Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung


Online-Edition wichtiger Beiträge Eugen Pragers in der sozialdemokratischen Presse.

    Dokument:

    Mehr Interesse für die Agitation! / E.P. - [Electronic ed.], 1931 - 11 KB, Text
    In: Mitteilungen des Vereins Arbeiterpresse. - 31 (1. März 1931), 311, S. 1-2
    Electronic ed.: Bonn : FES Library, 2006


Mehr Interesse für die Agitation!

Vor kurzem hat der Parteivorstand feststellen müssen, daß der Aufruf am 1. Februar, "Wo bleibt der zweite Mann?", in einer Reihe von Parteizeitungen nicht an der Spitze des Blattes gebracht worden sei, wie dies erbeten wurde. Einige Zeitungen haben den Aufruf überhaupt nicht gebracht, und einige haben ihn in den Inseratenteil gestopft. Das alles ist geschehen, nachdem Genosse Fr. Heine in der Januarnummer der "Mitteilungen" ganz ausführlich über diese Dinge gesprochen hatte.

Es scheint, als ob selbst der Einfluß des Parteivorstandes auf einen Teil unserer Zeitungen außerordentlich gering ist. Das spricht zwar dafür, daß von einer Diktatur des Parteivorstandes über die Parteipresse keine Rede sein kann. Aber das zeugt doch zugleich davon, daß in einzelne Redaktionen das aufwühlende Interesse für die Werbearbeit unserer Partei noch immer nicht eingedrungen ist.

Einige neue Beispiele. Am Freitag, dem 13. Februar, hat der Parteivorstand einen kurzen Aufruf verbreitet, der in der Sonntags-Ausgabe veröffentlicht werden sollte. Auch ohne daß dazu besonders aufgefordert werden mußte, gehörte dieser Aufruf auf die erste Seite der Zeitung; es war ebenso selbstverständlich, daß die wirkungsvollste Aufmachung gewählt werden mußte. Eine Zeitung bringt auf der ersten Seite links einen politischen Salat "Blüten der Woche", rechts einen Artikel "Zu Lessings 150. Todestag". Auf der zweiten Seite finden wir endlich den Aufruf des Parteivorstandes in durchschossenem Petitdruck. Es hat nicht einmal zu fettem Satz gelangt, geschweige denn, daß man sich in der Redaktion oder in der Setzerei irgendwelches Kopfzerbrechen über die technische Gestaltung gemacht hätte. Der Leser mußte den Eindruck gewinnen, daß die Redaktion lediglich eine unangenehme Pflicht erfüllt hat.

Eine andere Zeitung bringt über die ganze erste Seite eine Schlagzeile "Ein Aufruf des Parteivorstandes". Darunter folgt dann der Aufruf selbst. Die Ueberschrift lautete aber "An die deutsche Arbeiterschaft", was soviel bedeutete, daß der Parteivorstand sich nicht nur an unsere organisierten Parteigenossen, sondern an das ganze Proletariat wenden wollte. Durch die neue Balkenüberschrift konnte es jedoch scheinen, als ob der Aufruf nur von denen gelesen werden sollte, die zu den getreuesten Anhängern des Parteivorstandes gehören.

Daß manche andere Parteizeitung sich nicht die geringste Mühe bei der Aufmachung gegeben hat, sei nur nebenher erwähnt. Wir wissen, daß in sehr vielen unserer Zeitungen die Redaktionen schwach besetzt sind und daß die Zeit für die Bearbeitung des einlaufenden Materials gering bemessen ist. Aber eine Viertelstunde müßte stets zu erübrigen sein, um mit dem Metteur zusammen das beste und wirksamste Schriftenmaterial herauszusuchen, damit die Aufmerksamkeit alle Leser auf den Anruf hingelenkt wird.

Weiter: Wir nehmen an, daß in allen Parteiredaktionen die nationalsozialistische Presse aufmerksam verfolgt wird. Es muß sich also auch unter unseren Kollegen schon herumgesprochen haben, daß die Hakenkreuzler über den Verlauf ihrer Versammlungen anders berichten, als wir es seit Jahrzehnten zu tun gewohnt sind. Die Reden Hitlers werden natürlich ausführlich wiedergegeben. Alle anderen Versammlungsberichte erscheinen unter einer Balkenschrift, mit Ueber-, Unter- und Zwischenzeilen. Keine "Riemen" und "Bandwürmer", sondern das für die hakenkreuzlerische Agitation Wesentliche schlagkräftig zusammengefaßt. Es bleibe dahingestellt, ob die Meldungen über den glänzenden Verlauf der nationalsozialistischen Versammlungen den Tatsachen entsprechen. Der Leser soll aber auf jeden Fall glauben, daß der Siegeszug der nationalsozialistischen Bewegung nicht mehr aufzuhalten sei.

Wir müssen uns jetzt einer kleinen Indiskretion schuldig machen. In einem Rundschreiben an die Bezirksvorstände vom 6. Februar stellte der Parteivorstand folgendes fest: "Wir haben zurzeit ein Versammlungsleben, das geradezu beispiellos in der Geschichte der Partei genannt werden kann. Die Einheit und Geschlossenheit aller Zweige der Arbeiterbewegung tritt in der Abwehrbewegung des nationalsozialistischen Rowdytums aufs stärkste in Erscheinung. Leider kommt das der deutschen Oeffentlichkeit nicht in vollem Maße zu Bewußtsein. Während die Nationalsozialisten in ihrer Presse über ihre Versammlungen im Reiche regelmäßig Berichte bringen, versagt unsere Presse auf diesem Gebiete nahezu vollständig."

Am Donnerstag, dem 12. Februar, brachte der "Sozialdemokratische Pressedienst" den ersten Sammelbericht über das Versammlungsleben der Sozialdemokratischen Partei. In jeder Redaktion mußte man wissen, welcher Zweck damit erreicht werden sollte. Auch hier also war besondere Sorgfalt bei der Auswahl der Schrift und der Platzanordnung vonnöten. Was geschah? Häufig wurde der Aufsatz so in den Satz gegeben, als ob es sich um einen Leitartikel handelte, den kein Mensch zu lesen braucht. Die Veröffentlichung erfolgte an irgendeiner abgelegenen Stelle. Einige Blätter setzten das Zeichen "SPD." vor, in einer Zeitung war zu lesen: "Der Parteivorstand teilt mit". Das konnte von der Mehrzahl der Leser nur so aufgefaßt werden, als ob hier eine parteioffiziöse Nachricht veröffentlicht werde, die nicht hundertprozentig ernst zu nehmen sei.

So geht das doch wirklich nicht! Wir wollen gewiß nicht Splitterrichter der eine über den anderen sein. Aber soviel kann die Gesamtpartei von uns allen verlangen, daß wir den lebhaftesten Anteil unserer Werbearbeit nehmen und daß die Absichten der für die Agitation verantwortlichen Instanzen in der Presse bis auf den letzten Buchstaben zur Wirkung gebracht werden. Wir mögen auch noch so gute Journalisten sein: Wenn wir nicht zugleich und zuerst gute Parteifunktionäre sind, dann können wir die unserer Presse gestellten Aufgaben nicht erfüllen!

Noch schlimmer, noch viel schlimmer steht es freilich um die Behandlung der Werbeschriften der Partei in unserer Presse. Die Werbeabteilung hat eine ganze Reihe ausgezeichneter Broschüren herausgebracht; andere wertvolle Literatur für die Partei ist im Dietz-Verlag, auch in den anderen Verlagen der Partei erschienen. Die Waschzettel werden pflichtgemäß abgedruckt, zuweilen an sichtbarer Stelle und in besonderer drucktechnischer Ausstattung; zumeist aber verschwinden sie in irgendeine abgelegene Ecke des Blattes. Sie werden als Füller behandelt, deren gelegentliche Verwendung man dem Metteur überläßt. Eine selbständige empfehlende Bearbeitung des Werbematerials kann man mit der Laterne suchen. Der Leser darf zwar tiefgründige Aufsätze über die Kabinettumbildung in Frankreich, über die schwierige Lage in Spanien, über die Vorgänge in Vorderasien und in Südamerika lesen. Vergebens wartete man bisher auf den Tag, an dem der erste Leitartikel über neuartige Werbeliteratur veröffentlicht worden wäre.

"Kein Klang der aufgeregten Zeit
Drang noch in diese Einsamkeit."

Das ist von Theodor Storm, nicht von E.P.