Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung


Online-Edition wichtiger Beiträge Eugen Pragers in der sozialdemokratischen Presse.

    Dokument:

    Das Geschäft mit Sport und Kunst / von Eugen Prager - [Electronic ed.], 1928 - 12 KB, Text
    In: Mitteilungen des Vereins Arbeiterpresse. - 28 (1. April 1928), 276, S. 3-4
    Electronic ed.: Bonn : FES Library, 2006


Das Geschäft mit Sport und Kunst.
Von Eugen Prager.

In der Presse und beim Publikum hat man sich außerordentlich darüber entrüstet, daß es beim letzten Berliner Sechstagerennen nicht ganz richtig zugegangen ist. Die Einzelheiten brauchen hier nicht wiederholt zu werden, sie sind aus den Tageszeitungen und aus der Sportpresse bekannt. Es fragt sich nur, ob solche Schiebungen allein in Berlin vorgekommen sind oder ob sich nicht vorher schon in Stuttgart, Breslau, Leipzig, Dortmund ähnliches zugetragen hat. Man wird nicht fehlgehen, wenn man den zweiten Fall als gegeben annimmt. Was beim Ringen und beim Boxen zu den Alltäglichkeiten gehört, das stellt beim Radsport keine Besonderheit dar. In kurzem wird die deutsche Uebertragung eines französischen Rennfahrerromans von André Reuze: "Giganten der Landstraße" veröffentlicht werden, der köstliche Einzelheiten über die verschiedenartigen Tricks bringt, mit denen die Fahrradfabriken sich gegenseitig zu betrügen suchen.

Ob Schiebung, ob offenbarer Betrug, man muß sich hüten, den berufsmäßigen Sport allein mit solchen Dingen in Verbindung zu bringen. Sehen wir davon ab, daß im kapitalistischen Zeitalter nur schwer festzustellen ist, was "gerechter" Verdienst und was betrügerische Bereicherung darstellt, so ist ja Betrug überhaupt nur dann eine Schande, wenn man sich dabei erwischen läßt und zudem noch nicht einmal einen Gewinn davonträgt. Es gibt auch im bürgerlichen Amateursport Beispiele genug, die man als Schiebungen, wenn nicht als Betrügereien bezeichnen kann. Die Vereine jagen einander die "Meister" ab, ausländische Sportsleute werden gekauft und zu deutschen Vereinsmitgliedern gemacht und ähnliches mehr. Wer die Berichte von der Winterolympiade in St. Moritz gelesen hat, wird vielleicht mit Erstaunen bemerkt haben, daß dort auf einmal prominente Mitglieder Berliner Wintersportclubs als Angehörige anderer Nationen auftraten. Die Grenze zwischen Sport und Geschäft, zwischen Schiebung und Betrug ist auch hier nicht deutlich zu sehen. Die bürgerlichen Sportvereine können von den Beiträgen ihrer Mitglieder allein nicht leben, ihre Veranstaltungen aber werden nur dann besucht sein, wenn das Publikum mehr sieht, als der Verein aus eigener Kraft bieten kann. Das Fehlende wird dann in ähnlicher Weise wie beim Berufssport geschafft.

Schwieriger ist es schon, die Grenze nach dem Geschäftsmäßigen hin bei der Kunst zu ziehen. Man könnte auch umgekehrt sagen: das Gebiet der reinen, unbefleckten Kunst ist schon so klein geworden, daß es sich kaum noch lohnt, nach Grenzlinien zu suchen. In Berlin haben wir neben den staatlichen und städtischen Theatern und der Volksbühne kaum noch ein oder zwei Theater, die zuerst an die Kunst und dann ans Geschäft denken. Auch bei der "kommunistischen" Piscator-Bühne regiert Merkur die Stunde, denn Piscator hätte für sein Unternehmen keine Geldgeber gefunden, wenn sie nicht geahnt hätten, daß mit dieser "kommunistischen" Kunst zurzeit ein gutes Geschäft zu machen wäre. Immer kleiner wird auch außerhalb Berlins die Zahl der wirklichen Kunstinstitute, immer schwieriger wird es für die staatlichen und städtischen Theater im Reich von Kunst und nicht vom Geschäft zu leben.

Vom Kino braucht man in diesem Zusammenhang nur im Vorübergehen zu reden. Es gibt natürlich auch gute Kultur- und Naturfilme, aber sie verschwinden in der Menge des seichten Kitsches und des offenen Schundes, und je kleiner der Ort, desto deutlicher wird beim Kino das Geschäft.

Eigenartig wirkt es, daß die Zeitungen aller Richtungen, die sozialdemokratischen und die kommunistischen nicht ausgenommen, diesen doch allzu gut bekannten Tatsachen gegenüber sich mit einer Art Philosophie des Als Ob behelfen. Man bespricht alle Schwänke, Possen und Operetten, die filmischen und die sportlichen Ereignisse, als ob es sich immer um reine Kunst- und Sportangelegenheiten handele, auch in solchen Fällen, wo man ganz genau darüber unterrichtet ist, daß bei den Veranstaltern nur geschäftliche Erwägungen den Ausschlag geben. Es soll hier nicht etwa die Unbestechlichkeit der Redakteure oder der Kritiker in Frage gestellt werden; aber sicher ist es, daß manche Erscheinungen auf künstlerischem oder sportlichem Gebiet nicht aufkommen könnten, wenn sie nicht mit der Würdigung im redaktionellen Teil der Presse rechnen könnten. Wäre dem nicht so, dann müßten die Kunst- und Sportgeschäfte für ihre Unternehmungen genau solche Reklame machen wie es andere Geschäfte zu tun gezwungen sind, wenn sie Käufer heranlocken wollen.

Wenn das Warenhaus Meier einen Ausverkauf veranstaltet, so wird das im Inseratenteil angezeigt. Wenn im Frühjahr die Eier und die Butter billiger werden, so erfährt das die Hausfrau aus dem Anzeigenteil der Presse. Nur die Kunst- und Sportgeschäfte sehen es als eine Selbstverständlichkeit an, daß die Redaktionen für sie durch Notizen und Kritiken Reklame machen. Sie werten es zumeist schon als eine besondere Vergünstigung, daß der Redaktion Freikarten zur Verfügung gestellt werden. Besonders bezeichnend für diesen Zustand ist der Fall des Berliner Sportpalastes. Für das letzte Sechstagerennen, das nach den bekannten Vorgängen für geraume Zeit wirklich das letzte bleiben wird, sind in der Tagespresse, soweit wir sehen konnten, überhaupt keine Anzeigen aufgegeben worden. Trotzdem haben alle Berliner Blätter seitenlange Schilderungen des Spurts, der Ueberrundungen und der sonstigen Phasen des Rennens gebracht. Wenn schon reines Geschäft: warum verlangen die Verleger nicht, daß die Rennunternehmer auch in gehöriger Weise den Anzeigenteil der Presse für die Bekanntgabe ihrer Veranstaltung benutzen? Es soll mit dieser Frage um Himmelswillen nicht etwa einer Verbindung zwischen Inseratenverwaltung und der Redaktion das Wort gesprochen werden. Aber wir Redakteure sind doch auch nicht aus dem Geschlecht des "reinen Tor", daß wir uns verpflichtet fühlen sollten, unzweifelhafte (!) geschäftliche Unternehmungen als Angelegenheiten des öffentlichen Lebens zu behandeln.

Und wie sieht es beim Theater aus? Man wundert sich häufig darüber, daß in Berlin die seichtesten Operetten und die blödesten Possen monatelang vor leeren Häusern gespielt werden. In jedem Zigarrenladen liegen die Bons aus, die zum Besuch derartiger Unternehmungen berechtigen, wenn man nur die Lustbarkeitssteuer für seinen Platz bezahlt. Die Erklärung dafür, daß sich solche Theater doch noch halten können, liegt beim Verlagskapital. Wenn ein sonst schlechtes Stück in Berlin hundertmal aufgeführt ist, dann läßt es sich in der Provinz leichter unterbringen. Vor Schiebungen schrecken auch ernsthaftere Theater nicht zurück. Wenn der "Provinzler" nach Berlin kommt, dann hört und sieht er dort genug nicht die auf dem Programmzettel vermerkten prominenten Künstler, sondern Schauspieler und Sänger von geringerer Qualität. Auch die angeblich so hellen Berliner lassen sich einen ähnlichen Trick gefallen. In den ersten Aufführungen, über die von den Kritiken in der Regel nur berichtet wird, treten die "Prominenten" auf. Nach etwa der fünften Vorstellung wird die zweite Garnitur an ihre Stelle geschoben.

Von der kulturellen Seite dieser Angelegenheit soll hier gar nicht gesprochen werden. Es kann in diesem Zusammenhang auch unerörtert bleiben, welchen Einfluß die wachsende Kunst- und Sportbewegung der Arbeiterschaft auf die Gestaltung des künstlerischen und sportlichen Lebens nehmen wird. Hier sollte nur einmal gezeigt werden, wie die Dinge in Wirklichkeit sind und nicht wie sie sein sollten. Die Nutzanwendung daraus kann aber weder der einzelne Redakteur noch die einzelne Zeitung ziehen. Es sollte eine Aufgabe der gesamten Presse sein, geschäftliche Unternehmungen auch dann als solche zu behandeln, wenn sie künstlerische und sportliche Interessen zu vertreten vorgeben. Es dürfte nicht schwer sein, diese Einheitsfront herzustellen, da es sich in diesem Falle nicht darum handelt, den Verlegern neue Ausgaben für redaktionelle Bedürfnisse zuzumuten. Im Gegenteil, die Verleger würden nur einen Vorteil davon haben, wenn die Geschäftemacher mit Kunst und Sport den anderen Kaufleuten gleichgestellt werden.