Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung


Online-Edition wichtiger Beiträge Eugen Pragers in der sozialdemokratischen Presse.

    Dokument:

    Der Zusammenhang mit den Massen / Eugen Prager - [Electronic ed.], 1930 - 17 KB, Text
    In: Mitteilungen des Vereins Arbeiterpresse. - 30 (1. Oktober 1930), 306, S. 1-2
    Electronic ed.: Bonn : FES Library, 2006


Eugen Prager, Berlin
Der Zusammenhang mit den Massen

Die Reichstagswahl vom 14. September hat wiederum gezeigt, daß die Zahlen der für die einzelnen Parteien abgegebenen Stimmen nicht im Einklang stehen mit der Auflage, der hinter ihnen stehenden Presse. Wir sehen hier das gleich Mißverhältnis zwischen Lesern und Wählern wie in England und Frankreich, wo die Arbeiterpartei und die Sozialistische Partei ihre Stellungen halten und ausbauen konnten, trotzdem hinter ihnen nur eine schwach entwickelte Presse stand. Auch in Deutschland haben diesmal die beiden Parteien mit den schlechtesten Zeitungsverhältnissen die größten Erfolge erzielen können. Wir sind weder über die Auflage der kommunistischen Presse, noch über die der Hakenkreuzler unterrichtet. Aber man kann wohl schätzen, daß auf einen Leser der nationalsozialistischen Presse 30 bis 35 Wähler, auf einen Leser der kommunistischen Presse etwa 15 Wähler entfallen, während auf einen Leser der sozialdemokratischen Presse 7 bis 8 Wähler kommen. Das Ergebnis wäre für die Kommunistische Partei noch ungünstiger, wenn man Berlin, wo es neben der offiziellen Zeitung der Kommunistischen Partei noch zwei getarnt kommunistische Blätter gibt, vom übrigen Reiche trennen würde. Auf der anderen Seite haben weder die Deutsche Volkspartei noch die Deutsche Staatspartei ihre Niederlage verhindern können, trotzdem für sie die bedeutendsten und am weitest verbreiteten Zeitungen geworben haben.

Es müssen also andere Faktoren das Wahlergebnis weit stärker beeinflußt haben, als es die Presse tun konnte. Wir haben schon im Dezember 1929, nach dem Abschluß der Kommunalwahlen, darauf hingewiesen, daß es vor allem die sozialen Bedingungen sind, die auf die Willensbildung der Wähler einwirken. Es ist gewiß nicht so, daß die Leser ihren Zeitungen überhaupt nicht glauben, und daß diesmal das bekannte Wort "gelogen wie gedruckt" zum Ausdruck gekommen wäre. Man wird allerdings annehmen müssen, daß der indifferente Durchschnittsleser seiner Zeitung nur die Tatsachen des wirtschaftlichen und politischen Lebens entnimmt, daß er sich aber die Frage, welche Partei er nun wählen soll, nicht mehr von der Presse vorschreiben läßt. Die Beeinflußung des Wählers vollzieht sich in zunehmendem Maße im Betrieb, auf der Straße, in der Familie, auf den Arbeitsnachweisen, in den unpolitischen oder halbpolitischen Vereinen und Organisationen. Die Einflüsse, die von diesen Stellen ausgehen, sind in wirtschaftlichen Krisenzeiten besonders stark. Um nur einige Punkte anzuführen: Der Arbeitslose sieht doch, daß er immer weiter ohne Beschäftigung bleibt und daß die Unterstützungseinrichtungen noch verschlechtert werden; der Kranke merkt es deutlich, wenn er 50 Pf. für den Krankenschein und dann noch ebenso viel für die Ausführung des Rezepts zahlen soll; der Ledige spürt es, wenn ihm noch mehr als bisher an Steuern abgezogen wird; der Beamte wird gewiß nicht froh dadurch, daß er die Reichshilfe zahlen muß. Hier nützen keine noch so schönen Abhandlungen über Ursache und Schuld. Der indifferente Wähler sieht nur, daß ihm das heutige staatliche System diese Lasten auflegt, und er ist daher leicht von denen zu gewinnen, die ihm ein "Drittes Reich" oder ein "Sowjetdeutschland" versprechen, in denen sich solche Dinge nicht mehr ereignen würden.

Es ist nicht unsere Aufgabe, über Organisation und Wahl zu sprechen oder gar eine Diskussion darüber zu eröffnen, welchen Einfluß die bisherige Taktik der Sozialdemokratischen Partei auf das Wahlergebnis gehabt hat. Wir beschränken uns auf die Frage, ob es auch für die sozialdemokratische Presse zutrifft, daß sie den Zusammenhang mit den Massen der Wähler verloren hat. Wir dürfen diese Frage so beantworten, daß es uns wohl gelungen ist, die geistige Verbindung mit den Wählern, die bisher der Sozialdemokratie gefolgt waren, zu erhalten. Zugleich aber wollen wir es uns nicht verschweigen, daß es uns nicht gelungen ist, unseren Einfluß auf neue Wählermassen auszudehnen. Die Gefahr ist gewiß noch nicht akut, daß die Menge der sozialdemokratischen Zeitungsleser nicht der Anzahl der sozialdemokratischen Wähler entspricht. Aber eine andere Gefahr steht vor uns, daß es jetzt schwieriger als bisher wird, die uns noch fernstehenden proletarischen Massen durch die Presse für die Partei zu gewinnen.

In diesem Zusammenhang darf auf ein Buch hingewiesen werden, das Richard Lewinsohn, der Leiter des Handelsteils der "Vossischen Zeitung", als Morus aus der "Weltbühne bekannt, kürzlich unter dem Titel "Das Geld in der Politik" herausgegeben hat. Wir geben aus dem Abschnitt "Die Parteipresse versagt" das Folgende wieder:

"In den drei ganz verschiedenen Lagern ist die Parteipresse in Deutschland noch dominierend: Auf der äußersten Rechten, bei den sozialistischen Arbeiterparteien und beim Zentrum. Die Nationalsozialistische Arbeiterpartei hat seit dem Wiederaufstieg der Hitler-Bewegung, etwa seit 1927, mit großem Eifer an dem Ausbau eines eigenen Presseapparates gearbeitet. Etwa 1929 verfügte sie bereits über drei Tageszeitungen und vierzig Wochenblätter, von denen die Hälfte offizielle Parteiorgane waren. Trotzdem ist es ihr nicht gelungen, sich eine wirklich große Presse zu schaffen, oder auch nur Blätter, die dem Anwachsen ihrer Anhängerschaft entsprechen.

Nicht besser ist es mit der Parteipresse auf der äußersten Linken bestellt. Die Kommunisten verfügen zwar über eine weit größere Zahl von Tageszeitungen, einige davon sind altes Erbgut, das bei der Spaltung der Sozialdemokratischen Partei und später der Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei den Kommunisten zugefallen ist. Trotz schärfster Werbearbeit der Parteiorganisation hat die kommunistische Parteipresse nirgends eine Verbreitung gefunden, die dem festen Stamm der Kommunisten, geschweige denn ihrem Millionenheer von Mitläufern entspricht. Gerade deshalb hat der Münzenberg-Konzern für seine freiere und geschicktere Propaganda auf der äußersten Linken ein so weites Betätigungsfeld gefunden.

Daß bei den extremen Flügelgruppen nicht etwa der rüde, blutrünstige Ton die Ursache des geringen Erfolges bildet, beweist die viel zahmere Presse der SPD. Die sozialdemokratische Presse offenbart die Mängel der reinen Parteizeitungen aufs deutlichste. Obwohl die Sozialdemokratie in den meisten deutschen Großstädten die weitaus stärkste Partei ist, verfügt sie in fast keiner dieser Städte über die am stärksten verbreitete Zeitung. Die rund 200 sozialdemokratischen Zeitungen, die es 1928 gab, hatten zusammen nur 1 ¼ Millionen Abonnenten, im Durchschnitt kamen also nur 6000 auf jedes Blatt.

Dabei hat die SPD. sich in den letzten Jahren eifrig bemüht, die Parteipresse organisatorisch zu reformieren, zu rationalisieren, zu modernisieren. Als Dachorganisation für die gesamte Parteipresse wurde die Konzentration A.-G. gegründet, die als Treuhandgesellschaft dient, den angeschlossenen Zeitungen und Druckereibetrieben Kredite beschafft, gelegentlich auch mit besonderen Missionen, wie mit dem Ankauf des Geburtshauses von Karl Marx in Trier, betraut wird. Auch eine eigene Anzeigengesellschaft für die Parteipresse, die Inseraten-Union G.m.b.H. wurde nach jahrelangen Erwägungen errichtet, ebenso Maternkorrespondenzen.

Trotzdem ergab sich in den gesamten Zeitungs- und Druckereiunternehmungen der Partei bei einem Umsatz von 75 Millionen Mark im Jahre 1928 nur ein buchmäßiger Reingewinn von 1,8 Millionen, der für die notwendigen Erneuerungen und Erweiterungen nicht ausreichte. Die Partei hat in den Jahren 1925 bis 1928 der Konzentration A.-G. noch über 3 Millionen Mark als Zuschuß für die Presse zur Verfügung stellen müssen. Das geschah zur selben Zeit, wo die privaten Zeitungskonzerne, namentlich die Generalanzeigerpresse, hohe Millionengewinne erzielten. Die Massenauflagen und dementsprechend auch die Gewinne der bürgerlichen Blätter sind begründet auf einer Leserschaft, die sich zum erheblichen Teil aus Anhängern der Sozialdemokratie rekrutiert. Die sozialdemokratische Parteipresse befindet sich ausschließlich im Besitz der Partei, und trotz aller Bemühungen die einzelnen Zeitungsverlage kaufmännisch zu führen, hemmt der Parteiapparat schon durch die Art der Redakteurauslese, durch das Bemühen, tüchtige Funktionäre in den Zeitungen unterzubringen den raschen Auftrieb der Presse."

Es soll hier nicht untersucht werden, ob diese Darstellung in allen Einzelheiten stimmt. Festzustellen wäre lediglich, daß die Gewinne der bürgerlichen Zeitungskonzerne nicht so sehr aus ihren hohen Auflagen, sondern im wesentlichen aus den Inseraten erzielt werden. Zudem ist bekannt genug, daß es mehrere sehr bedeutende bürgerliche Blätter in Deutschland gibt, die schon längst zusammengebrochen wären, wenn großkapitalistische Kreise sie nicht mit Riesensummen unterstützt hätten. Die Behauptung, daß bei der Auslese der Redakteure für die sozialdemokratische Presse der befähigte Journalist hinter dem "Funktionär" zurückstehen müsse, gehört zu den Dingen, die durch die ständige Wiederholung nicht an Glaubwürdigkeit gewinnen. Das Vorbild der demokratischen Presse, die an politischem Einfluß um so schneller verlor, je mehr sie den Nur-Journalismus pflegte, braucht uns nicht gerade zu begeistern.

Entscheidend für uns ist, daß die sozialdemokratische Presse das Spiegelbild ihrer Zeit und das Sprachrohr für die sozialen Nöte des Volkes bleiben muß. Und hier glauben wir feststellen zu müssen, daß wir in den letzten Jahren einen gewissen Tempoverlust erlitten haben. Der Einfluß der sozialdemokratischen Presse auf das öffentliche Leben der Vorkriegszeit beruht vor allem darauf, daß sie die schärfste Kritik an den gesellschaftlichen Zuständen übte. Wir standen dem wirtschaftlichen wie dem staatlichen System als unerbittliche Feinde gegenüber, wir waren die einzigen, die jede Verantwortung für Regierung und Verwaltung ablehnten. Heute ist das anders. Wir haben den neuen Staat schaffen helfen, wir tragen die Verantwortung dafür, daß er nicht zusammenbricht. Wir sitzen in Regierungen und Verwaltungen und müssen häufig die Verantwortung auch für solche Handlungen übernehmen, die nicht gerade volkstümlich sind. Wir müssen uns in der Kritik viel größere Zurückhaltung als ehedem auflegen. Um so leichter hat es die Presse der Parteien, die weder mit Verantwortlichkeit noch mit Gewissenhaftigkeit belastet sind. Leichter haben es auch die bürgerlichen Zeitungen, die rein journalistisch geleitet sind, also jedes Ereignis nur aus dem Gesichtspunkt behandeln, wie es sich in Sensation umsetzen lasse.

Auch diese Schwierigkeiten müssen von uns überwunden werden. Wir dürfen nicht nur die Staatserhaltung lehren, sondern sollen auch staatskritisch sein. Mäßigung und Besonnenheit sind gewiß sehr schöne Tugenden; aber als Presse einer Kampfpartei ziemt es uns, zuerst Kühnheit und Angriffsfreudigkeit zu zeigen. Es darf keine Kluft entstehen zwischen den Massen der Bevölkerung und den in höheren Funktionen stehenden Parteigenossen. Was für uns sozialdemokratische Redakteure soviel heißt, daß wir uns nicht als "Beamte" zu fühlen haben, die sich durch ihre Erfahrung und Weisheit vor allen anderen auszeichnen, sondern gleichverpflichtete Glieder der Organisation der Arbeiterbewegung bleiben müssen. Das bedeutet weiter, daß wir nicht nur redigieren, sondern noch viel mehr reportieren sollen. Wir dürfen nicht darauf warten, bis uns das Material zur Bearbeitung zugetragen wird; wir müssen es selbst: heranschaffen: die Quellen des sozialen Geschehens müssen zuerst für die sozialdemokratische Presse springen.

Die nächste Zeit wird voraussichtlich noch weitere Erörterungen über die Beziehungen zwischen Presse und Wahlen bringen. Wir haben sie mit allem Ernst zu führen, wir wollen nicht davor zurückschrecken, auch unsere eigenen Sünden aufzudecken. Nach einem alten englischen Sprichwort soll man mit der Heilung bei sich zu Hause beginnen. Auch wir sollten zuerst darüber nachdenken, wie es bei uns besser gemacht werden kann; um so leichter wird es uns fallen, die Gegner an ihren schwachen Stellen zu treffen.