Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung


Online-Edition wichtiger Beiträge Eugen Pragers in der sozialdemokratischen Presse.

    Dokument:

    Die Einheitsfront / Eugen Prager - [Electronic ed.], 1921 - 14 KB, Text
    In: Freiheit. - 4 (24. November 1921) 549
    Electronic ed.: Bonn : FES Library, 2006


Die Einheitsfront
Von Eugen Prager

Es gibt keinen Arbeiter, der nicht wüßte, daß das Proletariat nur dann der Gefahr völliger Verelendung entgehen kann, wenn es sich zu gemeinsamer Tat zusammenschließt. Die Einigkeit des Proletariats ist die Vorbedingung für jeden Erfolg; und es ist nur ein Beweis für die Kläglichkeit unserer politischen Zustände, daß man diese Binnenweisheit immer aufs neue wiederholen muß. Wie kann aber die Einheitsfront hergestellt werden? Durch den Kampf um solche Ziele, die allen Arbeitern gemeinsam sind und durch den entschlossenen Willen der ganzen Arbeiterschaft, diesen Kampf in voller proletarischer Disziplin, also unter Ausschaltung aller egoistischen Wünsche, bis zum Ende durchzuführen. Die Spitzenverbände der Arbeiter und der Angestellten haben in ihren Forderungen zur Steuerfrage ein solches der ganzen Arbeiterklasse gemeinsames Ziel aufgestellt. Und indem die Unabhängige Sozialdemokratie zur gleichen Zeit die anderen Arbeiterparteien und die Gewerkschaften zu Verhandlungen über eine gemeinsame Aktion zur Bekämpfung des Elends in der Arbeiterklasse einlud, waren die Voraussetzungen für die Bildung einer Einheitsfront der Arbeiterklasse geschaffen.

In diese Situation knallte die Parole der Kommunistischen Partei für eine Aktion zugunsten der politischen Gefangenen. Die Unabhängige Sozialdemokratie, die nicht erst auf den Hungerstreik in Lichtenburg gewartet hat, sondern sich unausgesetzt der politischen Gefangenen annahm, war sofort zur tatkräftigen Unterstützung der Forderung bereit, die Amnestierung der politischen Gefangenen durchzusetzen, nicht nur derer, die in preußischen, sondern auch in bayrischen Gefängnissen schmachten. Es war aber von vornherein klar, daß ein Erfolg nur erzielt werden konnte, wenn das gesamte Proletariat sich für die Forderung einsetzte. Was haben die Kommunisten nun getan, um bei dieser Gelegenheit die Einheitsfront herzustellen?

Von ihrer Seite wurde von Anfang an mit dem Generalstreik gespielt; wer an der Durchführbarkeit in der augenblicklichen Situation und für diesen besonderen Zweck zu zweifeln wagte, der war gleich in üblicher Weise als Verräter "gebrandmarkt". Daß die rechtssozialistische Partei in Bausch und Bogen in die Verdammnis flog, kann man begreifen; ihre Haltung in dieser Frage ist auch von uns scharf kritisiert worden. Aber auch die Unabhängige Sozialdemokratie fand keine Gnade vor den Augen der kommunistischen Wortführer. Von der Genossin Zietz wurde berichtet, daß sie den Minister "inbrünstig angefleht" habe, der Berliner Parteileitung der U.S.P.D. würde zum Vorwurf gemacht, sie ziehe "das Wohlwollen der S.P.D.-Führer der Einheit der Arbeiter" vor. in Versammlungen ließ man "Vertreter der U.S.P." aufmarschieren, die sich mit der Haltung unserer Parteileitung angeblich nicht einverstanden erklärten, und ähnlicher Vorbereitungen mehr wurden für die Bildung der Einheitsfront getroffen. In Berlin arbeitete man immerhin noch mit Sammetpfötchen; um so deutlicher wurde man aber in der Provinz. So schrieb der Rote Courier" in Leipzig in seiner Ausgabe vom Montag, den 21. November:

"Aus dem Aufstieg des Proletariats, das weiß die L. V.,, können die Führer der U. S. P. D. keinen Vorteil mehr ziehen; wenn das Proletariat niedergeschlagen wird, stehen ihre Chancen günstiger. Und so ist es der L. V. ("Leipziger Volkszeitung") sehr lieb, wenn an Stelle der Massenaktion eine staatlich organisierte Kommunistenhatz tritt. Die U. S. P.-Führer möchten sich gern wieder als Hyänen des Schlachtfeldes betätigen. Sie stehen lüstern bereit, ihre Krallen in die dann wunden Flanken der Kommunistischen Partei zu schlagen. Das sind die Gründe, die die L. V. veranlassen, zu versuchen, die K. P. D. in den Augen der Massen zu kompromittieren, die sich anbahnende Bewegung als Kommunistenputsch hinzustellen.
Wahrlich, ihr U. S. P. D.-Arbeiter, es ist ein ekles Geschmeiß, das ihr euch zu Führern auserkoren habt! Würgt es euch nicht im Halse, wenn ihr das "Organ für die Interessen des gesamten werktätigen Volkes" lest? Steigt euch nicht die Schamröte in die Wangen ob der Zustände in eurer Partei, wenn ihr lest von dem wackeren Kampf der oppositionellen Genossen in der S. P. ."

Die Einheitsfront ist also nach dem uralten Rezept hergestellt worden, daß man die Führer vor den Bauch stoßen müsse, um die Massen zu gewinnen.

Zu gleicher Zeit würde die Einheitsfront nach der anderen Seite verlängert, nämlich nach dem Sumpf der Indifferenten hin. Die "Rote Fahne" druckte in ihrer Dienstagausgabe ohne jeden Kommentar das Folgende ab:
Die Kollegen der Firma H. Gallo verurteilten in allerschärfster Weise die Maßnahmen der Regierung gegen die politischen Gefangenen und fordern die drei sozialistischen Parteien auf, proletarische Solidarität zu üben und zur Unterstützung in eine gemeinsame Aktion zu treten. (9 Unterschriften von unorganisierten Kollegen.)

Es gab eine Zeit in der Geschichte der deutschen Arbeiterklasse, in der der "unorganisierte Kollege" als ein Schädling für den Kampf des Proletariats angesehen wurde. Das war jene Zeit, wo jeder halbwegs zum Klassenbewußtsein erwachte Arbeiter erkannt hatte, daß die kapitalistische Wirtschaftsordnung sich nur so lange halten könne, als die Indifferenten, die Launen, die Schwankenden den Organisationen der Arbeiter fernbleiben. Man erinnere sich nur daran, welche Erbitterung es jedesmal auslöste, wenn die organisierten Arbeiter schwere und verlustreiche Kämpfe durchgeführt hatten und hinterher die "unorganisierten Kollegen" kamen, um die Früchte des Erfolges mit zu genießen. Jetzt aber druckt das Zentralorgan der Kommunistischen Partei ohne Bemerkung die Aufforderung der unorganisierten Kollegen an die drei sozialistischen Parteien ab, "proletarische Solidarität" zu üben, eine Solidarität also, von der sie selbst nichts wissen wollen!

In der gestrigen Versammlung der Delegationen aus dem reiche und eines Teiles der Berliner Betriebsräte haben die Vertreter unserer Partei, die Genossen Rosenfeld und Henke ausdrücklich erklärt, daß die Unabhängige Sozialdemokratie alles tun werde, um die Einheitsfront des Proletariats herbeizuführen, und daß wir beriet seien, jeden Parteistreit in dem Kampfe um gemeinsame Ziele zu begraben. Das ist der Standpunkt, den unsere Partei von jeher vertreten hat; alle unsere Handlungen waren darauf eingestellt, nicht unser besonderes Parteiinteresse zu fördern, sondern den Interessen der ganzen Arbeiterklasse zu dienen. So haben wir, um nur zwei Beispiele aus der jüngsten Zeit zu nennen, es abgelehnt, mit der zweiten Internationale allein zu verhandeln, sondern verlangt, daß auch die Moskauer Internationale dazu eingeladen werde, eine Einheitsfront des Proletariats der ganzen Welt zu bilden. Und als in der gestrigen Sitzung der Spitzenkörperschaften die Verhandlung mit den Vertretern der Kommunistischen Partei abgelehnt wurden, hat Genosse Ledebourm wie die "Rote Fahne" mitteilt, im Nehmen der Zentralleitung der U. S. P. D. ein Schreiben an die Zentrale der K. P. D. gerichtet, worin zu einer neuen Besprechung zwischen den Leitungen der U. S. P. D. und der K. P. D. eingeladen wird.

Wenn wir auch zugunsten der Einheitsfront den alten Parteistreit begraben wollen, so darf uns das doch nicht daran hindern, unsere künftigen Kampfgenossen ein wenig näher anzusehen. Was hat die Kommunistische Partei bisher getan, um die Einheitsfront zu fördern? Ein Jahr gerade ist es her, dass sie die Unabhängige Sozialdemokratie gespalten hat. Wir haben seitdem Zeit genug gehabt, um die Folgen dieses Vorganges für die deutsche Arbeiterklasse zu erkennen. Die Kommunistische Partei hat dann die Spaltung auf die Gewerkschaftsbewegung zu übertragen gesucht, und es hat harte Arbeit bedurft, um zu verhindern, daß auch noch dieses Unheil über die deutsche Arbeiterschaft gebracht wurde. Die Kommunistische Partei hat wiederholt an gemeinschaftlichen Aktionen teilgenommen; uns ist aber kein Fall bekannt, in dem sie sich an die gemeinsam gefaßten Beschlüsse bis zum Ende der Bewegung gehalten hätte. Im Gegenteil, es ist oft genug vorgekommen, daß sie ihre Kontrahenten, mögen es nun die Sozialdemokraten oder die beiden sozialistischen Parteien gewesen sein, mit den gröbsten Beschimpfungen belegte, wenn sie das ausführten, was die kommunistischen Vertreter selbst mit beschlossen hatten.

Man mag sagen, daß das Sünden der Vergangenheit seien. Welche Richtlinien hat sich die Kommunistische Partei aber für ihre zukünftige Arbeit gegeben? In einem Briefe vom 7. November unterwies Karl Radek den Zentralausschuß der Kommunistischen Partei, wie er arbeiten müsse, um "neue Massen von Anhängern" zu erobern. Auch die U.S.P.D. sei, so schwindelte er , dazu bereit, mit Zentrum und Demokraten eine Koalition zu bilden. Man solle zwar die Einheitsfront der des Proletariats fordern, aber niemals vergessen, was die Kommunisten von den "Hilferdingen" und "Dittmännern" von "Levi", "Rosenfeld u. Co." trenne und solle auch niemals den Kampf gegen die beiden sozialistischen Parteien vergessen! Der Zentralausschuß beschloß denn auch, daß man sich für die Bildung einer sozialistischen Regierung einsetzen wolle, aber nur zu dem Zwecke, um sie möglichst schnell wieder zu beseitigen. So sehen wir noch bei jedem Beschluß der Kommunistischen Partei, daß bei ihm nicht das Gesamtinteresse des Proletariats, sondern das agitatorische Bedürfnis der eigenen Partei in den Vordergrund geschoben wird.

Die Unabhängige Sozialdemokratie wird es an nichts fehlen lassen, um die Wiederherstellung der Einheitsfront zu fördern. Aber wir haben aus den bitteren Erfahrungen der letzten Jahre genug gelernt, um auf der Hut zu sein, daß der spontane Drang der Massen zur Einigung nicht von den Leuten ausgenutzt wird, die die Kulisse der "Einheitsfront" und die Gutmütigkeit des Proletariats für enge Parteizwecke auszuschalten suchen.