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Dokument:
Zusammenfassung der geistigen Kräfte
/ Eugen Prager - [Electronic ed.], 1933 - 13 KB, Text
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In einigen Parteiblättern hat, aus Anlaß des für Mitte März nach Frankfurt a. M. einberufenen Parteitages, eine Diskussion darüber begonnen, welche Ursachen der sozialdemokratische Stimmenrückgang bei den Wahlen des vergangenen Jahres habe. Die einen behaupten, daß die Taktik der Partei nicht richtig gewesen sei, die anderen geben dem angeblich veralteten Organisationsapparat die Schuld daran. Wir haben nicht die Absicht, uns in unseren Blättern an dieser Diskussion zu beteiligen. Aber innerhalb der uns gezogenen Grenzen ist doch die Frage zu erörtern, in welchem Maße unser Zeitungswesen an Aufstieg oder Niedergang der Bewegung beteiligt ist; und weiter, was wir tun können, um unsere Presse so weit zu bringen, daß sie ihre Mission: Trommler, Lehrer und Unterhalter zugleich zu sein, noch besser als bisher erfüllen kann.
Zwischen Journalismus und Organisation besteht bei allen Parteien ein gewisser Gegensatz. Das ist um so merkwürdiger, weil doch jede Bewegung, jede wirtschaftliche und geistige Gruppe sich immer zuerst ein publizistisches Organ für ihre Bedürfnisse oder für ihre Auffassungen schafft. Der Gegensatz zwischen Journalismus und Organisation scheint immer dann zu beginnen, wenn beide Teile ein selbständiges Leben nebeneinander führen. Sobald also in der Presse der Nur-Journalist, in der Bewegung der Nur-Organisator arbeitet. Sie sind dann beide zu Spezialisten geworden, die häufig die Bedürfnisse des anderen nicht mehr verstehen und deshalb auch nicht anerkennen. Verschärft wird dieser Gegensatz noch vielfach durch die Annahme, daß der Journalist ein phantastischer Bursche sei, der von Geschäften und ähnlichen Dingen nicht viel verstehe; wogegen der Organisator im Boden der Tatsachen verwurzelt sei und deshalb die besondere Eignung besitze, wirtschaftliche und auch geistige Vorgänge autoritär entscheiden zu können.
Wir wissen aus hundertfacher Erfahrung, wie gering die Tätigkeit der Presseleute von manchen Gerichten, Behörden und selbst Parlamenten eingeschätzt wird. Auch in unserer Partei und das ist in anderen Parteien nicht viel besser, wird die Bedeutung des Journalismus nicht immer anerkannt. Wohl wünscht jeder Redner einen "guten" Bericht. Aber sind die Voraussetzungen immer dafür gegeben, daß eine zufriedenstellende Arbeit für die Presse und damit für die Partei geleistet werden kann? Als ein Beispiel neben vielen anderen sei ein persönliches Erlebnis erzählt. Zu der Eröffnungssitzung eines unserer Parteitage der Nachkriegszeit waren lange vor Beginn der Verhandlungen sozialdemokratische und bürgerliche Journalisten in großer zahl erschienen. Der Saal war bereits überfüllt, für die Presse hatte man nicht die geringste Vorsorge getroffen. Nur die parteiamtlichen Stenographen und Berichterstatter durften auf der Vorstandstribüne Platz nehmen. Als die örtliche Organisationsleitung darum ersucht wurde, den Journalisten Arbeitsgelegenheiten zu schaffen, erhielt man die Antwort, das sei nicht nötig; heute sei man "unter uns", ein offizieller Bericht werde herausgegeben und die Journalisten sollten daraus ihre Kenntnisse schöpfen. Mit vieler Mühe gelang es schließlich, einen Teil der Presseleute in der Nähe des Rednerpults unterzubringen.
Dieser Fall möchte keine besondere Bedeutung haben, wenn er nur als einzelne Erscheinung in dem von uns geschilderten Gegensatz zu bewerten wäre. Um aber von dem Kleineren zu dem Großen zu kommen, so hat die Partei sich in der "Konzentration" wohl eine Einrichtung zur Bewirtschaftung ihrer materiellen Kräfte geschaffen. Aber uns fehlt noch immer die zentrale Stelle, die sich mit der Bewirtschaftung unserer geistigen Kräfte beschäftigt. Mit er Ausbreitung unserer Bewegung ist die Fühlung unter den Kollegen immer geringer geworden. Wenn vor dem Kriege etwa der Genosse Dittmann als politischer Leiter nach Solingen berufen wurde, der Genosse Sollmann die Leitung des lokalen Teils in Köln übernahm oder Theodor Glode Verlagsleiter des "Vorwärts" wurde, so war das immer sozusagen ein Familienereignis, von dem die ganze Parteipresse Kenntnis nahm. Heute kommen Nachrichten über personelle Aenderungen in den Redaktionen und Geschäftsleitungen kaum über den Ort oder über den Bezirk des Geschehens hinaus. Noch loser ist die Verbindung der Parteipresse mit den Organen der anderen Zweige der Arbeiterbewegung. Wenn wir Parteiredakteure nicht ein besonderes Interesse für die eine oder andere Sparte haben, so wissen wir wenig von der Arbeit, die in der Presse der Gewerkschaften, der Sportgenossen der Freidenker, der Genossenschaften und der vielen anderen mit uns verbündeten Organisationen geleistet wird.
Um aber noch einmal auf den von uns erwähnten Gegensatz zwischen Journalismus und Organisation zurückzukommen, so gehören hierzu die mancherlei Klagen über die Ausschaltung redaktioneller Bedürfnisse bei der Durchführung geschäftlicher Maßnahmen. Das betrifft ebenso die lokalen Umstellungen wie die bezirksweisen Zusammenlegungen, die von der "Konzentration" durchgeführt worden sind. Wir haben allen Respekt vor der höheren geschäftlichen Einsicht der daran beteiligten Personen und wir verkennen nicht, daß bei Rationalisierungsmaßnahmen die Anwendung gewisser diktatorischer Methoden nicht vermieden werden kann. Und trotzdem meinen wir, daß bei solchen Gelegenheiten die Vertrauensleute mitwirken sollten, auch wenn es uns nicht vergönnt ist, die Hand am Beutel zu haben.
An anderer Stelle unserer heutigen Nummer wird von der technischen Zusammenfassung unserer Kräfte gesprochen. Hier soll darauf verwiesen werden, welche Vorteile wir erzielen könnten, wenn auch die Zusammenfassung unserer geistigen Kräfte durchgeführt wird. Sie ist gewiß nicht leicht, denn unsere Zeitungen sind über das ganze Reich zerstreut und regelmäßige Zusammenkünfte der Kollegen könnten schon der Kosten wegen nicht veranstaltet werden. Diese Aufgabe kann deshalb auch nicht vom Verein Arbeiterpresse allein gelöst werden, es sei denn, daß unsere Vereinigung den besonderen Auftrag dazu von der Partei erhält und die dazu erforderlichen Mittel flüssig machen kann. Wenn unsere Presse trotz aller Schwierigkeiten sich im allgemeinen sehen lassen kann, sowohl was ihren Inhalt wie ihre Aufmachung angeht, so dürfen wir mit einigem Selbstbewußtsein feststellen, daß wir Redakteure zusammen mit den Geschäftsleitungen das im wesentlichen aus eigener Kraft geschaffen haben. Wir haben nicht nur Probleme gewälzt, sondern sie in der Wirklichkeit des Zeitungsbetriebes zu lösen gesucht. Jetzt scheint aber für die Parteipresse und für die Presse der Arbeiterschaft im allgemeinen der Zeitpunkt gekommen zu sein, wo die geistige Autarkie unseres Zeitungswesens beseitigt werden muß.
Zusammenfassend und zum Teil wiederholend sei hier angedeutet, was in baldiger Zeit zu geschehen hätte. Zuerst die Zusammenfassung der geistigen Arbeit und zugleich die Beseitigung des Gegensatzes zwischen Journalismus und Organisation durch stärkere Heranziehung der Redaktionen bei der Behandlung organisatorischer und wirtschaftlicher Fragen. Zusammenarbeit der Presse der genannten Arbeiterbewegung und Schaffung gemeinsamer Einrichtungen zur Förderung des Zeitungswesens. Ausbildung unseres Nachwuchses, nicht allein in den marxistischen Wissenschaften, sondern auch und vor allem in den Kenntnissen vom Zeitungswesen (beim Nachwuchs: wer kümmert sich heute bei uns, trotz Wirtschaftsnot und Finanzelend, um die Erhaltung der jüngeren journalistischen Kräfte für die Bewegung?). Zeitungswissenschaft, eine von der bürgerlichen Presse und vom bürgerlichen Staat eifrig geförderte Disziplin, ist bei uns noch kaum an die ersten Versuche herangekommen. Wir hören nur gelegentlich etwas von der Erforschung der Psyche des Zeitungslesers, von Untersuchungen über den Einfluß der Presse auf die Gestaltung der öffentlichen Meinung, von den modernen Werbemethoden, von Werbetechnik überhaupt. Wie aus einer fernen Welt erfahren wir von den Anstrengungen, die die Arbeiterschaft in England, Holland, Dänemark, Oesterreich für die Ausgestaltung und Verbreitung ihrer Presse machen. Wir wissen auch heute wenig von den Mitteln, die die Massenpresse in Amerika und England zur Gewinnung von Lesern gebraucht, nicht um sie nachzuahmen, sondern um daraus für unsere Zwecke zu lernen. Dies alles fehlt und noch manches mehr, und leider nicht etwa nur aus Mangel an Mitteln.
Wenn also vor und auf unserem Parteitag von einer Erneuerung und Verjüngung der Bewegung gesprochen werden sollte, so vergesse man dabei nicht die Presse. Aber wir Redakteure bitten mit geziemender Bescheidenheit darum, dabei nicht als Objekt der Gesetzgebung betrachtet zu werden: wir möchten auch handelnd mitwirken.
Mitteilungen des Vereins Arbeiterpresse, Nr. 333, Berlin, 01. Januar 1933, XXXIII. Jahrgang