Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung


Online-Edition wichtiger Beiträge Eugen Pragers in der sozialdemokratischen Presse.

    Dokument:

    Hermann Müller und die Presse / E.P. - [Electronic ed.], 1931 - 14 KB, Text
    In: Mitteilungen des Vereins Arbeiterpresse. - 31 (1. April 1931), 312, S. 1-2
    Electronic ed.: Bonn : FES Library, 2006


Hermann Müller und die Presse

Auch die Presse der Arbeiterschaft trauert um Hermann Müller als einen ihrer besten und treuesten Freunde. Auf welchen Posten Hermann Müller immer gestellt worden ist, die Verbindung mit dem gedruckten Wort hat er nie verloren. Er wußte, welche Bedeutung das Zeitungswesen für die Gestaltung der öffentlichen Meinung hat, und für ihn war es gewiß kein nebensächlicher Vorgang, wenn er beispielsweise in seinem Buch über die Novemberrevolution erzählt, wie er in den Zug gestiegen war, der ihn zu den revoltierenden Matrosen in Kiel bringen sollte und er sich unterwegs der Lektüre eines Paketes am Morgen angekommener Zeitungen widmete. Im Handbuch des Vereins Arbeiterpresse berichtete er allerdings nur, daß er Handlungsgehilfe, Redakteur, Reichsminister, Reichskanzler gewesen ist. Wir erfahren noch, daß er von 1899 bis 1906 Redakteur der "Görlitzer Volkszeitung" war. Kein Wort über die reiche schriftstellerische Arbeit dieses Mannes. Nichts über die Rolle, die Hermann Müller im Leben der Parteipresse gespielt hat. Er gehörte, wie in so vielen anderen Dingen, auch hier zu jenen Menschen, die ihr Licht unter den Scheffel stellen.

Der junge Handlungsgehilfe fand in Breslau, als er um die Jahrhundertwende aus Südwestdeutschland dorthin verschlagen wurde, in der Partei ein reges geistiges Leben vor. Aus der schlesischen Provinzialhauptstadt stammen viele Männer, deren Namen in der deutschen Arbeiterbewegung einen vollen Klang gewonnen haben. An der Spitze Ferdinand Lassalle, auf dessen Grab die Breslauer Proletarier noch heute Blumen der Liebe und Anhänglichkeit niederlegen. Der Rahmen, in dem sich das damalige Breslauer Parteileben abspielte, konnte freilich keine besondere Anziehungskraft ausüben. Die großen Lokale waren der Arbeiterschaft verschlossen, die Parteiversammlungen mußten in einer Herberge am Neumarkt abgehalten werden, wo in einem engen mit Rauch gefüllten Raume der Kellner mit den ortsüblichen Schnapsbuddeln herumging. Hier hatte Hermann Müller die rednerische Führung der radikalen Mehrheit, die gegen den von Bernstein gepredigten Revisionismus vorging. Bald wurde er Mitarbeiter der "Volkswacht"; daß er dabei große Honorare erntete, ist kaum anzunehmen. Man schrieb für die Zeitung und nicht, um daran Geld zu verdienen. Als für das Kopfblatt in Görlitz ein Lokalredakteur gesucht wurde, fiel die Wahl auf Hermann Müller.

In Görlitz blieb er sieben Jahre, bis er von Bebel in den Parteivorstand geholt wurde. Das war ein unerhörter Sprung, denn in der Leitung der Partei saßen Bebel und Singer und wenn man zu jener Zeit auch die persönlichen Verhältnisse in der Bewegung noch besser überblicken konnte als heute, so wußten doch nur wenige etwas über den jungen Redakteur und Stadtverordneten aus Görlitz. Im Parteivorstand hatte er das Dezernat für die Parteipresse. Schon ein Jahr nach seiner Berufung wurde ihm für den Parteitag in Essen, September 1907, die Berichterstattung über das zu gründende Nachrichtenbüro übertragen. Es ist auch heute noch außerordentlich bemerkenswert, welche Stellung Hermann Müller zur Parteipresse im Reich eingenommen hat. Er führte in Essen folgendes aus:

"Wer weiß, wie unsere kleinere und mittlere Parteipresse unter der schweren Konkurrenz der bürgerlichen Presse zu leiden hat, dem wird ohne weiteres klar werden, daß mit der Errichtung eines solchen Büros vorgegangen werden muß. (Sehr richtig!) Unzweifelhaft wird die Zahl derer immer größer, die von ihrer Zeitung nicht nur eine bestimmte politische Meinung oder auch keine Meinung verlangen, sondern vor allem auch ist das Bedürfnis, möglichst schnell Nachricht zu bekommen, mit der Zeit mehr und mehr gewachsen. Die Einrichtungen und Erfindungen auf dem Gebiete der Zeitungstechnik müssen also soviel ausgenutzt werden, wie sie überhaupt ausgenutzt werden können. (Sehr richtig.) Dazu kommt, daß gerade unsere sozialdemokratische Presse beengt ist in der Werbung von Abonnenten, daß die Blätter, die sich allmählich heraufgearbeitet haben, den Lesern an den verschiedenen Orten ihres Verbreitungsbezirks heute Konzessionen machen müssen, die die bürgerlichen Blätter nicht notwendig haben. Eine ganze Reihe mittlerer Blätter haben einen so frühen Redaktionsschluß, daß schon allein dadurch die Konkurrenz gegenüber der bürgerlichen Presse erschwert wird. Aber der Redaktionsschluß muß so frühzeitig sein, damit das Blatt noch an demselben Tage in einer ganzen Reihe von Orten in die Hände der Leser gelangen kann.

In der Debatte in der Presse ist die Frage aufgeworfen worden, ob unsere Parteipresse eine Prinzipienpresse oder eine Nachrichtenpresse sein soll. Dieser Gegensatz ist herübergekommen aus den Verhältnissen der bürgerlichen Presse. Es ist aber falsch, einen solchen Gegensatz in bezug auf unsere Presse festzustellen. Daß unsere Parteipresse in erster Linie Prinzipienpresse sein muß, das ist eine Frage, die man nicht mehr diskutiert (Sehr richtig); die auch nicht mehr der Dekretierung bedarf, eine Frage, die durch § 23 unseres Organisationsstatuts bereits beantwortet ist, die also vollständig ausscheidet. Wir haben uns nur damit zu beschäftigen, wie weit es unter den gegebenen Verhältnissen möglich ist, unsere Presse auf allen möglichen, mit unseren Prinzipien zu vereinbarenden Wegen mit Nachrichten zu versehen. Ich habe aus der Zeit her, wo ich noch in Breslau wohnte, in enger Fühlung mit unserem leider zu früh verstorbenen Schönlank gestanden. Wer seine Tätigkeit kennt, der weiß, daß er gerade deshalb als der moderne Zeitungsmensch gefeiert wird, weil er es verstanden hat, unsere Prinzipienpresse so gut als möglich auch noch zu einer Nachrichtenpresse zu machen im Rahmen unseres Prinzips. In den Abonnementseinladungen der "Leipziger Volkszeitung" aus den Jahren 1894/95, die unter Schönlanks Leitung erschienen, wird immer auf diese Nachrichten aufmerksam gemacht. In einer Einladung z. B. heißt es: "Originalberichte und ein guter telegraphischer Nachrichtendienst werden gut und zweckmäßig die Leser unterrichten." (Hört, hört!) In einer anderen Einladung wird gesagt: "Sie bemüht sich durch telegraphischen und Korrespondenzdienst über alle wichtigen Ereignisse schnell und gründlich zu unterrichten." Da haben sie also schon 1894/95 ausgesprochen, was jetzt für die gesamte Parteipresse durchgeführt werden soll.

..... Dann ist der Vorlage der Vorwurf gemacht, daß sie die Tendenz habe, eine Normalzeitung der Zukunft zu schaffen. Ich sehe nicht so schwarz. Wir haben heute schon eine sehr weitgehende Uniformierung unserer Parteipresse. (Sehr wahr!) Ich glaube nicht, daß es in der Beziehung schlimmer wird, im Gegenteil, das Büro, das den Redakteuren zeitig genug Rohmaterial für ihre Arbeiten schaffen soll, soll ja gerade verhindern, daß in Zukunft noch weiter so mit Korrespondenzen gearbeitet werden muß, wie es heute leider bei kleinen Blättern notwendig ist. Ich unterschätze die Schwierigkeiten nicht, ich weiß, wie wenig Stunden den meisten Redakteuren zur Verfügung stehen, wie es ihnen kaum möglich ist, die Berliner Abendblätter zu bearbeiten, aber gerade deshalb müssen wir dafür sorgen, daß unsere Parteiredakteure schneller und mit besserem Material an die Bearbeitung der Nachrichten herangehen können..."

Man sieht, daß schon damals die Probleme galten, über die wir uns noch heute den Kopf zerbrechen. Auf Vorschlag Hermann Müllers wurde die Einrichtung eines Preßbüros beschlossen, das die Aufgabe haben sollte, wichtige Nachrichten und Mitteilungen politischer, sozialer und wirtschaftlicher Natur an die Parteipresse zu übermitteln, gesetzgeberisches und statistisches Material für die Parteipresse zu beschaffen und eine Parteikorrespondenz herauszugeben. Ausgeschlossen sollte sein die Lieferung politischer Leitartikel, sowie die Behandlung parteitaktischer und parteitheoretischer Fragen. Das Preßbüro der Vorkriegszeit unterschied sich also von unserem heutigen Pressedienst vor allem darin, daß es eine Einrichtung der Gesamtpartei war, wogegen wir jetzt ein Kollektivunternehmen der Parteipresse haben.

Wenn auch Hermann Müller in der Nachkriegszeit durch seine vielseitige amtliche Tätigkeit, durch seine Stellung als Vorsitzender der Partei und der Reichstagsfraktion aktiv mehr in die Angelegenheiten der Parteipresse eingreifen konnte, so hat er doch seine journalistische Tätigkeit wohl kaum unterbrochen. Zahllose Aufsätze sind unter seinem Namen erschienen, nicht viel weniger aber wurde gedruckt, ohne daß seine Verfasserschaft bekanntgeworden ist. Junge Kräfte wurden von ihm gefördert, zahllose Anregungen gingen von ihm aus, ohne daß er viel Aufhebens davon machte. Sein Pflichtgefühl der Parteipresse gegenüber hat ihn bis zuletzt nicht verlassen. Als die "Rheinische Zeitung" vor mehreren Wochen aus Anlaß ihres bevorstehenden Umzugs in ein neues Druckgebäude eine Reihe bekannter Parteigenossen um ihre Mitarbeit für die Festnummer ersuchte, war Hermann Müller der erste, der seinen Beitrag ablieferte.

Hermann Müller war gewiß auch als Journalist keine blendende Erscheinung, die auf den ersten Blick fesselte und mitriß. Aber in allem, was er schrieb, steckte eine Fülle von Wissen und praktischer Lebenserkenntnis. Niemals wollte er den, der in der Partei anderer Meinung war, verletzen und niederschlagen, immer versuchte er, ihn zu überzeugen und für sich zu gewinnen. Und so wird sein Bild bei uns weiter leben, so wird es weiter wirken auch über unsere Generationen hinaus!

E.P.