Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung


Online-Edition wichtiger Beiträge Eugen Pragers in der sozialdemokratischen Presse.

    Dokument:

    Der lange Weg : Briefe, die sie nicht erreichten / Eugen Prager - [Electronic ed.], 1931 - 12 KB, Text
    In: Vorwärts. - 48 (4. Juli 1931) 307
    Electronic ed.: Bonn : FES Library, 2006


Der lange Weg
Briefe, die sie nicht erreichten

Von Eugen Prager

"Das Reichsfinanzministerium wird nunmehr dem Vernehmen nach durch einen Einschreibebrief die Empfänger hoher Pensionen auffordern, freiwillig auf einen Teil ihrer Bezüge zu verzichten."
"Der Deutsche", 14. Juni 1931

"Von diesem Sachverhalt wird die Reichsregierung die hohen Pensionsbezieher in Kenntnis setzen und sie fragen, welche Konsequenzen sie daraus zu ziehen gedächten. Die Antworten werden zweckmäßig der Öffentlichkeit zugänglich gemacht."
Reicharbeitsminister Dr. Stegerwald an den Generalsekretär der Zentrumspartei Dr. Bockel.

Es ist ein langer Weg vom Reichsarbeitsministerium zum Reichsfinanzministerium, von hier zum Reichskabinett und von da schließlich bis zu den Höchstpensionsempfängern. Sind die eingeschriebenen Briefe abgegangen? Hat die Reichspost sie richtig mit Empfangsbestätigung an die Adressaten befördert? Welche Antworten sind darauf eingegangen? Wie hoch sind die Beträge, die durch den freiwilligen Verzicht der Großpensionäre auf einen Teil ihrer Bezüge dem Reich schon zugeflossen sind oder noch zufließen werden? Man fragt vergeblich viel, um keine Antwort zu erhalten. So lang auch der Weg nach Tipperary ist, von dem das englische Soldatenlied singt, noch viel, viel länger ist der Weg von der Not des Volkes zu den Geldbeuteln der Leute mit den hohen Pensionen und noch höheren Nebenverdiensten.

In dem Schreiben des Reichsarbeitsministers Dr. Stegerwald ist außer von den Einschreibebriefen noch davon die Rede, daß auch auf die Parteien des Reichstags nachdrücklich eingewirkt werden soll, daß sie das Pensionskürzungsgesetz baldigst mit der notwendigen Zweidrittelmehrheit verabschieden. Das ist eine Anspielung darauf, daß man vergeblich den Großpensionären nur mit einer Aenderung der Reichsverfassung zu Leibe gehen könne. Es ist hier wie immer: Sobald es sich um die wohlerworbenen Rechte der minderbemittelten Volksschichten handelt, sind die Bestimmungen der Verfassung nur Zwirnsfäden. Handelt es sich aber um die Interessen der besitzenden Klasen, so werden die Verfassungsbestimmungen zu dicken Tauen, zu deren Schutz die Juristerei des ganzen Reiches aufgeboten wird.

Wie aber stehen die Parteien des Reichstags zu der Angelegenheit der Höchstpensionen, die sich mit der Zeit zu einem öffentlichen Skandal auswächst? Dazu sei vorerst festgestellt, daß die Sozialdemokratische Partei schon seit vielen Jahren für die Beseitigung dieses Skandals kämpft. In die Personalabbauverordnung vom 23. Oktober 1923 ist auf Betreiben der sozialdemokratischen Minister unter der Kanzlerschaft Stresemanns eine Kürzung der Pensionen veranlaßt worden, wenn der Pensionsempfänger neben seinen Versorgungsgebührnissen noch ein weiteres steuerbares Privateinkommen von mehr als 235 Mark monatlich bezog. Diese Pensionskürzung ist im Jahre 1925 auf Veranlassung des deutschnationalen Reichsfinanzministers von Schlieben gegen den Widerspruch der Sozialdemokratie mit den Stimmen der Deutschnationalen, der Demokraten, der Deutschen und der Bayrischen Volkspartei, sowie eines Teiles des Zentrums wieder aufgehoben worden. Im Jahre 1927 orderte die sozialdemokratische Reichtagsfraktion erneut die Kürzung der hohen Pensionen, wenn daneben noch Privateinkommen vorlag. Das ist von allen Parteien rechts von der Sozialdemokratie abgelehnt worden. In der Wahlbewegung vom Frühjahr 1928 brachte die Wirtschaftspartei einen Agitationsantrag ein, wonach Pensionen über 12 000 Mark nicht mehr gezahlt werden und die dadurch erzielten Ersparnisse für die notleidenden Rentner verwertet werden sollen. Mit Hilfe der Sozialdemokratie fand dieser Antrag Annahme, er ist jedoch niemals verwirklicht worden, da sich weder die Wirtschaftspartei noch ihr Reichsjustizminister Dr. Bredt darum kümmerte.

Im Frühjahr 1930 ging die Sozialdemokratie mit einem neuen Initiativgesetzentwurf gegen den Skandal der hohen Pensionen vor. Um den bürgerlichen Parteien die Ablehnung dieses Gesetzes so schwer wie möglich zu machen, hatte die Sozialdemokratie bei seiner Formulierung mit Vorbedacht eine gewisse Mäßigung beobachtet. Gegen das Widerstreben der bürgerlichen Parteien erzwang die Sozialdemokratie die Beratung ihres Antrags. Hören wir, wie die Debatte darüber verlief. Als Redner der deutschnationalen Fraktion trat Herr von Troilo auf, der als Bergewerksbesitzer ein Einkommen von sicher mehr als 30 000 Mark bezieht. Daneben hat er noch als ehemaliger Oberst eine Pension von rund 9000 Mark im Jahre. Herr von Troilo erklärte, daß die Kürzung der Höchstpensionen gegen Treu und Glauben verstoße, daß sie Nichtstuer vor den Arbeitsamen bevorzuge, daß also der sozialdemokratische Gesetzentwurf unmoralisch sei. Der Abgeordnete Lucke von der Wirtschaftspartei, Hausbesitzer, Oberinspektor und demnach künftiger Pensionsempfänger, erklärte, daß "Pensionen ein zurückgehaltener und demnach aufgesparter Teil des Gehalts" seien, die nicht gestürzt werden dürften. Vertreter der Deutschen Volkspartei war Herr Brüninghaus, pensionierter Admiral und gutbezahltes Mitglied des Aufsichtsrates eines großen Zigarettenkonzerns. Er beklagte es, daß "gegen die Pensionäre auch eine Art Psychose entstanden" sei. Die Demokraten, die Bayrische Volkspartei und das Zentrum haben sich damals vollkommen ausgeschwiegen. Die Auflösung des Reichstags verhinderte die Erledigung des sozialdemokratischen Antrags.

Im Dezember 1930 ging dem Reichstag eine Vorlage der Regierung zu. An die Lösung der beiden Hauptfragen: Kürzung der Doppeleinkommen und Bestimmung einer Höchstpension wird hier mit der größten Rücksichtnahme herangegangen. Inzwischen waren die Nationalsozialisten mit 107 Mann im Reichstag erschienen. Diese Herren beteuern zwar unaufhörlich, daß ihr Herz nur für die Massen des Volkes schlage. Jetzt aber, wo gehandelt werden müßte, machten sie der Erledigung der Regierungsvorlage die größten Schwierigkeiten. Ihr Redner, der Abgeordnete Sprenger, Postbeamter von Beruf, behauptete, der Entwurf sei ein Ergebnis der Beamtenhetze und ein Strohhalm, an den sich der Finanzminister klammere. Auch bei den Großpensionen handle es sich um ein Grundrecht der Beamtengesetzgebung, auch der höchste Beamte habe "grundsätzlich Anspruch auf eine seiner Prämie entsprechende Höchstpension". Die deutschnationalen lehnten die Vorlage, die ihr Redner als eine Ungeheuerlichkeit bezeichnete, von vornherein ab. Auch aus der Rede des volksparteilichen Abgeordneten Morah konnte man nur ein Nein heraushören. Der Abgeordnete Lucke von der Wirtschaftspartei erklärte, daß seine Partei die erste wäre, die diesen Entwurf in die Wolfsschlucht werfen würde, wenn wir uns nicht in so furchtbarer Not befänden. Die Redner des Zentrums und der Staatspartei begrüßten den Entwurf und stellten ihre positive Mitarbeit im Ausschuß in Aussicht. Die Vorlage ist bisher nicht verabschiedet worden.

Inzwischen aber beziehen die Generale, die Admirale, die kaiserlichen Minister und ähnliche Würdenträger ihre Höchstpensionen weiter, sie sitzen in den Aufsichtsräten der Aktiengesellschaften, sie verfügen daneben noch über hohe Einkommen aus mobilem und immobilem Besitz, Aus ihren "wohlerworbenen Rechten" lassen sie sich nicht vertreiben, auch wenn Millionen von Volksgenossen von ihrem kargen Einkommen immer noch weitere Opfer bringen sollen. Es werden Ministerreden gehalten, es werden eingeschriebene Briefe geschrieben oder nicht geschrieben. All das rührt diese Herrschaften nicht. Wie lange soll dieser Skandal noch dauern?

Vorwärts, Berliner Volksblatt, Zentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, Sonnabend, 4. Juli 1931, Nr. 307, A 155, 48. Jahrgang