Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung


Online-Edition wichtiger Beiträge Eugen Pragers in der sozialdemokratischen Presse.

    Dokument:

    Für die Zukunft / E.P. - [Electronic ed.], 1933 - 11 KB, Text
    In: Mitteilungen des Vereins Arbeiterpresse. - 33 (1. Mär z. 1933), 335, S. 1-2
    Electronic ed.: Bonn : FES Library, 2006


Für die Zukunft

Während wir diese Zeilen niederschreiben reiht sich ein Zeitungsverbot an das andere. Durch die Notverordnung "zum Schutze des deutschen Volkes" vom 4. Februar 1933 sind die Voraussetzungen zur Unterdrückung jeder Meinungsfreiheit in Deutschland geschaffen worden. An die Stelle des Rechts auf absolute Freiheit der Meinung ist das Ermessen der Regierung und der von ihr beauftragten Behörden getreten. Was als Veröffentlichung "offensichtlich" unrichtiger Nachrichten oder als Verbreitung "unwahrer oder entstellter Tatsachen" zu bewerten ist, das entscheiden allein die derzeitigen Inhaber der Regierungsgewalt. Unter diesem Zustand leidet vor allem die Arbeiterklasse. Die kommunistischen Zeitungen werden ebenso wie die sozialdemokratischen Zeitungen nicht nur auf mehrere Tage, sondern gleich auf eine Woche und auf längere Zeit hinaus verboten. Auch die Organe der Gewerkschaften sind bereits von den Verboten ereilt worden. Die demokratische Presse versucht es mit vorsichtiger Anpassung, dagegen wird auch die Zentrumspresse von der Verbotspraxis ereilt, besonders seit der Veröffentlichung des bekannten Aufrufs der katholischen Verbände. Eine böse Zeit ist es schließlich für die oppositionellen Wochenblätter, die gleich für mehrere Monate verboten werden und deren Existenz dadurch ganz in Frage gestellt wird.

Es tauchen selbstverständlich wieder die Kritiker auf, die alles besser gemacht hätten, wenn man sie früher herangelassen hätte. Sie erheben gegen uns erstens den Vorwurf, daß wir die Gegner der Arbeiterbewegung und der Republik, solange wir die Möglichkeit dazu hatten, nicht härter angefaßt hätten. Im Gegensatz dazu steht die zweite Meinung, daß die Nazis jetzt nur das nachahmten, was wir ihnen früher vorgemacht hätten, besonders durch die Schaffung des Republikschutzgesetzes. Mit der zuerst erwähnten Kritik brauchen wir uns nicht auseinanderzusetzen. Entweder man ist für die Demokratie, für die politische Freiheit des Volkes, und dann darf man die Gewalt nicht als Dauerzustand proklamieren. Oder man ist grundsätzlich für Gewalt und Diktatur, und in diesem Falle soll man nicht darüber jammern, daß angeblich demokratische Freiheiten verletzt sind.

Zum zweiten Punkt wäre in diesem Zusammenhang nur soviel zu sagen, daß Demokratie nicht Zügellosigkeit und Auslieferung aller Volksfreiheiten an die Prediger der Gewalt bedeutet. Gerade zum Schutz der demokratischen Freiheiten können zu gewissen Zeiten auch harte Maßnahmen gegen ihre Gegner erforderlich sein. Diese Maßnahmen unterscheiden sich aber von der faschistischen und "autoritären" Willkür vor allem dadurch, daß sie von der Mehrheit der Volksvertretung beschlossen und von der Mehrheit des Volkes gebilligt werden. Erst nachdem in einem Teil der Presse ganz offen zu Gewalttaten aufgefordert worden war, als sich infolge dieser Verhetzung die hinterhältigen Morde an Erzberger und Rathenau ereigneten, ganz zu schweigen von den zahllosen Bluttaten an Arbeitern und ihren Führern, erst dann ist das Republikschutzgesetz geschaffen worden. Der jetzige Zustand unterscheidet sich im wesentlichen von dem Zustand vor einem Jahrzehnt darin, daß durch das "Pressenotrecht" gerade die Zeitungen getroffen werden, die sich für die Demokratie und die Republik einsetzen, die immer gegen die Mordhetze und die Verrohung des politischen Kampfes gearbeitet haben.

Es mag unter den Journalisten einige besonders erleuchtete Köpfe geben, die sich dieser Zeit freuen, weil sie ihnen scheinbar Gelegenheit gibt, ihre ganz besonderen Fähigkeiten zu erweisen. Da wird uns gesagt, daß man zwischen den Zeilen schreiben solle, daß sich ein besonderer Stil herausbilden könne, daß man dem Gegner mit Witz und Satire beikommen müsse. Wir werden daran erinnert, daß gerade die Reaktionsperiode in der Mitte des vorigen Jahrhunderts die besten polemischen Zeitungsschreiber geboren habe. Wir dürfen dazu bemerken, daß sich diese journalistische Meisterschaft zumeist außerhalb Deutschlands herausgebildet hat, und daß ihre Erzeugnisse erst auf Umwegen zur Kenntnis eines sehr kleinen Teils der Bevölkerung gekommen sind. Wir andern aber müssen heute nicht nur innerhalb der Mauern kämpfen, sondern wir haben die Verpflichtung, sofort und nicht erst für spätere Generationen zu wirken. Das will aber bedeuten, daß wir den Abwehrkampf gegen jede Art von Willkür führen müssen, auch wenn die Grundlage dafür schmaler geworden ist.

Unter den ungeheuer erschwerten Bedingungen der Gegenwart setzen wir also unseren Kampf fort. Kampf bedeutet ja nicht nur ununterbrochenen Aufstieg und Fortschritt; es können auch Perioden des Stillstands und der Verteidigung eintreten. Und gerade in solchen Zeiten muß sich die Überzeugungsstärke und die Tatkraft jedes einzelnen von uns bewähren, auf welchen Platz immer er gestellt sein mag. Häufig werden wir die Faust in der Tasche ballen müssen, anstatt sie auf den Schreibtisch niedersausen zu lassen. Anders ausgedrückt, wir werden uns mehr als früher mit der Wiedergabe von Nachrichten zu begnügen und es dem Leser selbst zu überlassen haben, welche Meinung er sich darüber bilden will. Dem Gegner so wenig Vorwände wie möglich geben, uns zu unterdrücken: das sollte das Gebot der Stunde für jeden sozialdemokratischen Journalisten sein. Es steht jetzt mehr auf dem Spiele als das ungeschminkte Aussprechen dessen, was ist. Wir müssen unseren Teil dazu beitragen, daß die Unternehmungen der Arbeiterschaft aufrecht erhalten bleiben, wir müssen im Rahmen des Möglichen alles vermeiden, was sie der sinnlosen Zerstörungswut der Gegner ausliefern könnte.

Das Wüten der Reaktion kann dem tiefer Blickenden, kann dem an der materialistischen Geschichtsauffassung Geschulten nicht die Tatsache verschleiern, daß wir uns in einer Zeit der größten wirtschaftlichen und politischen Umwälzungen befinden. Was sich im Fernen Osten entwickelt, läßt sich in seiner Tragweite für die ganze Welt noch gar nicht abschätzen. Schon aber künden sich auch in Europa neue Umwälzungen an. Der Zusammenschluß der Kleinen Entente zu einer festen Alliance, ihre Freundschaft mit Polen, die Wiederherstellung des Bündnisses zwischen dem immer kapitalistischen Frankreich und dem früher zaristischen, heute bolschewistischen Rußland sind die deutlichen Zeichen dafür. Was aus Deutschland wird, wenn es unter einer faschistischen Diktatur in die frühere Isolierung zurückfallen sollte, läßt sich wohl ahnen, aber noch nicht aussprechen. Zu alledem die Hilflosigkeit des kapitalistischen Systems gegenüber der Weltwirtschaftskrise, der kapitalistischen Regierungen gegenüber der Abrüstungsfrage.

Unsere gegenwärtige Aufgabe besteht also jetzt vornehmlich darin, der Arbeiterbewegung auch unter den schwierigen Verhältnissen die eigene Presse zu erhalten. Sie wird ihrer in den bevorstehenden Entscheidungen mehr als je zuvor bedürfen.

E.P.

Mitteilungen des Vereins Arbeiterpresse, Nr. 335, Berlin, 01. März 1933, XXXIII. Jahrgang