Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung


Online-Edition wichtiger Beiträge Eugen Pragers in der sozialdemokratischen Presse.

    Dokument:

    Parteipresse und Parteidisziplin / Eugen Prager - [Electronic ed.], 1931 - 14 KB, Text
    In: Mitteilungen des Vereins Arbeiterpresse. - 31 (1. August 1931), 316, S. 1-2
    Electronic ed.: Bonn : FES Library, 2006


Eugen Prager
Parteipresse und Parteidisziplin

In einer vor kurzem erschienen Schrift (Parteidisziplin und sozialistische Ueberzeugung, E. Laubsche Verlagsbuchhandlung, Berlin) hat Genossin Anna Siemsen sich ausführlich mit der Organisation der Sozialdemokratischen Partei beschäftigt. Sie kommt zu dem Ergebnis, daß es heute eigentlich keine Meinungsfreiheit in der Sozialdemokratischen Partei gebe, weil "mehr als je alle Mittel in Händen der Parteileitung sind, unliebsame Meinungen zu sekretieren, unliebsame Willensäußerungen zu unterdrücken". Wenn alle Mittel in Händen der Parteileitung sind, so kann es keine weitere Steigerung "mehr als je" geben. Genossin Siemsen, die sich berufsmäßig mit Bildung beschäftigt und die deutsche Literatur mit einer Schrift über den richtigen Stil bereichert hat, dürfte diese Tatsache übersehen haben. Aber auf diesem "mehr als je" ist ihre Beweisführung aufgebaut. Wir können uns an dieser Stelle nur im Vorübergehen mit dem beschäftigen, was Frau Siemsen allgemein über die entsetzliche Versklavung der öffentlichen Meinung in unserer Partei sagt. Für uns kommt in diesem Zusammenhang nur das in Betracht, was über die Parteipresse ausgeführt wird.

Im einzelnen werden wir darüber belehrt, daß der Parteiapparat zwar unbedingt notwendige Voraussetzung und Mittel jeder politischen Arbeit sei. Zugleich aber seien die einzelnen Teile dieses Apparats "Mittel persönlicher Machtentfaltung in den Händen der verantwortlichen Funktionäre und werden um ihrer selbst willen geschätzt und verteidigt. Sie beeinflußen dadurch aufs tiefste die politische Haltung der mit ihrer Verwaltung betrauten Führer". In den meisten Fällen werde der Funktionär "alle Machtmittel, die er zur Verfügung hat, einsetzen, um seine Arbeit, seinen Einfluß, seine Stellung in der Bewegung zu sichern". Das gehe so druch den ganzen Parteiapparat, bis schließlich alle "Außenseiter, Oppositionelle, Kritiker, kurzweg alle "Querulanten und Unruhestifter" entweder assimiliert oder ausgeschieden und durch konforme Genossen ersetzt werden". Unsere verehrte Lehrerin führt ihre Betrachtungen wie folgt weiter:

"Die Erfahrungen der Parteispaltung haben die schon vorher vorhandene Neigung, möglichst viel Macht in den Händen der Zentralinstanz, des Parteivorstandes, zu vereinigen, wesentlich erhöht. Man sieht darin das sicherste Mittel gegen jede Spaltungstendenz und gegen jedes Anwachsen einer Opposition. Das Parteistatut, die Zusammensetzung des Parteitages mit dem starken Einfluß, der Parteivorstand, Parteiausschuß, Kontrollkommission und der Reichstagsfraktion neben den direkten Delegierten eingeräumt wird, das Veto und Ausschlußrecht des Parteivorstandes zielen in dieser Richtung. Noch entscheidender aber ist es, daß die finanzielle Macht, welche der Parteivorstand hat, als Besitzer aller Parteiunternehmungen und Verwalter des Vermögens und der an die Zentrale abgeführten Beiträge, ihm einen ganz überwiegenden Einfluß sichert als Finanzier und Arbeitgeber. Die "Konzentration", das Dachunternehmen, das eine immer wachsende Anzahl von Parteiverlägen und -Zeitungen umfaßt und kontrolliert, macht diesen Einfluß zu einem völlig beherrschenden.

Es ist daher für jeden Parteiangestellten, jeden Redakteur und Parteisekretär, ebenso wie für alle Bildungsfunktionäre, mögen sie nun hauptamtlich fungieren oder nebenamtlich aus ihrer Tätigkeit irgend ein Einkommen beziehen, eine schwierige, oft eine völlig unmögliche Sache, gegen die offizielle von der Zentrale inaugurierte und verfolgte Politik zu opponieren. Und da jeder Funktionär von der Zentrale bewertet wird nach der Tüchtigkeit, mit der es ihm gelingt, diese Politik zu propagieren und Abweichungen, welche als Beunruhigung und Störung empfunden werden, zum Schweigen zu bringen, so wirkt der Druck der Zentrale durch die Bezirke bis in die allerkleinsten Ortsgruppen hinein. Bei der wirtschaftlichen Krise, bei dem erdrückenden Gefühl der Unsicherheit, das heute auf allen lastet, entsteht eine Stimmung, in der schließlich jeder Einzelne eine Abstimmung oder eine Meinungsäußerung, welche zentral nicht genehm ist, als Wagnis empfindet."

Wir haben diese Stelle in aller Ausführlichkeit gebracht, um uns nicht der Beschuldigung auszusetzen, als ob wir "mehr als je" die Anschauungen der Frau Professor und Parteigenossin Dr. Anna Siemsen aus dem Zusammenhange gerissen hätten. Es läßt sich also nicht länger verschweigen, daß wir Redakteure, Journalisten und ähnliche Bonzen gekaufte und bezahlte Subjekte des Parteivorstandes und der "Konzentration" sind, daß wir unsere wirkliche Meinung unterdrücken, um nicht Amt und Geld zu verlieren. Wir kuschen vor allen Instanzen, und da wir als Parteifunktionäre häufig selbst zu diesen Instanzen gehören, müssen wir vor uns selbst ins Mauseloch kriechen.

Wir verspüren keine Neigung, diese Anschuldigungen in der gleichen Tonart zu beantworten. Wir kennen sie noch aus der Agitation des Reichslügenverbandes in der Vorkriegszeit. Es sind unzählige Male von den Hakenkreuzlern und ähnlichen Vorkämpfern für die Meinungsfreiheit wiederholt worden. Wir halten Frau Siemsen zugute, daß sie die Dinge gar nicht kennt, über die sie lehrhaft schwätzt. Wir glauben zu wissen, daß sie als Mitglied der Sozialdemokratischen Reichstagsfraktion sich nicht ein einziges Mal über die Unterdrückung der "Opposition", über die Einengung der Meinungsäußerung zu beklagen hatte. Wir meinen weiter, daß sie zwar viel von Arbeitern redet, daß sie aber wenig von dem weiß, was den Arbeiter in Wirklichkeit bewegt. Kurzum, wir haben das Muster einer liberalisierenden Individualistin vor uns, die den Sinn der Parteidisziplin nicht begreift, weil er zu dem Schema des eigenen Geltungsbedürfnisses nicht paßt.

Wir verteidigen uns nicht, wir treffen nur einige Feststellungen. Die "Konzentration" beschäftigt sich lediglich mit den wirtschaftlichen Verhältnissen der Parteiunternehmungen. Mit den redaktionellen Dingen kommt sie höchstens dann in Berührung, wenn es sich um Fragen der Rationalisierung, der Zusammenlegung oder der Umorganisation handelt. Die Anstellung und etwaige Entlassung von Redakteuren ist nicht Sache der "Konzentration"; damit hat sich ausschließlich die örtliche Organisation, vertreten durch die Preßkommission, zu beschäftigen. Um aber jede Willkür auszuschließen, ist das Schlichtungsverfahren des Vereins Arbeiterpresse eingerichtet worden, vor das alle Streitigkeiten aus dem Anstellungsverhältnis gebracht werden. Aus der jahrelangen Tätigkeit dieser Instanz sind uns ganze zwei Fälle bekannt, in denen die "Gesinnung" eine gewisse Rolle gespielt hat. In dem einen Fall behauptet ein Kollege, daß ihm wegen seiner Ueberzeugung gekündigt worden sei. Das Schiedsgericht hat einstimmig entschieden, daß die Kündigung aus anderen Gründen erfolgt ist. In dem zweiten Fall meinte der klägerische Redakteur, daß er in der Festsetzung seiner Bezüge nur deshalb benachteiligt werde, weil er sich nicht der "Opposition" anschließen wolle. Das Schiedsgericht hat auch diese Begründung nicht anerkannt, sondern nach fachlichen Gesichtspunkten entschieden.

Es gibt nur eine ganz geringe Anzahl von Zeitungen, die sich aus Prinzip oder Neigung zur "Opposition" zählen. Das erklärt sich ohne weiteres daraus, daß die "Opposition" nur in wenigen Kreisen der Partei anzutreffen ist. Haben die "oppositionellen" Blätter jemals die angebliche Diktatur des Parteivorstandes oder der Konzentration zu spüren bekommen? Wir haben im Gegenteil vor einiger Zeit feststellen müssen, daß die Schreibweise eines Blattes nicht mehr "oppositionell", sondern parteizerstörend wirkt. Auch hier hat weder der Parteivorstand noch die "Konzentration" eingegriffen. Die Kollegen von der "Opposition" mögen sich vielleicht dadurch bedrückt fühlen, daß sie sich in ihrer Betätigung auf den kleinen Kreis der ihnen nahestehenden Parteiblätter beschränken müssen. Das ist aber keine Folge der vom Parteivorstand oder von der "Konzentration" betriebenen Unterdrückungspolitik, sondern es ergibt sich eben aus der Tatsache, daß die gewaltige Mehrheit der Partei sich bisher nicht zu der Meinung der "Opposition" bekehrt hat.

Wir können es Frau Professor nicht klar machen, worum es bei der Erörterung der Frage Parteipresse und Parteidisziplin geht. Aber jeder von uns selbst muß wissen, um oft Gesagtes noch einmal zu wiederholen, daß unsere Partei kein Diskutierclub, sondern eine Kampforganisation ist. Meinungsverschiedenheiten sollen kameradschaftlich ausgetragen werden, solange wir in der Vorbereitung einer Aktion stehen. Die Aktion selbst muß einheitlich und geschlossen durchgeführt werden; wenn vorher kein Einheitsbeschluß erzielt werden konnte, so hat sich jeder von uns als Sozialist und Demokrat dem Willen der Mehrheit zu fügen. Die Presse unserer Partei aber ist kein Klavier, auf dem jeder nach Belieben seine Fingerübungen treiben darf. Die Zeitungen gehören nicht uns Redakteuren und Journalisten, sondern sie stehen im Dienste der Partei, sie sind die Waffen der Partei.

Wir haben die größte Hochachtung vor der Weisheit eines Professors, noch dazu, wenn dieser Professor eine Frau ist. Aber man wird uns schon gestatten müssen, den Zusammenhang zwischen Parteipresse und Parteidisziplin so zu sehen, wie es den Bedürfnissen des proletarischen Kampfes entspricht. Wir begrüßen jeden, der mit uns arbeitet und ringt; aber wir lehnen jene ewig mißverstandenen Individualitäten ab, die in der Partei ihre Komplexe abreagieren wollen.