Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung


Online-Edition wichtiger Beiträge Eugen Pragers in der sozialdemokratischen Presse.

    Dokument:

    Ein Klassiker des Journalismus / E.P. - [Electronic ed.], 1932 - 10 KB, Text
    In: Mitteilungen des Vereins Arbeiterpresse. - 32 (1. Mai 1932), 325, S. 3-4
    Electronic ed.: Bonn : FES Library, 2006


Ein Klassiker des Journalismus

Bald ist es ein Jahr her, daß Friedrich Austerlitz, der leitende Redakteur der Wiener "Arbeiterzeitung", seine Augen für immer geschlossen hat. Austerlitz gehörte neben Bruno Schönlank, Franz Mehring und Kurt Eisner zu den Leuten, die der deutschen Parteipresse ein bestimmtes Gesicht gegeben haben. Für die Zeitung schreiben, das bedeutete ihnen mehr als nur die Arbeit für einen Tag leisten: in ihren Artikeln und Aufsätzen steckte soviel Erkenntnis ihrer eigenen Zeit und Voraussage künftiger Entwicklungen, daß sie auch heute noch, wo sie längst nicht mehr aktuell sind, mit dem höchsten Genuß gelesen werden können. Wir durften es daher als ein besonderes Verdienst Julius Braunthals begrüßen, daß er im vorigen Jahre die wichtigsten Aufsätze und Reden von Friedrich Austerlitz in einem Bande vereinigt hat.

Vielleicht hatten es die Zeitungsschreiber von ehedem leichter, als es uns schnellebendem Geschlecht beschieden ist. Gewiß war auch ihre Arbeit schon von der Unruhe und dem Lärm des Zeitungsbetriebes begleitet. Aber noch hatten die Nachrichten den Artikel nicht beiseite gedrängt. Noch war es für den Redakteur möglich, sein Wissen und seine schöpferische Phantasie vor der Leserschaft auszubreiten, in der begründeten Annahme, daß das von ihr auch gewürdigt werden würde. Austerlitz konnte noch mit der Hand schreiben, er war noch nicht zum Sklaven der Schreibmaschine und des Radio geworden. Das mochte seine gute und seine schlechte Seite haben. Der Artikelschreiber konnte sich die Zeit zum Ueberlegen und Nachdenken lassen; zugleich verleitete es ihn aber auch dazu, den Stil des Aufsatzes als eine abstrakte Kunst des Schreibens anzusehen. Das finden wir häufig gerade in den Aufsätzen, die wir als klassische bezeichnen. Allzu lange Sätze mit Einschachtelungen und Nebensätzen, die für uns Leute von der "neuen Sachlichkeit" nicht immer gut zu lesen sind.

Aber wenn man bei Austerlitz von einem Klassiker des Journalismus sprechen kann, so will das sagen, daß vieles von dem, was er in der drängenden Arbeit der Redaktion schreiben mußte, dauernden Wert behalten hat. Im Märzheft 1926 des "Kampf" führte er über den Journalismus und insbesondere über das sozialdemokratische Zeitungswesen aus:

"Wenn es auf das Können ankäme, so ist der Journalismus ganz bestimmt die Bürgschaft der besten Auslese, denn wenn es auch da Gunst und Zufall geben mag, wenn man ein großer Journalist auch durch Erbgang werden kann, so ist es in dieser freien Kunst, die keine spezifischen Kenntnisse und Fertigkeiten verlangt, keine Vorbildung also, aber alle Bildung, zu deren Ausübung das ganze Material in Papier und Tinte besteht, ist es in dieser Kunst so, daß hier nichts vorgetäuscht werden kann, nichts nachgelassen wird: Der Journalismus muß erweisen, daß er etwas kann, und muß es jeden Tag neu erweisen. Aber wenngleich zum Journalisten nötig ist, daß er schreiben könne, so ist wenn aus dem Journalismus nicht Unheil entstehen soll, anderes noch nötiger: Charakter. Der Journalist, dessen Schreibkunst mäßig ist, richtet wenig Uebel an, denn was ist an einem schlechten Stil gelegen! Aber die charakterlosen Journalisten sind ein großes Unglück für die Welt. Denn der ständigen Verführung, die aus dieser Ansammlung von Macht ausgeht, deren Ausübung von keiner Kontrolle in Zucht gehalten wird, kann nur durch die innere Verantwortung begegnet werden, die aus dem Charakter des Menschen hervorgeht. Die Macht der Presse, die Macht des Journalisten, dürfte nur in die Hand charaktervoller Männer gelegt werden. Aber sehen wir es nicht alle Tage, daß man im Journalismus gerade mit Eigenschaften Glück macht, die das Gegenteil sittlichen Wertes sind? Den Charakternachweis kann natürlich kein Gesetz bedingen; die wahre moralische Kontrolle müssen die Leser leisten. Ihre verruchte Unempfindlichkeit gegen das Schlechte und Erbärmliche ist der Nährboden für die korrupte Presse.

Unter einem anderen Stern ist das Parteiblatt geboren, vor allen anderen das sozialdemokratische. Natürlich ist auch die sozialdemokratische Zeitung eine Erscheinung von dieser Welt, also mit den Bedingtheiten behaftet, die niemand erspart sind. Aber schon daß sie im bewußten Gegensatz zu dieser ganzen Welt steht, sie von Grund aus verneint, ist die Bürgschaft, daß sie ihr nicht unterliegen kann, daß ihre Verführungen an ihr abprallen. Die sozialdemokratische Zeitung ist aus dem Geiste der Empörung wieder diese, die kapitalistische Welt geboren, und sie muß nur diesem Geiste treu bleiben, um gegen die Laster gefeit zu sein, in denen sich die kapitalistische Ordnung erbricht. Und ist es nicht bloß die Kontrolle durch die Organe der Partei, die dafür sorgt, daß dieser Geist des Sozialismus, von jeder Abirrung und Trübung bewahrt bleibe, die wahre Kontrolle leistet die Leserschaft des sozialdemokratischen Parteiblattes selbst. Das ist nicht jene zufällige, durch zweifelhafte Künste angelockte Menge, die mit der Zeitung nur durch die platte Gewohnheit verbunden ist. Diese Leserschaft ist eine Gesinnungsgemeinschaft, dieselbe und gleiche wie die Gemeinschaft derjenigen, die die Zeitung schreiben. Natürlich wollen auch die sozialdemokratischen Leser eine Zeitung, die sie anregt, interessiert, wenn man will, unterhält, aber Voraussetzung und Bedingung ist die sozialistische Gesinnung, die Gesinnung, die jede Gemeinschaft mit den kapitalistischen Trieben ausschließt, ein Paktieren mit ihnen als Todsünde empfindet. Was sich das kommerzielle Unternehmen ungestraft leisten kann, das würde die sozialdemokratische Leserschaft auf das stärkste aufregen, und das schlichte Wort: Das schickt sich für ein sozialdemokratisches Blatt nicht, wäre ein vernichtendes Urteil."