Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung


Online-Edition wichtiger Beiträge Eugen Pragers in der sozialdemokratischen Presse.

    Dokument:

    Vom Redakteur zum Editor / von Eugen Prager - [Electronic ed.], 1927 - 12 KB, Text
    In: Mitteilungen des Vereins Arbeiterpresse. - 27 (1. April 1927), 264, S. 1-2
    Electronic ed.: Bonn : FES Library, 2006


Vom Redakteur zum Editor.
Von Eugen Prager.

Die gute alte Zeit.

Wie war in Deutschland doch vordem das Zeitungsmachen so bequem! Man kam zur festgesetzten Stunde (oder ein wenig später) in die Redaktion, fand Artikel, Meldungen, Berichte, Korrespondenzen vor, man schrieb zuweilen selbst einen Artikel, und wenn man sozialdemokratischer Redakteur war, so beteiligte man sich mit einer Serie von tiefschürfenden Aufsätzen an der die Partei jeweils bewegenden Diskussion. Man blieb hübsch unter sich, in der Parteifamilie sozusagen; es wurde sorgfältig darauf geachtet, daß der Zaun, der uns von der verruchten bürgerlichen Zeitungstechnik absperrte, nicht etwa von neuartigen Gewohnheiten durchbrochen wurde. Wir waren Vertrauensleute der Partei, Journalisten eigentlich nur im Nebenberuf; jene aber, die bürgerlichen Zeitungsschreiber, dienten ihren Verlegern ums Brot, sie durften keine eigene Meinung haben, mit einem Wort: sie waren "Schmocks".

Bei uns kam es weniger auf die Schnelligkeit an, als auf die Gründlichkeit. Ich erinnere mich noch einer Diskussion, die in den "Mitteilungen" nicht lange vor dem Krieg geführt wurde und in der Julian Borchardt, lange Zeit Leiter einer sozialdemokratischen Tageszeitung und danach freier Mitarbeiter an der Parteipresse, in allem Ernst die Meinung vertrat, die sozialdemokratische Presse könne sich bei der Behandlung neu auftauchender Fragen ruhig Zeit lassen, es sei durchaus nicht notwendig, mit der bürgerlichen Presse an Schnelligkeit zu konkurrieren. Oder eine redaktionstechnische Erinnerung: Als ich im Frühjahr 1914 in die Redaktion der "Leipziger Volkszeitung" eintrat, da gab es dort weder eine Schreibmaschine, noch eine weibliche Hilfskraft. Franz Mehring, Konrad Haenisch, Julius Karski, alle anderen Mitarbeiter sandten wirkliche Handschriften ein, es bedurfte häufig längerer Zeit, um sie zu entziffern. Auch in der Redaktion mußte alles von Hand geschrieben werden. Erst der Personalmangel im Kriege brachte uns die Sekretärin und die Schreibmaschine.

Was heute verlangt wird.

Inzwischen haben wir uns an die ausgedehnte Verwendung von Schreibmaschinen, Telephon und ähnlichen Dingen gewöhnt. Das Radio ist gekommen. Es regnet von Artikeln, Berichten, Meldungen. Nicht mehr der Tag bildet die Markierung für die Redaktionstätigkeit, sondern die Stunde, in der Großstadt sogar die Minute. Der Redakteur kann nicht mehr nach Hause gehen, wenn er das vorliegende Material vom gestrigen Tag bearbeitet und an die Setzerei Vorsatz für den nächsten Tag abgeliefert hat. Es kann noch eine neueste Meldung kommen, häufig muß er die Maschinen anhalten und eine neu Platte machen lassen. Die geruhige Zeit von ehedem ist auch für die sozialdemokratischen Redakteure vorüber.

Auch die sozialdemokratische Zeitung soll aktuell, soll lebendig sein. Heißt das, daß wir jetzt kein anderes Ziel zu verfolgen hätten, als aus unserer Presse eine Art Generalanzeiger-Ersatz zu machen? Ich meine, auch wenn wir alle Methoden des modernen Zeitungswesens in den Dienst auch unserer Presse stellen, so kann das nichts anderes bedeuten, als daß wir durch sie mit um so heißerem Eifer unser Ziel zu erreichen suchen: unsere Presse zum Sprachrohr für die Leiden und für die Forderungen des werktätigen Volkes zu machen, mit ihr für den Sozialismus zu werben. Wohl sind wir Trommler, wir sollen aber auch Fackelträger sein.

Das Gesicht der sozialdemokratischen Zeitung.

Die moderne sozialdemokratische Zeitung soll lebendig und aktuell sein. Sie muß sich deutlich, ihrem Inhalt nach, von jeder bürgerlichen Zeitung unterscheiden. Ihr Leserkreis ist ausgesprochen proletarisch und das bestimmt ihr Wesen. Mehr noch als bisher müssen wir uns die trockenen akademischen Darstellungen bei der Behandlung von gesetzgeberischen, politischen und wirtschaftlichen Fragen abgewöhnen. Wenn nicht anders, so muß der Aufsatz oder der Bericht durch die drucktechnische Anordnung, durch Gliederung und Zwischenüberschriften leichter lesbar gemacht werden. Das starre Festhalten an Rubriken kann von Uebel sein. Das Material soll nach dem Gesichtspunkt der Aktualität und des Interesses für die werktätige Bevölkerung gruppiert werden.

Daß dem lokalen Teil die größte Aufmerksamkeit zugewendet werden muß, ist wohl schon zur Selbstverständlichkeit geworden. Das heißt, er muß wirklich lokalen Inhalt haben und auch die kommunalpolitischen Abhandlungen sollen nicht lehrhaft, sondern anregend wirken. Selbst der kleinste Ort ist reich an Begebenheiten; der Durchschnittsbürger wird an ihnen vorübergehen, aber der gute lokale Redakteur wird sie erleben und in der Zeitung schildern. Das Sonderleben der Gewerkschaftsbewegung in einem Nebenteil der Zeitung, wie es immer noch der Brauch ist, sollte aufhören. Die allgemein wichtigen gewerkschaftspolitischen Angelegenheiten müssen im aktuellen Teil der Zeitung behandelt werden, also dort, wo sie jeder Leser und nicht nur der sich dafür interessierende Gewerkschaftsfunktionär zu Gesicht bekommt. Die internen Verbandsangelegenheiten gehören in die Gewerkschaftszeitung, wichtig ist aber die schnelle und ausreichende Unterrichtung des Parteiblatts über alle aktuellen Vorgänge durch die Gewerkschaftsleitungen.

Ausgedehntere Verwendung des aktuellen Bildes, also nicht nur von Karikaturen und Bildern berühmter Persönlichkeiten. Besondere Pflege des Unterhaltungsteils, der nicht ausgesprochen literarisch sein darf, sondern vom Standpunkt der sozialistischen Bildungsarbeit behandelt werden muß. Reiseschilderungen, auch Berichte über Wanderfahrten in der Heimat finden das Interesse der Leser. Daß der Arbeitersport gefördert werden muß, das wissen wir alle; weniger aber wissen wir, daß die sozialdemokratische Zeitung auch die Vorgänge beim bürgerlichen Sport beobachten muß. Dazu kommen noch die vielen anderen Gebiete des öffentlichen Lebens, denen die sozialdemokratische Zeitung ihre Aufmerksamkeit zuwenden muß: Strafjustiz und Arbeitsgerichtsbarkeit, Technik und Naturwissenschaft, Arbeiterkulturbewegung, Radio und Film.

Zu alledem tritt noch die Notwendigkeit, eine engere Verbindung zwischen Zeitung und Leser herzustellen. Die englischen und die amerikanischen Blätter bedienen sich zu diesem Zweck der Briefe an die Redaktion für politische und allgemeine Fragen, der Fragen der Redaktion an die Leser, der Preisausschreiben, der Reise- und Ferienberatung. Ein Teil der bürgerlichen und die kommunistische Presse benutzt bereits diese Mittel; bei uns ist kaum noch ein kümmerlicher Anfang damit gemacht.

Der sozialdemokratische Redakteur von heute.

Vor vielen Jahren schon hat der Chefredakteur eines großen Zentrumsblattes in seinen Lebenserinnerungen sich dazu bekannt, niemals einen eigenen Artikel für seine Zeitung geschrieben zu haben. Er habe seine Aufgabe darin gesehen, Mitarbeiter heranzuziehen, kurzum: nicht das Blatt zu schreiben, sondern es zu redigieren. In England wird der Redakteur "Editor" genannt. Auch der sozialdemokratische Redakteur sollte mehr redigieren und weniger schreiben. Er muß das Bild von der Zeitung bis in die kleinsten Nachrichten hin gestalten. Er soll es schon vor Augen haben, wenn er seine Arbeit beginnt, nicht erst, wenn der Metteur zum Umbruch ruft. Er muß Initiative entwickeln und immer wieder neue Anregungen geben können. Das alles will sagen, daß auch für uns die Zeit des Chefredakteurs vom alten Stil vorüber ist. Die glänzenden Artikelschreiber sollen unsere Mitarbeiter sein (und besser als bisher honoriert werden); der leitende Redakteur von heute muß die Zeitung aufmachen, muß den Stoff wirksam gruppieren können.

Auch bei uns wird der Redakteur zum "Editor" werden. Zu den wichtigsten Mitarbeitern der sozialdemokratischen Zeitung aber werden die Reporter zählen. Nicht jene Reporter, die man früher mit Zeilenschinder übersetzte. Wohl aber die Reporter von jenem Typ, die wir unter den Namen Arthur Holitscher, Sling, Erwin Egon Kisch, Alfred Polgar, Norbert Jacques kennen.