Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung


Online-Edition wichtiger Beiträge Eugen Pragers in der sozialdemokratischen Presse.

    Dokument:

    Ein Blick ins Schaufenster / E.P. - [Electronic ed.], 1929 - 9 KB, Text
    In: Mitteilungen des Vereins Arbeiterpresse. - 29 (1. November 1929), 295, S. 1
    Electronic ed.: Bonn : FES Library, 2006


Ein Blick ins Schaufenster

Der Mann von der Straße sieht immer zuerst nach der Auslage, wenn er etwas zu kaufen beabsichtigt. Auch der Käufer einer Zeitung wirft erst einen Blick ins Schaufenster, das heißt auf die erste Seite, bevor er seinen Groschen zückt. Er will wissen, was sich ereignet hat, und ob es sich mehr lohnt, die eine oder die andere Zeitung zu kaufen. Aus dem Laufkunden kann der Dauerkunde werden. Der Käufer aus Zufall kann sich zum Abonnenten aus Neigung entwickeln. Deshalb sollten wir, ebenso wie jeder moderne Kaufmann es tut, auf die Gestaltung des Schaufensters die größtmögliche Sorgfalt verwenden. Wie sieht es bei uns damit aus?

Wir haben einen beliebigen Tag herausgegriffen, den 17. Oktober 1929. Zwei politische Ereignisse von Bedeutung standen im Vordergrund, die Auseinandersetzung im Preußischen Landtag und der Brief des Reichspräsidenten. Wie sind diese Dinge bei uns aufgemacht worden? Wir können nur eine beschränkte Anzahl von Beispielen bringen. Die Auswahl haben wir mit Absicht dem Zufall überlassen; vielleicht hätte man auch einige bessere oder einige schlechtere Beispiele geben können. Um noch etwas vorweg zu bemerken, so soll man sich hüten, bestimmte, allgemein gültige Regeln für die Aufmachung der Zeitung aufzustellen. Was für Berlin angebracht erscheint, kann für andere Orte im Reich ganz unpassend sein. Für Industriegegenden mit lebhaftem Durchgangsverkehr, wo es einen starken Handverkauf gibt, sind die Voraussetzungen anders als selbst für manche Großstädte, in denen der Einzelverkauf sich nicht einbürgern will. Auf dem Lande wird der Leser die ruhige Gliederung der Zeitung, die genaue Rubrizierung und die gleichmäßige Verteilung des Stoffes vorziehen. In der Großstadt und in den Industriebezirken wird es besser sein, die Zeitung möglichst bunt zu gestalten, mit den Schriftarten zu wechseln und sich nicht an die starre Form der Rubriken zu halten.

Mit diesen Einschränkungen sollen unsere Beispiele angesehen werden und nicht als lobende oder tadelnde Kritik aufgenommen werden. Wir wollen weder Kritik, noch Zensur ausüben, weil beides nicht unseres Amtes ist. Immerhin: sehen wir uns zuerst einige Blätter an, die am 17. Oktober dreispaltige Hauptleisten gebracht haben. Das erste Beispiel zeigt deutlich, wie es auch bei kleinen Zeitungen mit beschränktem Schriftenvorrat möglich ist, eine gute Wirkung zu erzielen, sofern man überhaupt von dem üblichen Schema abgeht, die Schlagzeilen stets in der ganzen Breite der Seiten oder der Spalten zu bringen. Das zweite und das dritte Beispiel zeigen, daß man auch in andere Kästen greifen muß, wenn man der Zeitung ein besonderes Gesicht geben will.

Hier wird allerdings sofort der Einwand erhoben werden, daß es das einheitliche Gesicht der Zeitung stört, wenn der Satz in Fraktur, die Ueberschrift in Antiqua gebracht wird. Die Frage, ob die Tageszeitungen lateinische oder "deutsche" Schrift, ob sie beide Schriften verwenden sollen, müßte auch in unseren Kreisen ausführlicher behandelt werden. Hier nur die eine Bemerkung, daß es gewiß bei der Tageszeitung auf Einheitlichkeit und auf den künstlerischen Geschmack ankommt. Aber nicht weniger wichtig ist die Frage, mit welchen Mitteln die beste Wirkung auf den Leser ausgeübt werden kann, und wie diese Wirkungsmöglichkeiten von uns auszunützen sind. Im übrigen ist es doch wohl kein Zufall, sondern das Ergebnis langer Erfahrungen, daß die Großinteressenten ihre Anzeigen fast immer in Antiqua oder in einer lateinischen Kunstschrift aufgeben. Aber auch im redaktionellen Teil gibt es keine Einheitlichkeit mehr. Aufrufe, besondere Notizen, ja sogar ganze Rubriken erscheinen in lateinischer Schrift.

Die übrigen Beispiele geben eine ganze Skala von Aufmachungen, von der fetten Hauptleiste mit dem schwächeren Leiten darüber und darunter bis zu der einfachen Uebernahme der Ueberschrift des Leitartikels aus dem SPD. an jenem Tage: "Die Faust der Republik." Wir möchten uns auch hierbei der Kritik enthalten; unsere Beispiele sollen lediglich zum Vergleich anregen. Noch weniger soll zu den zweispaltigen Ueberschriften gesagt werden, die wir außerdem noch beispielsweise zeigen. Auch hier die Skala, von der wir gesprochen haben, die hier freilich bis zu völliger Wirkungslosigkeit sinkt.

Im allgemeinen darf gesagt werden, daß auch unsere Presse die Bedeutung des Schaufensters erkannt hat. Im Durchschnitt stehen wir aber doch noch hinter der bürgerlichen Presse zurück. Das mag verschiedenartige Ursachen haben: die besondere Stellung unserer Zeitungen als politische Organe, die ungenügende Besetzung der Redaktionen, der Mangel an Schriftenmaterial, der Widerstand beim technischen Personal gegen die Auffassung des Redakteurs. Die wesentliche Ursache für dieses Zurückbleiben dürfte aber in der Nichtbeachtung des Satzes liegen, daß man auch vom Gegner lernen soll. Nicht, indem wir hemmungslos nachahmen, was uns die bürgerliche Presse vormacht, sondern indem wir unseren Willen zur Eigengestaltung zeigen. Auch die sozialdemokratische Presse braucht nicht langweilig zu sein. Weder im Schaufenster, noch im Inhalt.

E. P.