Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung


Online-Edition wichtiger Beiträge Eugen Pragers in der sozialdemokratischen Presse.

    Dokument:

    Oberschlesien / Eugen Prager - [Electronic ed.], 1921 - 13 KB, Text
    In: Freiheit. - 4 (19. März 1921) 131
    Electronic ed.: Bonn : FES Library, 2006


Oberschlesien
Von Eugen Prager

Ueber den Ausfall der Abstimmung in Oberschlesien läßt sich viel weniger etwas voraussagen, als das vor parlamentarischen Wahlen möglich ist. Nicht die Klassenscheidung, so scheint es zunächst, bildet hier das entscheidende Moment, sondern der nationale Gegensatz. Hebt man jedoch den Schleier von den nationalen Parolen, so erkennt man doch bald, daß auch hier letzen Endes wirtschaftliche Ursachen die Voraussetzungen für die Stellungsnahme der Abstimmenden bilden.

Oberschlesien stellt kein einheitliches Gebilde dar. Der westliche und südöstliche Teil ist vorwiegend Agrarland, der östliche Teil dagegen gehört zu den höchstentwickelten Industriebezirken. Der größte Teil des Landes ist im Besitze einer handvoll Feudalherren, die auch auf die Industrie einen hervorragenden Einfluß ausüben. Die Klassenscheidung ist außerordentlich scharf ausgeprägt. Oben eine kleine Schicht von Industriemagnaten und Großgrundbesitzern, in ihrem Gefolge das Handelskapital und die Bureaukratie; auf der untersten sozialen Stufe das Riesenheer der Proletarier in den Gruben und Hütten, Walzwerken und Fabriken, eine große Zahl von Zwergbauern und besitzlosen Landarbeitern. Nun setzt sich die besitzende Oberschicht vorwiegend aus Deutschen zusammen, und auch das Beamtenheer ist deutlich orientiert. Die besitzlosen Volkskreise dagegen sind Polen, oder wie von deutscher Seite gesagt wird, deutsch und polnisch sprechende Oberschlesier. Wäre das oberschlesische Proletariat schon zu klarem Klassenbewußtsein gelangt, so würde es den Kampf gegen das Kapital führen. Hier aber setzt die nationale Verhetzung ein und fälscht den Gegensatz zwischen den Klassen um ein einen Gegensatz zwischen dem deutschen und dem polnischen Volke.

Die Unabhängige Sozialdemokratie hat sich im Abstimmungskampf bisher neutral verhalten. Getreu dem Grundsatz des internationalen Sozialismus, daß die Völker selbst über ihre staatliche Zugehörigkeit entscheiden sollen, bekämpft sie ebenso die zwangsweise Angliederung an volksfremde Staaten, wie sie sich der nationalen Verhetzung der Völker gegeneinander widersetzt. Das darf uns jedoch nicht hindern, zu der oberschlesischen Abstimmung Stellung zu nehmen. Unsere Auffassung muß geleitet sein von den sozialistischen Interessen, von den internationalen Interessen der Arbeiterklasse. In diesem besonderen Falle haben wir uns zu fragen, was für das oberschlesische Proletariat und für das Proletariat Deutschlands und Polens vorteilhafter ist: die Zugehörigkeit Oberschlesiens zu Deutschland oder zu Polen. Die Parolen auf Stimmenthaltung, wie sie von einzelnen Kreisen ausgegeben wurden, oder die Parole für Sowjetrußland, wie sie die Berliner Zentrale der Kommunistischen Partei ausgeheckt hat, können in der augenblicklichen Situation nur lächerlich wirken. Wo die ganze Bevölkerung eines so wichtigen Gebiets und nicht zuletzt die Arbeiterklasse bis zum Grunde aufgewühlt ist, dienen solche Parolen nicht der Aufklärung, sondern der Verwirrung. Tatsächlich hat besonders der kommunistische Bequemlichkeitsstandpunkt in Oberschlesien nicht den geringsten Anklang gefunden.

Für das oberschlesische Proletariat steht außer Frage, daß seine Lebenslage sich außerordentlich verschlechtern würde, wenn Oberschlesien an Polen fiele. Dem polnischen Proletariat würde damit nicht im mindesten geholfen sein, die deutsche Arbeiterschaft dagegen würde beim Verlust Oberschlesiens ungeheuren Schaden erleiden, und schließlich müßte er auch auf die internationale Arbeiterbewegung außerordentlich ungünstig wirken. Gewiß steht Deutschland ebenso wie Polen noch unter der Herrschaft der Bourgeoisie; dem oberflächlichen Beobachter könnte es als gleich erscheinen, ob der oberschlesische Arbeiter vom polnischen oder vom deutschen Kapital ausgebeutet wird. Geht man den Dingen aber auf dem Grund, so wird man doch zu einer anderen Auffassung kommen. Auch die zaristische Regierung war eine Regierung der Bourgeoisie. Hätten die russischen Arbeiter also ruhig zuwarten sollen, bis der Zarismus von selbst zusammengebrochen wäre?

Deutschland ist ökonomisch soweit entwickelt, daß der Beginn der Umwälzung der kapitalistischen Wirtschafsweise in die sozialistische beginnen könnte. Es liegt hauptsächlich an dem Maße der Erkenntnis und des Willens der Arbeiterklasse, wann diese Aktion eingeleitet und durchgeführt werden soll. Polen dagegen ist sowohl wirtschaftlich wie auch politisch ein durchaus unfertiges und unentwickeltes Gebilde, das sich vollständig in der Hand der Bourgeoisie befindet, und in dem die Arbeiterklasse, wenn die soziale Revolution keine unvorhergesehene Sprünge machen sollte, auf lange Zeit hinaus ohne wesentlichen Einfluß bleiben wird. Der polnische Staat lebt heute wirtschaftlich wie politisch von Gaben des ausländischen, vornehmlich des französischen Kapitals, es stellt den osteuropäischen Ausläufer des französischen Imperialismus dar, der sich sowohl gegen Deutschland wie gegen Rußland wenden soll. Deutschland ist militärisch ohnmächtig: sein altes Heer ist verschwunden, trotz der Anstrengungen der deutschen Nationalisten besteht keine begründete Aussicht, daß der alte Militarismus jemals wieder dauernd die Oberhand gewinnen könnte. Was Deutschland verloren hat, das hat sich Polen neu geschaffen. Es wird zum starken Militärstaat ausgebaut, es hält dauernd große Teile seiner Bevölkerung unter den Waffen.

Auch ein Vergleich der wirtschaftlichen Verhältnisse fällt sehr zu Ungunsten Polens aus. Das polnische Proletariat befindet sich in einer jämmerlichen Lage; das Elend der Arbeiter ist schon bei uns außerordentlich groß, in Polen ist es noch viel schlimmer. Der Anfall Oberschlesiens an Polen würde lediglich das polnische und das ausländische Kapital stärken, das oberschlesische Proletariat aber in die Verzweiflung der polnischen Arbeiterschaft mit hineinziehen.

Ausschlaggebend sind aber nicht diese politischen und wirtschaftlichen Interessen, die geeignet sein könnten, dem Egoismus der oberschlesischen Arbeiterschaft Vorschub zu leisten, sondern die internationalen Interessen der Arbeiterklasse. Deutschland besitzt trotz der Zerrüttung seiner politischen Organisationen noch immer die stärkste Arbeiterbewegung der Welt. Sind in Oberschlesien die nationalen Hemmungen beseitigt, so werden die Vorbedingungen dafür geschaffen sein, daß auch hier die Klassengegensätze sich nicht mehr in ihrer nationalen Form zeigen, sondern in der Form des offenen Klassenkampfes. Fällt Oberschlesien an Polen, so ist jede wahrhaft sozialistisch-revolutionäre Tätigkeit vorläufig und auf absehbare Zeit unmöglich. Soweit es bis jetzt eine sozialistische Bewegung in Polen gibt, ist sie noch in ihrem Kern nationalistisch orientiert, hat sie sich zur Handlangerin der polnischen Bourgeoisie hergegeben, ohne dafür auch nur die geringsten sozialistischen Zugeständnisse eingetauscht zu haben. Gewiß haben wir auch in Deutschland eine sehr lebendige Reaktion; aber selbst die Kommunisten, die aus ihrer Abneigung gegen die der Bourgeoisie heilige Verfassung und aus ihrer Vorliebe für den Bürgerkrieg kein Hehl machen, können sich bei uns ungehindert entfalten, während ihnen in Polen Gefängnis, Zuchthaus und der Galgen drohen.

So sprechen alle Gründe der sozialistischen Erkenntnis dafür, daß die oberschlesischen Arbeiter nicht nur sich selbst, sondern ihrer ganzen Klasse zuliebe für Deutschland stimmen müßten. Es ist ohne Zweifel ein unbehagliches Gefühl für jeden sozialistisch und international gesinnten Arbeiter, sich bei dieser Gelegenheit an die Seite der Bourgeoisie gedrängt zu sehen, die im Abstimmungskampf an die niedrigsten Instinkte des Egoismus und des Nationalismus appelliert, und die die Gelegenheit ausgiebig benützt, um hinter dem nationalen Schleier ihr kapitalistisches Interesse zu verbergen. Aber dieser Zustand bildet nur eine vorübergehende, zwangsläufige Erscheinung. Kämpfen wir heute scheinbar in einer Front mit der Bourgeoisie, so doch nur um morgen um so schärfer zum Kampfe gegen sie aufzurufen. Wir wollen auch in Oberschlesien keine nationale Einheitsfront mit dem Bürgertum bilden, wir wollen vielmehr dafür arbeiten, daß mit Hilfe Oberschlesiens aus Deutschland ein sozialistisches Gemeinwesen werde, das seine Pflicht gegenüber der Arbeiterklasse der ganzen Welt und nicht zuletzt gegenüber dem oberschlesischen Proletariat bis zum Aeußersten erfüllen soll.

Freiheit, 19.03.1921