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Online-Edition wichtiger Beiträge Eugen Pragers in der sozialdemokratischen Presse.

    Dokument:

    Öffentliche Meinung und Wahlergebnis / Eugen Prager - [Electronic ed.], 1932 - 12 KB, Text
    In: Mitteilungen des Vereins Arbeiterpresse. - 32 (1. September 1932), 329, S. 1-2
    Electronic ed.: Bonn : FES Library, 2006


Eugen Prager
Oeffentliche Meinung und Wahlergebnis

Der Ausfall der Reichstagswahl vom 31. Juli 1932 hat uns wiederum vor das Problem gestellt, welchen Einfluß die Presse auf die Gestaltung der öffentlichen Meinung hat. Wenn wir das Ergebnis ganz roh umschreiben, so haben die Parteien mit der schlechtesten Presse am besten, die Parteien mit der besten Presse am schlechtesten abgeschnitten. Die Nationalsozialisten verfügen zwar jetzt über ein ausgebreitetes Zeitungssystem und darüber hinaus werden sie weitgehend von der "unpolitischen" Lokalpresse unterstützt. Trotzdem bleibt ohne Zweifel die Gesamtauflage der den Nationalsozialisten zur Verfügung stehenden Presse weit hinter der Stimmenzahl zurück, die für ihre Partei abgegeben worden ist. Bei den Kommunisten sieht es damit noch übler aus. Sie haben ein unzulängliches Pressewesen, zudem waren während des Wahlkampfes eine große Anzahl kommunistischer Zeitungen auf kürzere oder auf längere Zeit verboten. Und trotzdem haben sie diesmal erhebliche Stimmengewinne erzielt, während sie noch bei den Preußenwahlen Stimmenverluste zu erleiden hatten.

Was die Auflagenhöhe der Presse anlangt, so standen die ehemaligen Demokraten, die jetzigen Staatsparteiler am günstigsten da. Sie beherrschten in Berlin und anderen Orten die Blätter mit Massenverbreitung. Das hat nicht verhindern können, daß die Demokratische Partei trotz der Umbenennung jetzt fast völlig verschwunden ist. Ähnlich steht es um die Deutsche Volkspartei, für die sich früher die bedeutendsten Blätter vor allem in Mittel- und Westdeutschland eingesetzt haben. Und schließlich die Deutschnationalen; es darf heute an die vielen Aufsätze erinnert werden, die den Einfluß des Hugenberg-Konzerns und der von Hugenberg beherrschten Ufa auf das politische Leben in Deutschland beschrieben haben. Und diese ungeheure Zeitungsmacht hat nicht verhindern können, daß auch die Deutschnationale Partei von der Auflösung bedroht wird.

Ganz anders ist das Verhältnis zwischen Presse und Partei, zwischen Auflagenhöhe und Wahlergebnis bei der Sozialdemokratie und beim Zentrum. Beide Parteien bilden Gesinnungs- und Weltanschauungsgemeinschaften. Das Zentrum wird allerdings immer nur Partei bleiben können, deren Anhängerschaft sich im wesentlichen mit den Mitgliedern der katholischen Kirche deckt. Sind die sozialen Wirkungen auf die Bevölkerung so stark, daß ihnen auch der katholische Glaube nicht standhalten kann, so verringert sich auch der politische Einfluß des Zentrums. Die Sozialdemokratische Partei dagegen ist nicht nur Partei, sondern vor allem Bewegung. Ihre Ausdehnungsmöglichkeiten hören erst dort auf, wo auch die Arbeiterklasse, diesen Begriff im weitesten Sinne genommen, ihre Grenze findet. Sozialdemokratie und Zentrum haben ihren stärksten Rückhalt in den Organisationen und in der Presse. So erklärt es sich, daß die Wahlziffern bei beiden Parteien verhältnismäßig stabil geblieben sind.

Man sieht also, wie sich die Wählerschaft in zwei Teile gliedert. Der eine und heute größte Teil umschließt alle Elemente, die ihre Gebundenheit mit politischen Gruppen erst vor kurzem gelöst haben, deren politische Verbindung mit neuen Gruppen noch jungen Datums ist oder die parteipolitisch überhaupt noch keine Heimat gefunden haben. Die andere Gruppe, im wesentlichen nur noch Sozialdemokratie und Zentrum, enthält im Kern jene in jahrzehntelanger Arbeit geschulten Kämpfer, die in jedem Sturm an ihrer Ueberzeugung festhalten.

Es ist nur eine Bestätigung der marxistischen Lehren, wenn wir feststellen, daß die Meinungsbildung heute mehr denn je durch das wirtschaftliche Schicksal und weniger durch geistige Beeinflussung bestimmt wird. Um einige Beispiele zu nennen: die Zeitung mag dem Arbeitslosen noch so genau auseinandersetzen, aus welchen Gründen die Erwerbslosigkeit einen so großen Umfang angenommen hat; er wird leicht geneigt sein, die Republik anzuklagen, daß sie ihm keine Arbeit und kein Brot geben kann, und er wird ebenso leicht dem Wunderglauben von Moskau oder vom Dritten Reich zum Opfer fallen. Wir erkennen im Warenhaus das Ergebnis einer wirtschaftlichen Entwicklung, die vom Kleinbetrieb zum Großunternehmen auch im Handel führt; der kleine Kaufmann und Gewerbetreibende aber sieht nur den "Juden", der ihm die Existenzmöglichkeit abschneidet. Wir wissen weiter, daß es der Landwirtschaft nicht zuletzt deswegen schlecht geht, weil die Senkung der Arbeitslöhne und der Abbau der Sozialleistungen eine außerordentliche Schrumpfung der Kaufkraft verursacht hat; der Bauer aber schimpft zusammen mit dem Großgrundbesitzer auf den heutigen Staat, der an den hohen Zinsen und niedrigen Preisen schuld sein soll.

Das persönliche Schicksal bestimmt also in unserer Notzeit noch mehr als in normalen Zeiten die politische Meinungsbildung. Die Presse ist für breite Massen der Staatsbürger nur noch die Vermittlerin von Tatsachenmaterial, aber nicht mehr der Kompaß, an dem sich sein Urteil sonst orientiert hat. An die Stelle des Wissens ist der Glaube getreten. Es ist gewiß kein Zufall, daß die Zeitungen der Okkultisten und der ihnen verwandten Richtungen eine so große Verbreitung finden. Diese aus der Bahn geschleuderten Menschen lassen sich heute ihr Horoskop stellen, was viel angenehmer ist, als am Kampfe der arbeitenden Klassen um eine höhere Gesellschaftsordnung teilzunehmen.

Die linksbürgerliche Presse ist freilich auch nicht schuldlos daran, daß sich ihr Einfluß auf die Oeffentlichkeit so rapide verringert hat. Wenn es sich in den letzten Jahren um wirkliche oder um angebliche Korruptionsfälle in der öffentlichen Verwaltung gehandelt hat, so waren es vornehmlich die demokratischen Massenblätter, die allen Sensationen und allen unkontrollierbaren Gerüchten Raum gegeben und damit das Vertrauen zu den demokratischen Einrichtungen untergraben haben. Der Rechtspresse konnte man es nicht verdenken, daß sie die Skandale um Lahusen, Favag und Devaheim möglichst mit Stillschweigen übergingen, aber um so lauter wurde, wenn man eine Affäre der Linken und der Republik anhängen konnte. Aber auch die demokratische Presse hat beispielsweise im Falle Sklarek jeden Quark so breit getreten, daß der Leser annehmen mußte, daß es sich hierbei nicht um einzelne Personen, sondern um eine mit dem republikanischen System zusammenhängende Korruption handele. Auch das hat dazu beigetragen, daß die Urteilslosigkeit in breiten Massen einen so großen Umfang angenommen hat.

An die Stelle der fachlichen Aufklärung ist schließlich das Schlagwort getreten. Der Beweis wurde abgelöst durch die Behauptung. Kann der Inhalt der Tagespresse noch durch die Oeffentlichkeit kontrolliert und widerlegt werden, so entziehen sich die einmalig oder wiederholt erscheinenden Wahlblätter, die vervielfältigten Häuserblock- und Betriebszeitungen der Beaufsichtigung und Wahrheitsfeststellung. Durch Tausende von Kanälen werden die Volksmassen geistig vergiftet, bis sie zuletzt für vernunftmäßige Ueberlegungen überhaupt nicht mehr zugänglich sind. Aehnliches geschieht in den zahllosen Organen aller der Vereinigungen, in denen der Durchschnittsbürger Befriedigung seiner beruflichen Interessen oder privaten Liebhabereien sucht. Sie alle sind längst nicht mehr unpolitisch, sie treiben Politik und zumeist ist sie gegen die Republik, gegen die Arbeiterklasse gerichtet. Die Folgerung ist, daß wir noch viel entschiedener als bisher in die Bezirke vorstoßen müssen, in die wir mit unserer Tagespresse noch nicht eindringen konnten oder aus denen wir wieder zurückgedrängt worden sind. Das ist zugleich eine Aufgabe des Journalisten wie des Agitators. Wenn im Kölner Bezirk mit besonderen Werbezeitungen, wie Sollmann es an anderer Stelle schildert, so gute Erfolge erzielt worden sind, so lag das sicher auch an der engen Zusammenarbeit zwischen Parteiredaktion und Parteisekretariat. Ueberhaupt sollten wir nicht bei den alten, wenn auch noch so bewährten Formen unserer Pressearbeit verharren, sondern in der Werbearbeit jedes zulässige technische und journalistische Mittel anwenden, um unsere Bewegung aufwärts zu führen.

Mitteilungen des Vereins Arbeiterpresse, Nr. 329, Berlin, 01. September 1932, XXXII. Jahrgang