Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung


Online-Edition wichtiger Beiträge Eugen Pragers in der sozialdemokratischen Presse.

    Dokument:

    Zwischen den Wahlen / Eugen Prager - [Electronic ed.], 1932 - 13 KB, Text
    In: Mitteilungen des Vereins Arbeiterpresse. - 32 (1. April 1932), 324, S. 1-2
    Electronic ed.: Bonn : FES Library, 2006


Eugen Prager
Zwischen den Wahlen

Der Verlauf der Reichspräsidentenwahl hat von neuem gezeigt, daß die Verbreitung einer Zeitung nicht immer ihrem Einfluß auf die Oeffentlichkeit entspricht. Bisher durfte man allerdings glauben, daß sich diese Erscheinung auf die "parteilose", auf die Generalanzeiger-Presse beschränke, wogegen die Wirkung der eigentlichen Parteipresse sogar weit über den Umfang ihrer Abonnenten hinausgehe. Aber auch diese Annahme hat sich nicht als ganz richtig erwiesen, wie wir das an zwei Beispielen deutlich nachweisen können.

Der deutschnationale Parteiführer Hugenberg verfügt geschäftlich und politisch über den größten Zeitungskonzern in Deutschland. Mit der Telegraphenunion, mit Korrespondenzen, Matern- und Bilddiensten versorgt er einen großen Teil der übrigen deutschen Presse. Ihm untersteht die Ufa. Durch tausend Kanäle dringt also die Stimmungsmache des deutschnationalen Parteidiktators in die Bevölkerung. Und trotzdem hat er bei der Präsidentenwahl eine schwere Niederlage erlitten. Das zweite Beispiel bietet die Kommunistische Partei. Sie verfügt in Berlin über vier Tageszeitungen: "Rote Fahne", "Berlin am Morgen", "Welt am Abend", "Nachrichten"; als Wochenzeitungen hat sie außerdem das "Rote Echo" und die "Neue Montagszeitung". Und was geschah am 13. März? Die kommunistische Stimmenzahl ging in Berlin seit der Reichstagswahl von 739 235 auf 684 966, also um rund 55 000, zurück.

Auf der anderen Seite sehen wir, daß die Nationalsozialisten trotz mangelhafter eigener Presse ihre Stimmenzahl noch wesentlich erhöhen konnten. Wenn wir hier von der zügellosen Propaganda der Nationalsozialisten im allgemeinen absehen und uns nur die Wirkungen betrachten, die von der Presse ausgingen, so kam ihnen dabei ein besonderer Umstand zugute: daß nämlich schon seit Jahr und Tag in zahllosen Zeitungen der Rechten für die Hitler-Bewegung Reklame gemacht wird und daß selbst demokratische Blätter den Sieg des Faschismus als ein unabwendbares Schicksal betrachteten.

Am stabilsten ist ohne Zweifel der Einfluß der Presse der Sozialdemokratie und des Zentrums geblieben. Bei uns hat sich die Wirkung des gedruckten Wortes seit der Bildung der Eisernen Front noch wesentlich verstärkt. Man muß rückhaltlos anerkennen, daß neben unseren Parteizeitungen auch die Organe der Gewerkschaften, der Turn- und Sportverbände, der anderen Massenorganisationen der Arbeiterschaft den Kampf gegen den Faschismus mit der größten Entschiedenheit geführt haben. Das bedeutet aber, daß die Wirklungen unserer Taktik über unsere Tagespresse weit hinausgreifen und in Kreise dringen, die wir in der Wirtschaftskrise journalistisch noch schwerer erfassen als in normalen Zeiten.

Wodurch ist aber der Rückgang des Einflusses der deutschnationalen und der kommunistischen Presse auf die öffentliche Meinung zu erklären? Wir sind de Meinung, daß eine alte Erfahrung hier ihre neue Bestätigung erhalten hat. Wer ständig in Superlativen spricht, der unterbindet sich die Möglichkeit jeder weiteren Steigerung des Ausdrucks. Die Hugenberg-Blätter haben nicht anders als die Hakenkreuzler auf das "System" geschimpft; die Folge war, daß die deutschnationalen Leser zu Hitler überliefen. In der kommunistischen Presse hieß das "System": die Sozialdemokratie, die Gewerkschaften. Die Kommunisten haben es längst aufgegeben, uns sachlich zu bekämpfen. In tausendfacher Wiederholung werden Braun, Severing, Wels, Grzesinski, Breitscheid als "Arbeitermörder", "Sozialfaschisten", "Kettenhunde des Kapitals", beschimpft. Sowjetrußland ist das Paradies, Deutschland die Hölle. Was bei den Kommunisten geschieht, ist hundertprozentig richtig. Alles andere aber muß "mit bolschewistischer Kühnheit" niedergeschlagen werden.

Die Schreibart der Hugenberg-Blätter macht den Leser zum wildgewordenen Bürger und damit reif für Hitler. Die Schreibart der kommunistischen Presse hat andere Folgen. Der großstädtische Arbeiter kann vergleichen, er kommt mit seinen sozialdemokratischen Klassengenossen und Gewerkschaftskollegen zusammen, er diskutiert mit ihnen. Auf die Dauer muß die hysterische Schreibart der kommunistischen Presse auf die Leser abstoßend wirken. So erklärt es sich, daß die "Rote Fahne" trotz lärmender Agitation ihre stets sehr bescheidene Auflage nicht erhöhen kann. Die Münzenberg-Blätter haben verhältnismäßig hohe Auflagen; aber ein nicht unerheblicher Teil gehört bürgerlichen Kreisen an, die ihre hyperradikalen Gefühle gern an einem kommunistischen Sensationsblatt abreagieren.

Auf Grund der Präsidentenwahl können wir also die erfreuliche Feststellung treffen, daß die sachliche Kampfesweise im politischen Leben sich auf die Dauer besser bezahlt macht, als die auf persönliche Verunglimpfung des Gegners eingestellte Agitation. Und dennoch meinen wir, daß wir die Grenzen in der Behandlung persönlicher Angelegenheiten unserer Gegner künftig ein wenig weiter als bisher stecken sollten. Man erinnere sich, wie die Barmat-Affäre jahrelang gegen die Sozialdemokratie und gegen die Republik ausgeschlachtet worden ist. Seit Monaten läuft in Berlin der Sklarek-Prozeß, und es vergeht kein Verhandlungstag, an dem nicht offene und versteckte Angriffe gegen die Sozialdemokratie fallen. Was bedeuten aber diese beiden Fälle gegenüber dem Riesenskandal von Lahusen-Nordwolle? Was hätten unsere Gegner aus ihnen gemacht, wenn irgendein Sozialdemokrat dabei beteiligt gewesen wäre! Wir haben uns einige Zeit in der Presse damit beschäftigt, es ist auch eine ausgezeichnete Broschüre über diese Affäre erschienen. Seitdem aber klingt der Fall Lahusen mit all seinen Einzelheiten nur noch gelegentlich in unserer Agitation an. Oder die anderen zahllosen Skandale der letzten Zeit: Favag, Dewaheim, Hugenberg-Unternehmungen, Großbanken und so weiter! Wir beschränken uns im allgemeinen doch zu sehr auf sachliche Darstellungen und sind viel zu zaghaft in der agitatorischen und doch wahrheitsgetreuen Ausbeutung solcher Fälle gegen unsere Gegner.

Wie würden die Nationalsozialisten einen Fall Röhm ausgeschlachtet haben, wenn er sich bei uns zugetragen hätte! Es mag gewiß moralisch und politisch äußerst bedenklich sein, die sexuellen Neigungen eines Menschen auf offenem Markte zu erörtern. Aber hier war es keine private Angelegenheit mehr, sie erhält durch die Stellung des Herrn Röhm als Chef über eine Armee von Hunderttausenden junger Leute ihr allgemeinere Bedeutung. Welchen Krach hätten die Nazis geschlagen, wenn wir, wie sie, einen Parteiführer mit Rieseneinkommen aus dunklen politischen Geschäften hätten, der in Palästen und Luxushotels wohnt, die teuersten Autos fährt, sich durch Schiebung zum Beamten machen läßt? Und so geht es weiter zu den Herren Rosenberg, Goebbels, Feder, Straßer (!), Münchmeyer und zahllosen anderen nationalsozialistischen Führern erster und zweiter Garnitur. Sie alle sind höchst anfechtbare Gestalten. Die nationalsozialistische Presse würde jahrelang ihre Spalten mit Geschichten aus dem Leben solcher Leute füllen, wenn sie bei uns zu finden wären.

Sachliche und vornehme Kampfesweise ist gewiß in ruhigen Zeiten und einem Gegner gegenüber am Platze, der mit den gleichen Waffen kämpft. Aber dem faschistischem Todfeinde gegenüber muß auch die Anwendung anderer Mittel erlaubt sein, selbst wenn wir dabei das Privatleben der Hakenkreuzler berühren müssen. Wahrheitsgetreu soll unsere Agitation auch sein, jedoch muß dafür gesorgt werden, daß sie an solche Leute herankommt, die sonst unsere Presse nicht lesen.

In diesem Zusammenhang sei vermerkt, daß es sich bei der Präsidentenwahl gezeigt hat, wie fühlbar die Konkurrenz das Radio für die Tagespresse zu werden beginnt. Die durch den Rundfunk verbreiteten Reden des Reichspräsidenten und des Reichskanzlers haben ohne Zweifel weiter gewirkt, als wenn sie nur durch die Presse wiedergegeben worden wären. In den Großstädten hat sich am Wahltage selbst auch die geschäftliche Konkurrenz des Rundfunks bemerkbar gemacht. Wer ein Radio besaß, ließ sich durch ihn über die Wahlergebnisse unterrichten. Die Familie, die Freunde nahmen selbstverständlich an der Abhörung teil. Vielleicht hat das Demonstrationsverbot dazu beigetragen, daß die Straßen am Abend des 13. März leerer waren als sonst. Als Tatsache bleibt, daß die Sonderausgaben der Tageszeitungen am Sonntagabend und am Montag früh weit schwächer verkauft worden sind als bei früheren Wahlen. Mag sein, daß auch die allgemeine Geldknappheit den Kauf der Sonderausgaben beeinträchtigt hat.

Dem Wandel in den Beziehungen der Presse zur öffentlichen Meinung nachzuforschen, wäre eine Aufgabe auch für die Träger der Arbeiterpresse. Die Reichspräsidentenwahl hat uns einige neue Anregungen gegeben, die hier nur kurz angedeutet werden konnten. Voraussichtlich wird über diese Frage nach den Landtagswahlen vom 24. April noch ausführlicher geredet werden müssen, um daraus die Nutzanwendung für unsere Bewegung zu ziehen.