich, daß die Partei- und Gewerkschaftsorganisationen alles tun müssen, was in ihren Kräften steht, um auch in diesen schweren Zeiten den Angehörigen der zum Waffendienst Einberufenen mit Rat und Tat beizustehen.
Die Organisationen werden diese Pflicht nur dann erfüllen können, wenn die nicht zu den Waffen gerufenen Mitglieder alle ihre Kräfte anspannen und die Organisationen intakt zu halten.
Es muß unter allen Umständen dafür gesorgt werden, daß die in den Vorständen und Ausschüssen der Organisationen entstehenden Lücken sofort besetzt, und daß die Beiträge regelmäßig gezahlt oder einkassiert werden. Alle Angestellten der Gewerkschaften verzichten während der Dauer des Kriege zugunsten der Unterstützungseinrichtungen auf einen erheblichen Teil ihrer Gehälter. Alle Angestellten der Partei tun das gleiche angesichts der gesamten Lage.
Wir fordern die Organisationen dringend auf, überall, wo es möglich ist, Auskunftsstellen einzurichten, um Auskünfte und Ratschläge in Unterstützungsangelegenheiten zu geben.
Bei der Tätigkeit der Auskunftsstellen ist die Mithilfe der Frauen unbedingt notwendig.
In den ersten Augusttagen beschließen die einzelnen Gewerkschaften, Lohnbewegungen und Arbeitskämpfe einzustellen und ihre Unterstützungsleistungen einzuschränken.
13. August 1914
SPD-Parteivorstand und Generalkommission unterbreiten der Reichsregierung ein Programm, in dem grundlegende Maßnahmen für eine durchgreifende Organisation der gesamten Ernährung gefordert werden.
Mitte August 1914
Zur Hebung des allgemeinen Wirtschaftslebens und zum Abbau der Arbeitslosigkeit verhandeln Vertreter der Generalkommission mit dem Reichsamt des Innern. U.a. wird, um einer Ausnützung der Beschäftigten zum Nachteil der Arbeitslosen vorzubeugen, empfohlen, die tägliche Arbeitszeit allgemein auf 8 Stunden herabzusetzen und Betrieben, die infolge des Krieges außerordentlich stark beschäftigt sind, die Einführung von Wechselschichten nahezulegen.
17. August 1914
Die Konferenz der Vertreter der Verbandsvorstände fordert alle Verwaltungen auf, die Not der Arbeitslosen zu lindern, Arbeitsgelegenheiten zu beschaffen und denjenigen, die keine Arbeit erhalten können, Arbeitslosenunterstützung zu gewähren.
Um schwächere Gewerkschaften zu schützen, untersagt die Vorständekonferenz für die Dauer des Krieges Übertritte von Mitgliedern aus dem einen in den anderen Verband.
Die Vertreter vereinbaren, daß Angriffsstreiks nur in den dringendsten Fällen von den Verbandsvorständen genehmigt werden sollen und Streiks in Betrieben, in denen Mitglieder verschiedener Verbände tätig sind, nur unter Zustimmung aller beteiligten Verbandsvorstände erfolgen dürfen.
31. August 1914
Das Verbot des Bahnhofsverkaufs sozialdemokratischer Schriften wird in den Bundesstaaten aufgehoben. Der preußische Kriegsminister teilt mit, daß der Erlaß vom 24. Januar 1894, welcher das Halten und die Verbreitung revolutionärer oder sozialdemokratischer Schriften sowie die Einführung solcher Schriften in Kasernen oder sonstigen Dienstlokalen verbietet, soweit derselbe sich auf sozialdemokratische Schriften beziehe, die nach dem 31. August 1914 erscheinen, aufgehoben wird. Die Aufhebung geschehe in der Erwartung, daß die Veröffentlichung von Artikeln unterbleibe, welche geeignet seien, den einheitlichen Geist des Heeres zu beeinträchtigen. Sollte das nicht zutreffen, so sei jedes Generalkommando befugt, das Verbot wieder in Kraft zu setzen.
September 1914
Die Vereinigung der deutschen Arbeitgeberverbände ermahnt ihre Mitglieder und die ihr angeschlossenen Arbeitsnachweise, ihre Vermittlungstätigkeit nicht zu Gunsten der paritätischen Nachweise einzustellen.
Anfang September 1914
Nach Angaben der Verbandsvorstände sind bis zu diesem Zeitpunkt fast 590.000 Mitglieder (27,7%) zum Militär eingezogen worden.
Von den übrigen Mitgliedern sind 21,2% arbeitslos, einige Verbände, wie der der Glasarbeiter, Hutmacher und Zivilmusiker melden über 60%, die Verbände der Lithographen, der Porzellanarbeiter und der Bildhauer jeweils rund 50% arbeitslose Mitglieder.
Die Verbände der Gemeindearbeiter, der Bergarbeiter, der Bureauangestellten und Handlungsgehilfen zählen weniger als 5% arbeitslose Mitglieder.
3. September 1914
Ludwig Frank, geboren am 23. Mai 1874 in Nonnenweier/Baden, Rechtsanwalt, gründete 1904 die erste Organisation der Arbeiterjugend in Süddeutschland, 1906-1908 Redakteur von "Die junge Garde", Organ des Verbandes junger Arbeiter Deutschlands, ab 1905 Mitglied des badischen Landtages, ab 1907 MdR, der sich als erster Reichstagsabgeordneter freiwillig gemeldet hatte, fällt in Frankreich.
5. September 1914
Unter dem Titel "Der Krieg und die sozialen Pflichten" schreibt das "Correspondenzblatt":
"Der Krieg schafft Situationen, die nicht gesellschaftsauflösend, sondern in hohem Maße gesellschaftsfördernd wirken, die in allen Volkskreisen in ganz ungeahntem Maße soziale Kräfte wecken und sozialfeindliche Bestrebungen eliminieren. Sie wirken nicht zersetzend, sondern einigend und stellen ein großes, einheitliches Volksganzes her, das von dem gleichen Selbsterhaltungsinteresse, von demselben Drang, sich zu behaupten und siegreich durchzusetzen, beseelt wird.
Wesentlich dagegen ist, daß die Notwendigkeit oder Unabwendbarkeit einer Entscheidung durch die Waffen von allen Volksschichten in gleichem Maße erfaßt und anerkannt wird und daß der Krieg als eine nationale Pflicht empfunden wird, der sich kein Wehrfähiger entziehen darf, ohne sich an der Gesamtheit zu versündigen.
In diesem Stadium ist aber der Krieg eine Angelegenheit des ganzen Volkes, und er ist wie kaum irgendein anderes Ereignis geeignet, sozialistisch zu wirken. Vor der schweren Gefahr der feindlichen Gewalten treten alle anderen Fragen des inneren nationalen Lebens zurück.
Die höhere Einheit, das nationale Gesamtinteresse ist das Band, das alle zusammenkettet. Diese Einheit fordert jedoch die unbedingte Hingabe an das kämpfende Vaterland, die weitgehendste Solidarität aller Volksgenossen und die uneigennützige Förderung alles dessen, was die Widerstandskraft und Selbsterhaltungskraft der eigenen Nation stärkt.
Ein Volk im Kriege muß sozialistisch empfinden, aber auch sozialistisch denken und handeln, besonders ein Volk, das die allgemeine Wehrpflicht zur Grundlage seiner Selbsterhaltung gemacht hat. Sozialistisch denken - das heißt: sich bewußt sein, daß nicht die privaten Interessen und Vorteile der einzelnen den Sieg der Nation gewährleisten, sondern daß nur das Aufgehen des einzelnen im Gesamtwohl dem Volke die Riesenkräfte verleiht, mit seinen Feinden fertig zu werden. Sozialistisch handeln - das heißt: das Bewußtsein sozialer Pflichterfüllung dergestalt zur einmütigen Tat werden lassen, daß alle gemeinschädlichen Auswüchse egoistischer Interessen unterdrückt werden, die soziale Pflichterfüllung organisieren!
Auch die starken Organisationen der deutschen Arbeiter sind ein gewichtiger Faktor für die Selbstverteidigung des deutschen Volkes; sie haben Millionen in Solidarität und Opferwilligkeit erzogen, in Disziplin geschult, sie daran gewöhnt, das Gemeinwohl dem eigenen Vorteil voranzustellen.
Die Privatwirtschaft läßt sich nicht über Nacht hinwegdekreditieren. Aber was man von ihr billigerweise verlangen darf und muß, das ist ihre Einfügung in das Gemeinwohl.
Deshalb muß die soziale Pflichterfüllung derartig organisiert werden, daß sie sich auch gegenüber den hunderten Widerständen durchzusetzen vermag. Das erfordert zwar hier und da einige Eingriffe in das freie Walten der Kräfte, vor allem in das Interesse kapitalistischer Mächte, - aber welches Gemeinwesen könnte schließlich darauf verzichten, wenn es seinen Bestand gegen eine Welt von Feinden zu schützen gezwungen ist?
Besser wäre es freilich, wenn alle Faktoren der heimischen Volkswirtschaft freiwillig zusammenwirken würden, einmal um alle schweren Schädigungen, die die Kriegslage hervorgerufen hat, hintanzuhalten und ihre Wirkungen zu lindern, dann aber auch, um die Volkswirtschaft möglichst lebensfähig zu erhalten. Als solche Faktoren kommen in Frage die Organisationen der Unternehmer und der Arbeiter und ihre wirtschaftlichen und politischen Vertretungen, die Organisationen der freiwilligen Notstandshilfe und die öffentlichen Organisationen (Reich, Staat und Gemeinde). Sie alle könnten im bewußt sozialen Zusammenwirken ein gewaltiges Stück Arbeit leisten, ohne im wesentlichen von den Grundlagen der Privatwirtschaft abzuweichen."
5./12. September 1914
In der Schlacht an der Marne bringen französische und englische Truppen den Vormarsch der deutschen Truppen zum Stehen. An die Stelle des raschen Bewegungskrieges tritt nun ein langwieriger Stellungskrieg.
6. September 1914
Nachdem die Gewerkschaften energisch praktische Maßnahmen zur Hebung der Volkswirtschaft, Beschaffung von Notstandsarbeiten und die Einführung der öffentlichen Arbeitslosenunterstützung gefordert hatten,
veröffentlicht die "Norddeutsche Allgemeine Zeitung" Vorschläge des Reichsamtes des Innern zur zweckmäßigen Verteilung der vorhandenen und zur Schaffung neuer Arbeitsgelegenheit sowie
zur Linderung der großstädtischen Arbeitslosennot, in denen selbst die Verkürzung der Arbeitszeit, die Vermeidung von Ueberstunden-, Nacht- und Sonntagsarbeit und die Beseitigung unbezahlter Arbeit freiwilliger Hilfskräfte empfohlen wird.
Von Arbeitslosenunterstützung ist aber in diesen Vorschlägen keine Rede. Die einzelnen Bundesstaaten ordnen öffentliche Arbeiten in Eisenbahn-, Hoch- und Tiefbau, Kanal- oder Wasserbau, sowie landwirtschaftliche und Moorkulturarbeiten
in größerem Umfange an, aber auch sie verhalten sich gegenüber der Forderung der Arbeitslosenunterstützung ablehnend. Erst allmählich beginnen einige Großstadtgemeinden, die sich bisher auf die Fürsorge für die Kriegerfamilien beschränkt hatten, auch mit der Arbeitslosenhilfe.
8. September 1914
Der Holzarbeiterverband und der Arbeitgeberschutzverband für das deutsche Holzgewerbe vereinbaren, in bestimmten Fragen zusammenzuarbeiten, so z.B. bei der Schaffung und Erhaltung möglichst dauernder Arbeitsgelegenheit, der Wiederaufnahme und Fortführung der Betriebe, der einheitlichen Regelung bzw. Beschränkung der Arbeitszeit, um Entlassungen zu vermeiden, der Bekämpfung des Überstunden- und der Ordnung des Schichtwesens, die gegenseitige Unterstützung bei der Übernahme und Ausführung von Aufträgen und Zuweisungen geeigneter Arbeitskräfte, unbedingte Aufrechterhaltung der Tarifverträge und sonstigen Arbeitsbedingungen.
Diese Zusammenarbeit wird jedoch nur in einigen Orten erreicht.
9. September 1914
Reichskanzler Th. v. Bethmann Hollweg übersendet dem Staatssekretär C. v. Delbrück ein Kriegszielprogramm, in dem u.a. eine wesentliche Schwächung Frankreichs vorgesehen ist.
17. September 1914
Die Konferenz der Vertreter der Verbandsvorstände in Berlin erklärt, daß ehe die Unterstützung an die Familien der Kriegsteilnehmer durch das Reich und die Gemeinde ausgezahlt worden ist, eine vorläufige Hilfeleistung der Gewerkschaften in einzelnen Fällen angebracht war.
Nachdem vom Reich und zahlreichen Gemeinden die Unterstützung durchgeführt ist und sich ergeben hat, daß die Familien der Kriegsteilnehmer bei dieser Unterstützung zum Teil besser oder mindestens so gut gestellt sind als die Arbeitslosen und ihre Familien, hält die Konferenz es für dringend geboten, die Unterstützung der Familien der Kriegsteilnehmer dem Reich und den Gemeinden zu überlassen und die Mittel der Gewerkschaften zur Unterstützung der Arbeitslosen zu verwenden. Unterstützung an die Familien der Kriegsteilnehmer soll nur in besonderen Notfällen oder auf freiwilligen Beiträgen der Mitglieder gewährt werden.
Die gewerkschaftlichen Unterstützungen müssen in dieser Zeit fast ausschließlich für die Unterstützung von Arbeitslosen aufgewendet werden.
Deshalb haben die meisten Gewerkschaften nach Kriegsausbruch fast alle anderen Unterstützungseinrichtungen, wie z.B. die Streik- und Gemaßregelten-, die Umzugs- und in vielen Fällen die Krankenunterstützung, soweit die Mitglieder an anderer Stelle im Krankheitsfall versichert sind, eingestellt.
Die Arbeitslosenunterstützung wurde auf ein Mindestmaß herabgesetzt, um sie möglichst lange gewähren zu können.
27. September 1914
Der SPD-Parteiausschuß befürwortet die Einhaltung des Burgfriedens.
28. September 1914
Eine Konferenz der Redakteure der Parteipresse stimmt auf Vorschlag des Parteivorstandes folgenden Leitsätzen für die Haltung der Parteipresse im Kriege zu: 1. Die Parteipresse soll dem Hurrapatriotismus und chauvinistischen Treibereien entgegenwirken; 2. Annexionsgelüste bekämpfen; 3. bei Berichten über Kriegsgreuel, Gefangenen- und Vewundetenbehandlung mit größter Objektivität verfahren; 4. auf dem Gebiet der Wirtschafts- und Sozialpolitik schnell und wegweisend sein.
Im Verlauf des Krieges halten sich nicht alle Parteizeitungen an diese Leitsätze.
Ende September / Anfang Oktober 1914
Die Volksfürsorge richtet für die Dauer des Krieges eine Kriegsversicherungskasse ein, deren Zweck es ist, den Hinterbliebenen Gefallener oder durch Kriegseinwirkung Verstorbener nach Beendigung des Krieges zur Überwindung der ersten Not, Geld zur Verfügung zu stellen.
Die Finanzierung erfolgt durch den Erwerb von Anteilscheinen.
Oktober 1914
Die Reichsregierung stellt in einer Denkschrift fest, "der Staat müsse versuchen, die Arbeiterbewegung nicht als staatsfeindlich zu behandeln, ihre Träger, die Gewerkschaften, heranzuziehen und den staatsfeindlichen Dogmatikern der alten Sozialdemokratie keine Parole an die Hand zu geben, unter der sie die Arbeiter wieder gegen den Staat führen kann".
13. Oktober 1914
Die Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbände des Baugewerbes und der Baunebengewerbe haben in Berlin eine Arbeitsgemeinschaft gebildet, welche danach streben soll, zur Erhaltung der Volkskraft während des Krieges die darniederliegende Bautätigkeit möglichst zu heben. Die Arbeitsgemeinschaft wendet sich zu diesem Zwecke an die Behörden des Reiches und der Bundesstaaten und an die Gemeinden mit der dringenden Bitte, die schon beschlossenen Bauten auszuführen und umgehend Mittel für weitere Bauten bereitzustellen.
Sie wird eine planmäßige Vermittlung der Arbeitskräfte, insbesondere für den Wiederaufbau der durch den Krieg verwüsteten Landesteile anstreben. Sie wird die Behörden ersuchen, von den Übernehmern gewerblicher Arbeiten die Innehaltung der tariflichen und ortsüblichen Arbeitsbedingungen zu verlangen, um die Kaufkraft der Bevölkerung zu erhalten; um einer möglichst große Zahl von Arbeitgebern und Arbeitnehmern Verdienst zu verschaffen, wird es den örtlichen Verbänden anheimgestellt, sich über eine zweckmäßige Verkürzung der Arbeitszeit zu verständigen.
Zur Durchführung dieser Maßnahmen bildet die Arbeitsgemeinschaft einen Centralausschuß, dem fünf Mitglieder des Reichsbundes baugewerblicher Arbeitgeberverbände und fünf Vorstandsmitglieder der beteiligten freien, christlichen und Hirsch-Dunckerschen Gewerkschaften angehören.
31. Oktober 1914
Zum Kriegsdienst sind bis jetzt 31,3% der Mitglieder der der Generalkommission angeschlossenen Gewerkschaften einberufen.
Von den restlichen Mitgliedern sind 10,7% arbeitslos, davon erhalten rund 70% Unterstützungen ihrer Gewerkschaft.
1. November 1914
Der Holzarbeiterverband gibt für die Arbeiterinnen der Holzindustrie und die Frauen der Verbandsmitglieder das monatlich erscheinende "Holzarbeiter-Frauenblatt" zum ersten Mal heraus.
4. November 1914
Generalkommission und SDP-Parteivorstand kritisieren die vom Bundesrat festgesetzten nach ihrer Auffassung zu hohen Höchstpreise für Nahrungsmittel.
In einer Zeit, wo Millionen von Menschen schwere Opfer bringen, sei es im Heeresdienst oder durch wirtschaftliche Leiden, kann nicht einem Teil der Bevölkerung ein besonderer Gewinn aus dieser Notlage zugestanden werden.
14. November 1914
Auf Einladung der Berliner Gewerkschaftskommission besuchen führende Vertreter von Reichs- und preußischen Behörden - u.a. Minister und Staatssekretäre, die Präsidenten des Reichstages und des preussischen Herrenhauses sowie der Berliner Oberbürgermeister - das Haus der Generalkommission sowie die Häuser des Metall- und des Holzarbeiterverbandes und die Anlagen der Konsumgenossenschaften.
Die Einladung hat den Zweck, den Teilnehmern einen Einblick in die Tätigkeit der Gewerkschaften und Genossenschaft zu ermöglichen und besonders deren Leistungen während des Krieges zu zeigen.
25. November 1914
Die Generalkommission der Gewerkschaften Deutschlands richtet auf Anregung von Th. Leipart ein Schreiben an die Vereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, in dem zur Zusammenarbeit zwischen Unternehmerorganisationen und Gewerkschaften aufgefordert wird.
1. Dezember 1914
Eine Verordnung über die Regelung der Arbeitszeit in den Hüttenwerken tritt - trotz der Proteste der Schwerindustrie - in Kraft.
2. Dezember 1914
Die SPD-Fraktion - außer K. Liebknecht - stimmt erneut den Kriegskrediten zu. In der Fraktionssitzung hatten sich 17 Abgeordnete gegen die Bewilligung ausgesprochen. H. Haase begründet im Reichstag die Zustimmung damit, daß die Grenzen Deutschlands noch von feindlichen Truppen bedroht seien.
Der Reichstag stellt finanzielle Mittel zur Unterstützung von Wöchnerinnen und für die Gemeinden zur Unterstützung von Arbeitslosen zur Verfügung.
Bei der Organisation der Arbeitslosenfürsorge sollen die Gemeinden auch die Gewerkschaften aller Richtungen zur Mitarbeit heranziehen.
Ende 1914
Nach Unterlagen der Generalkommission bestehen 11.121 Tarifverträge für 1.302.271 Personen, von denen 937.428 Mitglieder der Gewerkschaften der Generalkommission sind.
Von den Tarifverträgen sind 8.778 Orts-, 2.331 Bezirks- und 12 Reichstarife.
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fes-library | Februar 2000
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