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TEILDOKUMENT:
1909
In den ersten Monaten des Jahres setzt eine Erholung des Wirtschaftslebens ein.
Der "Verband christlicher Schuh- und Lederarbeiter Deutschlands" nennt sich in "Zentralverband christlicher Lederarbeiter Deutschlands" um.
5,8% der Mitglieder des Metallarbeiterverbandes erhalten in diesem Jahr Reiseunterstützung.
Anspruch auf Reiseunterstützung besteht nur dann, wenn das Mitglied "eine als Tagesleistung zu betrachtende Strecke von circa 5 Wegstunden (25 Kilometer)" marschiert ist.
6,9% der gegen Invalidität versicherten Arbeiter erhalten eine kostenlose Heilbehandlung. Mit dieser Funktion weiten die Versicherungen ihr Aufgabengebiet sozialer Fürsorge durch die Reintegration invalider Erwerbstätiger in den Arbeitsprozeß zu einem Bereich der Sozialpolitik aus.
Mit einer Novelle zum preußischen Berggesetz wird die Verantwortlichkeit für die Sicherheit der Bergwerke schärfer gefaßt, die geheime Wahl für die Arbeiterausschüsse eingeführt und diesen Ausschüssen die Wahl von Sicherheitsmännern zugestanden. Die Sicherheitsmänner dürfen nur ihre Steigerabteilung und in Begleitung eines Aufsichtsbeamten kontrollieren.
Zur gleichen Zeit errichten die Grubenbesitzer Unternehmer-Arbeitsnachweise für die Bergarbeiter.
Die "Gesellschaft für soziale Reform" wendet sich zunehmend der Privatbeamten- und Angestellten-Frage zu - vor allem durch lange Diskussionen über ein Angestelltenversicherungsgesetz -, der neuen sozialen Frage des späten Kaiserreiches.
Auf der Generalversammlung 1909 stehen die Pensionsversicherung und Dienstverträge der Privatbeamten im Mittelpunkt.
2./3. Januar 1909
Eine Konferenz aller auf den Werften vertretenen Gewerkschaften, der Deutsche Metallarbeiterverband, der Deutsche Holzarbeiterverband, der Zentralverband der Schmiede, der Verband der Kupferschmiede, der Verband der Schiffszimmerer, der Verband der Heizer und Maschinisten, der Verband der Maler, der Fabrikarbeiterverband, setzt eine Kommission zusammen, welche den Namen Central-Werft-Kommission führt und ihren Sitz in Hamburg hat.
Die Kommission hat folgende Aufgaben:
Alle Vorgänge auf den Werften, die zu Konflikten im Arbeitsverhältnis führen können, fortlaufend zu beobachten und Stellung dazu zu nehmen.
Erforderlichenfalls im Einverständnis mit den Centralvorständen Verhandlungen mit den Schiffswerften anzubahnen.
Bei Lohnbewegungen für eine einheitliche Berichterstattung an die Presse Sorge zu tragen.
Die Genehmigung von Angriffs- oder Abwehrbewegungen auf den Werften darf ohne vorherige Anhörung der Kommission von keiner Organisation erfolgen. Auf den Privatwerften gehören 21.730 Arbeiter den freien Gewerkschaften an, gleich 62,8 Prozent der Beschäftigten, davon sind im Metallarbeiterverbande 58,5 Prozent, im Fabrikarbeiterverbande 10,8 Prozent, im Schmiedeverbande 7,5 Prozent, im Schiffszimmererverbande 4,8 Prozent, im Malerverbande 1,5 Prozent, im Kupferschmiedeverbande 1,4 Prozent, im Maschinistenverbande 1,3 Prozent, in sonstigen freien Gewerkschaften 4,6 Prozent organisiert.
9. Januar 1909
Der Korreferent von Th. Leipart aus dem Jahre 1899, Hugo Plötzsch, schreibt im Correspondenzblatt: "In Gewerkschaftskreisen hat man sich jetzt fast allgemein zu der Auffassung durchgerungen, daß der Arbeitsnachweis aus der Reihe der Kampfesmittel auszuscheiden habe." Dies ist kein Zeichen der Schwäche. Die wachsende Macht der Zentralverbände zwingt die Unternehmer immer mehr, mit den Arbeitern Tarifverträge abzuschließen, und diese Verträge enthalten in der Regel auch Bestimmungen über die gemeinsam zu führende Arbeitsvermittlung.
15. Januar 1909
Die SPD-Fraktion verlangt bei den Beratungen über den Arbeitskammer-Gesetzentwurf, daß Arbeitskammern geschaffen werden sollen, und daß diese den Unterbau für paritätisch besetzte höhere Instanzen (Gewerbeamt bzw. Arbeitsamt und Reichsarbeitsamt) bilden sollen. Sie begründet dies so: "Wo die Executivgewalt und verwaltungsrechtliche Funktionen gegeben werden, soll auch die Parität gewahrt werden, weil bei diesen Dingen ... Arbeitgeber und Arbeitnehmer gemeinsame Interessen haben und deshalb auch gemeinsam beraten müssen."
17. Januar 1909
Auf einer Konferenz von Hausangestelltenvereinen und einigen Gewerkschaftskartellen in Berlin wird auf Vorschlag der Generalkommission der Verband der Hausangestellten - Centralverband Deutschlands - gegründet, der die wirtschaftlichen und geistigen Interessen seiner Mitglieder allseitig fördern soll.
Der Verband gewährt Krankenunterstützung und Rechtsschutz. Arbeitsnachweise sollen an Orten eingerichtet werden, an denen keine städtischen Nachweise vorhanden sind.
Der Verband übernimmt die bisher von dem Berliner Verein für die Interessen der Hausangestellten herausgegebene "Monatsschrift" als Verbandsorgan. Sitz des Verbandes ist Berlin.
Ende 1909 gehören dem Verband 4.170 Mitglieder an. Auch dieser Verband hat - wie viele andere Gewerkschaften - ständig mit einer großen Fluktuation zu kämpfen.
22. und 24. Januar 1909
Die Zweite sächsische Kammer stimmt mit großer Mehrheit einem Pluralwahlrecht zu. Manche Wahlberechtigte dürfen bis zu vier Stimmen bei den Wahlen abgeben, unter anderem die mit Einkommen von mehr als 2.800 Mark Monatseinkommen.
In Berlin, Halle und Magdeburg wird in zahlreichen Versammlungen und mit Demonstrationszügen gegen das Dreiklassenwahlrecht protestiert.
23. Januar 1909
Im "Correspondenzblatt" erscheint zum ersten Mal eine "Literatur-Beilage" mit zahlreichen Buchbesprechungen. Sie wird monatlich herausgegeben.
30. Januar 1909
Der "Centralverein deutscher Industrieller" protestiert auf seiner Delegiertenversammlung in Berlin gegen die Gewerbeordnungsnovelle und lehnt den Arbeitskammergesetzentwurf entschieden ab: "Aus dem Verlauf der ersten Lesung des Gesetzentwurfs im Reichstag geht hervor, daß seitens des leider immer noch maßgebenden Teiles der Arbeiter der gute Wille, den Frieden zu pflegen und den Ausgleich zu fördern, gänzlich fehlt und, bei der Stellungnahme der Führer dieses Teiles der Arbeiterschaft, dauernd fehlen wird. Der grundsätzliche Kampf gegen die heutige Produktions-, Gesellschafts- und Staatsordnung wird deshalb auch in die Arbeitskammer getragen werden. Damit wird die Errichtung dieser Organe, im Gegensatz zu der Absicht der Gesetzgeber, lediglich zur Verschärfung des Gegensatzes zwischen den Arbeitgebern und den Arbeitnehmern führen.
Die Annahme dieses Gesetzentwurfes und Durchführung wird eine schwere Gefährdung und Schädigung des deutschen Gewerbes und besonders der deutschen Industrie zur Folge haben."
Die erste Nummer von "Arbeiter-Jugend" - Organ der Zentralstelle für die arbeitende Jugend Deutschlands - unter der Redaktion von K. Korn erscheint.
Ende Januar / Anfang Februar 1909
Auf einem Bergarbeiterkongreß verlangen die Bergarbeiter ein Reichsberggesetz, mehr Arbeitsschutz in den Bergwerken - drei Monate davor waren über 300 Bergleute bei einem Bergwerksunglück ums Leben gekommen - von den Bergarbeitern gewählte Grubenkontrolleure und das Verbot der "Schwarzen Liste".
Fast 70% der Unfälle werden durch Betriebsmängel und die Gefährlichkeit der Betriebe, rund 30% durch Verschulden der Beschäftigten verursacht.
Februar 1909
Für die polnischen christlichen Gewerkschaften wird statt des früheren Posener "Pryjaciel Robotników" in Kattowitz der "Zwiaskowiec" (Gewerkschafter) gemeinschaftlich mit dem "Gornik Polski" (Der polnische Bergmann) herausgegeben.
6. Februar 1909
Die Generalkommission ruft die "gesamte Arbeiterschaft Deutschlands" auf, die Tabakarbeiter bei ihrem Kampf gegen die geplante Zigarrensteuer zu unterstützen: "Bisher bot die Tabakindustrie Unterschlupf für verkrüppelte, schwächliche Personen; so mancher aus einer anderen Industrie verunglückte Arbeiter, welcher bei der ihm kärglich zugemessenen Unfallrente nicht existieren konnte, wurde im späteren Lebensalter noch Tabakarbeiter. Wenn die Tabakindustrie durch eine Zoll- oder Steuererhöhung in eine so furchtbare Krisis hineingerät, wird das nicht nur nicht mehr möglich sein, sondern die jetzt beim Tabak beschäftigten Krüppel werden als die weniger leistungsfähigen Arbeiter massenhaft arbeitslos werden."
10. Februar 1909
Der "Reichsanzeiger" veröffentlicht die Ergebnisse der Berufszählung vom 12. Juni 1907. Danach entfallen 32,96% der Erwerbstätigen auf die Landwirtschaft, 37,23% auf die Industrie, einschließlich Bergbau und Baugewerbe, und 11,51% auf Handel und Verkehr einschließlich Gast- und Schankwirtschaft. Bei der Zählung von 1895 lauteten die Zahlen noch 36,19%, 36,14%, 10,21% - 1882 43,38%, 33,69% und 8,26%. Die weiblichen Erwerbstätigen nahmen von 19,97% auf 26,37% zu.
21./22. Februar 1909
Auf einer von der Generalkommission und dem SPD-Parteivorstand einberufenen Konferenz wird der "Verband der Land-, Wald- und Weinbergarbeiter und -arbeiterinnen" gegründet. Der Zweck des Verbandes ist die allseitige Förderung der wirtschaftlichen und geistigen Interessen seiner Mitglieder. Er soll erreicht werden durch Einwirkung auf die Gestaltung des Arbeitsvertrages, Gewährung von Rechtsschutz bei Streitigkeiten aus dem Dienstverhältnis, der Arbeiterversicherung oder der Verbandstätigkeit, durch Gewährung von Kranken-, Maßregelungs- und Sterbeunterstützung, durch Errichtung kostenloser Arbeitsnachweise, obligatorische Lieferung des monatlich erscheinenden Verbandsorgans sowie durch Pflege der Geselligkeit und Solidarität.
Verbandsorgan wird "Der Landarbeiter", Sitz Berlin. Der Verband nimmt am 1. Juni seine Tätigkeit unter sehr schwierigen Bedingungen auf. Besonders die im Bund der Landwirte organisierten Großagrarier bekämpfen den Verband.
März 1909
Die "Hauptstelle Deutscher Arbeitgeberverbände" und der "Verein Deutscher Arbeitgeberverbände" schließen einen Kartellvertrag, in dem sie vereinbaren, gemeinsam für den Schutz der Arbeitswilligen einzutreten, auf dem Gebiet der Streikversicherung zusammenzuarbeiten, dafür zu sorgen, daß die Mitglieder keine streikenden oder ausgesperrten Arbeiter einstellen und zur Aufrechterhaltung ständiger Kontakte einen gemeinsamen Kartellausschuß einzusetzen.
1. März 1909
Gertrud Hanna übernimmt die Leitung des Arbeiterinnensekretariats bei der Generalkommission.
2./6. März 1909
Die Generalversammlung des Verbandes der Maler, Lackierer, Anstreicher, Tüncher und Weißbinder in Köln beschließt, eine auf freiwilliger Basis basierende Arbeitslosenunterstützung einzuführen.
"Die Generalversammlung erachtet wie bisher den Abschluß von Tarifverträgen als ein aus den heutigen wirtschaftlichen Verhältnissen sich notwendig ergebendes Mittel zum Zweck der Verbesserung und Sicherstellung des Lohn- und Arbeitsverhältnisses sowie eine Anerkennung, Stärkung und Beseitigung des Verbandes.
Diese grundsätzliche Stellung der Generalversammlung zu den Tarifverträgen bedarf einer Änderung auch dann nicht, wenn sich die örtlichen Tarifverträge zu einem einheitlichen Tarifvertrage über größere Landesteile und Bezirke oder später auf das ganze Reich ausdehnen.
Tarifverträge können nur dann von dauerndem Bestande sein, wenn die Vertragskontrahenten, Arbeitgeber und Arbeitnehmer, den vereinbarten Tarifvertrag unter allen Umständen einhalten. Diese Voraussetzung ist bei unserem Verbande gegeben, während ein Teil der Arbeitgeber es in den letzten Jahren noch sehr daran hat fehlen lassen.
Der Vorstand wird hierdurch ermächtigt, bei den zukünftigen Verhandlungen dahin zu wirken, daß möglichst alle Fragen, die das Lohn- und Arbeitsverhältnis betreffen, einer generellen Regelung unterworfen werden; insbesondere ist auch die Festsetzung allgemein gültiger Bestimmungen für obligatorisch zu benutzende paritätische Arbeitsnachweise zu erstreben. Die Generalversammlung erwartet jedoch, daß bei den central geführten Verhandlungen alle besonders gearteten örtlichen Bestimmungen der bisherigen Verträge Berücksichtigung finden.
Den örtlichen Bestimmungen sollen vorbehalten sein: 1. Höhe der Stundenlöhne. 2. Arbeitszeit mit Festsetzung der Pausen. 3. Vergütung für Landarbeit und Wegedauer. 4. Lohnzahlungstag nebst Feiertags- und Samstagsschluß.
Die endgültigen Resultate der Tarifverhandlungen sind den Mitgliedern zur Abstimmung zu unterbreiten.
In allen Fällen der Abstimmung entscheidet die einfache Majorität der beteiligten Mitglieder."
Anfang April 1909
Das Reichsamt des Innern veröffentlicht den Entwurf einer Reichsversicherungsordnung, mit dem die gesamte deutsche Arbeiterversicherungsgesetzgebung einheitlich kodifiziert werden soll, ohne an den Grundlagen der einzelnen Versicherungszweige wesentliches zu ändern. Anstatt der einheitlichen Organisation der Arbeiterversicherung begnügt er sich mit der einheitlichen rechtlichen Regelung. Von den Krankenkassen wird die Gemeindeversicherung aufgehoben, die landesrechtlichen Hilfskassen werden aus der Reihe der zugelassenen Kasseneinrichtungen gestrichen, die freien Hilfskassen als Ersatzkassen geduldet und die Baukrankenkassen den Betriebskrankenkassen gleichgestellt, daneben aber als neue Kassenform sogenannte Landkrankenkassen für die Versicherung der Landarbeiter, Dienstboten, Wandergewerblichen und unständig Beschäftigten geschaffen. Die Zulassung besonderer Ortskassen soll von einer Mindestmitgliederzahl und von gleichwertigen Leistungen abhängig gemacht werden, ebenso die Zulassung von Betriebskrankenkassen. An der Organisation der Unfallversicherung wird nichts geändert. Der Invalidenversicherung wird eine freiwillige Zusatzversicherung sowie die Witwen- und Waisenversicherung eingegliedert, die nur für invalide Witwen und deren Kinder (bis zum 15. Lebensjahr) vorgesehen wird.
Der Entwurf sieht immerhin eine Neuorganisation der Spruchinstanzen vor, in dem nun der ganze Rechtsapparat vereinheitlicht wird, bestehend aus einer lokalen Instanz, dem Versicherungsamt, einer Instanz für den Bereich der höheren Verwaltungsbehörde, dem Oberversicherungsamt, und endlich als höchste Instanz dem Reichsversicherungsamt und den an dessen Stelle tretenden Landesversicherungsämtern. Alle diese Rechtsorgane werden zusammengesetzt aus einer amtlichen Leitung und aus Vertretern der Versicherten und der Arbeitgeber. Beim Reichsversicherungsamt treten hinzu Vertreter des Bundesrates.
12./15. April 1909
In Köln finden getrennte Generalversammlungen der Sattler und Portefeuiller statt. Beide beschließen eine Zusammenlegung beider Verbände zum "Verband der Sattler und Portefeuiller". Auf der anschließenden gemeinsamen Generalversammlung werden die neuen Statuten angenommen. Der Sattlerverband hat 6.692 Mitglieder, davon 246, der Verband der Portefeuiller hat 3.363 Mitglieder, davon 401 weibliche. Nach der Generalversammlung findet eine internationale Konferenz statt, an der Vertreter aus neun Ländern teilnehmen.
13./16. April 1909
Der Verbandstag der Hoteldiener beschließt den Anschluß an den Verband der Gastwirtsgehilfen. Die Hoteldiener verlangen einen gesetzlich vorgeschriebenen Ruhetag und die Ausdehnung der Unfallversicherung auf das Gastwirtsgewerbe.
18./24. April 1909
Die Generalversammlung des Centralverbandes der Zimmerer in Stuttgart hält nach wie vor an ihrem Standpunkt fest, daß möglichst für jeden Ort oder für jedes Wirtschaftsgebiet ein kollektiver Arbeitsvertrag abgeschlossen werden soll.
"Der kollektive Arbeitsvertrag soll für alle Zimmerarbeiten des betreffenden Ortes bezw. Wirtschaftsgebietes, wofür er abgeschlossen wird, bindend, also unabdingbar sein. Die Lohnbestimmungen des kollektiven Arbeitsvertrages sollen als Minimum gelten; jedem Unternehmer soll es freistehen, nach Maßgabe der Leistung eines jeden von ihm beschäftigten Zimmerers den Lohn zu erhöhen, und jedem Zimmerer soll es freistehen, nach Maßgabe des Wertes seiner Arbeitskraft höheren Lohn zu fordern, eventuell das Arbeitsverhältnis deswegen zu lösen, ohne daß darin eine Verletzung des kollektiven Arbeitsvertrages erblickt werden könnte. Alle Bestimmungen des kollektiven Arbeitsvertrages sollen den sozialen bezw. wirtschaftlichen Bedürfnissen der Zimmerer, für die er abgeschlossen wird, nach Maßgabe der baugewerblichen Produktion und ihrer Verbesserung Rechnung tragen, und sie sollen auch während der Vertragsdauer zugunsten der Arbeiter abgeändert werden können, wenn die Voraussetzungen, unter denen der kollektive Arbeitsvertrag abgeschlossen wurde, sich in entsprechender Richtung verändern. ... Mit den centralen Verbandsmitteln soll darauf hingewirkt werden, daß die von den Verbandszahlstellen abgeschlossenen kollektiven Arbeits- bzw. Tarifverträge innegehalten werden."
"Die Generalversammlung erklärt, daß die Einschalungsarbeit am Betonbau jeder anderen Zimmerarbeit gleichzuachten ist. Sie verpflichtet daher die Zahlstellen, dem Betonbau die größte Aufmerksamkeit zu schenken und dahin zu wirken, daß für die Einschalungsarbeiten mindestens der tarifliche oder der ortsübliche Zimmererlohn gezahlt wird, daß ferner die vielfach längere Arbeitszeit beseitigt und die für Zimmerer übliche Arbeitszeit innegehalten wird."
19./21. April 1909
Der Verbandstag des Kürschnerverbandes in Nürnberg empfiehlt Tarifverträge - längstens auf drei Jahre - als nützlich für die Gewerkschaften und erklärt sich für obligatorische paritätische Arbeitsnachweise. Die neu einzuführende Arbeitslosenversicherung wird mit der bestehenden Krankenunterstützung zu einer Erwerbslosenunterstützung verbunden.
"In Erwägung, daß der Akkordarbeit die Triebfeder innewohnt, den Arbeiter zur intensivsten Anspannung der physischen Kräfte aufzustacheln, wodurch er nicht nur den Lohn drückt, sondern hauptsächlich unter den Kollegen Haß und Neid erzeugt, und so die Solidarität statt zu fördern, zerstört wird; anderseits der Arbeitgeber stets einen Gradmesser besitzt, den Lohn zu kürzen, beschließt der 3. Verbandstag, daß bei allen Lohnbewegungen in der Pelz- und Mützenbranche möglichst auf Abschaffung der Akkordarbeit zu dringen ist.
Die hausindustrielle Produktion ... stellt eine Betriebsform dar, die es dem Unternehmertum ermöglicht, sämtliche Unkosten der Produktion, als: Miete, Werkzeuge, Beleuchtung, Reinigung, Steuern, sowie die Aufwendungen aus der Sozialgesetzgebung, von sich auf den Hausindustriellen, und von diesen auf die Arbeiter und namentlich Arbeiterinnen abzuwälzen.
Als weitere Folge dieser Betriebsform tritt die Isolierung, und damit die vollständige Abhängigkeit des einzelnen Hausindustriellen hinzu, wodurch derselbe dem Unternehmer gegenüber als willenloses Ausbeutungsobjekt ausgeliefert ist. ...
Deshalb erkennt der 3. Verbandstag zu Nürnberg an, daß das System der Hausindustrie und Heimarbeit für die Arbeiter höchst schädigend und nachteilig wirkt und prinzipiell zu bekämpfen ist."
Mai 1909
In seinem Buch "Der Weg zur Macht" bezeichnet K. Kautsky als nächste Aufgaben des Proletariats die Erringung der Demokratie in Deutschland und den Kampf gegen Militarismus und Imperialismus und weist auf die Grenzen gewerkschaftlicher Politik hin. Für ihn ist angesichts nicht mehr weiter steigender Reallöhne der mit den Mitteln der Gewerkschaften erreichbare soziale Aufstieg des Proletariats beendet. Auf eine Wiederholung der letzten glänzenden gewerkschaftlichen Ära sei nicht mehr zu rechnen, da die Unternehmerorganisationen dem Fortschritt der Arbeiterklasse durch die gewerkschaftliche Organisation immer stärkeren Widerstand entgegenstellen können, daß dem Streik immer öfter mit der Aussperrung begegnet wird. 1910 antwortet die Generalkommission auf diesen von ihr als Vorwurf ihrer Politik angesehene These mit der Veröffentlichung "Sisyphusarbeit oder positive Erfolge? Beiträge zur Wertschätzung der Tätigkeit der deutschen Gewerkschaften".
5. Mai 1909
Pauline Staegemann, geboren 1838 im Oderbruch, Dienstmädchen, die 1873 die erste sozialdemokratische Frauenorganisation gründete, gestorben.
9./12. Mai 1909
Die Generalversammlung des Verbandes der Lagerhalter und Lagerhalterinnen in Frankfurt a. Main beschließt, eine Arbeitslosenunterstützung einzuführen, lehnt aber eine Kranken- und Sterbeunterstützung ab. Er verlangt eine weitgehende Zentralisation der Krankenkassen bei gleichzeitiger Aufhebung der Betriebs- und Innungskrankenkassen.
16./20. Mai 1909
Der Verbandstag der Bergarbeiter in Eisenach diskutiert zum ersten Mal über Tarifverträge und fordert sie auch für den Bergbau, da bisher die Unternehmer einseitig die Arbeitsbedingungen durch Arbeitsordnung und Gedingevertrag festsetzen.
Die hauptsächlichen Schwierigkeiten, die die Tarifregelung im deutschen Bergbau zu überwinden hat, sind nicht in besonderen technischen und wirtschaftlichen Verhältnissen begründet, sondern in dem Widerwillen der Grubenherren, mit den Arbeiterorganisationen auf gleichem Fuße zu verhandeln. Sobald die Organisation der Grubenbesitzer die Bergarbeiterorganisation anerkennt, würde sich eine tarifliche Regelung auch bei schwierig gelagerten Verhältnissen leicht anbahnen lassen.
Eine tarifliche Regelung muß die Festsetzung der Schichtzeit, des Zeit- oder Schichtlohnes, sowie des Gedingelohns, der Löhne für Neben- und Sonntagsarbeiten, der Materiallieferung und etwaiger Deputatkohlen für die Arbeiter umfassen. Sie erfolgt zwischen den Organisationen der Arbeitgeber und der Arbeiter, als gleichberechtigten Kontrahenten, unter Anerkennung des Grundsatzes: "Gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit". Die für die verschiedenen Gruppen der Schichtlohnarbeiter vereinbarten Lohnsätze gelten als Mindestlöhne.
Die Bergarbeiterschaft verlangt die Unterstellung der Bergarbeiter unter das gleiche reichsgesetzliche Recht, wie es für alle Arbeiter gilt, vor allem die Sicherstellung der Selbstverwaltung der Versicherten. Die Generalversammlung fordert erneut ein Reichsberggesetz und eine Reform des Knappschaftswesens.
Die Generalversammlung des Centralverbandes der Schiffszimmerer in Kiel lehnt den Entwurf einer Reichsversicherungsordnung entschieden ab, da u.a. die freie Selbstbestimmung der Ortskrankenkassen in der Krankenversicherung vernichtet werden soll.
23./29. Mai 1909
Der Verbandstag des Verbandes der Gemeinde- und Staatsarbeiter in Dresden erklärt, daß die sozialen Forderungen des Gemeindearbeiterverbandes unter dem Gesichtspunkt aufgestellt werden, daß die Lohn- und Arbeitsverhältnisse in den städtischen und staatlichen Betrieben nicht nach kapitalistischen, sondern nach sozialen Grundsätzen zu gestalten sind.
Nach Auffassung des Verbandes sind alle Gemeinde- und Staatsbetriebe den Arbeiterversicherungsgesetzen zu unterstellen. Der Vorstand soll erreichen, daß auch die Laternenanzünder versicherungspflichtig werden.
30. Mai / 3. Juni 1909
Die Generalversammlung des Centralverbandes der Glasarbeiter und Arbeiterinnen in Hannover beschließt die Einführung einer Arbeitslosenunterstützung. Die Einwände, daß Unterstützungseinrichtungen den wirtschaftlichen Kampf der Gewerkschaften beeinträchtigten, haben sich bis jetzt nicht bewahrheitet.
Auch die Glasarbeiter lehnen die Reichsversicherungsordnung ab.
31. Mai / 5. Juni 1909
Die Generalversammlung des Metallarbeiterverbandes in Hamburg erklärt mit 129 gegen 51 Stimmen, "daß das Ziel einer allgemeinen und wirksamen Arbeitsruhe am 1. Mai in der Eisen-, Stahl- und Metallindustrie auf Grund gemachter Erfahrungen ohne schwere wirtschaftliche Kämpfe und dadurch bedingte Schädigung der wirtschaftlichen Interessen der Arbeiterschaft, sowie auch mangels völliger Uebereinstimmung innerhalb der Arbeiterschaft über die Zweckmäßigkeit der Arbeitsruhe am 1. Mai überhaupt nicht zu erreichen ist.
Ferner hat sich ergeben, daß die Arbeitsruhe am 1. Mai als gewerkschaftliches Kampfesmittel zur Erreichung günstiger Lohn- und Arbeitsbedingungen sowie zur Beseitigung bereits errungener Positionen nicht betrachtet werden kann, indem sie ihrem inneren Wesen nach eine genügende Berücksichtigung taktischer Maßnahmen nicht ermöglicht.
Die Generalversammlung kann deshalb den Mitgliedern des Verbandes die Beteiligung an der Arbeitsruhe am 1. Mai nicht zur Pflicht machen, überläßt es vielmehr dem einzelnen Mitglied, sich an ihr unter Beachtung der internationalen Kongreßbeschlüsse und Uebernahme aller sich aus der Arbeitsruhe am 1. Mai ergebenden Folgen zu beteiligen."
Die Generalversammlung beschließt, eine Erwerbslosenunterstützung einzuführen.
"Die Generalversammlung fordert zur Beaufsichtigung und wirksamen Durchführung aller bisher zum Schutze der Arbeiter erlassenen Gesetze und Verordnungen:
a) Eine Vermehrung und bessere Verbreitung der Gewerbeaufsichtsbeamten und Erweiterung ihrer Befugnisse.
b) Heranziehung von Aerzten und Gewerbehygienikern zur Gewerbeaufsicht in möglichst selbständiger Stellung.
c) Heranziehung von Arbeitern zur Ueberwachung der Arbeiterschutzbestimmungen und Unfallverhütungsvorschriften.
Für die mit besonderen gesundheitlichen Gefahren verbundenen Betriebe (Blei- und Zinkhütten, Hochöfen und Walzwerke, Eisenkonstruktionswerkstätten, Metallschleifereien, Gießereien, Emailler- und Lackierwerke, Feilenhauereien) fordert die Generalversammlung den Erlaß von reichsrechtlichen Vorschriften: ..."
Der Entwurf eines Arbeitskammergesetzes wird abgelehnt, da er nicht geeignet ist, der Arbeiterschaft eine gesetzliche Vertretung zur Wahrnehmung ihrer wirtschaftlichen Interessen zu schaffen.
Auch der Entwurf der Reichsversicherungsordnung wird entschieden abgelehnt.
6./12. Juni 1909
Der Verbandstag des Transportarbeiterverbandes in München erklärt: "Die gegenwärtig bestehenden Grenzstreitigkeiten zwischen dem Verbande der Hafenarbeiter und unserer Organisation sind weder ein Hindernis für die Fortführung der Zusammenschlußverhandlungen, noch dürfen sie für die Zukunft ein solches sein, weil nur durch den Vollzug des Zusammenschlusses diese Streitigkeiten endgültig beseitigt werden können.
Der Verbandstag beauftragt deshalb den Verbandsvorstand, die Schaffung der Einheitsorganisation unter voller Wahrung der Interessen der Mitglieder des deutschen Transportarbeiterverbandes mit allen Kräften zu fördern, und zu diesem Zweck neue Verhandlungen mit den Verbänden der Hafenarbeiter und Seeleute anzuregen."
Auch die Transportarbeiter lehnen die Entwürfe für eine Reichsversicherungsordnung und ein Arbeitskammergesetz entschieden ab.
12. Juni 1909
In Berlin wird der Verein "Hansabund für Gewerbe, Handel und Industrie" gegründet. Sein Zweck ist es, im gemeinsamen Interesse dieser Stände alle gegen dieselben gerichteten Angriffe und Schädigungen abzuwehren, ferner positive zum Schutz dieser Stände dienende Vorschläge zu machen und auf Ausgleichung von Gegensätzen in den eigenen Reihen hinzuwirken.
14./16. Juni 1909
Der Genossenschaftstag des Centralverbandes der deutschen Konsumvereine in Kassel billigt die mit dem Bäcker- und dem Transportarbeiterverband geschlossenen Tarifverträge, die eine Laufzeit von 5 Jahren haben. Sie bringen für die Beschäftigten neben Lohnerhöhungen Arbeitszeitverkürzungen und Urlaub.
24./27. Juni 1909
Der Verbandstag des Verbandes der seemännischen Arbeiter in Hamburg beschließt die Einführung der Arbeitslosenunterstützung und verabschiedet einen umfangreichen Forderungskatalog zur Erweiterung und Respektierung der Rechte und des Schutzes für Leben und Gesundheit der Seeleute. Dazu gehören u.a. die Einbeziehung in die obligatorische Krankenversicherung, Anerkennung der Berufskrankheiten als Betriebsunfälle, durchgreifende Reform der Seemannsordnung, Verpflichtung der Regierung auf Anhörung des Verbandes und paritätische Arbeitsnachweise.
29./30. Juni 1909
Eine Konferenz der Vertreter der Gewerkschaftshäuser in Berlin warnt vor der unüberlegten Errichtung von Gewerkschaftshäusern. Die Erwerbung eines eigenen Hauses erscheint nur da berechtigt, wo es nicht möglich ist, auf andere Weise Versammlungslokale zu beschaffen und die Herbergsfrage zu lösen. "Die Beschaffung der Mittel ist Aufgabe der örtlichen Organisationen. Es soll jedoch die Errichtung einer Volksbank in ernste Erwägung gezogen werden.
Es ist anzustreben, daß für die Benutzung der Säle eine bare Miete gezahlt wird. Wo die Erhebung von Mieten nicht möglich ist, da ist ein direkter Beitrag der Gewerkschaften und der Partei zur Erhaltung des Gewerkschaftshauses zu verlangen.
Bezüglich der Lohn- und Arbeitsverhältnisse der Angestellten der Gewerkschaftshäuser vertritt die Konferenz die Auffassung, daß es selbstverständlich ist, in dieser Beziehung den Grundsätzen der Gewerkschaftsbewegung allgemein Rechnung zu tragen.
Bei Festsetzung der Lohnverhältnisse hält die Konferenz es für notwendig, daß von den beteiligten Organisationen die Lohnverhältnisse in bürgerlichen Betrieben in Berücksichtigung gezogen werden und auf die Existenzfähigkeit des eigenen Geschäfts Rücksicht genommen wird.
Als zweckmäßige Regelung erachtet die Konferenz den Abschluß von Tarifen durch die Centralvorstände auf breitester Grundlage. Andererseits erwartet die Konferenz von den Leitern der Organisationen, daß sie auf ihre Mitglieder im Sinne reger Pflichterfüllung und Erziehung des genossenschaftlichen Geistes einwirken."
1. Juli 1909
Die Handschuhmacher treten unter Anerkennung ihrer erworbenen Rechte zum Lederarbeiterverband über. Der Verband der Handschuhmacher hat 3.017 Mitglieder.
10. Juli 1909
Der Reichstag nimmt gegen die Stimmen der Sozialdemokraten die Reichsfinanzreform an, die eine Erhöhung zahlreicher indirekter Steuern vorsieht. Die Einführung einer von den Sozialdemokraten geforderten Reichserbschaftssteuer wird abgelehnt.
Die neuen indirekten Steuern belasten die Lebenshaltungen vieler Arbeitnehmerhaushalte. In zahlreichen von den neuen Steuern betroffenen Wirtschaftszweigen, vor allem der Nahrungs- und Genußmittelindustrie kommt es zu Produktionsrückgängen und hauptsächlich in der Tabakindustrie zu Entlassungen. Das Reich gewährt den arbeitslosen Tabakarbeitern eine geringe Unterstützung. Der Brauereiverband vereinbart mit den Unternehmern, daß Produktionsrückgänge durch Arbeitszeitverkürzungen ausgeglichen werden.
14. Juli 1909
Th. v. Bethmann Hollweg wird Reichskanzler, C. v. Delbrück Staatssekretär des Innern.
Bei der Beratung der Finanzreform war es zum Bruch der Liberalen mit den Konservativen gekommen. Die Konservativen verbünden sich mit dem Zentrum.
18. Juli 1909
In einer öffentlichen Versammlung zur Eröffnung des Kongresses der christlichen Gewerkschaften in Köln bedauert A. Stegerwald die Zersplitterung der Gewerkschaftsbewegung infolge der einseitigen Prinzipiensucht der freien Gewerkschaften und des engherzigen Konfessionalismus der katholischen Facharbeiter. Den Unternehmern hält er vor, daß sie die aufstrebenden Arbeiter nicht genug als Menschen und Persönlichkeiten zu achten wüßten. Gegenseitige bessere Würdigung tue namentlich in der Großindustrie not.
Freiherr v. Berlepsch formuliert die soziale Hauptfrage der Zeit: "Wie ist die materielle und ideelle Lage der Lohnarbeiter, ihre Stellung in der staatlichen und gesellschaftlichen Ordnung den Ansprüchen entsprechend zu gestalten, welche Gerechtigkeit, Billigkeit und eine voraussehende Politik in der Gegenwart und in einem Volks- und Staatswesen hoher Kultur, wie das deutsche es ist, an die Lage einer an Zahl und Kraft so bedeutenden Schicht der Bevölkerung stellen?" Selbsthilfe und Staatshilfe müssen zusammenwirken zur Erreichung dieser Zwecke.
Die Ordnung der Arbeitszeit für die erwachsenen Arbeiter und vor allem die von der Gesetzgebung gescheute Regelung der Löhne ist der Selbsthilfe der Arbeiterorganisationen überlassen. Nun tadelt man letztere, daß sie Kampforganisationen seien. Gewiß müssen sie auch im äußersten Falle zum Kampf, zum Streik schreiten, aber sie tun es doch immer mehr erst dann, wenn die Forderungen nicht auf dem Wege friedlicher Verhandlungen sich durchsetzen lassen, und sie suchen durch Tarifverträge und gleichbesetzte Einigungsstellen der Entstehung neuer Kämpfe vorzubeugen. Bei solchen Verhandlungen stellt sich allerdings als beklagenswerter Mangel die Zersplitterung der deutschen Gewerkschaften heraus. Sie scheint aber leider unabänderlich. Immerhin sollten die Organisationen, zumal die christlichen und die Hirsch-Dunckerschen, die in ihren wesentlichen Grundsätzen übereinstimmen, doch wenigstens eine Verständigung treffen, die trotz getrennten Marschierens ein vereintes Schlagen ermöglicht. Die Gelben Gewerkschaften kommen hierfür nicht in Betracht.
"Ich hege die Hoffnung, daß im Laufe des 20. Jahrhunderts, vielleicht schon in der ersten Hälfte desselben, die Eingliederung des Arbeiterstandes in den staatlichen und sozialen Organismus gelingen wird, ohne daß die Gewalt in Angriff und Abwehr die Entscheidung fällt, im Wege der Reform, nicht im Wege der Revolution, und das wird nicht zum wenigsten der entschlossenen, verständigen, unabhängigen Einwirkung der christlichen Gewerkschaften zu danken sein."
18./21. Juli 1909
Der 7. Kongreß des Gesamtverbandes der christlichen Gewerkschaften in Köln behandelt als Schwerpunkt die gesetzliche Sozialreform in Deutschland. Der Kongreß fordert einen umfassenden Ausbau des Arbeitsschutzes - vor allem der Kontrollen - in der chemischen Industrie. Die Delegierten erwarten, daß die Novelle zur Regelung der Heimarbeit im Reichstag wieder eingebracht wird.
Die Gewerbeordnung soll auf die Beschäftigten der Straßen- und Kleinbahnen ausgedehnt werden.
Der Kongreß nimmt "Leitsätze zur Reichsversicherungsordnung" an, in denen der Vereinheitlichungsgedanke und die Erweiterung des Kreises der Versicherten begrüßt wird.
Die Halbierung der Beiträge und das Verwaltungsrecht, in dem Krankenkassen nur dann aufrecht erhalten bleiben dürfen, wenn sich die Mitglieder in geheimer Abstimmung dafür aussprechen, wird ebenso abgelehnt, wie Betriebs- und Innungskrankenkassen.
Die Invaliden- und Hinterbliebenenversicherung ist auf die Hausarbeiter auszudehnen. Die Herabsetzung der Altersgrenze auf 65 ist erwünscht.
18./22. Juli 1909
Der Verbandstag des Verbandes der Tapezierer in Berlin "erblickt in der Maifeier durch Arbeitsruhe den würdigsten Ausdruck für die Forderungen der Arbeiter auf Gewährung des gesetzlichen Achtstundentages und eines wirklichen Arbeiterschutzes. Er erwartet von den Kollegen, daß sie in ihrem Wirkungskreis die Ideen der Maifeier propagieren und überall da, wo die Möglichkeit vorhanden ist, sich den von den örtlichen dazu berufenen Körperschaften beschlossenen Veranstaltungen anschließen. In den sogenannten gemischten Betrieben haben sich unsere Kollegen nach erfolgter Verständigung mit den anderen in Betracht kommenden Organisationen, wenn von unseren Kollegen drei Viertel organisiert sind und von den Gesamtbeschäftigten zwei Drittel für die Arbeitsruhe gestimmt haben, der Bewegung anzuschließen. In Reinbetrieben haben die Kollegen zu feiern, wenn drei Viertel organisiert sind und sich zwei Drittel der Beschäftigten dafür erklären. Die Kollegen werden bei Aussperrung vom 4.Tage an bis zur Dauer von sechs Wochen nach den Sätzen der Streikunterstützung unterstützt."
"Der Verbandstag verpflichtet die Verbandsmitglieder, sich mehr als bisher der Lehrlinge anzunehmen. Besonders ist dahin zu wirken, daß die Lehrlinge sich an den Veranstaltungen der örtlichen Ausschüsse zur Bildung der Jugend beteiligen."
August / September 1909
Die Generalkommission der Gewerkschaften Deutschlands und die Berliner Gewerkschaftskommission rufen zur Unterstützung des schwedischen Generalstreiks auf. In Berlin und Leipzig finden Solidaritätskundgebungen mit den kämpfenden schwedischen Arbeitern statt.
2./5. August 1909
Auf der internationalen Konferenz christlicher Gewerkschaften in Zürich treten vor allem die deutschen Gewerkschafter für die Interkonfessionalität der christlichen Gewerkschaften ein.
7. August 1909
Das "Correspondenzblatt" schreibt zum christlichen Gewerkschaftskongreß: "So wenig die christlichen Gewerkschaften schließlich, wenn es zur Entscheidung kommt, andere als Arbeiterinteressen vertreten können, so wenig kann den Kapitalisten mit einer Gruppe von Gewerkschaften gedient sein, die ihre Existenz lediglich aus der Tendenz der Zersplitterung der Kräfte herleitet. Die Entwickelung der "Gelben" einer- und das Wachstum der freien Gewerkschaften und die festere Gestaltung der Tariforganisation, die sich in den sogenannten Monopolverträgen bekundet, andererseits, sind wichtige Faktoren für die Einheit des Gewerkschaftswesens, die sich schließlich durchsetzen wird.
Unter diesen Gesichtspunkten verdient die christliche Gewerkschaftsbewegung vollauf das Interesse der freien Gewerkschaften. Sie ist ein Teil der Arbeiterbewegung, der trotz aller gegenwirkenden Einflüsse seiner natürlichen Bestimmung zustrebt, eins zu werden mit den Organisationen der Arbeiterschaft, und es erscheint selbstverständlich, daß dieser Entwickelungsprozeß nicht gehemmt werden darf, sondern eher gefördert werden muß. Die beste Förderung besteht darin, den christlichen Gewerkschaften reichlich Gelegenheit zu geben, sich an gewerkschaftlichen Kämpfen zu beteiligen und zu Klassenforderungen der Arbeiterschaft Stellung zu nehmen. Klassenkämpfe und Arbeiterpolitik wirken genau so erzieherisch im christlichen Lager wie in der Arbeiterbewegung überhaupt.
Stehen die christlichen Gewerkschaften auch noch bedeutend hinter unseren Gewerkschaften an Leistungen zurück, so verringert sich doch die Distanz von Jahr zu Jahr. Im selben Maße entwickeln sich die christlichen Organisationen immer mehr zu Gewerkschaften. Sie verfügen über einen ansehnlichen Stab geschulter Beamten und Arbeitersekretäre; ihre Presse und Literatur entwickelt sich zusehends und die Unterrichtskurse des Volksvereins für das katholische Deutschland zu M.-Gladbach sind auf das geistige Niveau der Bewegung nicht ohne Einfluß. Alles dies weist darauf hin, die christliche Gewerkschaftsorganisation als ernsten Faktor auf dem Gebiete der Arbeiterbewegung zu werten. Zweifellos ist sie ein Kampffaktor, dessen Spitze sich in erster Linie gegen das Unternehmertum kehrt, - das erheischt das gewerkschaftliche Interesse der Arbeiter. Ebenso unzweifelhaft ist sie ein etwas unbequemer Mitkämpfer, der oft genug lieber auf eigene Faust kämpft und sich verträgt und nicht selten den Kampfgenossen in die Flanken fällt. Das sind die Nachteile jeder Sonderorganisation die, je fühlbarer sie sich für die Arbeiter geltend machen, um so mehr zur Beseitigung der künstlich errichteten Schranken drängen müssen."
30. August / 1. September 1909
Die internationale Konferenz der gewerkschaftlichen Landeszentralen in Paris verurteilt entschieden das Verhalten von Arbeitern, sich als Streikbrecher zur Verfügung zu stellen.
12./18. September 1909
Der SPD-Parteitag in Leipzig beschließt: Eine an allen Orten einzusetzende Kommission aus Gewerkschaftern und Parteimitgliedern hat unter Berücksichtigung der beruflichen und örtlichen Verhältnisse sowie der gewerkschaftlichen und parteilichen Beschlüsse für eine würdige Feier Sorge zu tragen. Die Feier darf nur am 1. Mai stattfinden. Bei Aussperrungen infolge der Maifeier kann den Betroffenen eine Unterstützung gewährt werden. Darauf haben die politisch wie die gewerkschaftlich Organisierten Anspruch.
Dafür sollen Bezirksfonds gebildet werden. Die Mittel für diese Fonds sind von der Parteiorganisation wie den Gewerkschaften in diesem Bezirk durch freiwillige Beiträge und Sammlungen aufzubringen. Reichen diese Mittel nicht, sind sie von der Parteiorganisation bzw. der Gewerkschaft aufzubringen, denen die Ausgesperrten angehören. Anspruch auf Unterstützung aus den Zentralkassen der Partei und der Gewerkschaften haben die Ausgesperrten nicht. Erheben die Gewerkschaften im Anschluß an die Aussperrungen Lohnforderungen, so haben sie die Unterstützung der Ausgesperrten allein zu übernehmen.
Organisationen, denen Frauen angehören, müssen diesen eine Vertretung im Vorstand gewähren. Die Zahl der Beisitzer im Vorstand wird um eine Vertreterin der weiblichen Parteimitglieder erweitert.
Die Parteimitglieder werden aufgefordert, mit größerer Energie und lebhafterem Eifer als bisher für die Jugendbewegung tätig zu sein, auch mehr Mittel dafür flüssig zu machen.
In sehr ausführlicher Weise beschäftigt sich der Parteitag mit der Reichsversicherungsordnung. Da der vom Reichsamt des Inneren veröffentlichte Entwurf die berechtigten Ansprüche der Arbeiter nicht erfülle, fordert die SPD volles Selbstverwaltungsrecht für die Versicherten, Zentralisation der Krankenversicherung, Ausgestaltung der Fürsorge für die Versicherten und ihre Angehörigen auch in bezug auf die Verhütung von Krankheiten; bei der Unfallversicherung: Ausdehnung der Versicherungspflicht auf alle Arbeiter und Angestellten sowie auf die Selbständigen im Kleingewerbe und in der Hausindustrie; Gleichstellung der landwirtschaftlichen Arbeiter, der Dienstboten, Hausgewerbetreibenden und Wanderarbeiter mit den gewerblichen Arbeitern.
Die Invalidenrente sei zu bewilligen, wenn der Versicherte nicht in der Lage sei, in seinem Beruf die Hälfte des Lohnes eines gleichartigen Vollarbeiters zu erwerben. Die Rente müsse mindestens ein Drittel des versicherten Jahresarbeitsverdienstes betragen. Witwenrente sei allen Witwen der Versicherten zu gewähren in der Höhe von mindestens 20% des versicherten Jahresarbeitsverdienstes des Verstorbenen. Für jedes unter 16 Jahre alte Kind seien ebenfalls 20% zu zahlen; uneheliche Kinder seien ehelichen gleichzustellen.
Die Reichstagsfraktion soll Anträge einbringen, in denen die Erleichterung beim Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit für Ausländer erreicht werden sollen.
Mit Abscheu werden die blutigen Greuel, unter denen die Gegenrevolution in Rußland ihren Schrecken verbreitet, gebrandmarkt.
Mit Empörung wird Kenntnis von den rechtsverletzenden Gewalttaten und Grausamkeiten genommen, die die spanische Regierung den Teilnehmern an der Widerstandsbewegung gegen den Krieg in Afrika wie allen Bekämpfern der kapitalistischen Gewaltherrschaft gegenüber zur Anwendung bringt.
Der Parteitag richtet an alle Parteimitglieder die Aufforderung, den Branntweingenuß zu vermeiden, um die erfolgte Erhöhung der Branntweinsteuer wirkungslos zu machen.
Anfang Oktober 1909
Der demokratische K. Haußmann richtet einen offenen Brief an A. Bebel über die Frage des Zusammengehens der Sozialdemokratie mit den entschiedenen Liberalen. A. Bebel antwortet, "daß die Differenzen in der Auffassung von der Natur des Staates und der Gesellschaft unüberbrückbar seien".
3. Oktober 1909
Die Direktion der Mansfelder Kupferschieferwerke erklärt, daß sie "von jeher keinerlei Organisationsbestrebungen in ihrer Arbeiterschaft geduldet" und "schon früher Agitatoren aus der Belegschaft ausgestoßen" habe, denn "durch die Organisation werde nichts erreicht als Unzufriedenheit".
Im mitteldeutschen Kalibergbau gilt nach den Arbeitsordnungen oft die Zugehörigkeit zu einer Arbeiterorganisation als Entlassungsgrund.
4. Oktober / 13. November 1909
In Mansfeld beschließen die Bergarbeiter - die zum Teil in "gelben Gewerkschaften" organisiert sind und deren Wahlkreis durch einen Vertreter der Reichspartei im Reichstag vertreten wird - zu streiken, nachdem zahlreiche Arbeiter wegen ihrer Zugehörigkeit zum sozialdemokratischen Bergarbeiterverband fristlos entlassen worden waren. Am 22. Oktober streiken 10.000 Arbeiter auf allen Schächten. Militär wird in das Streikgebiet geschickt. Am 11. November 1909 wird beschlossen, den Streik abzubrechen, da der Unternehmerverband über ganz Deutschland die Sperrung von Arbeitskräften aus dem Mansfelder Revier verhängt.
Zudem verlangt die Mansfelder Bergwerksgesellschaft als Vorbedingung einer Wiedereinstellung den Austritt aus dem Bergarbeiterverband. Die Bergleute, die sich weigern, werden 14 Tage ausgesperrt.
12. Oktober 1909
Der Zechenverband beschließt, ab 1. Januar auf die Sperrlisten ("schwarze Listen") zu verzichten und dafür im Ruhrgebiet einen lückenlosen Arbeitsstellennachweis aufzubauen.
Die Verbandszechen werden verpflichtet, nur noch Arbeiter anzunehmen, die einen Arbeitsnachweisschein haben. Diesen Schein erhält jeder Arbeiter, der eine ordnungsmäßige Auflösung seines früheren Arbeitsverhältnisses nachweisen kann. Kontraktbrüchige werden 14 Tage gesperrt. Die Zechen sind nicht verpflichtet, die ihnen zugewiesenen Arbeiter einzustellen, und die Arbeiter nicht gezwungen, einen Arbeitsvertrag abzuschließen. Treten sie jedoch eine angenommene Arbeitsstelle nicht innerhalb von zwei Werktagen nach dem festgesetzten Termin an und bringen keine hinreichende Entschuldigung bei, werden sie ebenfalls für 14 Tage von der Vermittlung ausgeschlossen. Vertreter der Gewerkschaften sind an der Verwaltung oder Kontrolle des Arbeitsnachweises nicht beteiligt. Der Vorstand des Zechenverbandes bildet die letzte Beschwerdeinstanz.
Diese Monopolisierung der Arbeitsvermittlung löst eine umfangreiche Protestbewegung der Bergbauarbeiter aus.
Am 24. Oktober 1909 finden zahlreiche gemeinsame Protestversammlungen der Bergarbeiterverbände statt. In gleichlautenden Resolutionen wird der preußische Handelsminister ersucht, die Einführung des Arbeitsnachweises zu verhindern oder die Mitwirkung der Arbeiterorganisationen an der Verwaltung durchzusetzen. Durch den geplanten Nachweis werde das Freizügigkeitsrecht der Bergarbeiter aufgehoben. Der starke Belegschaftswechsel habe bisher die Grubenbesitzer gezwungen, vorhandene Mißstände abzustellen. Der vorgesehene Arbeitsnachweis biete ferner "auch unzählige Handhaben, organisierte Bergarbeiter oder solche, die sich sonst auf einer Grube irgendwie mißliebig gemacht haben, zu schikanieren und dadurch das Koalitionsrecht der Bergarbeiter illusorisch zu machen oder doch wenigstens bedeutend einzuschränken".
Ende November 1909 ruft der Vorstand des Gesamtverbandes der christlichen Gewerkschaften die gesamte christlich-nationale Arbeiterschaft zum Protest gegen die "Volk und Vaterland verderbende kapitalistische Willkür" auf. "Die mächtigste Gruppe der großindustriellen Kapitalisten sucht durch ihre Arbeitsnachweise den freien deutschen Arbeiter herabzudrücken auf die willenlose Hörigkeit. Die schlimmsten Wirkungen des zur Zeit abgelehnten Zuchthausgesetzes reichen nicht im entferntesten an die verheerenden, die Freiheit der Arbeit und der Existenz vernichtenden Wirkungen der zentralisierten Arbeitgebernachweise heran." Auch nach Ansicht der bürgerlichen Sozialreformer plant der Zechenverband ein "einseitiges Kontroll- und Maßregelungsbureau".
Doch trotz weiterer zahlreicher Proteste werden nur einige Zugeständnisse für die Handhabung des Nachweises erreicht.
15. Oktober 1909
In einer Ausschußsitzung erklären die Vertreter des "Centralverbandes deutscher Industrieller":
"Die seit Jahrzehnten in der Gesetzgebung zum Ausdruck gelangte ungenügende Berücksichtigung der Industrie und Mißachtung ihrer berechtigten Interessen hat die weitesten Kreise der Unternehmer und Arbeitgeber mit schwerer Sorge und zunehmender Erbitterung erfüllt. Eine Änderung zum Besseren ist nur zu hoffen von einer wirkungsvollere Vertretung der Industrie in den gesetzgebenden Körperschaften, insbesondere im Reichstage."
Um die Wahl solcher Abgeordneten für den Reichstag und auch für die Landtage der einzelnen Staaten zu unterstützen und zu fördern, soll ein diesen Zwecken dienender Fonds gebildet werden. Unter den vorstehenden Voraussetzungen soll die Unterstützung aus diesem Fonds den Wahlkandidaten aller bürgerlichen Parteien zuteil werden.
19. Oktober 1909
Der Verband der Bergarbeiter Deutschlands, der Gewerkverein christlicher Bergarbeiter, die Polnische Berufsvereinigung (Bergarbeiter-Abteilung), der Hirsch-Dunckersche Gewerkverein der Bergarbeiter protestieren in einer Eingabe an den preußischen Minister für Handel und Gewerbe gegen die vom Zechenverband für das Ruhrgebiet beschlossene Einführung des obligatorischen Arbeitsnachweises, wodurch ihnen das gesetzlich gewährleistete Recht der Freizügigkeit und der Organisation genommen bzw. eingeschränkt wird.
8. November 1909
Nach Ansicht des Reichsgerichts ist es dem Arbeitgeber unbenommen, "Mitglieder der Organisation nicht aufzunehmen oder zu entlassen".
Am 14. Oktober hatte das Reichsgericht in der Forderung nach Unterzeichnung eines koalitionsfeindlichen Reverses keinen unzulänglichen moralischen Zwang gesehen.
20./21. Dezember 1909
Die Vertreter der Zentralvorstände ermächtigen den Bergarbeiterverband, nach eigenem Ermessen einen Streik zu erklären, "sobald die Kassen besser gefüllt und die Situation günstiger" sei.
Am 28. Dezember empfehlen die vier Bergarbeiterverbände den Bergleuten dringend, angesichts der Wirtschaftskrise und der vorhandenen Kohlevorräte einen Streik "bis zu einer günstigeren Zeit" zu verschieben. Am 2. Januar beschließen die Vertrauensleute des freigewerkschaftlichen Verbandes außerdem, beim Vorstand einen monatlichen Sonderbeitrag von 50 Pfennig anzuregen und Überschichten künftig zu vermeiden. Allgemein herrscht die Überzeugung, wie der christliche Gewerkschaftsführer Johann Effert in einem Interview betont, "daß der Kampf, der erbitterte Kampf um Sein oder Nichtsein, kommen werde und kommen müsse".
Die Reichsregierung lehnt in der Folgezeit jede gesetzliche Regelung der Arbeitsvermittlung ab. Immerhin verzichtet der Zechenverband auf die Benachteiligung organisierter Arbeiter. Die Zahl der kontraktbrüchigen Arbeiter einzudämmen, wird durch diese Arbeitsnachweise nicht erreicht, sie steigt sogar noch an.
Winter 1909 / 1910
In den Beratungen der Arbeitskammergesetze im Reichstag werden so viele Änderungsanträge eingebracht, daß von der Regierung die dritte Lesung auf unbestimmte Zeit vertagt wird.
Ende 1909
In seinem Jahresbericht schreibt der Vorstand des Metallarbeiterverbandes: "So unentbehrlich auch die Unterstützungseinrichtungen in den Gewerkschaften und speziell in unserem Verband sind, so dürfen sie doch nicht die anderen Aufgaben der Organisation überwuchern und durch ein ungesundes Verhältnis ihres finanziellen Bedarfs zu den übrigen Aufwendungen lähmend auf die Haupttätigkeit der gewerkschaftlichen Organisation, die Verbesserung der Lohn- und Arbeitsbedingungen einwirken. Die Unterstützungseinrichtungen sind nicht der Hauptzweck des Verbandes, sondern Mittel zum Zweck. Sie sollten daher dauernd Überschüsse abwerfen, um aus ihnen den Kampffonds des Verbandes zu speisen."
Der Metallarbeiterverband gab 1909 rund 77% seiner Einnahmen für Unterstützungen, davon rund 8% für Streikunterstützungen aus.
Die größeren Angestelltenverbände haben noch zahlreiche "selbständige" Mitglieder. Im "Deutschnationalen Handlungsgehilfenverband" sind unter 108.745 Mitgliedern noch 5.545 Selbständige, im "Verband deutscher Handlungsgehilfen" unter 89.158 Mitgliedern noch 6.560, im "Verein für Handlungscommis von 1858" unter 95.615 noch 11.706 und im "Deutschen Technikerverband" unter 27.359 Mitgliedern 2.736 Selbständige.
Die relativ niedrigen Mitgliederzahlen der "reinen" Angestelltenverbände - der "Bund der technisch-industriellen Beamten" zählt erst 15.034 und der "Zentralverband der Handlungsgehilfen" nur 9.870 Mitglieder - zeigen das geringe Interesse der Angestelltenschaft jener Jahre an Organisationen, die in ihren Satzungen unter bewußter Vernachlässigung berufsständischer Interessen auf die mit der Arbeiterschaft gemeinsame Arbeitnehmerstellung der Angestellten hinweist und eine "Zusammenarbeit" mit den Prinzipalen konsequent ablehnt.
Der größte Teil der Berufsverbände kaufmännischer und technischer Angestellter lehnt jede gewerkschaftliche Betätigung, insbesondere den Arbeitskampf, ab. Man will nur Fachverband sein, der Geselligkeit oder Bildungszwecken dienen, sich der Stellenvermittlung widmen oder als Unterstützungsverein tätig sein. Hinzu kam die fortwährende Schwächung der Angestelltenorganisationen durch den Einfluß der Prinzipale.
Der Generalkommission sind 57 Gewerkschaften angeschlossen, die zusammen 1.892.570 Mitglieder, davon 139.120 weibliche (= 7,3%), haben.
Die meisten Mitglieder haben die Verbände der Metallarbeiter mit 373.350, die der Maurer mit 170.870, die der Holzarbeiter 151.830, die der Fabrikarbeiter mit 141.020 und die der Bergarbeiter mit 120.280.
Die kleinsten Verbände sind die der Schirmmacher mit 310, die der Notenstecher mit 420, die der Xylographen mit 490, die der Blumenarbeiter mit 560 und die der Asphalteure mit 840 Mitgliedern.
Die meisten weiblichen Mitglieder hat der Textilarbeiterverband mit 35.360 von insgesamt 104.300.
Die Gewerkschaften geben von ihren Einnahmen je rund 17% für die Kranken- und Arbeitslosenunterstützung, rund 14% für die Streikunterstützung und rund 4% für ihre Zeitungen aus.
Dem Gesamtverband der christlichen Gewerkschaften sind 22 Gewerkschaften mit zusammen 280.060 Mitgliedern, davon 20.180 weiblichen, angeschlossen.
Die größten Verbände sind die der Bergarbeiter mit 81.730, die der Bauarbeiter mit 35.470 und die der Textilarbeiter mit 30.450 Mitgliedern.
Die kleinsten Verbände sind die der Kellner mit 1.220, die der Nahrungsmittelindustrie mit 1.300 und die der Krankenpfleger mit 1.370 Mitgliedern.
Von den Ausgaben der christlichen Gewerkschaften entfallen rund 17% auf die Krankenunterstützung, 13% auf die Streikunterstützung und 10% auf die Verbandszeitschriften.
Dem Generalrat der Gewerkvereine sind 22 Gewerkvereine angeschlossen, die zusammen 108.000 Mitglieder haben.
Die größten Gewerkvereine sind der der Maschinenbau- und Metallarbeiter mit 37.650, der der Kaufleute mit 18.300 und der der Fabrik- und Handarbeiter mit 15.600 Mitgliedern.
Die kleinsten Gewerkvereine sind die der Reepschläger mit 42, die der Wäger und Maschinisten mit 57 und der der Konditoren mit 112 Mitgliedern.
Die Gewerkvereine geben rund 30% ihrer Einnahmen für die Krankenunterstützung, rund 12% für die Arbeitslosenunterstützung und rund 6% für die Streikunterstützung aus.
Die Generalkommission registriert 1909 6.796 Lohnbewegungen, an denen 480.200 Personen beteiligt waren.
66,3% verlaufen ohne Arbeitseinstellungen. Es kam zu 832 Angriffs- und 1.007 Abwehrstreiks und 206 Aussperrungen. Von den Angriffsstreiks waren 54,6% erfolgreich, 20,8% teilweise erfolgreich, von den Abwehrstreiks 58,9% erfolgreich, 12,2% teilweise erfolgreich, von den Aussperrungen 41,3% erfolgreich.
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