Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung


Online-Edition wichtiger Beiträge Eugen Pragers in der sozialdemokratischen Presse.

    Dokument:

    Wir wollen nicht siegen! / E.P. - [Electronic ed.], 1921 - 13 KB, Text
    In: Freiheit. - 4 (24. März 1921) 139
    Electronic ed.: Bonn : FES Library, 2006


Wir wollen nicht siegen!

E. P. Die Abstimmungsberechtigten aus dem Reiche kehren aus Oberschlesien nach Hause zurück. Die bürgerlichen Blätter begrüßen sie mit dem Ruf: Ein neuer deutscher Sieg! Wann haben wir doch schon Aehnliches gehört? Ach ja, viereinhalb Jahre lang, während des Massenmordens, das die einen ein Stahlbad, die anderen eine Schande für die Menschheit nannten. Wie oft haben wir da gesiegt: an der Marne und in Ostpreußen, in Galizien und in Italien, in der Nordsee und an den Dardanellen, in Europa und in Asien, in der Luft, im Wasser und auf der Erde. Das war eine Siegeslaufbahn ohne gleichen, die aber leider nur den einen Nachteil hatte, daß sie das deutsche Volk zu Elend und Vernichtung führte. Nicht die deutsche Weltherrschaft was das Ende, sondern ein schreckliches Erwachen und ein greulicher Katzenjammer.

Wir müssen fürchten, daß auch der oberschlesische Sieg zu dem gleichen Ergebnis führen wird. In den Heimkehrerzügen war zwar viel von Revolution und Reichswehr die Rede, wenn Polen auch nur ein Stückchen des Landes bekommen würde, und auch der deutsche Plebiszitkommissar hat der oberschlesischen Bevölkerung zugerufen, daß "keine Macht der Welt" es wagen würde, das Abstimmungsergebnis zu ignorieren. Da wir jedoch in der Welt des Seins und nicht in der Welt der Illusionen leben, und da außerdem die kapitalistische Staatspolitik keine Gefühls- sondern eine Geschäftssache ist, so wäre es wohl angebracht, mehr die Tatsachen als die Stimmungen wirken zu lassen. Diesen Tatsachen tragen aber weder der Aufruf des deutschen Plebiszitkommissars noch die Ansprachen des Reichskanzlers und des Außenministers an die oberschlesischen Heimkehrer, noch der Aufruf des Herren Ebert und Fehrenbach Rechnung.

Die Tatsache ist der Friedensvertrag von Versailles, eine andere sind die 471 406 Stimmen, die für Polen abgegeben wurden, eine dritte schließlich die Gewißheit, daß weder eine deutschnationale Revolution noch die Drohung mit der Reichswehr den Gegnern Schrecken einzujagen imstande sind. Und endlich darf nicht übersehen werden, daß das oberschlesische Problem nur als ein Teil der gegenwärtigen weltwirtschaftlichen und weltpolitischen Auseinandersetzungen anzusehen ist. Die kommunistische Luftpolitik macht es sich bequem, indem sie den Arbeitern sagt, das alles sei nur eine Sache der Bourgeoisie, aber keine Sache des Proletariats; die Arbeiter sollten wohl die Faust in der Hosentasche ballen, im übrigen aber der Bourgeoisie die Erledigung ihrer Händel selbst überlassen. Dem sozialistisch geschulten Arbeiter wird es dagegen einleuchten, daß es nicht angeht, als zuschauender Dritter die Prügel einzustecken, die bei solcher revolutionärer Gleichgültigkeit unweigerlich auf seinen Rücken niederprasseln würden, sondern daß das Proletariat die politischen Verhältnisse so zu gestalten suchen muß, daß dabei seine Interessen am besten gewahrt bleiben.

Deutschland und Polen sind als Nachbarstaaten aufeinander angewiesen. Wir dürfen nicht darauf bauen, daß die rivalisierenden Interessen der englischen und französischen Bourgeoisie Oberschlesien als Kompensationsobjekt betrachten werden, und daß Deutschland nur nötig habe, "fest" zu bleiben, um gegenüber Polen einen Vorteil zu erreichen. Sondern wir müssen mit der Zukunft rechnen, und die weist Deutschland die Aufgabe zu, gemeinsam mit den Völkern des Ostens den Wiederaufbau Osteuropas in die Hand zu nehmen. Vorher aber muß alles aus dem Wege geräumt werden, was einer Verständigung mit ihnen noch entgegensteht. Wir wollen über die Polen nicht siegen, sondern wir müssen uns mit ihnen aussöhnen. Wir wollen die wilhelminische Politik nicht fortsetzen, unter deren entsetzlichen Folgen das deutsche Volk jetzt zu leiden hat, sondern wir müssen als Sozialisten die Ausrottung des nationalistischen Unkrauts und der Völkerverhetzung mit aller unserer Kraft betreiben.

Wir kommen aber zu keiner Aussöhnung mit unserm östlichen Nachbarstaat, wenn, wie es ein Teil der bürgerlichen Presse tut, die Polen als Größenwahnsinnige und unfähige Trottel beschimpft werden. Wir können keine Verständigung erzielen, wenn wir lediglich von den örtlichen Ausschreitungen auf polnischer Seite reden und behaupten, daß es sich um einen offiziell organisierten Terror gegen alle Deutschen handele, dabei aber geflissentlich die Sünden auf deutscher Seite verschweigen, die nicht wenig zu der Verhetzung der polnischen Bevölkerung gegen ihre deutschen Mitbürger beigetragen haben. Solange es sich darum handelte, ein günstiges Abstimmungsergebnis zu erzielen, mußte man die oberschlesischen Arbeiter daran erinnern, daß ihre Interessen und die Interessen des internationalen Sozialismus besser gewahrt sein würden, wenn Oberschlesien bei Deutschland bleibe, als daß es an Polen fiele. Nun aber das Ergebnis der Abstimmung da ist, haben wir den Willensausdruck der Bevölkerung zu respektieren und daraus unsere Schlüsse zu ziehen, so schwierig die Situation für uns auch dadurch werden mag. Wir haben den polnischen Sozialisten wiederholt und in voller Eindeutigkeit gesagt, daß ihre Politik die Sache des Sozialismus aufs schwerste schädige. Um so mehr haben wir die Pflicht, jede Verbindung mit dem deutschen Nationalismus abzulehnen und uns lediglich von internationalen, von sozialistischen Grundsätzen leiten zu lassen.

Die deutsche Regierungspolitik scheint aber auch in der oberschlesischen Frage die Linie verfolgen zu wollen, die sie bei der Behandlung der Wiedergutmachung eingehalten hat. Sie scheint es darauf anzulegen, die oberschlesische Frage als einen Teil des Wiedergutmachungsproblems zu behandeln, wobei Polen nur als zuschauender Teil in Betracht zu ziehen sei. Mit dieser Methode werden wir nicht die geringsten Erfolge erzielen können. Wir müssen verlangen, daß die deutsche Regierung eine direkte Verständigung mit Polen herbeizuführen sucht, für die die wirtschaftlichen Bedürfnisse beider Länder die Grundlage bilden müssen mit dem Ziele, die nationalen Schwierigkeiten zwischen uns und unserem Nachbarlande vollkommen zu beseitigen. Was seit zweieinhalb Jahren versäumt worden ist, das muß jetzt endlich nachgeholt werden. Wir wissen ganz genau, daß Polen ein schwieriger Verhandlungsgegner ist und daß seine Regierung sich nur von den Interessen des eigenen Landes und den Ansprüchen des polnischen Kapitals leiten läßt; wir wissen weiter, daß dem polnischen Volke der französische Imperialismus als Sporn im Fleische sitzt. Aber wir dürfen dabei nicht übersehen, daß die Ansprüche Polens ihre Wurzel haben in der Unbill, die ihnen von den früheren deutschen Machthabern zugefügt worden ist und weiter in dem Mißtrauen, das die Polen gegen das heutige Deutschland hegen. Ob Polen wirklich ein demokratisches Staatswesen ist, das mag dahingestellt bleiben; Tatsache ist, daß die Politik Deutschlands nicht von demokratischen, sondern von nationalistischen Anschauungen beherrscht wird. Als Symbol für das heutige Deutschland muß es gelten, daß bei der Ausschmückung der Bahnhöfe und der öffentlichen Gebäude während der Abstimmungsfahrt die schwarz-rot-gelbe Reichsfahne überhaupt nicht zu erblicken war und daß die Abstimmungszüge vornehmlich die patriotischen Lieder aus der Kriegszeit zu hören bekamen.

Die oberschlesische Industrie war von jeher ebenso auf den Absatz nach dem Westen wie nach dem Osten angewiesen. Der oberschlesische Handel hat seine stärksten Antriebe aus den Beziehungen zu den Nachbargebieten bekommen. Der Abfluß der arbeitenden Bevölkerung Westdeutschland wurde ergänzt durch einen ständigen starken Zustrom polnischer Proletarier. Die gemeinsamen Interessen der Deutschen und Polen in Oberschlesien ließen bis vor kurzer Zeit keine nationalen Gegensätze aufkommen. Die Gegensätze in der Bevölkerung waren sozialer und nicht nationaler Art. Diese Gesichtspunkte müssen die der Entscheidung über die Zukunft Oberschlesiens in den Vordergrund gerückt werden. Die Gemeinsamkeit der polnischen und deutschen Interessen muß eine Lösung finden lassen, die weder zum Schaden des einen noch des anderen Landes ausfällt. Die deutsche Regierung hat in dieser ernsten Stunde die Verpflichtung, alles nationale Gepolter beiseite zu schieben und Polen die Hand zur Versöhnung zu bieten.

Noch einmal, wir wollen nicht siegen, sondern wir wollen uns verständigen. Die Arbeiterklasse hat von Krieg und Sieg genug!

Freiheit, 24.03.1921