Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung


Online-Edition wichtiger Beiträge Eugen Pragers in der sozialdemokratischen Presse.

    Dokument:

    Wahlen und Presse / E.P. - [Electronic ed.], 1929 - 14 KB, Text
    In: Mitteilungen des Vereins Arbeiterpresse. - 29 (1. Dezember 1929), 296, S. 1
    Electronic ed.: Bonn : FES Library, 2006


Wahlen und Presse

Zu den Aufgaben der Zeitungswissenschaft, deren Lösung noch kaum in Angriff genommen ist, gehört die Untersuchung der Frage, welchen Einfluß die Presse auf die Formung der öffentlichen Meinung hat. Während des internationalen zeitungswissenschaftlichen Kongresses, der im vorigen Jahre bei Gelegenheit der "Pressa" in Köln abgehalten wurde, hat ein Redner sehr bemerkenswertes Material darüber aus der Schweiz vorgelegt. Es ergab sich daraus, daß die Stellungnahme selbst sehr weit verbreiteter Zeitungen auf die Willensbildung der Bevölkerung bei wichtigen Abstimmungen häufig gar nicht zum Ausdruck kommt. Oft genug hat die Mehrheit der Leser ganz anders abgestimmt, als es ihnen in ihrer Zeitung empfohlen worden war. Dieses Material bezog sich allerdings nur auf die bürgerliche Presse.

Die bekanntesten Beispiele für den noch nicht geklärten Gegensatz zwischen Presse und öffentlicher Meinung bieten England und Frankreich. Die englische Arbeiterpartei hatte bisher noch kaum eine eigene Presse. Und trotzdem konnte sie in diesem Jahre ihren außerordentlichen Wahlsieg erringen. Auch die sozialistische Partei Frankreichs verfügt noch nicht über ein gut entwickeltes Zeitungssystem, aber auch sie hat bei der jüngsten Wahl ihre Stellung als eine der stärksten Parteien des Landes behauptet. Um auf Deutschland zu kommen, so wissen wir, daß die demokratische Presse in Berlin an Verbreitung ständig zunimmt; aber in noch schnellerem Tempo wenden sich die Wähler von der Demokratischen Partei ab.

Diese Vorbemerkungen waren zu machen, um zu zeigen, wie schwierig es ist, die Frage der Wechselbeziehungen zwischen Wahlen und Presse auf eine glatte Fromel zu bringen. Das lehren auch die hinter uns liegenden Kommunalwahlen in Preußen, Sachsen und Hessen. Man sollte meinen, daß gerade Kommunalwahlen den Einfluß der Presse auf die Abstimmung besonders deutlich zeigen, weil doch von den Durchschnittslesern vor allem die örtlichen Vorgänge verfolgt werden. Aber schon die für gewöhnlich schwächere Beteiligung an kommunalen als an Reichtagswahlen zeigt, daß das Interesse nachläßt, sobald es sich um Angelegenheiten der Gemeinde handelt. Wiederum ein Beispiel: Die "Rheinische Zeitung" in Köln stand im schärfsten Kampfe gegen den dortigen Oberbürgermeister Dr. Adenauer und damit gegen das in Köln noch vorherrschende Zentrum. Dieser Kampf ist mit den besten Gründen und mit überzeugendem Material geführt worden, und wenn auch eine Person im Vordergrund stand, so wurde doch bei aller polemischer Schärfe der Boden sachlicher Meinungsäußerung nicht verlassen. Wie war das Ergebnis? Die Sozialdemokratie hat zwar gegenüber der vorigen Kommunalwahl ihre Stimmen wesentlich erhöhen können, bei gleichzeitigem Rückgang der kommunistischen Stimmen; aber der Stand der Reichstagswahl 1928 ist doch bei weitem nicht erreicht worden, wogegen das Zentrum seine Stellung behauptet hat. Aehnliches hat sich auch in anderen Orten gezeigt.

Es ist nicht möglich, in dem Rahmen dieses kurzen Artikels eine lückenlose Analyse des ganzen Problems zu geben, und selbst wenn sie nur auf die Kommunalwahlen angewendet wird. Wir müssen uns mit einigen stichwortartigen Bemerkungen begnügen. Eindeutig zeigt sich der Einfluß der Presse in folgenden Fällen. Hannover hat eine alte, gut verbreitete und gut ausgestattete Parteipresse. Hier hat der Austritt der Frau Reese aus der sozialdemokratischen Reichstagsfraktion eine ganz besondere Rolle in der kommunistischen Agitation gespielt. Man ließ die Dame in Versammlungen auftreten, man verbreitete den ihr von der kommunistischen Zentrale diktierten Abschiedsbrief als Flugblatt in einer Riesenauflage. Auf das Ergebnis der Wahl hat diese Sache nicht den geringsten Einfluß gehabt. Im Gegenteil, die Sozialdemokratische Partei stieg von 69 608 auf 118 005 Stimmen und eroberte die Mehrheit in der Stadtverordnetenversammlung, die kommunistische Stimmenzahl dagegen ging von 27 961 auf 13 228 zurück. Aehnlich Magdeburg, wo das gleiche von unserer Presse zu sagen ist. Die sozialdemokratische Stimmenzahl erhöhte sich von 58 827 auf 76 374 und blieb nur wenig hinter der Zahl von den Reichstagswahlen zurück, die kommunistische Stimmenzahl verminderte sich von 17 758 auf 16 716. Die Stadt Kiel zeigt dasselbe Bild. Besonders bemerkenswert ist der Erfolg, den wir im agrarischen Pommern erzielt haben. Hier ist es uns gelungen, selbst in solche Ortschaften einzudringen, wo unser Einfluß bisher sehr gering war. In den Städten konnte die Stellung der Deutschnationalen stark erschüttert werden, in der Hauptstadt Stettin ist die sozialdemokratische Stimmenzahl von 28 143 auf 47 264 angewachsen, die der Kommunisten von 18 399 auf 15 816 zurückgegangen. Ohne Zweifel ist dieser Erfolg nicht zuletzt darauf zurückzuführen, daß die sozialdemokratische Presse in Pommern ständig an Bedeutung gewinnt.

Um noch einmal auf Berlin zu kommen, so hat dort der Mißerfolg der Sozialdemokratie seine besonderen Ursachen, auf die hier nicht näher eingegangen zu werden braucht. Ohne Zweifel hat aber auch der Stand des Zeitungswesens auf den Ausgang der Wahl erheblich eingewirkt. Daß die Stimmenzahlen der Demokratischen Partei sich im umgekehrten Verhältnis zu der Verbreitung ihrer Presse entwickeln, ist schon erwähnt worden. Die Kommunisten haben ihre Stimmen von 347 381 auf 565 595 zu steigern vermocht, die Sozialdemokraten nur von 604 696 auf 651 735. Die Sozialdemokratie blieb im Verhältnis weit stärker als die Kommunistische Partei hinter der Reichstagswahl im vorigen Jahre zurück. Daß wir kein eigentliches Lokalblatt in Berlin haben, sondern daß der "Vorwärts" als Zentralorgan der Partei daneben noch die Funktion der lokalen Zeitung ausüben muß, ist bekannt. Dagegen haben die Kommunisten in Berlin neben ihrer "Roten Fahne", die freilich eine sehr bescheidene Auflage hat, noch die "Welt am Abend" und "Berlin am Morgen". Durch die skrupellose Ausschlachtung der Sklarek-Affäre hat das kommunistische Abendblatt seine Leserzahl wesentlich steigern können; es trug die der Sozialdemokratie feindliche Stimmung auch in solche Kreise hinein, an die der "Vorwärts" überhaupt nicht und die Aufklärungsarbeit der Parteiorganisation viel zu spät herankam.

Zur Beurteilung der theoretischen Frage, ob der Sklarek-Fall auf den Wahlausgang in Berlin anders gewirkt hätte, wenn die Presseverhältnisse anders gewesen wären, darf zum Vergleich Waldenburg i. Schl. herangezogen werden. Diese Stadt leidet unter außerordentlich ungünstigen wirtschaftlichen und sozialen Verhältnissen. Wir wissen aus der Bewegung der Waldenburger Bergarbeiter, wie schlecht die Löhne, wie miserabel die Wohnungen der dortigen Bevölkerung sind. Waldenburg hatte außerdem auch seinen Finanzskandal, der zuletzt noch einmal durch die Unterschlagungen des Rechtsanwalts Aron aufgewirbelt worden ist. Das Ergebnis der Stadtverordnetenwahlen aber war so: Die Sozialdemokratie stieg von 6418 auf 10 300, die Kommunistische Partei fiel von 4237 auf 1526 Stimmen. Wir hegen keinen Zweifel, daß die guten Zeitungsverhältnisse am Ort für diesen Erfolg bestimmend waren.

Wir haben aber auch Gegenden, wo von einer allgemeinen Verbreitung der sozialdemokratischen Presse kaum gesprochen werden kann, und wo trotzdem sehr erfreuliche Erfolge für uns erzielt worden sind. Wir nehmen zuerst die Provinz Brandenburg, bei der einzelne Teile in ihrer sozialen Struktur von der Reichshauptstadt viel weiter entfernt sind, als etwa das rheinisch-westfälische Industriegebiet. Auch hier günstige Ergebnisse, so daß sich die Zahl der sozialdemokratischen Vertreter im Provinziallandtag noch erhöht hat. Eine ganz besondere Ueberraschung bietet der Bezirk Oppeln. Zum Unterschied von dem benachbarten oberschlesischen Industriebezirk steckt hier die gewerbliche Entwicklung des Landes noch in den Anfängen. Es ist kaum anzunehmen, daß unsere Parteiblätter in Hindenburg oder in Niederschlesien viele Abonnenten in dieser Gegend besitzen. Trotzdem hat sich die Zahl der sozialdemokratischen Stimmen in den kleineren Orten so erhöht, daß wir vielfach die Kommunisten zur bedeutungslosen Splittergruppe herabdrückten und sogar das Zentrum und die Polen weit hinter uns ließen. Vielfach hat die Sozialdemokratie die Mehrheit in den Gemeindevertretungen errungen, sie muß infolgedessen dort auch die Gemeindeoberhäupter stellen. Das alles in einem katholisch-polnischen Gebiet!

Welche vorläufige Schlußfolgerung kann aus dieser flüchtigen Uebersicht gezogen werden? Ganz falsch wäre die Meinung, daß es auch mit einer unentwickelten oder gar ohne Presse gehe. Das Gegenteil ist richtig, und wenn wir auch in manchen Fällen ohne eigentliches Zeitungswesen Erfolge erzielt haben, so kann das nur den Beweis dafür liefern, wie stark vor allem die sozialen Bedingungen auf die Willensbildung der Wähler einwirken. Das würde auch nur die alte sozialistische Erkenntnis bestätigen, daß nicht der Mensch das Sein bildet, sondern das Sein den Menschen. Daraus wäre dann die weitere Folgerung zu ziehen, daß der moderne Journalismus, die Aufmachung, die bildliche Ausstattung und alles andere für uns nicht zum Selbstzweck werden dürfen, sondern daß sie nur Mittel zu dem Zwecke sein sollen, die sozialdemokratische Presse auf den höchsten Stand der technischen und redaktionellen Möglichkeiten zu bringen. Unsere Gesamtarbeit muß im Zeichen der engsten Verbundenheit mit der Arbeiterbewegung stehen, unsere Presse muß die Fürsprecherin für alle Nöte des hand- und kopfarbeitenden Proletariats sein. Wenn diese Voraussetzungen erfüllt sind, dann werden wir von der Presse an unserem Teil dazu beitragen, daß es dort wieder vorwärts geht, wo wir zuletzt stillgestanden haben, und daß die Erfolge da ausgebaut werden, wo die Sozialdemokratie auch ohne ausreichendes Zeitungswesen die Gegner nicht schlagen konnte.

E. P.