Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung


Online-Edition wichtiger Beiträge Eugen Pragers in der sozialdemokratischen Presse.

    Dokument:

    Die Abstimmung in Oberschlesien / E.P. - [Electronic ed.], 1921 - 11 KB, Text
    In: Freiheit. - 4 (22. März 1921) 135
    Electronic ed.: Bonn : FES Library, 2006


Die Abstimmung in Oberschlesien
Drahtmeldung unseres Korrespondenten

EP. Gleiwitz, 21. März

Aus den Kreisen der Interalliierten Kommission werden folgende vorläufige Ergebnisse mitgeteilt:

Kreis Beuthen 19 Gemeinden für Polen, 6 Gemeinden für Deutschland. Der Kreis hat mit der Stadt Beuthen eine absolute Majorität für Polen, etwa 52 Prozent.

Kreis Hindenburg 11 Gemeinden für Polen, 4 Gemeinden für Deutschland. Dadurch, daß die Stadt Hindenburg eine beträchtliche deutsche Mehrheit aufweist, hat der Kreis Hindenburg eine Mehrheit für Deutschland ergeben.

Tarnowitz mit Stadt hat eine Mehrheit von 60 Prozent für Polen, Pleß mit Stadt 80 Prozent für Polen, Gleiwitz mit Stadtbezirk 65 Prozent für Polen an Stimmen abgegeben. Im Kreise Lublinitz hat etwa die Hälfte für Deutschland und andere Hälfte für Polen gestimmt. Ein ähnliches Ergebnis dürfte der Kreis Rosenberg aufweisen.

Die Stadt Königshütte, die einen eigenen Kreis bildet, hat 25 Prozent für Polen und 75 Prozent für Deutschland aufgewiesen. Ratibor mit Stadt etwa 46 Prozent für Deutschland und 54 Prozent für Polen. Kosel mit Stadt etwa 75 Prozent für Deutschland und 25 Prozent für Polen.

Leobschütz deutsche Mehrheit, Oberglogau deutsche Mehrheit, Groß-Strehlitz 30 Prozent für Deutschland und 70 Prozent für Polen, Oppeln-Stadt deutsche Mehrheit. Oppeln-Landkreis eine überwiegende polnische Mehrheit. Kattowitz-Kreis: die Stadt hat vorwiegend deutsch gewählt, das Land dagegen weist eine große polnische Mehrheit auf, im ganzen Kreis haben 25 Prozent für Deutschland und 75 Prozent polnisch gewählt. Kreis Rybnick 20 Prozent für Deutschland und 80 Prozent für Polen.

Es hat keinen Zweck, sich einer Täuschung hinzugeben. Die Abstimmung hat in wichtigen Teilen Oberschlesiens für Polen und gegen Deutschland entschieden. Oberschlesien, als Ganzes gesehen, hat eine deutsche Mehrheit gebracht, in dem Industrierevier jedoch hat die Mehrheit der Bevölkerung gegen Deutschland gestimmt. Welche Folgerungen aus diesem Ergebnis zu ziehen sind, wird später zu sagen sein. Zuerst müssen aber die Ursachen dieses für Deutschland zweifellos ungünstigen Ergebnisses dargelegt werden. Und diese Ursachen sind nicht heutigen und gestrigen Ursprungs, sie reichen zurück in jene fluchbeladene Vergangenheit, in der die Gewalt der Götze war, den die offizielle Politik feierte und die uns den Hatz und die Verachtung fast der ganzen Welt eingetragen hat.

Oberschlesien hat bis vor kurzer Zeit keine eigentlichen nationalen Gegensätze gehabt; die Bevölkerung sprach deutsch und polnisch, von einer besonderen Zuneigung zu Polen war keine Rede. Während Polen und Westpreußen schon längst ihre polnische Bewegung hatten, lag die oberschlesische Bevölkerung noch in den Banden, die ihr Kapital und Kirche angelegt hatten. Vor dieser Idylle machte aber die hakatistische Bewegung nicht Halt. Es durfte keine zweisprachige Bewegung mehr geben, alles Polnische sollte mit Stumpf und Stiel ausgerottet werden. Das schuf den Boden für die großpolnische Propaganda.

Nach dem November-Zusammenbruch schien auch für Oberschlesien eine neue Zeit, eine Zeit der Freiheit angebrochen zu sein. Zwei Bevölkerungsschichten waren hier von jeher besonders stark bedrängt, die Arbeiter und die Land-Proletarier. Hier hätte sich eine besonders günstige Gelegenheit geboten, nicht nur das soziale, sondern auch das nationale Problem zu lösen. Dem Großkapital und dem Großgrundbesitz mußten die Privilegien entwunden und die Forderungen der werktätigen Bevölkerung erfüllt werden. Soweit sich das im Rahmen der sozialistischen Grundsätze überhaupt ermöglichen ließ. Die Demokratie mußte auf breitester Grundlage durchgeführt, das Selbstbestimmungsrecht der Bevölkerung in den Schulen, Erziehung und Verwaltung hergestellt werden. Nichts von alledem geschah. Noch schneller und gründlicher als im übrigen Deutschland wurden in Oberschlesien die alten Privilegien der besitzenden Kreise wieder erneuert, von den Zielen der arbeitenden Bevölkerung nach wirtschaftlicher und politischer Befreiung ging nichts in Erfüllung. Der preußische Leutnant, der preußische Landrat und der preußische Hakenkreuzler nahmen wieder Besitz von dem Lande. Hörsing, der Vertreter der Roske-Politik in Oberschleien, ließ die Grubenarbeiter mit Gummiknüppeln und Maschinengewehren zur Arbeit antreiben.

So mußte der Boden für die polnische Agitation bereitet werden, und so ergab sich für den polnischen Nationalismus die günstige Gelegenheit, die großen Gegensätze für seine besonderen Zwecke umzumünzen. Wenn Oberschlesien für Deutschland gerettet werden sollte, so mußte die deutsche Agitation von vornherein darauf angelegt sein, die nationalen Gegensätze zu mildern. Das hieße aber zugleich die Forderungen des Klassenkampfes wenigstens zum Teil erfüllen. Wenn irgendwo, so mußte hier mit der Sozialisierung der Großindustrie begonnen werden. Wenn irgendwo, so war hier die Gelegenheit, den Feudaladel seines Besitzes zu entkleiden, ihn in die Nutznießung der Allgemeinheit zu überführen und zugleich die Bedürfnisse des Landproletariats zu befriedigen. Davon aber geschah nichts, es langte nur zu inhaltslosen Erklärungen der Zechenbarone und Agrarmagnaten, worin sie ihre "Treue zur deutschen Sache" beteuerten. An Stelle dessen wurde der nationalistischen Propaganda der weiteste Spielraum geschaffen, die nationalen Gegensätze wurden bis aufs äußerste zugespitzt.

Die polnische Agitation hat außerordentlich geschickt die Schwächen der deutschen Propaganda erfaßt und mit ihrer Ausbeutung große Erfolge erzielt. Die polnische Propaganda war zwar außerordentlich demagogisch, aber sie war doch ebenso geschickt wie wirksam. Sie stellte es so dar, als ob die Massen des ländlichen und des Grubenproletariats von dem Anschluß an Polen eine Befreiung von ihren Leiden erhoffen könnten.

Was soll nun werden? Die Interalliierte Kommission wird auf Grund des Abstimmungsergebnisses, das im ganzen für Deutschland eine Mehrheit ergeben hat, ihre Vorschläge ausarbeiten und die Alliierten werden dann endgültig die Entscheidung fällen. Bis es dahin kommt, werden noch mehrere Monate vergehen. Es muß verlangt werden, daß die Entscheidung nicht nach nationalen und politischen, sondern lediglich nach wirtschaftlichen Grundsätzen gefällt wird. Deutschland und Polen sind aufeinander angewiesen. Beide Länder müssen so schnell wie irgend möglich zu einem beide Teile möglichst befriedigenden Ausgleich kommen. Die oberschlesische Frage muß so entschieden werden, daß weder hüben noch drüben ein Stachel zurückbleibt.

Freiheit, 22.03.1921