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Online-Edition wichtiger Beiträge Eugen Pragers in der sozialdemokratischen Presse.

    Dokument:

    Die deutsche Zentrumspartei / von Eugen Prager - [Electronic ed.], 1928 - 11 KB, Text
    In: Sozialdemokrat. - 8 (26. Jänner 1928) 22
    Electronic ed.: Bonn : FES Library, 2006


Die deutsche Zentrumspartei
Von Eugen Prager, Berlin

Der Streit zwischen dem Reichskanzler Dr. Marx und dem christlichen Gewerkschaftsführer Stegerwald ist vorläufig wieder beigelegt worden. Er war dadurch entstanden, daß Herr Stegerwald sich gegen die Besoldungsreform für die Beamten wandte und Herr Marx sich auf die Beschwerde der Leitung des katholischen Lehrervereins abfällig über die "Arbeitersekretäre" äußerte. Es ist darüber zu erregten Versammlungen der christlichen Arbeiter gekommen, andere Führer der christlichen Gewerkschaften haben Herrn Stegerwald sekundiert, schließlich aber einigte man sich in einer Sitzung der Zentrumsfraktion des Reichstags auf das berühmte "Mißverständnis". Sind aber damit wirklich die Gegensätze in der Zentrumspartei ausgeglichen, hat es sich bei dem Streit zwischen Marx und den christlichen Arbeitersekretären nur um einen vereinzelten Zwischenfall gehandelt, wie er in jeder Partei vorkommen kann? Nein. Dieser Vorgang war keine akute Erkrankung, die schnell wieder überwunden wird, er war ein Krankheitssymptom, er hat eine dauernde und unheilbare Schwäche im Körper des Zentrums bloßgelegt.

Die deutsche Zentrumspartei ist während der Bismarckschen Unterdrückungsmaßnahmen gegen den Ultramontanismus als Vereinigung der katholischen Volksteile Deutschlands gegründet worden. Da aber die Katholiken in Deutschland eine Minderheit bilden, so strebten die Führer des Zentrums immer wieder dahin, eine allgemeine christliche Volkspartei zu werden. Hie und da haben sich auch wirklich Männer evangelischen Glaubens an das Zentrum angeschlossen; so gehört der Reichstagsfraktion des Zentrums der sehr bedeutende evangelische Publizist Adolf Röder an, man war sogar weitherzig genug, orthodoxe Rabbiner in die Parteigemeinschaft aufzunehmen. Das Zentrum hat weiter behauptet, daß es nicht die Interessen einer einzigen Klasse wahrnehmen wolle, sondern alle Klassen des Volkes mit gleicher Liebe umfasse. In der Tat zeigt keine andere Partei eine so reiche soziale Gliederung: neben Großgrundbesitzern und Großindustriellen finden wir im Zentrum Kleinbauern und Kleingewerbetreibende, neben Angehörigen der freien Berufe auch Vertreter der christlichen Arbeiter. Dieses bunte Bild, das scheinbar die Stärke des Zentrums ausmacht, ist zugleich seine Schwäche. Es muß ständig eine Schaukelpolitik treiben, um je nach der Konjunktur den einen oder den andern Teil zu befriedigen. Versteht sich, daß die Arbeiter dabei am schlechtesten fahren. Gewiß ist das Zentrum in sozialer Beziehung nicht ganz so reaktionär, wie die reinen Unternehmerparteien. Deutschnationale und deutsche Volkspartei. Aber das Maß seiner sozialen Leistungen hängt im wesentlichen von dem ab, was die kapitalistischen Kreise des Zentrums, die zwar nur die Minderheit bilden, aber doch die Führung in der Partei haben, den arbeitenden Kreisen zugestehen wollen.

Und das ist es, was das Zentrum jetzt in eine außerordentlich schwierige Lage gebracht hat. Religion ist gut für den Sonntag - aber an den übrigen sechs Tagen der Woche wollen die christlichen Arbeiter genau so wie ihre sozialdemokratischen Klassengenossen weniger himmlisches Manna und mehr irdische Nahrung haben. Was aber erlebt sie? 1927 war in Deutschland ein Jahr der Hochkonjunktur, die Schornsteine haben geraucht, die Betriebe haben, wie die Jahresabschlüsse bis auf sehr geringe Ausnahmen zeigen, auch sehr hohe Gewinne abgeworfen. Die Dividenden sind gestiegen, man hat umfangreiche Erweiterungen und Erneuerungen aus eigenen Mitteln vornehmen können. Es sind wieder Kapitalreserven angesammelt worden. An die leitenden Personen der Industrie werden Gehälter und Tantiemen gezahlt, wie man sie in solcher Höhe vor dem Kriege nie gekannt hat. Die Löhne der Arbeiter und Angestellten dagegen haben sich in derselben Zeit nur unwesentlich erhöht, trotzdem die Mieten um 20 Prozent nach oben geschraubt wurden und auch die Preise für die wichtigsten Lebensmittel unausgesetzt in die Höhe klettern. Das Zentrum hat mit den Rechtsparteien die Zollerhöhungen für Mehl, Zucker, Schweinefleisch, Kartoffeln, Industriemais vorgenommen. Aber der dem Zentrum angehörige Reichsarbeitsminister sucht zusammen mit den Unternehmen jede Bewegung um Verbesserung der Löhne und Verkürzung der Arbeitszeit abzudrosseln. Und das ist die eigentliche Ursache für die Differenzen im Zentrumslager: die sozialen Gegensätze verschärfen sich, die Klassenlage treibt die christlichen Arbeiter zur Rebellion gegen die Führung.

Ist es aber schon so weit, daß sich die proletarischen Elemente vom Zentrum lösen, daß sie, wie es in einigen christlichen Arbeiterversammlungen angedroht worden ist, eine eigene christliche Arbeiterpartei bilden oder gar geschlossen zur Sozialdemokratie überlaufen werden? Diese Fragen sind zu verneinen. Das Zentrum hat schon vor dem Kriege wiederholt ähnliche Erschütterungen durchgemacht. Aber es hat immer wieder verstanden, durch gewissen Zugeständnisse den geschlossenen Abmarsch der christlichen Arbeiter und den Verfall der Partei zu verhindern. Man hat die Führer der christlichen Arbeiter dadurch an sich zu fesseln gewußt, daß man ihnen in einem gewissen Umfange Aemter und Würden gab. Freilich immer nur so weit, daß sie auf die Leitung der Partei und auf ihre Politik keinen entscheidenden Einfluß nehmen konnten. Man hat den politischen Kurs eine Zeitlang so gesteuert, daß die Masse der christlichen Arbeiter sich stets aufs Neue über den wahren Charakter der Zentrumspartei täuschen ließ. Schließlich hat auch der Klerus das seinige getan, um die gläubigen Schäfchen in der Herde zu halten. Diese Rezepte sollen auch jetzt wieder ausprobiert werden. Schon schlagen die Zentrumsredner im Reichstag wieder schärfere Töne gegen rechts an, schon wird verkündet, daß die Beteiligung am Bürgerblock nur eine vorübergehende Erscheinung sei, schon stellt man in Aussicht, daß nach den Neuwahlen für den Reichstag die Herstellung einer Regierungskoalition mit den Sozialdemokraten versucht werden solle.

Die Sozialdemokratie hat sich über die Natur des Zentrums niemals täuschen lassen. Sie hat sich auch nie der Hoffnung hingegeben, daß das Zentrum mit einem Male zerschlagen, daß der proletarische Teil auf einen Hieb vom Zentrum gelöst werden könne. Es handelt sich um einen Prozeß der Entwicklung, der sich freilich um so schneller auswirken muß, je schärfer die Klassengegensätze werden und je deutlicher es auch den christlichen Arbeitern wird, daß allein die sozialdemokratische Partei ohne Rücksicht auf andere Klassen die Interessen der arbeitenden Klasse wahrzunehmen imstande ist. Die Sozialdemokratie hat bisher schon einen großen Teil der katholischen Arbeiter für sich gewonnen, sie wird auch die ihr noch fernstehenden christlichen Arbeiterkreise gewinnen. Das Tempo, in dem sich diese Entwicklung vollzieht, hängt nicht von zufälligen Streitigkeiten im Zentrumslager ab, sondern von der weiteren Gestaltung des sozialen Lebens und von der Energie, mit der die sozialdemokratische Partei als Anwalt der arbeitenden Klasse auftritt.

Sozialdemokrat - Zentralorgan der Deutschen sozialdemokratischen Arbeiterpartei in der Tschechoslowakischen Republik, 8. Jahrgang, Donnerstag, 26. Jänner 1928, Nr. 22