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Dokument:
"Daily Herald" in neuer Form
/ E.P. - [Electronic ed.], 1930 - 10 KB, Text
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So etwa ist das Schema, nach dem wir unsere Zeitungen machen: 1. Seite Nachrichten aus der großen Politik und Leitartikel; 2. Seite Fortsetzung des Leitartikels, Entrefilets, politische Nachrichten; 3. Seite Hauptblatt kleinere Artikel, Nachrichten, Glossen politischer Art. Auf den übrigen Seiten des Blattes folgen, genau ausgerichtet wie das preußische Militär, die "Rubriken": Lokales, Umgegend, Gewerkschaftliches, Wirtschaft, Sport, Vermischtes, Feuilleton, Roman, Für die Frauen. Dieses Schema wird ja wohl auch unterbrochen, es kommt zuweilen vor, daß eine lokale Angelegenheit, ein Unglücksfall oder ein Boxkampf seinen Platz auf der ersten Seite des Hauptblattes findet. Es wird auch mehr "aufgemacht" als ehedem. Aber im allgemeinen lieben wir nicht den Wechsel in der Anordnung des Stoffes oder im Gebrauch der Schriftarten.
Von diesem Schema ist im "Daily Herald", dem Massenorgan der britischen Arbeiterpartei, nicht viel zu spüren. Für 1 Penny, also für 8 Pfennig, erhält der Leser eine Zeitung mit 20 Seiten in Riesenformat. Die technische Gestaltung der Zeitung ist ausgezeichnet. Auf allen Seiten finden wir Bilder, die größeren Aufsätze erscheinen mit den Photos der Verfasser oder der darin beschriebenen Personen. Der Satz setzt sich aus einer klaren Antiqua zusammen, die in verschiedenen Graden gebraucht wird, je nach der Bedeutung der Nachricht oder des Artikels. In den Ueberschriften wird auch eine Kursivschrift angewendet. Diese Ueberschriften sind ein Kapitel für sich. Wir kennen sie zwar schon aus der amerikanischen und englischen Presse; aber uns ist es noch immer ungewohnt, daß jede Ueberschrift bei wichtigen Nachrichten oder größeren Aufsätzen aus drei, vier Zeilen besteht. Im allgemeinen trägt "Daily Herald" den Charakter der Boulevardblattes, das also vor allem im Straßenverkauf und weniger im steten Abonnement abgesetzt wird. Uns gefällt diese Art nicht so recht; aber gefällt sie dem Leser? Läßt sie sich auch auf Deutschland übertragen?
Die beste Antwort auf diese Frage gibt "Daily Herald" selbst. In einer Notiz wird mitgeteilt, daß die erste Ausgabe des neuen Blattes in einer Auflage von über 1 Million erschienen und überall ausverkauft gewesen sei. Alle Klassen der Bevölkerung hätten das neue Blatt verlangt. Auf Bildern wird gezeigt, wie ein "Girl" am Strand, einer der Londoner Hauptstraßen, die Zeitung kauft; wie ein Chauffeur auf seinem Sitz den "Herald" liest; wie ein eifriger Leser das Organ der Arbeiterpartei auf einer Straßenkreuzung vor sich hin trägt. Redaktion wie Verlag scheinen alle Anstrengungen zu machen, um nicht nur zum einmaligen, sondern zum dauernden Kauf des Arbeiterblattes anzuregen. Man kann sicher erwarten, daß die Zeit, in der die größte Partei Englands ohne eine weit verbreitete Presse war, vorüber ist.
Es ist richtig, daß "Daily Herald" kein ausschließlich politisches Organ ist. Die große Politik wird sogar, was die Platzordnung anlangt, von uns aus gesehen, etwas stiefmütterlich behandelt. Man geht im "Daily Herald" von der Auffassung aus, daß alle wichtigen Ereignisse den gleichen Rang beanspruchen; man teilt dort nicht mit uns die Meinung, daß der Politik unter allen Umständen der Vorrang vor allen anderen Angelegenheiten des öffentlichen Lebens eingeräumt werden muß. Das Blatt soll eben in "alle Klassen" der Bevölkerung dringen, es ist nicht allein für die Arbeiterschaft bestimmt; wie ja auch Labour-Party recht übersetzt nicht Arbeiterpartei, sondern Arbeitspartei bedeutet. Aber man findet doch noch genug Politik im "Daily Herald"; es erscheinen Aufsätze über die wichtigsten politischen Vorkommnisse, wir finden zahlreiche politische Glossen, Nachrichten und Bilder, allerdings noch mehr Beiträge unpolitischer Art aus allen Gebieten des menschlichen Daseins.
Wir werden auch bei uns sicher zu einer noch lebendigeren Gestaltung unseres Zeitungswesens kommen. Dazu zwingt uns schon die mit großer Schnelligkeit vor sich gehende technische Entwicklung in der Herstellung der Zeitungen, die ihre Wirkung bald auch außerhalb der Großstädte zeigen wird. Die kritiklose Nachahmung des englischen Beispiels wäre aber schon deshalb unmöglich, weil die soziale Struktur unseres Landes und das kulturelle Bedürfnis der breiten Massen unseres Volkes doch noch komplizierter ist als in England. Ganz Großbritannien ist eigentlich nur ein größeres London; mag es auch noch einige örtlichen Besonderheiten geben, so liest, hört und sieht doch der Bewohner eines Industriebezirks oder eines Landorts das gleiche wie der der Hauptstadt. Die Nivellierung des öffentlichen Lebens in England war schon vor dem Kriege deutlich sichtbar. Sie ist seitdem noch weiter fortgeschritten. Es gibt zwar eine große Anzahl lokaler Zeitungen, aber ihre Bedeutung ist weit geringer als bei uns, die große Londoner Presse dringt noch ganz anders als unsere große Berliner Presse in das Land ein.
Soweit wir aus dem neuen "Daily Herald" etwas lernen könnten, so würde sich das vorläufig nur auf unsere großstädtische Presse beziehen, deren Leserschaft sich von der in den kleineren Orten und in den ländlichen Bezirken wesentlich unterscheidet. Ein Problem ist für uns von ausschlaggebender Bedeutung: unsere Presse ist nach guter deutscher Tradition auf den festen Leserstamm aufgebaut; wie kommen wir aber schneller als bisher an die Kreise heran, die zwar unsere Wähler, aber noch nicht unsere Abonnenten sind? Hier könnten wir vieles von den Werbemethoden der englischen und amerikanischen Presse lernen, die der "Daily Herald" auch in der Redaktionsführung übernommen hat. Die Lösung dieser Aufgabe geht ebenso sehr die Geschäftsleitung wie die Redaktion an; sie kann nur in der innigsten Zusammenarbeit beider Faktoren bewältigt werden. Das heißt aber soviel, daß neben die Werbearbeit durch die Arbeiterorganisationen noch viel mehr als bisher die berufsmäßige Werbung treten muß, die nach kaufmännisch-wissenschaftlichen Methoden arbeitet. Hiermit aber stecken wir noch in den Anfängen. In der englischen Arbeiterbewegung scheint man darin ziemlich weit vorgestoßen zu sein; der erste Erfolg ist die erste Million Leser des "Daily Herald" und man will noch auf 2 Millionen kommen. Die technischen Einrichtungen des Blattes reichen für diese Riesenauflage aus.
E. P.